1. Auf die Revision der Kläger wird
festgestellt, dass der Bescheid über die Aufforderung zur
termingebundenen Abgabe der Einkommensteuererklärung 2010 vom
18.2.2011 rechtswidrig war.
2. Das Urteil des Niedersächsischen
Finanzgerichts vom 20.2.2014 1 K 181/12 und die Festsetzung des
Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2010 in Höhe von
880 EUR in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1.6.2012 werden
aufgehoben.
3. Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit
Schreiben vom 18.2.2011 forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) diese gemäß § 149 der
Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 25 Abs. 3 des
Einkommensteuergesetzes und §§ 56 und 60 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung auf, die
Einkommensteuererklärung für 2010 bis zum 31.8.2011
vorzeitig einzureichen. Das FA sei im Interesse einer
ordnungsgemäßen Durchführung des
Besteuerungsverfahrens gehalten, auf einen frühen Eingang der
Steuererklärung hinzuwirken. Dies gelte auch dann, wenn die
Steuererklärung von einem Angehörigen der
steuerberatenden Berufe gefertigt werde. Bei Nichtabgabe der
Erklärung müsse mit der Festsetzung eines
Verspätungszuschlags gerechnet werden. Das Schreiben enthielt
keine Rechtsbehelfsbelehrung.
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Die vom Steuerberater der Kläger
angefertigte Einkommensteuererklärung für 2010 wurde am
7.12.2011 beim FA eingereicht. Am 23.12.2011 erging der
Einkommensteuerbescheid für 2010. Das FA setzte in diesem
einen Verspätungszuschlag in Höhe von 880 EUR fest.
Nachfolgend ergingen aus nicht streitgegenständlichen
Gründen, zuletzt am 26.2.2015,
Einkommensteueränderungsbescheide, in denen der
Verspätungszuschlag aufrechterhalten wurde.
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Die Kläger erhoben am 9.1.2012
Einspruch gegen den Verspätungszuschlag und machten u.a.
geltend, dass die Aufforderung zur vorzeitigen Abgabe der
Einkommensteuererklärung als Ermessensentscheidung nicht
ausreichend begründet worden und daher rechtswidrig sei. Somit
sei die Einkommensteuererklärung nicht verspätet beim FA
eingegangen.
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Das FA teilte den Klägern mit
Schreiben vom 19.1.2012 mit, dass Anlass und Grund für die
vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung die
verspätete Erklärungsabgabe in den Vorjahren gewesen sei.
Zudem habe es die Arbeitslage des FA erfordert, die Erklärung
vorzeitig anzufordern. Zwar enthalte das Schreiben vom 18.2.2011
nicht die erforderliche Begründung der
Ermessenserwägungen. Ein Einspruch gegen die vorzeitige
Anforderung sei jedoch nicht eingelegt worden.
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Daraufhin legten die Kläger mit
Schreiben vom 27.1.2012 Einspruch gegen die vorzeitige Anforderung
der Einkommensteuererklärung für 2010 ein. Zur
Begründung führten sie aus, dass diese nicht ausreichend
begründet worden sei. Die erst im Schreiben vom 19.1.2012
nachgeholten Ermessenserwägungen änderten nichts an der
Rechtswidrigkeit der vorzeitigen Anforderung.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 1.6.2012
verwarf das FA den Einspruch gegen die vorzeitige Anforderung der
Einkommensteuererklärung als unzulässig. Das für den
Einspruch erforderliche Rechtsschutzbedürfnis sei mit der
Abgabe der Steuererklärung entfallen. Der Einspruch gegen die
Festsetzung des Verspätungszuschlags wurde als
unbegründet zurückgewiesen.
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Die hiergegen erhobene
Fortsetzungsfeststellungsklage und Klage gegen die Festsetzung des
Verspätungszuschlags wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in
DStRE 2016, 429 veröffentlichten Urteil vom 20.2.2014 1 K
181/12 ab.
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Zur Begründung ihrer Revision machen
die Kläger geltend, die vorzeitige Anforderung der
Einkommensteuererklärung für 2010 sei als
Ermessensentscheidung nicht ausreichend begründet gewesen. Der
Begründungsmangel habe nach der Erledigung der Aufforderung
durch die Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht mehr
geheilt werden können. Aus der Rechtswidrigkeit der
vorzeitigen Anforderung folge die Rechtswidrigkeit des
Verspätungszuschlags.
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Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und festzustellen,
dass der Bescheid über die Aufforderung zur termingebundenen
Abgabe der Einkommensteuererklärung 2010 vom 18.2.2011
rechtswidrig war und den Bescheid über die Festsetzung des
Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2010 in Höhe von
880 EUR in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1.6.2012
aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Entgegen der Auffassung der Kläger
habe der Begründungsmangel auch noch nach der Erledigung der
Aufforderung zur termingebundenen Abgabe der
Einkommensteuererklärung geheilt werden können. Die
Regelung des § 126 AO enthalte keine zeitliche Grenze für
die Nachholung der Begründung. Die Heilung gemäß
§ 126 AO verfolge das Ziel, die Aufhebung von Verwaltungsakten
zu vermeiden, die zwar unter Verstoß gegen Verfahrens- und
Formvorschriften zustande gekommen seien, aber keine inhaltlichen
Mängel aufwiesen. Zudem müsse zwischen der inneren und
äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes unterschieden
werden.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der
Klage gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO).
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1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist
zulässig. Die Kläger haben ein berechtigtes Interesse an
der Feststellung, dass die vorzeitige Anforderung der
Einkommensteuererklärung für 2010 mit Schreiben des FA
vom 18.2.2011 rechtswidrig war.
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a) Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO kann,
wenn ein mit der Klage angefochtener Verwaltungsakt sich im Verlauf
des Klageverfahrens erledigt hat, das Gericht unter bestimmten
Voraussetzungen auf Antrag die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts
feststellen. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) entsprechend anzuwenden, wenn ein
Verwaltungsakt sich schon vor der Klageerhebung erledigt hat
(BFH-Urteil vom 26.9.2007 I R 43/06, BFHE 219, 13, BStBl II 2008,
134 = SIS 08 04 23, m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, da sich
die bevorzugte Anforderung der Einkommensteuererklärung 2010
spätestens mit der Einreichung der Steuererklärung am
7.12.2011, also vor der Einlegung des Einspruchs der Kläger am
27.1.2012 und der Klageerhebung am 1.7.2012, erledigt hat.
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b) Das für die
Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche „berechtigte
Interesse“ der Kläger an der Feststellung, dass die
Aufforderung zur vorzeitigen Abgabe der
Einkommensteuererklärung rechtswidrig gewesen sei, ist
aufgrund der Festsetzung des Verspätungszuschlags gegeben
(vgl. BFH-Urteil vom 29.1.2003 XI R 82/00, BFHE 201, 399, BStBl II
2003, 550 = SIS 03 26 62).
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2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch
begründet. Es ist festzustellen, dass die Aufforderung des FA
zur termingebundenen Abgabe der Einkommensteuererklärung
für 2010 vom 18.2.2011 mangels ausreichender Begründung
der Ermessensentscheidung des FA rechtswidrig war.
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a) Bei der Aufforderung des FA zur
termingebundenen Abgabe der Steuererklärung handelt es sich um
eine Ermessensentscheidung. Nach den gleich lautenden Erlassen der
obersten Finanzbehörden der Länder vom 4.11.2011
über Steuererklärungsfristen (BStBl I 2011, 1088 = SIS 11 36 14) verlängerte sich die Frist zur Abgabe der
Einkommensteuererklärung für 2010 allgemein nach §
109 AO bis zum 31.12.2011, wenn die Steuererklärung - wie im
vorliegenden Fall - durch eine Person i.S. der §§ 3 und 4
des Steuerberatungsgesetzes angefertigt wird. Allerdings bleibt es
nach dem Erlass den Finanzämtern vorbehalten, Erklärungen
auch für diesen Personenkreis mit einer angemessenen Frist
für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten
Frist anzufordern.
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b) Das FA hat von dieser Möglichkeit mit
seinem Schreiben vom 18.2.2011 Gebrauch gemacht, ohne seine
Entscheidung ausreichend zu begründen. Wegen der
eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung
behördlicher Ermessensentscheidungen gemäß §
102 FGO, die dem Gericht keinen Raum für eigene
Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung
der Verwaltung im Verwaltungsakt begründet werden (§ 121
Abs. 1 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des
Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der
Entscheidung erkennbar sein, andernfalls ist sie rechtswidrig (vgl.
BFH-Urteil vom 11.3.2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004,
579 = SIS 04 18 37). Diesen Begründungsanforderungen
genügt das Schreiben vom 18.2.2011 nicht. Aus der formelhaften
Begründung, das FA handle „im Interesse einer
ordnungsgemäßen Durchführung des
Besteuerungsverfahrens“ war für die Kläger
nicht erkennbar, aus welchem Grund die Abgabefrist verkürzt
wurde.
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c) Dieser Begründungsmangel konnte im
vorliegenden Fall nicht nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO
geheilt werden. Die Regelung des § 126 AO dient der
Verfahrensökonomie. Sie soll verhindern, dass ein
Verwaltungsakt allein wegen eines Verfahrensmangels aufgehoben wird
und die Behörde danach einen Verwaltungsakt gleichen Inhalts
erlassen muss. Hat sich der Verwaltungsakt vor der Einlegung des
Einspruchs durch Zeitablauf oder in sonstiger Weise
gemäß § 124 Abs. 2 AO erledigt, ist eine Heilung
nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 FGO nicht mehr möglich,
da die Heilung einen wirksamen Verwaltungsakt voraussetzt
(Klein/Ratschow, AO, 13. Aufl., § 126 Rz 12; Seer in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 126 AO
Rz 6; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 126 Rz 8;
a.A. Frotscher in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 126 AO Rz 3).
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Danach konnte der Begründungsmangel durch
die Erläuterungen der Ermessenserwägungen im Schreiben
des FA vom 19.1.2012 nicht mehr geheilt werden. Die
nachträgliche Begründung erfolgte nach Erledigung der
Aufforderung zur termingebundenen Abgabe der
Einkommensteuererklärung, die spätestens mit der Abgabe
der Einkommensteuererklärung eingetreten ist, und vor der
Einlegung des Einspruchs. Die Frage, ob § 126 Abs. 1 Nr. 2,
Abs. 2 AO bei einer Ermessensentscheidung aufgrund der
Spezialvorschrift des § 102 Satz 2 FGO überhaupt
Anwendung findet, kann danach offenbleiben (s. hierzu
Klein/Ratschow, a.a.O., § 126 Rz 11; Seer in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 126 AO Rz 6, jeweils m.w.N.).
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d) Auch eine Ergänzung der
Ermessenserwägungen nach § 102 Satz 2 FGO kommt nicht in
Betracht. Die Anwendung des § 102 Satz 2 FGO scheidet schon
deshalb aus, weil die Ergänzung einer Ermessensentscheidung
begrifflich das Vorliegen eines noch wirksamen Verwaltungsakts
voraussetzt. Die Anwendung des § 102 Satz 2 FGO ist bei einer
nach Erledigung des Verwaltungsakts nur noch in Betracht kommenden
Fortsetzungsfeststellungsklage folglich ausgeschlossen (Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 102 FGO Rz 75).
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3. Danach ist auch der Bescheid über die
Festsetzung des Verspätungszuschlags in Höhe von 880 EUR
wegen verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärung
für 2010 rechtswidrig und aufzuheben.
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a) Gemäß § 152 Abs. 1
Sätze 1 und 2 AO kann das FA gegen denjenigen, der seiner
Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht
fristgerecht nachkommt, einen Verspätungszuschlag festsetzen.
Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist abzusehen,
wenn das Versäumnis entschuldbar ist. Ob diese
tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines
Verspätungszuschlags erfüllt sind, ist eine von den
Gerichten voll überprüfbare Rechtsentscheidung
(BFH-Urteil vom 11.6.1997 X R 14/95, BFHE 183, 21, BStBl II 1997,
642 = SIS 97 21 81).
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b) Danach ist die Festsetzung des
Verspätungszuschlags in Höhe von 880 EUR rechtswidrig, da
die Voraussetzungen hierfür dem Grunde nach nicht vorlagen.
Wie unter II.2. des Urteils ausgeführt, war die Aufforderung
des FA vom 18.2.2011 zur termingebundenen Abgabe der
Einkommensteuererklärung für 2010 bis zum 31.8.2011
mangels ausreichender Begründung rechtswidrig. Die Kläger
haben die Steuererklärung am 7.12.2011, also noch innerhalb
der nach den gleich lautenden Erlassen der obersten
Finanzbehörden der Länder in BStBl I 2011, 1088 = SIS 11 36 14 für beratene Steuerpflichtige auf den 31.12.2011
verlängerten Frist abgegeben. Die rechtswidrige
Verkürzung dieser Frist auf den 31.8.2011 rechtfertigt keine
Festsetzung eines Verspätungszuschlags, da das Versäumnis
der Kläger aufgrund der fehlenden Begründung der
Vorabanforderung zumindest auch entschuldbar war.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
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