Auf die Revision des Klägers werden das
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19.2.2015 16 K 932/12
H (K), die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 10.2.2012 sowie
der Haftungsbescheid des Beklagten vom 18.7.2011 aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
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I. Streitig ist die
Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids im Rahmen einer
sog. mehrstufigen Organschaft.
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen
der A GmbH, der Rechtsnachfolgerin der B GmbH. Im Jahr 1990 hatte
die B GmbH mit ihrer damaligen Muttergesellschaft, der C GmbH,
einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen.
Im Jahr 2000 wurde die C GmbH (unter Beibehaltung der Organschaft
mit der B GmbH) auf die D AG verschmolzen, die wiederum mit dem sie
beherrschenden Unternehmen, der E AG, einen
Gewinnabführungsvertrag (mit Wirkung zum 1.1.2001)
abgeschlossen hatte.
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Nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E AG nahm der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die A GmbH
(als Rechtsnachfolgerin der B GmbH) mit auf § 191 i.V.m.
§ 73 sowie § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO)
gestützten Haftungsbescheid vom 18.7.2011 für einen Teil
der rückständigen Körperschaftsteuer 2001 und 2002
sowie Solidaritätszuschläge 2001 und 2002 der E AG i.L.
in Anspruch. In diesem Bescheid hatte das FA unter dem
Gesichtspunkt einer „Veranlassungshaftung“ den
Haftungsanteil durch den Anteil des Einkommens der B GmbH
(originäres Organeinkommen) an der Summe der (aller) positiver
Organeinkommen bei der E AG bestimmt. Die weiteren Gesellschaften,
die mit der E AG in den Jahren 2001 und 2002 eine
körperschaftsteuerrechtliche Organschaft gebildet hatten,
wurden ebenfalls nach dieser Berechnungsmethode nach § 73 AO
im Haftungswege in Anspruch genommen. Maßnahmen betreffend
anderweitige (ggf. gesamtschuldnerische) Haftungsinanspruchnahmen
(z.B. solche nach § 69 i.V.m. § 34 AO sowie nach §
71 AO) wurden vom FA nicht ergriffen.
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Im Einspruchsverfahren hatte die A GmbH
u.a. die Auffassung vertreten, sie könne wegen fehlender
unmittelbarer körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft zur E
AG nicht nach § 73 AO in Haftung genommen werden. Gegen die
ablehnende Einspruchsentscheidung vom 10.2.2012 hatte sie Klage
erhoben.
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Das Klageverfahren ist vom Kläger nach
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der A GmbH aufgenommen worden. Das Finanzgericht (FG)
Düsseldorf wies die Klage ab (Urteil vom 19.2.2015 16 K 932/12
H(K), abgedruckt z.B. in GmbHR 2015, 1116 = SIS 15 24 39).
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Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil und den Haftungsbescheid vom 18.7.2011 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.2.2012 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet; da die
angefochtene Entscheidung Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1
Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ), ist sie - wie ebenfalls
der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung des FA - auf
die Revision hin aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
FGO).
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1. Nach § 73 Satz 1 AO haftet eine
Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers,
für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von
Bedeutung ist. Die Haftung der im Organkreis untergeordneten
Organgesellschaft für Steuerschulden des die Organgesellschaft
beherrschenden Organträgers soll die steuerlichen Risiken
ausgleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen
Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind.
Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der
Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des
Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge
von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises
entstehen könnten (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom
5.10.2004 VII R 76/03, BFHE 207, 18, BStBl II 2006, 3 = SIS 04 41 17). Insoweit wird in der die Regelung betreffenden Begründung
des Gesetzentwurfs der Bundesregierung einer Abgabenordnung (AO
1977) ausgeführt, die Haftungsvorschrift finde ihre
Rechtfertigung darin, „daß bei steuerlicher
Anerkennung einer Organschaft die vom Organträger zu zahlende
Steuer auch die Beträge umfaßt, die ohne diese
Organschaft von der Organgesellschaft geschuldet worden
wären“ (BTDrucks VI/1982, S. 120). Im Übrigen
heißt es, man habe sich der österreichischen Regelung,
wonach die Haftung auf solche Steuern beschränkt wird, die auf
den Betrieb des beherrschten Unternehmens entfallen, nicht
angeschlossen. In diesem Zusammenhang wird auf die Notwendigkeit
einer praktikablen Regelung verwiesen; darüber hinaus
könne es „durchaus als sachgerecht angesehen werden,
den Organkreis als einheitliches Ganzes zu betrachten“
(BTDrucks, a.a.O.; s. insoweit auch Bundesgerichtshof, Urteil vom
22.10.1992 IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50).
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2. Der Gegenstand der Haftung ist für
eine Organgesellschaft auf die gegen den - durch das konkrete
Organschaftsverhältnis bestimmten - Organträger
gerichteten Steueransprüche beschränkt.
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a) Letzteres ergibt sich aus dem Wortlaut, der
die Haftung der Organgesellschaft für die Steuern des
Organträgers anordnet, für die „die Organschaft
zwischen ihnen“ - also das zweipersonale
Organschaftsverhältnis - von Bedeutung ist. Im Streitfall, in
dem keine sog. mittelbare Organschaft bzw. Klammerorganschaft (s.
Lüdicke in Kessler/Förster/Watrin [Hrsg.],
Unternehmensbesteuerung, Festschrift für Norbert Herzig, 2010,
S. 259, 280; Schmidt, Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft
für Steuerschulden des Organträgers gemäß
§ 73 AO, 2014, S. 161; Dötsch in
Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer,
§ 14 KStG Rz 682; Schimmele/Weber, Der Konzern 2015, 437, 438)
zwischen der B GmbH und der D (später: E) AG i.S. einer
finanziellen Eingliederung vermittels der mittelbaren Beherrschung
und einem direkten Ergebnisabführungsvertrag bestand, fehlt es
hieran (gl.A. Lüdicke in Festschrift für Norbert Herzig,
a.a.O., S. 259, 279 ff.; Schmidt, a.a.O., S. 188 f.; Schwetlik,
GmbH-Steuerberater 2015, 307).
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b) Auch wenn die Haftungsnorm bezweckt, die
steuerlichen Risiken auszugleichen, die mit der Verlagerung der
steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger
verbunden sind (s. hier zu 1.), bezieht sich die Haftung auf die
Steuerschuldnerschaft (Lüdicke in Festschrift für Norbert
Herzig, a.a.O., S. 259, 272), die nach der einzelgesetzlichen
Begriffsbestimmung der im Streitfall einschlägigen
Organschaftsregelung (s. insoweit BTDrucks VI/1982, S. 120 - hier:
§ 14 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG
- ) personell an den Organträger geknüpft ist (s.a.
Elicker/Hartrott, BB 2011, 2775).
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Dabei verkennt der Senat nicht, dass nach
Ansicht der Finanzbehörde bei gestuften
Organschaftsverhältnissen ein weitergehender Haftungsumfang
zweckgerecht erscheinen mag (zur
„Haftungslücke“ - s. z.B. Lüdicke in
Festschrift für Norbert Herzig, a.a.O., S. 259, 261 und 279
ff.; Schmidt, a.a.O., S. 187 ff.; Braunagel/Paschke, Die
Unternehmensbesteuerung 2011, 233, 238; Schimmele/Weber, BB 2013,
2263, 2268; dieselben, Der Konzern 2015, 437, 438 f.; s.a. - wohl
zustimmend - Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 14 Rz
688). Hierbei handelt es sich jedoch um eine rechtspolitische
Frage, die nicht von den Gerichten, sondern zuvörderst vom
Gesetzgeber zu beantworten ist und die - wie aufgezeigt -
insbesondere mit Rücksicht auf den klaren Wortlaut des §
73 AO nicht Gegenstand einer ausdehnenden Gesetzesauslegung sein
kann.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
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