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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) vertreibt
Haltungslösungen für die Kälberaufzucht.
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Am 05.08.2015 beantragte sie die Erteilung
einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) für von ihr
regelmäßig eingeführte Waren unterschiedlicher
Größe und Machart, die als Kälberhütten oder
Kälberiglus bezeichnet werden. Die aus einem Gehäuse
(Wände und Dach) und - modellabhängig - zum Teil auch
einem Fußbodenelement bestehenden Waren sind mit Einstreu-
und Belüftungsöffnungen sowie an der Vorderseite mit
einer Eintrittsöffnung ohne Tür versehen. Für einige
Modelle sind Türen als optionales Zubehör
erhältlich. Lediglich die größte Hütte (eine
„Gruppenhütte“) wird ohne
Bodenelement eingeführt und anschließend um einen Boden
aus Massivholz ergänzt. Das kleinste
streitgegenständliche Modell besitzt eine Länge von 147
cm, eine Breite von 109 cm und eine Höhe von 117 cm. Die
Gruppenhütte hat die Maße 220 cm x 273 cm x 183 cm. Die
Kälberhütten werden üblicherweise außerhalb
von Ställen aufgestellt und dienen den Tieren als
Witterungsschutz. Sie bestehen aus Polyethylen (mit einem Anteil
von 8 % Titandioxid) und einem Metallrahmen als Grundlage jeder
Hütte. Zudem ist ein metallischer Rahmen in den Türrahmen
eingeschweißt. Der Anteil dieser metallischen Bauteile an der
Gesamtware variiert zwischen 12 % und 21 %.
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Die Klägerin begehrte eine Einreihung
in die damalige Unterposition (Unterpos.) 9406 0080 der
Kombinierten Nomenklatur (KN) als „vorgefertigte
Gebäude“ bestehend „aus anderen
Stoffen“.
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Mit vZTA vom 29.09.2015 reihte der Beklagte
und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt - HZA - ) die Waren vom Antrag
abweichend als „andere Waren aus Kunststoffen, andere als von
den Unterpositionen (KN) 3926 1000 bis 3926 9092
erfasst“, in die Unterpos. 3926 9097 KN
ein.
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Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) urteilte, die Klägerin habe keinen Anspruch
auf die Erteilung einer vZTA, mit der die
streitgegenständlichen Waren (Kälberhütten) als
„vorgefertigte Gebäude“ in die
Unterpos. 9406 0080 KN eingereiht würden. Das HZA habe sie zu
Recht nach ihrer stofflichen Beschaffenheit als „andere Waren
aus Kunststoffen, andere als von den Unterpositionen (KN) 3926 1000
bis 3926 9092 erfasst“, in die Unterpos. 3926
9097 KN eingereiht; der Kunststoff Polyethylen verleihe den
Hütten ihren wesentlichen Charakter.
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Die Kälberhütten seien
insbesondere nicht nach der Anmerkung (Anm.) 2 Buchstabe (Buchst.)
x zu Kapitel (Kap.) 39 KN aus diesem Kapitel ausgewiesen.
Danach gehörten Waren des Kap. 94 KN nicht zu Kap. 39 KN.
Die Kälberhütten stellten keine Waren des Kap. 94 KN dar,
insbesondere keine vorgefertigten Gebäude der Position (Pos.)
9406 KN.
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Einer Einreihung als „vorgefertigte
Gebäude“ stehe bereits entgegen, dass die
Kälberhütten an der Vorderseite über eine
Eintrittsöffnung für das Kalb verfügten, die nahezu
die gesamte Frontseite umfasse. Da die Eintrittsöffnung nicht
durch eine Tür oder ähnliches verschlossen oder abgedeckt
sei, fehle es an der Bildung eines umschlossenen Raumes. Dies sei
jedoch Voraussetzung für das Vorliegen eines Gebäudes im
Sinne (i.S.) der Pos. 9406 KN. Die vom Unionsgesetzgeber in Anm. 4
zu Kap. 94 KN beispielhaft genannten Gebäude
(Wohngebäude, Baustellenunterkünfte,
Bürogebäude, Schulen, Kaufhäuser, Schuppen, Garagen
oder ähnliche Gebäude) verfügten alle über
Wände sowie ein Dach und bildeten einen umschlossenen Raum,
der zu verschiedenen Zwecken von einem Menschen betreten und
genutzt werden könne. Nach dieser Anmerkung unterfielen der
Pos. 9406 KN die dort genannten Gebäude und solche, die diesen
„ähnlich“ seien. Diese gemeinsamen
objektiven Merkmale und Eigenschaften wiesen auch die in den
nachfolgenden Unterpositionen ausdrücklich genannten
vorgefertigten Gebäude auf, nämlich
„Mobilheime“ und
„Gewächshäuser“. Für eine
weitergehende Auslegung des Gebäudebegriffs unter
Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch bestehe vor dem
Hintergrund der sich aus dem Wortlaut der Anm. 4 zu Kap. 94 KN
ergebenden hinreichenden Bestimmbarkeit des zolltarifrechtlichen
Gebäudebegriffs keine Notwendigkeit. Die englischen und
französischen Sprachfassungen der genannten Bestimmungen
wichen inhaltlich nicht von der jeweiligen deutschen
Übersetzung ab und stellten das Einreihungsergebnis damit
nicht in Frage.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die
Klägerin mit ihrer Revision, die sie wie folgt begründet:
Entgegen der Auffassung des FG erfordere die Einreihung der
Kälberhütten in die Pos. 9406 KN nicht das Vorhandensein
eines allseitig umschlossenen Raumes. Der Verordnungstext und seine
Anmerkungen enthielten ein solches Tatbestandsmerkmal nicht. Zu den
in Anm. 4 zu Kap. 94 KN genannten Gebäudebeispielen
zählten überdies auch
„Schuppen“, die - betrachte man etwa
Maschinen- und sonstige Lagerschuppen - mitunter über nicht
verschließbare Ein- und Ausfahröffnungen oder sogar eine
vollständig offene Seite verfügten. Zu beachten sei, dass
es sich bei den in Anm. 4 zu Kap. 94 KN aufgeführten
Beispielen um eine Wiederholung der in den Erläuterungen zum
Harmonisierten System (HS) 02.0 zur Pos. 9406 HS genannten
Beispiele handele, ebenso wie auch in Chapter 94 Note 4 Harmonized
Tariff Schedule of the United States. Das HS gelte weltweit in
über 200 Staaten. In vielen Drittstaaten, aber auch in den
südeuropäischen Mitgliedstaaten der Union, sei aufgrund
der vorherrschenden Witterungsverhältnisse ein
vollständig umschlossener Raum für die Nutzung eines
Gebäudes nicht unbedingt erforderlich. Es sei auch nicht ohne
Weiteres eindeutig, dass „vorgefertigte
Gebäude“ von Menschen betreten werden
können beziehungsweise ob dies zwingend in aufrechtem Gang
oder auch großen Menschen möglich sein
müsse.
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Das HZA vertritt demgegenüber die
Auffassung, dass angesichts fehlender Begriffsbestimmungen im
Positionswortlaut, den Anmerkungen sowie den Erläuterungen
für den Begriff „vorgefertigte
Gebäude“ zwar zunächst auf den
allgemeinen Sprachgebrauch zurückzugreifen sei (Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Profit Europe vom
12.07.2018 - C-397/17 und C-398/17, EU:C:2018:564 = SIS 18 12 03). Zu beachten sei aber
zusätzlich, dass nicht alle Erzeugnisse, die vom Begriff des
„Gebäudes“ im Sinne des allgemeinen
Sprachgebrauchs erfasst seien, auch „vorgefertigte
Gebäude“ i.S. der Anm. 4 zu Kap. 94 KN
und des Wortlauts der zolltariflichen Pos. 9406 KN darstellten. Den
in Anm. 4 zu Kap. 94 KN aufgelisteten Gebäuden seien unter
anderem (u.a.) folgende Eigenschaften immanent: Sie seien allseitig
umschlossen, zum langfristigen (immobilen) Einsatz bestimmt, wiesen
eine stabile Bauweise auf und müssten groß genug sein,
um einer durchschnittlich großen Person das Betreten zu
ermöglichen. Für die streitgegenständlichen
Kälberhütten treffe dies nicht zu.
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II. Der Senat setzt das bei ihm anhängige
Revisionsverfahren aus (§ 121 Satz 1 in Verbindung mit §
74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem EuGH gemäß
Artikel (Art.) 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vor:
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1.
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Setzt die Position 9406 KN zwingend voraus,
dass ein vorgefertigtes Gebäude einen Raum zu allen Seiten
vollständig umschließen muss?
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2.
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Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird:
Setzt die Position 9406 KN voraus, dass das vorgefertigte
Gebäude groß genug ist, um einem durchschnittlich
großen Menschen das Betreten zu ermöglichen und ist
hierfür mindestens ein betretbarer Bereich in Stehhöhe
für einen solchen Menschen erforderlich oder genügt auch
eine Betretbarkeit in gebeugter Körperhaltung?
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III. Nach Auffassung des Senats kommt es
für die Lösung des Streitfalls auf die folgenden
Vorschriften des Unionsrechts an, an deren Auslegung für den
Streitfall entscheidungserhebliche Zweifel bestehen.
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Für die streitgegenständliche vZTA
vom 29.09.2015 ist die KN in der Fassung der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom
16.10.2014 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr.
2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische
Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - 2014, Nr. L 312, 1), die am
01.01.2015 in Kraft getreten ist, maßgeblich. In den für
den Streitfall und die Beantwortung der Vorlagefragen nach Ansicht
des Senats entscheidenden Teilen ist die KN seither ohne relevante
Änderungen geblieben.
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Die für den Streitfall maßgeblichen
Vorschriften der KN lauten:
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3926
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Andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus
anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914
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9406 00
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Vorgefertigte Gebäude
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Anm. 1 zu Kap. 39 KN:
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1. Als
„Kunststoffe“ gelten in der
Nomenklatur die Stoffe der Positionen 3901 bis 3914, die im
Zeitpunkt der Polymerisation oder in einem späteren Stadium
unter einer äußeren Einwirkung (im Allgemeinen
Wärme und Druck, falls erforderlich auch unter Zuhilfenahme
von Lösemitteln oder Weichmachern) durch Gießen,
Pressen, Strangpressen, Walzen oder ein anderes Verfahren eine Form
erhalten können oder erhalten haben, die auch nach Beendigung
der äußeren Einwirkung erhalten bleibt.
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Anm. 2 Buchst. x zu Kap. 39 KN:
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2. Zu Kapitel 39 gehören nicht:
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...
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x) Waren des Kapitels 94 (z.B. Möbel,
Beleuchtungskörper, Reklameleuchten, vorgefertigte
Gebäude);
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Anm. 4 zu Kap. 94 KN:
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Als „vorgefertigte
Gebäude“ im Sinne der Position 9406
gelten Gebäude, die im Werk fertig gestellt worden sind oder
als Einzelteile geliefert, gemeinsam zur Abfertigung gestellt, auf
der Baustelle zusammengesetzt werden, wie Wohngebäude,
Baustellenunterkünfte, Bürogebäude, Schulen,
Kaufhäuser, Schuppen, Garagen oder ähnliche
Gebäude.
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Allgemeine Vorschrift für die Auslegung
der Kombinierten Nomenklatur
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- AV - 2 a:
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Jede Anführung einer Ware in einer
Position gilt auch für die unvollständige oder unfertige
Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen
Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware
hat. Sie gilt auch für eine vollständige oder fertige
oder nach den vorstehenden Bestimmungen dieser Vorschrift als
solche geltende Ware, wenn diese zerlegt oder noch nicht
zusammengesetzt gestellt wird.
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AV 3 b:
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Mischungen, Waren, die aus verschiedenen
Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einzelverkauf
aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen
Vorschrift 3 a) nicht eingereiht werden können, werden nach
dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen
Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt
werden kann.
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IV. Hinsichtlich der für die Tarifierung
der eingeführten Ware maßgeblichen Auslegung der Pos.
9406 KN bestehen Zweifel. Es kommt im Streitfall auf eine exakte
Definition des an dieser Stelle geltenden Gebäudebegriffs an,
weil diese Definition den Ausschlag dafür gibt, ob die Waren
als „vorgefertigte Gebäude“
in die Pos. 9406 KN oder als „andere Waren aus
Kunststoffen ...“ in die Pos. 3926 KN
einzureihen sind. Die Auswahl der jeweiligen Unterposition ist
vorliegend nicht streitig. Anders als in anderen
Regelungszusammenhängen des Unionsrechts - konkret etwa in
Art. 12 Absatz 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABlEU
2006, Nr. L 347, 1), der den mehrwertsteuerrechtlichen
Gebäudebegriff auf mit dem Boden fest verbundene Bauwerke
einengt - enthält der Gemeinsame Zolltarif keine
ausdrückliche Definition des Gebäudebegriffs.
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
ist - vorbehaltlich der Anwendbarkeit einer Einreihungsverordnung -
im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten
Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die
zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven
Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der
Positionen der KN und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder
Kapiteln festgelegt sind. Die Erläuterungen sowohl zum HS als
auch zur KN sind demgegenüber zwar nicht verbindlich, aber
wichtige Hilfsmittel, um eine einheitliche Anwendung des
Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten. Sie können
wertvolle Hinweise für dessen Auslegung liefern (EuGH-Urteil
PRODEX vom 28.04.2022 - C-72/21, EU:C:2022:312 = SIS 22 07 41, Rz 28 f., m.w.N.).
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2. Die Pos. 3926 KN erfasst nach ihrem
Wortlaut „Andere Waren aus Kunststoffen
...“.
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Die streitgegenständlichen
Kälberhütten wären nach der Anm. 1 zu Kap. 39 KN und
der AV 3 b entsprechend ihrer stofflichen Beschaffenheit -
Fertigung überwiegend aus dem Kunststoff Polyethylen -
grundsätzlich von der Pos. 3926 KN erfasst. Die Anm. 2 Buchst.
x zu Kap. 39 KN bestimmt indes, dass Waren des Kap. 94 (u.a.
vorgefertigte Gebäude) aus Kap. 39 ausgewiesen sind.
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Für den Streitfall entscheidungserheblich
ist mithin die Frage, ob die streitgegenständlichen Waren
„vorgefertigte Gebäude“ i.S.
der Pos. 9406 KN sind.
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a) Die erste Vorlagefrage zielt in diesem
Zusammenhang auf eine Klärung ab, ob ein vorgefertigtes
Gebäude i.S. der Pos. 9406 KN einen Raum zu allen Seiten hin
vollständig umschließen muss. Ist dies der Fall,
könnten die von der Klägerin eingeführten
Kälberhütten nicht als vorgefertigte Gebäude
eingereiht werden, weil sie jeweils über eine offene
Frontseite als Ein- und Austrittsöffnung verfügen. Der
Wortlaut der Pos. 9406 KN auf der einen und die Anm. 4 zu Kap. 94
KN auf der anderen Seite lassen sich bezüglich des
Erfordernisses einer geschlossenen Bauweise unterschiedlich
interpretieren, weshalb der vorlegende Senat den EuGH um
Klärung ersucht.
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aa) Für die Sichtweise der Klägerin,
dass ein allseitig umschlossener Raum keine zwingende Voraussetzung
für das Vorliegen eines vorgefertigten Gebäudes i.S. der
Pos. 9406 KN ist, spricht in erster Linie, dass weder der Wortlaut
des Verordnungstextes noch die dazu gegebenen Anmerkungen ein
solches Tatbestandsmerkmal ausdrücklich enthalten. Ein
ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal als maßgebliches
Abgrenzungskriterium für die zolltarifliche Einreihung von
Waren heranzuziehen, widerspricht der oben genannten
EuGH-Rechtsprechung, wonach die Einreihung einer Ware im Interesse
der Rechtssicherheit zuvorderst anhand der im Wortlaut der
Positionen der KN und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder
Kapiteln verankerten objektiven Merkmale und Eigenschaften
vorzunehmen ist. Auch nach dem allgemeinem Sprachgebrauch erfordern
Gebäude zwar eine Überdeckung, aber nicht zwingend
Wände auf allen Seiten, sodass ein allseitig umschlossener
Raum besteht. So können fest errichtete und überdachte,
zu einer oder mehreren Seiten hin offene Unterstände einer
gewissen Größe, die dem Schutz von Tieren, Menschen oder
Sachen dienen, nach der allgemeinen Verkehrsanschauung durchaus
Gebäude sein.
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Die in Anm. 4 zu Kap. 94 KN genannten
Gebäudebeispiele - Wohngebäude,
Baustellenunterkünfte, Bürogebäude, Schulen,
Kaufhäuser, Schuppen, Garagen - bilden zwar ganz
überwiegend allseitig umschlossene Räume. Zu Recht weist
die Klägerseite aber darauf hin, dass beispielsweise Schuppen,
die in der Auflistung Tierställen am nächsten kommen
dürften, mitunter auch über eine oder mehrere
vollständig offene Seiten verfügen können.
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Verlangte man eine allseitig geschlossene
Bauweise als zwingende Voraussetzung für
„vorgefertigte Gebäude“ i.S.
der Pos. 9406 KN, führte dies mitunter zu unstimmigen
Abgrenzungsergebnissen. Wie das FG im Streitfall festgestellt hat,
sind für einige der streitgegenständlichen Warenmodelle
Türen als optionales Zubehör erhältlich.
Ausgestattet mit diesen Türen würden die
Kälberhütten einen umschlossenen Raum bilden. Obgleich
dann jeweils sich stark ähnelnde, aus Sicht des Verwenders im
Wesentlichen identische Erzeugnisse vorlägen, wären sie
an dieser Stelle im Zolltarif nicht gleichgestellt. Eine Behandlung
der türlosen Kälberhütten als unvollständige
Ware i.S. der AV 2 a scheidet nach Dafürhalten des vorlegenden
Senats in diesem Zusammenhang aus, da es sich bei den für
einige Modelle verfügbaren Türen um optionales
Zubehör handelt und die Hütten unabhängig vom
Vorhandensein einer Tür vollständig fertiggestellte Waren
sind.
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bb) Für die Sichtweise des HZA spricht
demgegenüber, dass die in Anm. 4 zu Kap. 94 KN aufgelisteten
Gebäudebeispiele - Wohngebäude,
Baustellenunterkünfte, Bürogebäude, Schulen,
Kaufhäuser, Schuppen, Garagen - in aller Regel allseitig
umschlossene Räume bilden und eben nur diese oder diesen
„ähnliche“ - und damit nicht
sämtliche - Gebäude in den Anwendungsbereich der Pos.
9406 KN gehören. Es fällt auf, dass der Verordnungsgeber
in seiner Auflistung keine Gebäudetypen nennt, die in der
Regel keinen allseitig umschlossenen Raum formieren, wie
beispielsweise Carports, Gartenpavillons oder offene
Unterstände für Weidevieh.
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cc) Der vorlegende Senat neigt zu der
Auffassung, dass die erste Vorlagefrage entgegen der Rechtsmeinung
des FG und des HZA zu verneinen ist. Entscheidend für die
Festlegung der Eigenschaften, über die „vorgefertigte
Gebäude“ i.S. der Pos. 9406 KN
zwingend verfügen müssen, sind ausgehend von der unter 1.
dargestellten EuGH-Rechtsprechung in erster Linie der Wortlaut der
fraglichen Position der KN und der vom Verordnungsgeber dazu
geschaffenen Anmerkungen. Der Wortlaut der Pos. 9406 KN liefert
indes keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Bejahung der
ersten Vorlagefrage. Eine derartige Anforderung lässt sich
nach Meinung des vorlegenden Senats aus den seitens der
Klägerin zutreffend angeführten Gründen auch nicht
aus der zur Begriffsklärung gegebenen beispielhaften
Warenauflistung in Anm. 4 zu Kap. 94 KN ableiten.
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Die vom vorlegenden Senat favorisierte
Sichtweise wird im Übrigen auch vom Ausschuss für den
Zollkodex geteilt. In der Protokollerklärung des Ausschusses
für den Zollkodex, Fachbereich Zolltarifliche und Statistische
Nomenklatur (Teilbereich Textilien und Mechanik/Verschiedenes) -
227. Sitzung des Ausschusses für den Zollkodex vom 06. bis
08.12.2021 (Nationale Entscheidungen und Hinweise zu Pos. 9406 KN,
Rz 08.0 bis 12.0, Stand 23.08.2022) heißt es betreffend die
Einreihung eines überdachten Gartenhauses, das mit drei
Seitenwänden aus gehärtetem Glas eingeführt wird:
„Derartige Wintergärten mit Aluminiumrahmen,
Glaspaneelen und Schiebetüren gelten als vorgefertigte
Gebäude und sind in den KN-Code 9406 90 90 einzureihen, auch
wenn sie nur drei Wände und ein Dach aufweisen und selbst
dann, wenn sie so konstruiert sind, dass sie an ein anderes
Gebäude angebaut werden müssen, da ein Gebäude nicht
unbedingt vier Wände haben muss. Es müssen jedoch ein
Dach und einige Wände vorhanden
sein.“
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b) Die zweite Vorlagefrage zielt auf eine
Klärung ab, ob ein vorgefertigtes Gebäude i.S. der Pos.
9406 KN hoch genug sein muss, um einem durchschnittlich
großen Menschen das Betreten zu ermöglichen, und ob dann
hierfür mindestens ein Raum in Stehhöhe für einen
durchschnittlich großen Menschen vorhanden sein muss oder ob
auch eine Betretbarkeit in gebeugter Körperhaltung ausreichend
ist. Diese Frage ist entscheidungserheblich. Würde sie
hinsichtlich des Erfordernisses der Stehhöhe für
durchschnittlich große Menschen bejaht, wäre die
Revision der Klägerin unbegründet, weil die von ihr
eingeführten Kälberhütten nicht über
Stehhöhe für einen durchschnittlich großen Menschen
verfügen und damit nicht als vorgefertigtes Gebäude i.S.
der Pos. 9406 KN angesehen werden könnten. In gebeugter
Körperhaltung sind indes selbst die kleinsten der
streitgegenständlichen Kälberhütten für
durchschnittlich große Menschen betretbar.
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Die streitgegenständlichen Waren werden
üblicherweise von erwachsenen Menschen bewirtschaftet, die
darin Kälber unterbringen und versorgen. Die durchschnittliche
Körpergröße Erwachsener in der Europäischen
Union fällt regional und geschlechtsabhängig
unterschiedlich aus. Sie beträgt für Männer je nach
Region etwa 176 cm bis 184 cm und für Frauen etwa 163 cm bis
171 cm (vergleiche die zusammenfassende Studie der NCD Risk Factor
Collaboration „Height and body-mass index trajectories of
school-aged children and adolescents from 1985 to 2019 in 200
countries and territories: a pooled analysis of 2181
population-based studies with 65 million
participants“, veröffentlicht in The
Lancet 2020, 396, Seiten 1511 bis 1524). Die größte
streitgegenständliche Kälberhütte, die
„Gruppenhütte“, ist 183 cm
hoch. Selbst die Dimensionen dieser Gruppenhütte (die anderen
sind noch deutlich niedriger) erreichen nach Ansicht des Senats
nicht eine Stehhöhe für durchschnittlich große
typische Verwender der Ware, die der vorlegende Senat im
vorliegenden Zusammenhang auf mindestens 190 cm festlegen
würde. Denn für die Stehhöhe ist eine gewisse
Kopffreiheit erforderlich und für die
streitgegenständlichen Waren tritt zusätzlich der Umstand
hinzu, dass ein relevanter Teil ihrer freien Höhe durch die
für ihre übliche Nutzung erforderliche Einstreu verloren
geht.
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aa) Für die Sichtweise der Klägerin
spricht, dass sich aus dem Wortlaut der einschlägigen
Bestimmungen nicht eindeutig ergibt, dass „vorgefertigte
Gebäude“ durch Menschen betretbar
sein müssen, und dass es - wie dargelegt - schwerfällt,
insofern exakte Abgrenzungskriterien zu definieren.
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bb) Für die Sichtweise des HZA spricht,
dass alle in der Anm. 4 zu Kap. 94 KN beispielhaft
aufgeführten vorgefertigten Gebäude der Pos. 9406 KN
für durchschnittlich große Menschen betretbar und hierzu
auch bestimmt sind. Sofern Menschen ein Gebäude betreten und
sich in ihm aufhalten, tun sie das ganz üblicherweise in
aufrechter Körperhaltung und mit Kopffreiheit nach oben, was
dafür streitet, eine Betretbarkeit für den
Gebäudebegriff zu fordern und eine solche zudem nur im Falle
ausreichender Stehhöhe zu bejahen.
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cc) Der vorlegende Senat neigt zu der
Auslegung, dass eine Ware nur dann ein vorgefertigtes Gebäude
i.S. der Pos. 9406 KN sein kann, wenn sie von durchschnittlich
großen Menschen betreten werden kann und hierfür
mindestens ein Raum mit Stehhöhe für solche Menschen
vorhanden ist. Die Gebäudeeigenschaft der
streitgegenständlichen Waren dürfte an deren hierfür
zu geringer Höhe scheitern. Eine bauliche Anlage ist nach
Auffassung des Senats allenfalls dann ein Gebäude, wenn sie
von dem typischen menschlichen Nutzer - mithin nicht nur von
Kindern oder Menschen mit unterdurchschnittlicher
Körpergröße - in aufrechter Körperhaltung
betreten und genutzt werden kann. Dies erfordert Stehhöhe
für durchschnittlich große Menschen in mindestens einem
Teilbereich. Über diese Eigenschaft verfügen Gebäude
schon nach dem allgemeinen Sprachverständnis und auch die in
Anm. 4 zu Kap. 94 KN genannten Gebäudebeispiele eint dieses
gemeinsame Merkmal.
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Dass die zolltarifliche Einreihung von Waren
als „vorgefertigte Gebäude“
u.a. auch von ihrer Höhe und der Betretbarkeit durch Menschen
abhängt, zeigt weiterhin das Beispiel von
Gewächshäusern, die in sehr unterschiedlichen Dimensionen
in das Zollgebiet der Union eingeführt werden.
„Gewächshäuser“ der
Unterpos. 9406 0031 KN und damit „vorgefertigte
Gebäude“ i.S. der Pos. 9406 KN sind
nur gegeben, sofern ihre Größe ausreicht, um einer
Person das Betreten zu ermöglichen. Dies ergibt sich etwa aus
der Verordnung (EG) Nr. 1655/2005 der Kommission vom 10.10.2005 zur
Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur
(ABlEU 2005, Nr. L 266, 50) betreffend die Einreihung eines
Minigewächshauses (Abmessungen 50 cm x 24 cm x 25 cm) in die
Pos. 4421 KN. Die Verordnungsbegründung stellt darauf ab, dass
ein solches wegen seiner Größe nicht als ein
vorgefertigtes Gebäude der Pos. 9406 KN angesehen werden
könne. Darüber hinaus spricht auch die Erläuterung
zur KN 02.0 zu Pos. 9406 dafür, dass vorgefertigte
Gebäude eine Stehhöhe erfordern. Denn in der genannten
Erläuterung heißt es in Bezug auf die Einreihung von im
Gartenbau verwendeten Folientunneln als „vorgefertigte
Gebäude“, dass sie groß genug
sein müssen, um einer Person das Betreten zu
ermöglichen.
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37
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Zusätzlich bedürfte dieses Kriterium
in Grenzfällen noch einer näheren Ausgestaltung, konkret
einer Klärung, ob die entsprechende Betretbarkeit erst ab der
Dimension einer Stehhöhe für durchschnittlich große
Menschen in mindestens einem Teilbereich gegeben ist oder ob es
ausreicht, dass ein Aufenthalt zumindest kleineren Menschen oder
aber durchschnittlich großen Menschen jedenfalls in gebeugter
Körperhaltung möglich ist. Die Auslegung des für den
Rechtsstreit entscheidungserheblichen Unionsrechts ist mithin nicht
derart offenkundig, dass keinerlei Raum für vernünftige
Zweifel verbleibt.
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