Auf die Revision des Finanzamts wird das
Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 2.12.2014 6 K
6119/12 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu
tragen.
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I. Mit Beschluss vom 27.3.2006 wurde
über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren
eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) meldete - nach
zwischenzeitlicher Änderung der Anmeldung - zuletzt unter dem
16.8.2008 Umsatzsteuerforderungen in Höhe von 4.892,50 EUR
für März 2006 zur Insolvenztabelle an. Zugunsten der GmbH
setzte das FA mit Bescheid vom 26.9.2008 gemäß § 37
Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ein
Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von 5.061 EUR fest.
Das Guthaben sollte in zehn Raten zu je 506,10 EUR jeweils zum 30.
September bis zum Jahr 2017 ausgezahlt werden.
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Zur Fälligkeit des Guthabens für
das Kalenderjahr 2008 am 30.9.2008 zahlte das FA aus dem Guthaben
den anteiligen Betrag von 506,10 EUR dem Insolvenzverwalter der
GmbH. Das restliche Körperschaftsteuerguthaben trat der
Insolvenzverwalter der Klägerin und Revisionsbeklagten
(Klägerin) ab. Diese übermittelte dem FA am 31.8.2009
eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck. Das Guthaben
für 2009 in Höhe von 506,10 EUR wurde der Klägerin
überwiesen.
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Mit Beschluss vom 19.2.2010 wurde das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH nach
Anzeige der Masseunzulänglichkeit eingestellt.
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Mit Schreiben vom 11.7.2011 und 11.10.2011
teilte das FA der Klägerin mit, es habe gegen das anteilige
Körperschaftsteuerguthaben für 2010 und 2011 mit seiner
Forderung aus Umsatzsteuer 2006 gegen die GmbH aufgerechnet. Im
Abrechnungsbescheid vom 8.11.2011 bestätigte das FA die
Aufrechnung. Den Einspruch wies das FA zurück.
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Das Finanzgericht (FG) urteilte, die
Auszahlungsbeträge zur Körperschaftsteuer 2010 und 2011
seien wegen des insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots des §
96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) nicht durch Aufrechnung
erloschen. Die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsregeln
modifizierten die allgemeinen Vorschriften der §§ 387 ff.
des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und insbesondere § 406
BGB mit der Folge eines Ausschlusses der Aufrechnung
gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn der
Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei.
Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Reichsgerichts (RG) vom
18.2.1933 V 380/32 (RGZ 140, 43) und Stimmen in der Literatur
urteilte das FG, dies gelte auch nach Beendigung des
Insolvenzverfahrens, wenn der Insolvenzverwalter eine Forderung des
Insolvenzschuldners durch Abtretung verwertet habe. Anderenfalls
sei eine - nach § 159 InsO gebotene - Verwertung von
Forderungen faktisch ausgeschlossen und eine nicht hinnehmbare
Verfahrensverlängerung die Folge.
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Mit seiner Revision macht das FA geltend,
ein Aufrechnungsverbot bestehe vorliegend nicht, weil das
Insolvenzverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden sei. Eine
Nachtragsverteilung sei nicht angeordnet worden.
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II. 1. Der Senat konnte in der Sache
entscheiden, obwohl für die Klägerin niemand zur
mündlichen Verhandlung erschienen
ist. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist
ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen worden, bei
seinem Ausbleiben in der mündlichen Verhandlung könne
auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden (§ 91 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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2. Die Revision ist begründet und
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das
Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat den
Abrechnungsbescheid zu Unrecht geändert.
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Nach Einstellung des Insolvenzverfahrens hat
das FA wirksam gegenüber der Klägerin mit seiner
Umsatzsteuerforderung aus 2006 gegen die GmbH aufgerechnet. Dadurch
sind die der Klägerin abgetretenen Forderungen aus
Körperschaftsteuerguthaben 2010 und 2011 erloschen.
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a) Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1
Nr. 1 InsO gilt nur während des Insolvenzverfahrens; nach
Aufhebung des Insolvenzverfahrens können
Insolvenzgläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO
ihre Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend
machen (Senatsbeschluss vom 4.9.2008 VII B 239/07, BFH/NV 2009, 6 =
SIS 08 43 52). Hiernach kann ein Gläubiger nach Aufhebung des
Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen Forderungen des
Schuldners erklären, die zwar während des
Insolvenzverfahrens begründet, jedoch nicht ermittelt bzw.
nicht beigetrieben wurden und über die der Schuldner nunmehr
wieder frei verfügen kann, da sie nicht mehr der
Insolvenzbeschlagnahme (§ 80 Abs. 1 InsO) unterliegen.
Gleiches gilt nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nach Anzeige
der Masseunzulänglichkeit gemäß § 215
InsO.
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b) Der Anspruch auf Erstattung des
Körperschaftsteuerguthabens ist mit der Änderung des KStG
durch das Gesetz über steuerliche
Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen
Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher
Vorschriften vom 7.12.2006 (BGBl I 2006, 2782)
gemäß § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG mit Ablauf des
31.12.2006 und damit nach Insolvenzeröffnung durch Beschluss
vom 27.3.2006 entstanden. Im Verhältnis des FA zur GmbH galt
zunächst während des Insolvenzverfahrens das
Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO für die in
diesem Zeitraum fällig werdenden Auszahlungsbeträge des
Körperschaftsteuererstattungsanspruchs gemäß §
37 Abs. 5 KStG. Diese Beschränkung besteht nach Einstellung
des Insolvenzverfahrens nicht mehr.
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c) Der Insolvenzverwalter hat die
zukünftigen Körperschaftsteuererstattungsansprüche
der Klägerin abgetreten, die infolgedessen Gläubigerin
der Körperschaftsteuererstattungsansprüche geworden ist.
Eine Aufrechnung gegen diese Ansprüche ist gemäß
§ 406 BGB zulässig, der über § 226 der
Abgabenordnung auch im Abgabenrecht gilt (Senatsurteil vom 8.7.2004
VII R 55/03, BFHE 206, 309, BStBl II 2005, 7 = SIS 04 35 06). Bei
§ 406 BGB handelt es sich um eine Schutzvorschrift zugunsten
des Schuldners, die sein Vertrauen in eine gegenüber dem
bisherigen Gläubiger bestehende Aufrechnungslage sowie die
Aussicht auf eine künftig möglicherweise entstehende
Aufrechnungslage schützt; die Rechtsstellung des Schuldners
darf sich durch die Abtretung nicht verschlechtern (Senatsurteil in
BFHE 206, 309, BStBl II 2005, 7 = SIS 04 35 06). Die Rechtsstellung
des Schuldners (hier des FA) verschlechterte sich aber, wenn aus
einem ohne die Abtretung bestehenden zeitlich (auf die Dauer des
Insolvenzerfahrens) begrenzten Aufrechnungsverbot ein im Fall der
Abtretung unbefristetes Aufrechnungsverbot würde. Eine
Ausnahme gemäß § 406 Halbsatz 2 BGB liegt im
Streitfall nicht vor.
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d) Ein zeitlich unbeschränktes
Aufrechnungsverbot im Fall einer Abtretung lässt sich weder
mit den anzuwendenden Vorschriften noch mit dem Sinn und Zweck des
Insolvenzverfahrens rechtfertigen. Will der Insolvenzverwalter das
Verfahren beenden, aber gleichwohl künftig entstehende
Forderungen zur Masse ziehen, kann er gemäß § 203
InsO bzw. § 211 Abs. 3 InsO die Anordnung der
Nachtragsverteilung beantragen.
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e) Macht er von dieser Möglichkeit keinen
Gebrauch, sondern zieht er die Verwertung der künftigen
Forderungen durch Abtretung vor, sind die dahinter stehenden
praktischen Erwägungen bzw. Schwierigkeiten bei der
Masseverwertung nicht geeignet, die Schuldnerschutzvorschrift des
§ 406 BGB zu suspendieren. Der Zessionar trägt nach
§ 406 BGB das Risiko einer „Belastung“ der
ihm abgetretenen Forderung insoweit, als gegen sie auch mit
gegenüber dem Zedenten bestehenden Ansprüchen
aufgerechnet werden kann. Mit dem Grundgedanken dieser
Schuldnerschutzvorschrift ist es nicht vereinbar, ein
Aufrechnungsverbot in der Insolvenz über die
Insolvenzbeschlagnahme hinaus im Fall einer Abtretung zur
vereinfachten Forderungsverwertung anzuerkennen.
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f) Etwas anderes folgt auch nicht aus §
159 InsO. Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Verwertung
der Masse führt nicht zur Privilegierung eines Zessionars
gegenüber dem Zedenten bei der Forderungsverwertung, wenn
dadurch eine grundlegende schuldnerschützende Vorschrift
weiter eingeschränkt wird, als es das Gesetz in § 96 InsO
vorsieht. Abgesehen davon kann die Verwertung des zur
Insolvenzmasse gehörenden Vermögens auch nach Anordnung
einer Nachtragsverteilung erfolgen.
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g) Die zur Begründung der gegenteiligen
Ansicht von Teilen der Literatur (Windel in Jaeger,
Insolvenzordnung 2007, § 96 Rz 10; Brandes/Lohmann in
Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2013,
§ 96 Rz 2c; Gottwald/Adolphsen, Insolvenzrechtshandbuch, 5.
Aufl. 2015, § 45 Rz 80f; Grashoff/ Kleinmanns, Vorsicht Falle:
Die Abtretung von Körperschaftsteuerguthaben in der Insolvenz,
Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2008, 609, 612; von
Craushaar/Holdt, Verwertung des Körperschaftsteuerguthabens im
Insolvenzverfahren, Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht 2011,
350, 353) herangezogene Entscheidung des RG in RGZ 140, 43
führt zu keinem anderen Ergebnis. Das RG hatte Anlass zu
prüfen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Forderung der
Insolvenzmasse dem Gemeinschuldner (= Insolvenzschuldner) zur
Einziehung überlassen worden wäre, und hat insoweit
zutreffend ausgeführt, das Aufrechnungsverbot gälte dann
nicht. Der Fall der Übertragung der Verfügungsbefugnis
über die Forderung auf den Insolvenzschuldner unterscheidet
sich aber nicht von dem Fall, in dem der Insolvenzschuldner durch
Aufhebung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens die
Verfügungsbefugnis über sein Vermögen
zurückerhält (§ 201 Abs. 1, § 215 Abs. 2 InsO),
weil in beiden Fällen der Insolvenzbeschlag endet und die
Aufrechnung somit zulässig ist.
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3. Die
Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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