Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des FG Hamburg vom 23.11.2017 – 6 K 106/16 aufgehoben
und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Streitig ist, ob
Steuerermäßigungen gemäß § 35a des
Einkommensteuergesetzes (EStG) die Steuer, welche sich aus der
Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus
Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1, 3 und 4 EStG ergibt,
mindern.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr
(2014) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus
Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige
Einkünfte. Die Summe der Einkünfte sowie das zu
versteuernde Einkommen waren negativ. Daneben erzielte die
Klägerin (positive) Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Ein Teil dieser Einkünfte unterlag dem
Kapitalertragsteuerabzug gemäß § 43 EStG. Im
Übrigen sind sie gemäß § 32d Abs. 3 EStG in
die Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin mit dem
gesonderten Steuertarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG
eingegangen.
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In ihrer Steuererklärung für das
Streitjahr machte die Klägerin zudem Aufwendungen für
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen im
Privathaushalt in Höhe von 25.379 EUR, für haushaltsnahe
Dienstleistungen in Höhe von 424 EUR und für
Handwerkerleistungen in Höhe von 6.482 EUR geltend. Zudem
beantragte sie die Günstigerprüfung für
sämtliche Kapitalerträge sowie eine Überprüfung
des Steuereinbehalts für bestimmte
Kapitalerträge.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom
29.04.2016 ohne Berücksichtigung von
Steuerermäßigungen gemäß § 35a EStG zur
Einkommensteuer. In den Erläuterungen des Bescheids teilte er
der Klägerin mit, die Günstigerprüfung habe ergeben,
dass die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif nicht
günstiger sei.
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Hiergegen legte die Klägerin Einspruch
ein. Ihr stehe nach § 35a EStG ein
Ermäßigungsbetrag in Höhe von 5.200 EUR zu. Bei der
Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer sei dieser Betrag im
Wege der Kürzung zu berücksichtigen.
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Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene
Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2018, 372
veröffentlichten Entscheidungsgründen ab.
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Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie beantragt sinngemäß, das
Urteil des FG Hamburg vom 23.11.2017 - 6 K 106/16 sowie die
Einspruchsentscheidung vom 30.06.2016 aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für 2014 zuletzt vom 06.04.2018
dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer
um 5.200 EUR vermindert wird.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision mit der Maßgabe für
unbegründet, dass das Urteil des FG Hamburg vom 23.11.2017 - 6
K 106/16 aufgehoben und die Klage abgewiesen wird; eine
mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich
gehalten. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten
Gelegenheit zur Stellungnahme.
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1. Das angefochtene Urteil ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während
des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen
Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte,
geändert hat (§ 127 FGO). Das FG hat über den
Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 29.04.2016 entschieden.
An dessen Stelle ist während des Revisionsverfahrens der
Änderungsbescheid vom 06.04.2018 getreten, der nach § 121
Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens
geworden ist. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr
existierender Bescheid zugrunde. Das angefochtene Urteil ist daher
gegenstandslos geworden und aufzuheben (s. Senatsurteil vom
22.02.2018 - VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496 = SIS 18 07 75, Rz 17, m.w.N.). Da sich durch die Bescheidänderung
hinsichtlich des streitigen Punkts keine Änderungen ergeben
haben und die Klägerin auch keinen weiter gehenden Antrag
gestellt hat, bedarf es allein insoweit keiner
Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß §
127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem
Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen
Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen
sind; sie bilden nach wie vor die Grundlage für die
Entscheidung des Senats in der Sache (s. Senatsurteil in BFHE 260,
532, BStBl II 2019, 496 = SIS 18 07 75).
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2. Der Senat kann auf der Grundlage der
tatsächlichen Feststellungen des FG in der Sache selbst
entscheiden. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr.
1 FGO). Die Einkommensteuerlast der Klägerin ist nicht
gemäß § 35a EStG zu mindern.
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a) Nach § 35a Abs. 1 EStG
ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer für
haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, bei denen es
sich um eine geringfügige Beschäftigung i.S. des §
8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch handelt, vermindert um die
sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %,
höchstens 510 EUR, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen.
Für andere als in Abs. 1 dieser Vorschrift aufgeführte
haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für
die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht
Dienstleistungen nach Abs. 3 dieser Vorschrift sind,
ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert
um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %,
höchstens 4.000 EUR, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen
(§ 35a Abs. 2 Satz 1 EStG). Für die Inanspruchnahme von
Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und
Modernisierungsmaßnahmen ermäßigt sich die
tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen
Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 % der Aufwendungen
des Steuerpflichtigen, höchstens jedoch um 1.200 EUR (§
35a Abs. 3 Satz 1 EStG).
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b) Demgemäß kann die Klägerin
die Steuerermäßigung nach § 35a EStG nicht
beanspruchen. Zwar hat sie nach den unangefochtenen und damit den
Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO)
Aufwendungen für haushaltsnahe
Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe
Dienstleistungen und Handwerkerleistungen getätigt. Gleichwohl
kommt eine Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer
vorliegend nicht in Betracht.
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aa) Tarifliche Einkommensteuer ist der
Steuerbetrag, der sich aus der Anwendung des Einkommensteuertarifs
gemäß § 32a EStG auf das zu versteuernde Einkommen
nach § 2 Abs. 5 EStG, in das Kapitalerträge nach §
32d Abs. 1 EStG und § 43 Abs. 5 EStG nicht einzubeziehen sind
(§ 2 Abs. 5b EStG), ergibt. Dieser Betrag lautet vorliegend
auf 0 EUR. Denn die Klägerin hat kein positives zu
versteuerndes Einkommen erzielt.
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bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin
ist die gemäß § 32d Abs. 3 und 4 EStG
„veranlagte“ und dem gesonderten Tarif für
Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d
Abs. 1 EStG unterliegende Einkommensteuer nicht (Bestand-)Teil der
tariflichen Einkommensteuer. Vielmehr ist diese um die
Einkommensteuer auf Kapitalerträge gemäß § 32d
EStG zu erhöhen (§ 32d Abs. 3 Satz 2 EStG). Dem
entspricht die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer in
§ 2 Abs. 6 EStG. Danach ist die tarifliche Einkommensteuer
u.a. um Steuerermäßigungen zu vermindern und um die
Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4 EStG zu vermehren. Daraus wird
deutlich, dass die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen
entfallende, gesondert zu ermittelnde Steuer nicht der tariflichen
Einkommensteuer zugehört, sondern lediglich eine
Maßgröße für die Ermittlung der
festzusetzenden Einkommensteuer ist. In die Besteuerung nach dem
allgemeinen Tarif und damit in die tarifliche Einkommensteuer gehen
Einkünfte aus Kapitalvermögen nur im Rahmen der
sogenannten Günstigerprüfung ein (§ 32d Abs. 6
EStG).
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cc) Zudem übersieht die Klägerin,
dass in § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG die Reihenfolge der
erforderlichen Rechenschritte, um von der tariflichen
Einkommensteuer zu der festzusetzenden Einkommensteuer zu gelangen,
festgeschrieben ist. Danach ist die tarifliche Einkommensteuer
zunächst u.a. um Steuerermäßigungen zu vermindern
und erst dann um die Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4 EStG zu
erhöhen. Daher kommt keine Steuerermäßigung in
Betracht, wenn die tarifliche Einkommensteuer 0 EUR beträgt
(Senatsurteil vom 29.01.2009 - VI R 44/08, BFHE 224, 261, BStBl II
2009, 411 = SIS 09 10 15, Rz 12). Sie kann deshalb auch nicht als
negative Rechengröße in die Ermittlung der
festzusetzenden Einkommensteuer eingehen (im Ergebnis auch: Weiss
in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, §
32d Rz 55; Bodden in Korn, § 2 EStG Rz 234.1.1, 245.1;
Blümich/Erhard, § 35a EStG Rz 52; Frantzmann, EFG 2018,
374; Bundesministerium der Finanzen vom 18.01.2016 - IV C 1-S
2252/08/10004:017, BStBl I 2016, 85 = SIS 16 02 36, Rz 132). Dies
gilt auch dann, wenn sich - wie im Streitfall - durch die
Vermehrung dieses (negativen) Betrags durch die
„veranlagte“ Einkommensteuer auf
Kapitalerträge (§ 32d Abs. 3 und 4 EStG) oder andere
Hinzurechnungsgrößen eine positive festzusetzende
Einkommensteuer ergibt. Denn negative Rechengrößen kennt
das Einkommensteuerrecht im Rahmen der Ermittlung der Steuer anders
als bei der Ermittlung der Einkünfte (§ 10d EStG)
nicht.
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dd) Soweit die von der Klägerin erzielten
Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1 und
§ 43 Abs. 5 EStG der abgeltenden Kapitalertragsteuer
unterlegen haben, kommt eine Steuerermäßigung nach
§ 35a EStG ebenfalls nicht in Betracht. Dies steht zwischen
den Beteiligten zu Recht nicht in Streit. Der Senat sieht daher
insoweit von einer weiteren Begründung ab.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
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