Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 21.02.2020 - 3 K 191/18 =
SIS 20 20 21 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
1
|
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) hatte fünf Geschwister.
Die Eltern der Klägerin verfassten ein sogenanntes Berliner
Testament. Sie setzten sich gegenseitig zu Alleinerben ein, wobei
der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein
eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des
Überlebenden (sogenannte Schlusserben) setzten die Eheleute
die Klägerin und drei ihrer Schwestern (A, B und C) ein. Der
Bruder (D) und eine weitere Schwester (E) wurden enterbt. Weiter
enthielt das Testament eine sogenannte Jastrowsche Klausel. Diese
regelte für den Fall, dass eines der Kinder auf den Tod des
Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen sollte, dieses Kind
auch vom Nachlass des überlebenden Ehegatten nur den
Pflichtteil erhalten sollte. Die zu Erben des Überlebenden
berufenen Geschwister, die den Pflichtteil bei Tod des
Erstversterbenden nicht verlangten, sollten in diesem Fall aus dem
Nachlass des Erstversterbenden ein Vermächtnis erhalten, das
so hoch sein sollte, wie ihr Erbanteil bei gesetzlicher Erbfolge
auf Ableben des Erstversterbenden und Übernahme der
Pflichtteilslast für die den Pflichtteil fordernden
Geschwister. Die Vermächtnisse sollten beim Tod des
Erstversterbenden anfallen, aber erst beim Tod des
Letztversterbenden ausgezahlt werden.
|
|
|
2
|
Nach dem Tod des Vaters machten D und E
gegenüber der Mutter Pflichtteilsansprüche geltend. Nach
dem Tod von C, die keine Abkömmlinge hinterließ,
errichtete die Mutter ein Testament, mit dem sie die Klägerin,
A und B als Erben einsetzte und D und E von der Erbschaft
ausschloss.
|
|
|
3
|
Nach dem Tod der Mutter, die im Jahr 2012
verstarb, erklärten die Klägerin, A und B in der
Erbschaftsteuererklärung unter anderem
Nachlassverbindlichkeiten aus betagten Vermächtnissen nach dem
Tod des Vaters in Höhe von insgesamt 3.329.593 EUR.
|
|
|
4
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) setzte gegenüber der Klägerin
für den Erbfall nach der verstorbenen Mutter zuletzt mit
Änderungsbescheid vom 09.07.2018 Erbschaftsteuer in Höhe
von 383.531 EUR fest. Dabei erkannte das FA die erklärten
anteiligen Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 1.109.864,33
EUR (= ein Drittel von 3.329.593 EUR) aus betagten
Vermächtnissen nicht mehr an. Eine Besteuerung des von der
Klägerin erworbenen betagten Vermächtnisses - welches
beim Tod des Vaters angefallen, jedoch erst mit dem Tod der Mutter
fällig geworden war - unterblieb.
|
|
|
5
|
Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das
FA mit Einspruchsentscheidung vom 26.09.2018 zurück. Es
führte in der Begründung aus, dass in dem
Änderungsbescheid vom 09.07.2018 bei der Festsetzung der
Erbschaftsteuer die betagten Vermächtnisse zwar nicht anteilig
als Nachlassverbindlichkeit in Abzug gebracht worden seien, jedoch
der von der Klägerin erworbene Vermächtnisanspruch dem
Erwerb auch nicht hinzugerechnet worden sei, sodass sich die beiden
Posten im Ergebnis ausgeglichen hätten. Da sowohl die
Steuerklasse als auch der Steuersatz bei dem Erwerb von Vater und
Mutter identisch gewesen seien, habe keine Aufteilung
gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 und 5 des Erbschaftsteuer-
und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) vorgenommen werden
müssen. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG
könne der Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2
ErbStG in der Summe nur einmal berücksichtigt werden.
|
|
|
6
|
Die Klage vor dem Finanzgericht (FG), mit
der die Klägerin weiterhin begehrte, dass zum einen das
betagte Vermächtnis als Nachlassverbindlichkeit bei der
Berechnung der Erbschaftsteuer nach dem Tod der Mutter in Abzug
gebracht und zum anderen, dass ihr zusätzlich der Freibetrag
nach dem Vater gewährt wird, hatte keinen Erfolg.
|
|
|
7
|
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG und
eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - i.V.m. § 119 Nr. 3, §
96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
8
|
Es käme zu einer doppelten Besteuerung
des Vermächtnisses, wenn das Vermächtnis nach dem Tod der
Mutter bei ihr - der Klägerin - der Besteuerung unterliege,
aber nicht als Nachlassverbindlichkeit in Abzug zu bringen sei.
Eine solche Vorgehensweise wäre nur zulässig, wenn das
betagte Vermächtnis wie eine Vor- und Nacherbschaft zu
behandeln sei. Eine solche Behandlung sei aber unrichtig, sodass
das FA eine unzutreffende Hinzurechnung des Vermächtnisses bei
dem Erbfall nach dem Tod der Mutter fiktiv nach § 6 Abs. 4
ErbStG vorgenommen habe.
|
|
|
9
|
Das FG stütze seine Argumentation
darauf, dass die Vermächtnisverbindlichkeit nicht in Abzug
gebracht werden könne, weil in gleicher Höhe ansonsten
wieder eine Hinzurechnung des betagten Vermächtnisses erfolgen
müsse. Dieses Argument sei zwischen den Beteiligten nicht
diskutiert worden, sodass die FG-Entscheidung überraschend
sei. Schließlich seien das zugerechnete betagte
Vermächtnis und die abzuziehende Verbindlichkeit nicht
identisch. Das betagte Vermächtnis entspreche dem gesetzlichen
Erbteil nach dem Tod des Vaters, die
Vermächtnisverbindlichkeit sei diejenige, die die
nachverstorbene Mutter getroffen habe. Letztere sei höher -
auch pro einzelnem Erben, weil damals noch vier Erben gelebt
hätten - als das erfüllte betagte Vermächtnis an die
drei noch lebenden Erben. Deshalb könnten sich Hinzurechnung
und Abzug nicht kompensieren.
|
|
|
10
|
Die Klägerin beantragt,
|
|
den Änderungsbescheid vom 09.07.2018
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.09.2018 dahingehend zu
ändern, dass eine auf die Klägerin entfallende
Verbindlichkeit aus Vermächtnissen in Höhe von
1.109.864,33 EUR zum Abzug zugelassen wird.
|
|
|
11
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
12
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG hat zu
Recht entschieden, dass der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid
rechtmäßig und die Bemessungsgrundlage für die
Erbschaftsteuer nicht um den Betrag der
Vermächtnisverbindlichkeit zu mindern ist, da in gleicher
Höhe kein Ansatz des erlangten betagten Vermächtnisses
bei der Berechnung der Erbschaftsteuer erfolgt ist. Es liegt auch
kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Sinne einer
Überraschungsentscheidung vor.
|
|
|
13
|
1. Mit dem Tod der Mutter ist die
Klägerin nicht nur Schlusserbin (§ 1922 i.V.m. §
2269 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - ) geworden (siehe
hierzu unter 2.), sondern hat als Vermächtnisnehmerin
(§§ 2147 ff. BGB) das mit dem Tod der Mutter fällig
gewordene Vermächtnis erworben und dieses als von der Mutter
stammend nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 ErbStG zu
versteuern.
|
|
|
14
|
a) Zivilrechtliche Grundlage hierfür ist
das gemeinschaftliche Testament der Eltern der Klägerin. Sie
hatten sich in diesem gegenseitig zu Alleinerben und beim Tod des
Überlebenden vier ihrer sechs Kinder als Erben eingesetzt
(sogenanntes Berliner Testament nach § 2269 Abs. 1 BGB). Die
nach dem Tod des überlebenden Ehegatten für den
beiderseitigen Nachlass als Erben eingesetzten Kinder sind
sogenannte Schlusserben, auf die erbschaftsteuerrechtlich § 15
Abs. 3 ErbStG Anwendung findet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 09.07.2009 - II R 42/07, BFH/NV 2009, 1994 = SIS 09 36 34, unter II.1.a).
|
|
|
15
|
Zudem hatten die Eltern der Klägerin in
dem Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel angeordnet. Durch
diese sollte verhindert werden, dass sich die enterbten Kinder, die
ihren Pflichtteil verlangen, zulasten der Erben einen höheren
Wertanteil am Nachlass des Erstversterbenden verschaffen.
|
|
|
16
|
b) Danach hatte die Klägerin zwar beim
Tod des Vaters aufgrund der Jastrowschen Klausel einen
Vermächtnisanspruch erworben, da die enterbten Kinder D und E
ihren Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hatten. Dieser
Vermächtnisanspruch entstand bereits mit dem Tod des Vaters
(entgegen der Vermutung des § 2269 Abs. 2 BGB), wurde als
betagtes Vermächtnis aber erst mit dem Tod der Mutter
fällig (vgl. BFH-Urteil vom 31.08.2021 - II R 2/20, BFHE 273,
572, BStBl II 2022, 387 = SIS 21 20 79, Rz 17).
|
|
|
17
|
c) Erbschaftsteuerrechtlich werden nach §
6 Abs. 4 ErbStG Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten
fällig sind, über eine Gleichstellung mit den
Nacherbschaften im Wesentlichen so behandelt wie
Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen
(BFH-Urteil vom 31.08.2021 - II R 2/20, BFHE 273, 572, BStBl II
2022, 387 = SIS 21 20 79, Rz 12). Danach hat die Klägerin das
Vermächtnis, das aufgrund der Jastrowschen Klausel mit dem Tod
des zuerst verstorbenen Vaters angefallen ist, welches aber erst
bei der zuletzt verstorbenen Mutter fällig geworden ist,
aufgrund der Fiktion des § 6 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 ErbStG
gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 ErbStG als von
der Mutter stammend zu versteuern.
|
|
|
18
|
2. Des Weiteren ist die Klägerin aufgrund
der Anordnung des Berliner Testaments neben den weiteren
Miterbinnen Schlusserbin des Nachlasses ihrer Mutter geworden, den
sie nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG zu versteuern
hatte. Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs war die mit
dem Tod der Mutter fällig gewordene
Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit nach
§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug zu bringen.
|
|
|
19
|
a) Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind die
vom Erblasser herrührenden Schulden als
Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Darunter fallen alle
vertraglichen, außervertraglichen und gesetzlichen
Verpflichtungen, die in der Person des Erblassers begründet
worden und mit seinem Tod nicht erloschen sind (vgl. BFH-Urteil vom
01.09.2021 - II R 8/20, BFHE 275, 253, BStBl II 2022, 475 = SIS 22 05 88, Rz 10).
|
|
|
20
|
b) Zwar konnte die Mutter als Erbin des Vaters
die aufgrund der Jastrowschen Klausel bereits mit dem Tod des
Vaters angefallenen betagten Vermächtnisse nicht als
Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1
ErbStG in Abzug bringen, da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht
fällig waren. Die Vermächtnisse stellten erst im
Zeitpunkt des Todes des überlebenden Ehegatten - vorliegend
der Mutter - die für den Abzug notwendige wirtschaftliche
Belastung dar, da sie erst zu diesem Zeitpunkt fällig wurden
(vgl. BFH-Urteil vom 14.10.2020 - II R 30/19, BFHE 272, 93, BStBl
II 2022, 216 = SIS 21 04 57, Rz 11). Dies hat zur Folge, dass der
Nachlass des Vaters ungeschmälert durch die betagten
Vermächtnisse auf die Mutter überging.
|
|
|
21
|
c) Der Nachlass der Mutter ging danach auf die
Klägerin als Erbin und die Miterbinnen ungeschmälert
durch die betagten Vermächtnisse über. Jedoch konnte die
Klägerin als (Mit-)Erbin die zu diesem Zeitpunkt fällig
gewordenen Vermächtnisansprüche nach § 10 Abs. 5 Nr.
1 ErbStG anteilig als Nachlassverbindlichkeit vom Nachlass der
Mutter abziehen.
|
|
|
22
|
3. Die zweifache Entstehung von
Erbschaftsteuer in Bezug auf das durch die Jastrowsche Klausel
begründete Vermächtnis zum einen mit dem Tod des zuerst
verstorbenen Vaters, bei dem die Mutter als Erbin das betagte
Vermächtnis mangels Fälligkeit nicht als
Nachlassverbindlichkeit abziehen konnte, und zum anderen mit dem
Tod der zuletzt verstorbenen Mutter, bei dem die Klägerin das
zu diesem Zeitpunkt fällig gewordene betagte Vermächtnis
als Vermächtnisnehmerin nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative
2 ErbStG zu versteuern hat, ist systemimmanent und nicht zu
beanstanden (vgl. BFH-Beschluss vom 06.11.2006 - II B 37/06, BFH/NV
2007, 342 = SIS 07 03 78).
|
|
|
23
|
a) Eine Doppelbesteuerung im engeren Sinn
liegt nicht vor, da es sich bei dem Erwerb des überlebenden
Ehegatten, der Mutter, von dem zuerst verstorbenen Ehegatten, dem
Vater, einerseits und dem späteren Erwerb des Kindes, der
Klägerin, als Vermächtnisnehmer von dem zuletzt
verstorbenen Ehegatten, der Mutter, andererseits nicht um denselben
Lebenssachverhalt handelt. Es liegen zwei zeitlich nacheinander
erfolgende Erwerbsvorgänge von unterschiedlichen Erblassern
mit unterschiedlichen Begünstigten vor.
|
|
|
24
|
b) Zudem konnte die Klägerin nach dem Tod
der zuletzt verstorbenen Mutter als Miterbin die
Vermächtnisschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10
Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vom Nachlass abziehen. Hierdurch neutralisiert
sich, dass sie selbst das Vermächtnis nach § 3 Abs. 1 Nr.
1 Alternative 2 ErbStG versteuern muss.
|
|
|
25
|
4. In dem angefochtenen Bescheid erfolgte -
entgegen der klägerischen Auffassung - keine zweifache
„Hinzurechnung“ und dadurch bedingte
doppelte Besteuerung des betagten Vermächtnisses. Das FA hatte
- wie in der Einspruchsentscheidung dargelegt - in dem
Änderungsbescheid vom 09.07.2018 bei der Berechnung der
Erbschaftsteuer für den Erwerb von Todes wegen nach der Mutter
weder das betagte Vermächtnis gemäß § 3 Abs. 1
Nr. 1 Alternative 2 ErbStG der Besteuerung unterworfen noch die
anteiligen Vermächtnisverbindlichkeiten als
Nachlassverbindlichkeit im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG
in Abzug gebracht. Da sich beide Positionen im Ergebnis
ausgleichen, erfolgte keine doppelte Besteuerung des betagten
Vermächtnisses bei der Klägerin.
|
|
|
26
|
5. Der anteilige Erwerb der Klägerin als
Schlusserbin und der weitere Erwerb als Vermächtnisnehmerin
nach dem Tod der Mutter konnten im Streitfall in einem Bescheid,
dem Erbschaftsteuerbescheid vom 09.07.2018 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 26.09.2018, erfasst werden.
|
|
|
27
|
a) Die Klägerin war gleichzeitig
Schlusserbin (§ 2269 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3, § 6
Abs. 2 Satz 3 bis 5, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG)
und Vermächtnisnehmerin des betagten Vermächtnisses
(§ 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2
ErbStG), jeweils mit dem Tod der Mutter. Das FA hat zwar im
Erbschaftsteuerbescheid vom 09.07.2018 den Vermächtnisanspruch
und die hieraus entstandene Nachlassverbindlichkeit beim Erbanfall
nicht getrennt ausgewiesen. Es hat aber in der
Einspruchsentscheidung vom 26.09.2018 klargestellt, dass es diese
Besteuerungsgrundlagen bei der Berechnung der Erbschaftsteuer
berücksichtigt hat und zutreffend begründet, dass
aufgrund derselben Höhe von Vermächtnisanspruch und
Nachlassverbindlichkeit dies keine Auswirkung auf die Höhe der
festgesetzten Erbschaftsteuer hatte. Die Klägerin konnte den
Betrag in derselben Höhe, wie er ihr aus dem betagten
Vermächtnis zugewandt wurde, als Nachlassverbindlichkeit bei
ihrem Erwerb von Todes wegen nach dem Tod der Mutter in Abzug
bringen, da im Streitfall die Anzahl der Schlusserbinnen und
Vermächtnisnehmerinnen identisch war.
|
|
|
28
|
b) Wie das FA in der Einspruchsentscheidung
zutreffend ausgeführt hat, waren beide
Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse nicht
getrennt zu behandeln. Zwar sieht § 15 Abs. 3 i.V.m. § 6
Abs. 2 Satz 2 und 3 ErbStG vor, dass beim Berliner Testament bei
der Besteuerung des Schlusserben und Vermächtnisnehmers unter
den dort genannten weiteren Voraussetzungen auf Antrag das
Verhältnis des Schlusserben oder Vermächtnisnehmers zum
zuerst verstorbenen Ehegatten zugrunde zu legen ist und dass beide
Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt
zu behandeln sind. Im Streitfall war aber aufgrund des
Verwandtschaftsverhältnisses der Klägerin als Kind sowohl
für den Erwerb nach dem Vater als auch nach der Mutter jeweils
die Steuerklasse I gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG
anzuwenden, sodass § 15 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 2
Satz 3 ErbStG keine Auswirkung hatte. Zudem war - in der Revision
nunmehr unter den Beteiligten unstreitig - der Freibetrag
gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nach § 15 Abs.
3 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 4, Abs. 4 ErbStG nur einmal zu
gewähren.
|
|
|
29
|
6. Das FG hat nicht den Anspruch der
Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG
i.V.m. § 119 Nr. 3, § 96 Abs. 2 FGO verletzt.
|
|
|
30
|
a) Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht
jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Die
Verfahrensbeteiligten haben einen Anspruch darauf, dass das Gericht
sie auch in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche
Erwägungen und Gesichtspunkte hinweist, mit denen sie
erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten.
Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein
Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten Gesichtspunkt
stützt und dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch
ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter
Berücksichtigung der Vielzahl vertretener Rechtsauffassungen
nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen nicht rechnen musste.
Dies kann unter anderem der Fall sein, wenn ein
entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in
das Verfahren eingebracht wird (BFH-Urteil vom 12.01.2022 - II R
11/20, BFH/NV 2022, 812 = SIS 22 09 57, Rz 13).
|
|
|
31
|
b) Im Streitfall hat das FA bereits in der
Einspruchsentscheidung vom 26.09.2018 darauf hingewiesen, dass das
Vermächtnis bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer der
Klägerin weder der Besteuerung unterworfen noch als
Nachlassverbindlichkeit in Abzug gebracht worden sei. Die
Hinzurechnung des Vermächtnisses und dessen Abzug als
Nachlassverbindlichkeit waren mithin schon Verfahrensgegenstand im
Besteuerungsverfahren. Die Klägerin konnte deshalb nicht
dadurch überrascht worden sein, dass das FG diese Thematik in
den Entscheidungsgründen seines Urteils berücksichtigt
hat.
|
|
|
32
|
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
|