Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24.01.2018 -
11 K 236/17 aufgehoben.
Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens
übertragen.
1
|
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) erbrachte in den
Streitjahren 2015 und 2016 Personenbeförderungsleistungen mit
Pferdekutschen auf einer zum Inland gehörenden Insel, auf der
die Straßennutzung mit Kfz aufgrund einer sog.
Kraftverkehrsfreiheit verkehrsrechtlich nur als sog. Sondernutzung
zulässig ist.
|
|
|
2
|
Die Klägerin erbrachte ihre Leistungen
mit zehn bis elf Kutschen mit Pferdebespannung. Vier dieser
Kutschen waren wegen ihrer Aufbauten nur zum Warentransport
geeignet. Die übrigen Kutschen dienten der Beförderung
von Personen. Die Klägerin ging davon aus, dass sie als sog.
Inseltaxi auf individuelle Bestellung Gäste vom Flughafen der
Insel zu ihrem Feriendomizil und auch wieder zurückbringe. Mit
Voranmeldung konnten auch Kutschen für andere Fahrten wie etwa
Rund-, Ausflugs- oder Ereignisfahrten gebucht werden.
|
|
|
3
|
Für ihre
Personenbeförderungsleistungen mit Pferdekutschen auf der
kraftverkehrsfreien Insel begehrte die Klägerin den
ermäßigten Steuersatz des § 12 Abs. 2 Nr. 10 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG). Demgegenüber ging der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) im Anschluss an eine
Umsatzsteuersonderprüfung davon aus, dass die hierfür
erforderlichen Voraussetzungen nach Abschn. 12.13 Abs. 4 Satz 4 des
Umsatzsteuer-Anwendungserlasses nicht vorliegen. Es fehle an einer
Zulassung i.S. von § 47 Abs. 1 des
Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Das FA erließ am
14.07.2017 einen Umsatzsteuerbescheid für 2015 und
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für Januar bis Dezember
2016. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
|
|
|
4
|
Nach Erhebung einer Klage zum Finanzgericht
(FG) reichte die Klägerin ihre
Umsatzsteuerjahreserklärung 2016 ein, die nach § 168 der
Abgabenordnung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der
Nachprüfung gleichstand und die gemäß § 68 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens
wurde.
|
|
|
5
|
Mit seinem in EFG 2018, 1679 = SIS 18 16 17
veröffentlichten Urteil wies das FG die Klage ab. Danach
unterliegen Personenbeförderungen mit Pferdekutschen auf einer
autofreien Insel nicht dem ermäßigten Steuersatz nach
§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG. Auch eine Berufung auf Art. 98 Abs. 2
i.V.m. Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL) komme nicht in Betracht. Der steuerbegünstigte
Verkehr mit Taxen erfordere eine Beförderung mit Kfz, an der
es fehle.
|
|
|
6
|
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit
der Revision. Die Personen- und Gepäckbeförderung mit
Hilfe von Pferdekutschen auf der autofreien Insel stelle die
einzige Möglichkeit der öffentlichen Personen- und
Gepäckbeförderung dar. Die
Steuersatzermäßigung begehre sie nur für faktische
Taxifahrten zu festen öffentlich bekannten Tarifen, nicht aber
auch für die Inselrund- oder Ausflugsfahrten. Ihre
Pferdekutschen seien die einzige Möglichkeit der
öffentlichen Personen- und Gepäckbeförderung auf der
Insel. Der früher verwendete Begriff der Droschke beziehe sich
auch auf Pferdefuhrwerke. Ferner seien Umweltaspekte zu
berücksichtigen.
|
|
|
7
|
Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.07.2017 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.09.2017 und die
Umsatzsteuerjahresfestsetzung 2016 vom 08.01.2018 dahingehend zu
ändern, dass die Umsätze durch die
Personenbeförderung auf der Insel mit Hilfe von Pferdekutschen
mit Ausnahme von touristischen Fahrten dem ermäßigten
Steuersatz unterliegen.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
Für den Verkehr mit Taxen i.S. von
§ 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG komme es auf das PBefG an. Es
müsse sich um Kfz handeln. Es liege kein genehmigter
Linienverkehr vor. Es handele sich auch nicht um Taxen i.S. von
§ 47 PBefG. Der Betrieb der Pferdekutschen sei an keinerlei
Pflichten und Vorgaben gebunden. Es bestehe keine Betriebs- oder
Beförderungspflicht. Keiner der gesetzlich geregelten
Ausnahmetatbestände, die zudem eng auszulegen seien, liege
vor. Begünstigt sei nur die Beförderung im
öffentlichen Personennahverkehr, nicht aber auch der
allgemeine wirtschaftliche Verkehr. Eine Differenzierung nach
unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten komme nicht in
Betracht, da sonst dieselbe Beförderung nach Maßgabe
dieser Besonderheiten unterschiedlich zu besteuern sei. Im
Übrigen müssten dann auch Rikschas begünstigt
werden.
|
|
|
10
|
II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an
das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Ist im Gebiet einer Gemeinde der Verkehr mit PKW allgemein
unzulässig, kann ein umsatzsteuerrechtlich begünstigter
Verkehr mit Taxen auch ohne Personenkraftfahrzeuge (z.B. mit
Pferdefuhrwerken) vorliegen, wenn die übrigen Merkmale des
Taxiverkehrs in vergleichbarer Form gegeben sind.
|
|
|
11
|
1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG
ermäßigt sich die Steuer für die Beförderung
von Personen im Schienenbahnverkehr, im Verkehr mit
Oberleitungsomnibussen (Obussen), im genehmigten Linienverkehr mit
Kfz, im Verkehr mit Taxen, mit Drahtseilbahnen und sonstigen
mechanischen Aufstiegshilfen aller Art und im genehmigten
Linienverkehr mit Schiffen sowie die Beförderungen im
Fährverkehr. Voraussetzung ist zudem, dass es sich um eine
Beförderung innerhalb einer Gemeinde handelt oder dass die
Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt.
Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III
Nr. 5 MwStSystRL. Danach sind die Mitgliedstaaten berechtigt, eine
Steuersatzermäßigung für die Beförderung von
Personen und des mitgeführten Gepäcks anzuordnen. Hierzu
hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden,
dass diese Ermächtigung selektiv ausgeübt werden kann.
Dabei haben die Mitgliedstaaten zu beachten, dass zum einen nur
konkrete und spezifische Aspekte der jeweiligen Kategorie von
Leistungen herausgelöst werden und zudem der Grundsatz der
steuerlichen Neutralität nicht verletzt werden darf
(EuGH-Urteil Pro Med Logistik und Pongratz vom 27.02.2014 in den
verbundenen Rechtssachen C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111,
BStBl II 2015, 437 = SIS 14 08 10, Rz 43 ff.).
|
|
|
12
|
2. Der gemäß § 12 Abs. 2 Nr.
10 UStG steuerbegünstigte Verkehr mit Taxen ist trotz
fehlender Verweisung auf die Regelungen des PBefG nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
grundsätzlich entsprechend § 47 Abs. 1 PBefG auszulegen
(BFH-Urteile vom 02.07.2014 - XI R 39/10, BFHE 246, 549, BStBl II
2015, 421 = SIS 14 28 01, unter II.3., und vom 23.09.2015 - V R
4/15, BFHE 251, 444, BStBl II 2016, 494 = SIS 15 30 17, unter
II.2.c).
|
|
|
13
|
Dies entspricht dem Willen des historischen
Gesetzgebers. So wurde z.B. das Wort
„Kraftdroschkenverkehr“ durch die Wörter
„Verkehr mit Taxen“ ersetzt und dies damit
begründet, dass die Verwendung des Begriffs
„Kraftdroschke“ bei Einführung der
Vorschrift in Anlehnung an das PBefG erfolgt und zwischenzeitlich
das PBefG geändert worden sei und der Begriff
„Kraftdroschken“ durch den Begriff
„Taxen“ ersetzt worden sei (BTDrucks 16/2712, S.
75).
|
|
|
14
|
Danach setzt der Verkehr mit Taxen
umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich eine Beförderung von
Personen mit PKW voraus, die der Unternehmer an behördlich
zugelassenen Stellen bereithält und mit denen er Fahrten zu
einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt.
|
|
|
15
|
Dabei ist ein Verstoß gegen die an den
„Verkehr mit Taxen“ geknüpften
öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen ohne Auswirkungen auf
die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung (BFH-Urteil in BFHE 251,
444, BStBl II 2016, 494 = SIS 15 30 17, unter II.2.d bb).
|
|
|
16
|
3. § 47 PBefG kommt im Hinblick auf die
fehlende Verweisung auf diese Vorschrift in § 12 Abs. 2 Nr. 10
UStG für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung keine
abschließende Bedeutung zu. Der nationale Gesetzgeber
knüpft durch die Verwendung von Begriffen des
Personenbeförderungsrechts typisierend an die Regelungen des
PBefG an. Die Maßgeblichkeit des PBefG beschränkt sich
daher auf den durch § 1 dieses Gesetzes vorgegebenen
Anwendungsbereich und damit auf die Beförderung von Personen
mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsbussen und mit Kfz (§
1 Abs. 1 Satz 1 PBefG).
|
|
|
17
|
Ist im Gebiet einer Gemeinde der Verkehr mit
Kfz vollständig ausgeschlossen, so dass es deshalb auch keinen
Verkehr mit Taxen i.S. von § 47 Abs. 1 PBefG geben kann, folgt
hieraus nicht zwingend, dass umsatzsteuerrechtlich ein Verkehr mit
Taxen zu verneinen ist. Wenn § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG zur
Abgrenzung von anderen Beförderungsformen mit Kfz auf den
Verkehr mit Taxen verweist, will er damit insbesondere den Verkehr
mit Mietwagen (§ 49 PBefG) vom Anwendungsbereich der
Steuersatzermäßigung ausschließen.
|
|
|
18
|
Dem liegt die im Allgemeinen zutreffende
Erwartung zugrunde, dass in den Gemeinden des Inlands der Verkehr
mit Kfz zulässig ist. Trifft dies nicht zu, kann aus dem
Begriff des Verkehrs mit Taxen nicht abgeleitet werden, dass es in
diesen Gemeinden keine steuerbegünstigte
Personenbeförderung gibt. Es ist vielmehr darauf abzustellen,
ob alternative motorlose Verkehrsformen vorliegen, die dem
steuerbegünstigten Verkehr mit Taxen auf der Grundlage von
§ 47 PBefG unter Ausschluss des nicht steuerbegünstigten
Verkehrs mit Mietwagen nach § 49 PBefG entsprechen. Dabei ist
auf die besonderen Merkmale dieser Verkehrsformen abzustellen, da
ein Ausschluss von der Möglichkeit zur
steuersatzbegünstigten Personenbeförderung in derartigen
Gemeinden aus dem Begriff des Verkehrs mit Taxen nicht abzuleiten
ist.
|
|
|
19
|
Die hiergegen gerichteten Einwendungen des FA
greifen nicht durch. Die allgemeine Definition des Taxenverkehrs
ist dort, wo es diesen nicht gibt, nicht maßgeblich, da sonst
die Möglichkeit einer steuersatzbegünstigten
Personenbeförderung ausgeschlossen wäre. Ein derartiger
gesetzgeberischer Wille ist von § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG, der
das Vorliegen eines Taxiverkehrs als gesetzlichen Regelfall
unterstellt, nicht zu entnehmen. Die Ungleichbehandlung
gegenüber der Personenbeförderung mit Pferdekutschen auf
dem Festland fußt auf dem Verkehrsverbot auf der Insel.
Über eine allgemeine Begünstigung der
Personenbeförderung mit Pferdekutschen im gesamten Inland hat
der erkennende Senat nicht zu entscheiden.
|
|
|
20
|
4. Danach ist das Urteil des FG, das
ausschließlich auf den Begriff des Verkehrs mit Taxen in
§ 47 PBefG abgestellt hat, aufzuheben. Die Sache ist nicht
spruchreif. In einem zweiten Rechtsgang hat das FG zunächst zu
prüfen, ob die Gemeinde - entsprechend dem Vortrag der
Klägerin - aufgrund des niedersächsischen Straßen-
und Wegerechts die Widmung der gemeindlichen Straßen und Wege
dergestalt beschränkt hatte, dass PKW von der
Straßennutzung im Rahmen des Gemeingebrauchs ausgeschlossen
waren und nur im Rahmen einer Sondernutzung betrieben werden
konnten.
|
|
|
21
|
Sollte dies zutreffen, ist weiter zu
entscheiden, ob und inwieweit die von der Klägerin mit
Pferdefuhrwerken erbrachten Leistungen unter Berücksichtigung
der unterschiedlichen Verkehrsarten als mit einem Verkehr mit Taxen
ohne PKW vergleichbar angesehen werden können.
Maßgeblich ist daher, ob die von der Klägerin
durchgeführten Beförderungen dem Leitbild des Verkehrs
mit Taxen i.S. von § 47 PBefG als Beförderung von
Personen mit Wagen entspricht, die der Unternehmer an
öffentlich zugänglichen Stellen - mit einer nach den
Besonderheiten des Streitfalls faktischen Beförderungspflicht
- bereithält und mit denen er Fahrten zu einem vom Fahrgast
bestimmten Ziel ausführt. Zu prüfen ist auch, ob
allgemeine Beförderungsentgelte (Tarife) oder jeweils speziell
ausgehandelte Beförderungspreise vorliegen.
|
|
|
22
|
Gegen eine Steuersatzermäßigung
spricht nach der Definition des Verkehrs mit Mietwagen in § 49
PBefG eine Beförderung von Personen mit Wagen, die nur im
Ganzen zur Beförderung gemietet werden und mit denen Fahrten
ausgeführt werden, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter
bestimmt.
|
|
|
23
|
An der erforderlichen Vergleichbarkeit mit dem
Verkehr mit Taxen kann es insbesondere bei den mit Voranmeldung
durchgeführten Rund-, Ausflugs- oder Ereignisfahrten der
Klägerin fehlen.
|
|
|
24
|
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
|