Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.09.2019 - 3 K
3090/19 = SIS 19 20 61 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine 1998
gegründete und 1999 in das Handelsregister eingetragene GmbH.
Gegenstand ihres Unternehmens ist ... Sie ist kein
Großbetrieb i.S. des § 3 der
Betriebsprüfungsordnung vom 15.03.2000 - BpO 2000 - (BStBl I
2000, 368).
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) führte bei der Klägerin im Jahr 2007
erstmals eine Außenprüfung durch, die die Jahre 2002 bis
2004 umfasste.
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Aufgrund einer Prüfungsanordnung
vom 15.11.2013 fand
bei der Klägerin eine zweite Außenprüfung für
die Jahre 2008 und 2009 statt. Noch während diese Prüfung
andauerte, erging am 01.12.2015 eine weitere Prüfungsanordnung
für die Jahre 2010 bis 2012, die die Klägerin anfocht. Im
anschließenden Klageverfahren nahm sie die Klage hinsichtlich
der Anfechtung der Anordnung einer steuerlichen
Außenprüfung für das Jahr 2010 zurück; das
Verfahren wurde insoweit eingestellt. Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage mit rechtskräftigem Urteil vom 21.02.2017 - 6 K
6153/16 (nicht veröffentlicht) im verbleibenden Umfang statt
und hob die Prüfungsanordnung hinsichtlich der Jahre 2011 und
2012 auf.
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Mit der streitgegenständlichen
Prüfungsanordnung vom 04.12.2017 verfügte das FA, dass
die am 01.12.2015 angeordnete Außenprüfung (für das
Jahr 2010) auf die Jahre 2011 und 2012 erweitert werde. Es sei - so
die Begründung des FA - mit nicht unerheblichen
Steuernachforderungen zu rechnen. Die im Rahmen der Prüfung
der Jahre 2008 und 2009 festgestellten Mängel der
Ordnungsgemäßheit der Buchführung hätten sich
auch für den Zeitraum 2010 bestätigt. Entsprechende
steuerliche Würdigungen seien daher für die Jahre 2011
und 2012 ebenso wenig auszuschließen.
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Die Klägerin legte hiergegen am
18.12.2017 Einspruch ein. Die Außenprüfung für die
Jahre 2008 und 2009 wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens am
08.06.2018 abgeschlossen. Das FA wies anschließend den
Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung
vom 12.03.2019).
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Das FG wies die Klage mit seinem in EFG
2020, 149 = SIS 19 20 61 veröffentlichten Urteil ab. Ein
Verstoß gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000, wonach in der
Regel nur drei Jahre gleichzeitig geprüft werden dürften,
liege nicht vor. Im Zeitpunkt der (für die Beurteilung von
Ermessensentscheidungen maßgeblichen) letzten
Verwaltungsentscheidung (der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019)
sei die Prüfung für die Jahre 2008 und 2009 bereits
abgeschlossen gewesen, so dass nach der Erweiterung des
Prüfungszeitraums nur drei Jahre, nämlich die Jahre 2010
bis 2012, zu prüfen gewesen seien, was keiner besonderen
Begründung i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000
bedürfe. Es könne offenbleiben, ob die in der
Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 getroffenen
Ermessenserwägungen ausreichend seien.
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Die Frist zur Begründung der von der
Klägerin fristgemäß eingelegten Revision wurde
antragsgemäß bis zum 10.12.2019 verlängert. Die
vollständige, elf Seiten umfassende und unterschriebene
Revisionsbegründung wurde von ihrer
Prozessbevollmächtigten als PDF-Datei im Anhang einer am
10.12.2019 um 23:55 Uhr gesendeten E-Mail an den Bundesfinanzhof
(BFH) übermittelt. Die Prozessbevollmächtigte teilte in
dieser E-Mail zugleich mit, dass es trotz mehrfacher Versuche nicht
gelungen sei, das Dokument innerhalb der in wenigen Minuten
ablaufenden Revisionsbegründungsfrist als Telefaxscheiben zu
übersenden. Ihrem am 11.12.2019 eingereichten
Wiedereinsetzungsantrag waren u.a. die vollständige und
unterschriebene Revisionsbegründung sowie Telefaxprotokolle
vom 10.12.2019 über Abbruch und Fehlschlag einer
Übertragung der Revisionsbegründungsschrift um 23:38:14
Uhr bzw. 23:58:39 Uhr sowie eines weiteren Fehlschlags von einem
anderen Anschluss aus am 11.12.2019 um 00:54 Uhr, der mangels
Umstellung des Telefaxgeräts auf Winterzeit bereits am
10.12.2019 um 23:54 Uhr erfolgt sei, beigefügt.
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Die Klägerin rügt mit ihrer
Revision die Verletzung materiellen Rechts. Sie bringt im
Wesentlichen vor, das FG gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass es
allein auf die Sachlage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung
ankomme und dem Zeitpunkt des Erlasses der
streitgegenständlichen Anordnung über die Erweiterung des
Prüfungszeitraums keine Bedeutung beizumessen sei. Dies
führe zur rechtswidrigen Umgehung der nach § 4 Abs. 3
Satz 2 BpO 2000 erforderlichen Begründung, wogegen sich der
Steuerpflichtige nicht wehren könne. Der Zeitpunkt der
möglicherweise „bewusst“
hinausgezögerten Bearbeitung einer Einspruchsentscheidung
könne keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit einer
Prüfungsanordnung haben. Mit der streitgegenständlichen
Erweiterung habe der Prüfungszeitraum fünf Jahre (2008
bis 2012) betragen, da die Prüfung der Jahre 2008 bis 2009
erst am 08.06.2018 und somit nach dem 04.12.2017 abgeschlossen
worden sei. Die Erweiterung des Prüfungszeitraums dergestalt
müsse substantiiert begründet werden, was vorliegend
nicht der Fall sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Vorentscheidung sowie die Anordnung
über die Erweiterung des Prüfungszeitraums vom 04.12.2017
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019
aufzuheben.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unzulässig zu
verwerfen, hilfsweise als unbegründet
zurückzuweisen.
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Die Revisionsbegründung sei nicht
innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist beim
BFH eingegangen; Wiedereinsetzung in die versäumte Frist sei
der Klägerin nicht zu gewähren. Das FA ist hilfsweise mit
der Vorentscheidung der Ansicht, dass es auf die Umstände im
Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankomme. Die
Prüfungsanordnung vom 04.12.2017 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 habe daher keine
Begründung nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 enthalten
müssen. Gleichwohl seien die dort getroffenen
Ermessenserwägungen zur Erweiterung des Prüfungszeitraums
ausreichend und rechtmäßig.
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit
zur Stellungnahme.
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A. Die Revision der Klägerin ist
zulässig, da ihr, der Klägerin, jedenfalls
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Revisionsbegründungsfrist zu gewähren ist.
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1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1
FGO ist die gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO innerhalb
der Revisionsfrist von einem Monat einzulegende Revision innerhalb
von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu
begründen. Die Frist kann - wie hier - nach § 120 Abs. 2
Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem
Vorsitzenden verlängert werden. Diese verlängerte Frist
lief im Streitfall nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der
Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs.
2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 10.12.2019, einem
Dienstag, ab.
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2. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung
darüber, ob die vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist
als PDF-Datei im Anhang einer E-Mail eingegangene,
vollständige und auf dem eingescannten Dokument
unterschriebene Revisionsbegründung wirksam ist. Der
Klägerin ist jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gemäß § 56 Abs. 1 FGO wegen Versäumung der
Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Es wurde glaubhaft
gemacht, dass die Frist schuldlos aufgrund nicht vorhersehbarer
technischer Probleme versäumt wurde. Im Übrigen bestehen
angesichts der übermittelten E-Mail keine Zweifel daran, dass
die Revisionsbegründung vor Ablauf der verlängerten
Revisionsbegründungsfrist bereits gefertigt und unterschrieben
war.
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B. Die Revision hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg. Das FG hat zu Recht dahin erkannt, dass es sich bei der
Prüfung der Jahre 2010 bis 2012 um eine zulässige erste
Anschlussprüfung handelte, die den nach § 4 Abs. 3 Satz 1
BpO 2000 maximal zulässigen Prüfungszeitraum von drei
Jahren nicht überschritt.
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1. Die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3
Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von
einem auf drei Jahre bedarf keiner besonderen Begründung.
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a) Ob und in welchem Umfang bei einem
Steuerpflichtigen nach § 193 der Abgabenordnung (AO) eine
Außenprüfung angeordnet wird, ist eine
Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur
darauf zu prüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der
Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das
ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks
(§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile
vom 28.09.2011 - VIII R 8/09, BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395 =
SIS 12 07 35, Rz 20; vom 15.06.2016 - III R 8/15, BFHE 254, 203,
BStBl II 2017, 25 = SIS 16 21 05, Rz 15; BFH-Beschluss vom
11.12.2019 - II B 67/18, BFH/NV 2020, 360 = SIS 20 01 79, Rz
5).
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In Bezug auf die Ermessensausübung bei
der Anordnung sowie der Durchführung einer
Außenprüfung hat sich die Finanzverwaltung durch die
Regelungen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die
Betriebsprüfung - hier der BpO 2000 - eine Selbstbindung
auferlegt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19.08.1998 - XI R 37/97, BFHE
186, 506, BStBl II 1999, 7 = SIS 98 23 54, unter II.1.; vom
28.06.2000 - I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447 = SIS 00 14 16, unter
II.2.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 360 = SIS 20 01 79, Rz 5). So
hat die Finanzverwaltung in § 4 Abs. 2 Satz 1 BpO 2000
hinsichtlich des Prüfungsumfangs der zu prüfenden
Betriebe ihr Auswahlermessen dahingehend ausgeübt, dass
für Großbetriebe i.S. des § 3 BpO 2000 der
Prüfungszeitraum lückenlos an den vorhergehenden
anschließen soll. Bei anderen Betrieben - zu denen auch der
der Klägerin gehört - soll der Prüfungszeitraum
dagegen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 nicht mehr als drei
zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Diese
Beschränkung der Prüfung auf drei
Besteuerungszeiträume gilt nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO
2000 jedoch nicht, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der
Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer
Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht.
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b) Vorliegend ist eine erste
Anschlussprüfung gegeben, für die keine besondere
Begründung erforderlich war.
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aa) Anschlussprüfungen sind nach § 4
Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässig. Weder der AO noch der BpO
2000 ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem
bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen
dürfen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017,
25 = SIS 16 21 05, Rz 17; BFH-Beschluss vom 15.10.2021 - VIII B
130/20, BFH/NV 2022, 97 = SIS 21 20 12, Rz 6). Dies gilt nicht nur
für Großbetriebe, sondern auch für Mittelbetriebe
sowie Klein- und Kleinstbetriebe (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV
2022, 97 = SIS 21 20 12, Rz 6). Danach sind Anschlussprüfungen
grundsätzlich zulässig; weitere Anschlussprüfungen
sind nicht ausgeschlossen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 254, 203,
BStBl II 2017, 25 = SIS 16 21 05, Rz 19; BFH-Beschlüsse vom
09.11.2010 - VIII S 8/10, BFH/NV 2011, 297 = SIS 11 01 24, Rz 15;
in BFH/NV 2022, 97 = SIS 21 20 12, Rz 7). § 4 Abs. 3 Satz 3
BpO 2000 lässt Anschlussprüfungen nicht nur
ausdrücklich zu, sondern macht sie auch nicht von besonderen
Voraussetzungen abhängig (vgl. BFH-Urteil in BFHE 254, 203,
BStBl II 2017, 25 = SIS 16 21 05, Rz 25). Die Anordnung einer
ersten Anschlussprüfung verstößt nicht gegen den
Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (vgl. zur zweiten
Anschlussprüfung BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017,
25 = SIS 16 21 05, Rz 22 ff.). Für eine erste
Anschlussprüfung bedarf es zudem keiner besonderen
Begründung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29.05.2007 - I B
140/06, BFH/NV 2007, 2050 = SIS 07 35 08, unter 1.a; vom 19.11.2009
- IV B 62/09, BFH/NV 2010, 595 = SIS 10 08 33, unter II.1.b
cc).
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bb) Da bei der Klägerin aufgrund der
Anordnung vom 15.11.2013 die Jahre 2008 bis 2009 geprüft
wurden, handelt es sich bei der am 01.12.2015 bestandskräftig
angeordneten Prüfung des Jahres 2010 um eine erste
Anschlussprüfung. Die dagegen gerichtete Klage wurde von der
Klägerin zurückgenommen, so dass insoweit eine
bestandskräftige Prüfungsanordnung vorliegt (vgl. §
124 Abs. 2 AO).
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c) Die Erweiterung des Prüfungszeitraums
dieser ersten Anschlussprüfung durch die
Prüfungsanordnung vom 04.12.2017 ist
rechtmäßig.
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aa) Dem Erlass der streitgegenständlichen
Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums vom 04.12.2017
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 steht die
Rechtskraft des Urteils vom 21.02.2017 - 6 K 6153/16 (nicht
veröffentlicht) nicht entgegen. Das FG hat damit zwar die
vorausgegangene Prüfungsanordnung vom 15.11.2013 hinsichtlich
des hier gleichfalls betroffenen Prüfungszeitraums der Jahre
2011 und 2012 aufgehoben. Dies ist nach den Feststellungen des FG
in der den Streitfall betreffenden Vorentscheidung jedoch allein
deswegen geschehen, weil Gründe für die Erweiterung des
Prüfungszeitraums i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000
nicht vorgebracht worden waren. Nur auf diese Begründung
erstreckt sich die Rechtskraft dieses Urteils i.S. des § 110
Abs. 1 Satz 1 FGO (vgl. z.B. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler
- HHSp -, § 110 FGO Rz 59 ff.). Wie die Aufhebung eines
Verwaltungsakts wegen eines Verfahrensmangels nicht den Erlass
eines neuen, ggf. auch inhaltsgleichen Verwaltungsakts in einem
fehlerfreien Verfahren hindert, so steht auch die Aufhebung der
Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums durch ein
rechtskräftiges Urteil dem Erlass einer neuen
Prüfungsanordnung nicht im Wege (vgl. BFH-Urteile vom
07.11.1985 - IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435 = SIS 86 02 48, unter 1.; vom 20.10.1988 - IV R 104/86, BFHE 155, 4, BStBl
II 1989, 180 = SIS 89 01 31, unter 1.; vom 14.09.1993 - VIII R
56/92, BFH/NV 1994, 677, unter II.1.). Eine echte Kassation einer
Prüfungsanordnung, wie sie in Gestalt des FG-Urteils vom
21.02.2017 - 6 K 6153/16 vorliegt, hindert nicht den Erlass einer
neuen Prüfungsanordnung für die betreffenden
Besteuerungszeiträume (vgl. auch Gräber/Ratschow,
Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 110 Rz 47).
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bb) Das FG hat zudem im Streitfall zu Recht
die Erweiterung des Prüfungszeitraums für zulässig
erachtet.
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(1) Die am 01.12.2015 für das Jahr 2010
angeordnete erste Anschlussprüfung (s. oben II.B.1.b bb) wurde
nach Maßgabe der hier angefochtenen Anordnung vom 04.12.2017
um die Jahre 2011 und 2012 erweitert, so dass die erste
Anschlussprüfung nunmehr drei Jahre umfasste, was keiner
besonderen Begründung bedurfte.
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(2) Es ist nicht ersichtlich, dass die
Klägerin durch die somit die Jahre 2010 bis 2012 umfassende
erste Anschlussprüfung in ermessensfehlerhafter Weise
übermäßig belastet würde. Das FA führte
bei der 1998 gegründeten Klägerin bisher
Außenprüfungen (nur) für die Jahre 2002 bis 2004
sowie 2008 bis 2009 durch. Gegen eine übermäßige
Belastung der Klägerin spricht zudem, dass - wie das FA noch
in der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 ausgeführt hat
und sich nicht als ermessensfehlerhaft erweist - sich die im Rahmen
der Prüfung der Jahre 2008 und 2009 festgestellten Mängel
der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung auch für
den Zeitraum 2010 bestätigt hätten und entsprechende
Würdigungen für die Jahre 2011 und 2012 nicht
auszuschließen seien. Dies indiziert jedenfalls einen
entsprechenden Prüfungsbedarf.
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cc) Daher liegt auch - entgegen dem
Revisionsvorbringen - keine rechtswidrige Umgehung des § 4
Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 vor.
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2. Darüber hinaus hat das FA auch deshalb
nicht gegen § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 verstoßen, weil -
wovon das FG zutreffend ausgegangen ist - jedenfalls im Zeitpunkt
der Einspruchsentscheidung am 12.03.2019 der von dieser
Verwaltungsregelung erfasste Fall eines mehr als drei
zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassenden
Prüfungszeitraums nicht gegeben war.
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a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die
gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der
Verwaltung gemäß § 102 FGO ist die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h.
bezogen auf den Streitfall die Einspruchsentscheidung vom
12.03.2019 (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom
23.11.2000 - III R 52/98, BFH/NV 2001, 882 = SIS 01 66 02, unter
1.; vom 12.08.2009 - XI R 4/08, BFH/NV 2010, 393 = SIS 10 05 68,
unter II.2.b; vom 14.12.2021 - VII R 14/19, BFH/NV 2022, 401 = SIS 22 04 28, Rz 22; Drüen in Tipke/Kruse, § 5 AO Rz 77 und
§ 102 FGO Rz 7; Lange in HHSp, § 102 FGO Rz 61;
Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 102 Rz 13). Dies gilt auch
für Prüfungsanordnungen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE
235, 298, BStBl II 2012, 395 = SIS 12 07 35, unter II.1.d) oder
ihre Erweiterung (vgl. BFH-Urteile vom 01.08.1984 - I R 138/80,
BFHE 142, 198, BStBl II 1985, 350 = SIS 85 03 32, unter II.1.b bb;
vom 28.04.1988 - IV R
106/86, BFHE 153, 210, BStBl II 1988, 857 = SIS 88 15 30, unter
4.; in BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7 = SIS 98 23 54, unter II.1.;
BFH-Beschluss vom 27.10.2003 - III B 13/03, BFH/NV 2004, 312 = SIS 04 09 40, unter 1.c).
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b) Gegenteiliges folgt - anders als die
Klägerin meint - nicht aus § 102 Satz 2 FGO und dem
Senatsurteil vom 27.11.2019 - XI R
56/17 (BFH/NV 2020, 775 = SIS 20 05 25). Soweit der Senat dort in Rz 21 ausgeführt hat, dass eine
Heilung der behördlichen Entscheidung bei fehlerhaftem
Entschließungs- oder Auswahlermessen, Über- oder
Unterschreitung des Ermessens sowie bei erheblichen Mängeln in
der Sachverhaltsermittlung im Wege einer Ergänzung nach §
102 Satz 2 FGO, mithin im finanzgerichtlichen Verfahren, nicht mehr
möglich ist, betrifft dies nicht die im Streitfall
entscheidungserhebliche Frage, ob maßgeblicher Zeitpunkt
für die gerichtliche Überprüfung der
Ermessensentscheidung der Verwaltung die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist.
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c) Im Streitfall ist mithin zu
berücksichtigen, dass die Prüfung für die Jahre 2008
und 2009 im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 12.03.2019
bereits abgeschlossen war und die getroffene
Prüfungserweiterung jedenfalls durch die in der
Einspruchsentscheidung gegebene Begründung gedeckt ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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