Auf die Revision der Kläger wird das
Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.10.2014 4 K
1265/13 = SIS 14 31 84 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des
Revisionsverfahrens übertragen.
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I. Streitig ist der Werbungskostenabzug
für ein Disagio bei den Einkünften aus Vermietung und
Verpachtung.
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Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt. Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag erwarb der
Kläger ein Mehrfamilienhaus zum Preis von 1,5 Mio. EUR. Den
Kaufpreis finanzierte er mit einem bei einer Geschäftsbank
aufgenommenen Hypothekendarlehen über einen Darlehensbetrag
von nominell 1.333.000 EUR. Der Nominalzinssatz betrug bei einer
festen Zinsbindung von zehn Jahren 2,85 % jährlich. Bei der
Berechnung des Nominalzinssatzes war ein Disagio von 10 % der
Darlehenssumme berücksichtigt.
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Der Kläger machte bei der Ermittlung
der Einkünfte aus der Vermietung des Mehrfamilienhauses das
Disagio in Höhe von 133.000 EUR sowie weitere Darlehenskosten
in Höhe von 150 EUR als sofort abziehbare Werbungskosten
geltend. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr (2009)
berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) nur einen Betrag von 66.725 EUR als
Werbungskosten, da nur der marktübliche Teil von 5 % des
Disagios sofort abziehbar sei. Der über 5 % hinausgehende
Disagiobetrag werde auf den Zinsfestschreibungszeitraum von zehn
Jahren verteilt und im Streitjahr nur anteilig in Höhe von
6.673 EUR berücksichtigt.
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Der Einspruch hatte, was das Disagio
betraf, keinen Erfolg. Auch die Klage wurde abgewiesen. Das
Finanzgericht (FG) vertrat mit seinem in EFG 2015, 115 = SIS 14 31 84 veröffentlichten Urteil die Auffassung, das FA habe zu
Recht den über 5 % hinausgehenden Disagiobetrag auf den
Zinsfestschreibungszeitraum von zehn Jahren verteilt und im
Streitjahr nur anteilig in Höhe eines Zehntels
berücksichtigt, denn das im Streitfall vereinbarte Disagio von
10 % sei nicht marktüblich.
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Im Streitfall sei der vom Kläger
vereinbarte Darlehensnominalzins von 2,85 % deutlich niedriger als
der Marktzins. Dies belegten die Berechnung des FA und die vom
Kläger selbst vorgelegte Übersicht über
Effektivzinsen für Immobilienkredite nach der Zinsstatistik
für Juli 2009 der Deutschen Bundesbank (diese betragen bei
Wohnungsbaukrediten an private Haushalte mit Ursprungslaufzeit von
über einem Jahr bis fünf Jahre ca. 4,6 % und von
über fünf Jahren ca. 5 %). Das vom Kläger
vereinbarte Disagio sei dementsprechend ungewöhnlich hoch.
Damit habe sich der Kläger die niedrigen Nominalzinsen
für die Laufzeit des Darlehens „erkauft“. Da das
Disagio bei dem vom Kläger aufgenommenen Darlehen höher
sei als 5 %, greife die Vereinfachungsregelung nach dem Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20.10.2003 (BStBl I
2003, 546 = SIS 03 46 62) und der Gesetzesbegründung (BTDrucks
16/2712 vom 25.9.2006 zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2007 -
JStG 2007 - ) nicht ein.
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Hiergegen richtet sich die Revision der
Kläger, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts
rügen (§ 11 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ). Das
vereinbarte Disagio sei marktüblich. Darlehen und Disagio
seien zwischen unabhängigen Dritten abgeschlossen und hielten
einem Drittvergleich stand. Der Effektivzins des Darlehens liege im
Rahmen des Marktzinsniveaus im September 2009.
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Die Kläger beantragen, das
finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des
Klägers aus der Vermietung des Mehrfamilienhauses weitere
Werbungskosten in Höhe von 59.685 EUR berücksichtigt
werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Unrecht hat das FG hinsichtlich
der Marktüblichkeit des streitbefangenen Disagios eine
Feststellungslastentscheidung getroffen.
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1. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1
EStG sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie
geleistet worden sind. Werden Ausgaben für eine
Nutzungsüberlassung von mehr als fünf Jahren im Voraus
geleistet, sind sie gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG
insgesamt auf den Zeitraum gleichmäßig zu verteilen,
für den die Vorauszahlung geleistet wird. Nach § 11 Abs.
2 Satz 4 EStG ist diese Regelung (Satz 3) auf ein Disagio nicht
anzuwenden, soweit dieses marktüblich ist. Danach ist auch ein
marktübliches Disagio, das für einen Kredit über
eine Laufzeit von mehr als fünf Jahren gezahlt wird, nicht auf
die Laufzeit zu verteilen, sondern kann im Jahr der Leistung, d.h.
des Abflusses, voll zum Abzug gebracht werden.
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a) Disagio ist der Unterschiedsbetrag zwischen
Nenn- und Verfügungsbetrag einer Schuld. Es fungiert im
Ergebnis als Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzinssatz
und ist damit als Vorauszahlung eines Teils der Zinsen anzusehen
(Urteil des Bundesfinanzhofs vom
20.10.1999 X R 69/96, BFHE 190, 185, BStBl II 2000, 259 = SIS 00 01 27). Zweck von § 11 Abs. 2 Satz
3 EStG ist es, Einmalzahlungen für die Gewährung von
Nutzungsrechten entsprechend dem tatsächlich eingeräumten
Nutzungsvorteil zu verteilen. Die Besonderheit der Vereinbarung
eines Disagios besteht im Hinblick auf Satz 3 darin, dass es zwar
wirtschaftlich Entgelt für eine Überlassung ist, aber
bereits im Zeitpunkt der Zahlung den Nutzungsvorteil vermindert, da
sich die ausgezahlte Darlehenssumme um die Höhe des Disagios
vermindert (Kister in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 11
EStG Rz 128, Stichwort „Klarstellende
Bedeutung“).
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b) Der in § 11 Abs. 2 Satz 4 EStG
verwendete Begriff „marktüblich“ bezieht
sich auf das jeweils konkret betroffene Disagio. Bezogen auf die
dargelegte Funktion eines Disagios ergibt sich die
Marktüblichkeit aus der Höhe des Disagios im
Verhältnis zur Höhe und Laufzeit des Kredits, dies in
Relation zu den aktuellen Verhältnissen auf dem Kreditmarkt
(HHR/Kister, § 11 EStG Rz 128, Stichwort
„Marktüblichkeit“): Was marktüblich
ist, ist nach den aktuellen Verhältnissen auf dem Kreditmarkt
bezogen auf das konkrete finanzierte Objekt zu entscheiden. Die
Marktüblichkeit an einen festen Zinssatz zu koppeln, kommt
insoweit nicht in Betracht.
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Die Verwaltungsregelung im BMF-Schreiben in
BStBl I 2003, 546 = SIS 03 46 62, wonach von einer
Marktüblichkeit ausgegangen werden kann, wenn für ein
Darlehen mit einem Zinsfestschreibungszeitraum von mindestens
fünf Jahren ein Disagio in Höhe von bis zu 5 % vereinbart
worden ist, hat nach der Gesetzesbegründung zum JStG 2007
(BTDrucks 16/2712 vom 25.9.2006, S. 44) ohne materiell-rechtliche
Änderung Eingang in § 11 Abs. 2 EStG gefunden. Jenseits
dessen ist der Gesetzesbegründung lediglich zu entnehmen, dass
eine Zinsvorauszahlung regelmäßig anzunehmen ist, wenn
der Nominalzins ungewöhnlich niedrig und das Disagio
entsprechend hoch bemessen ist. Die Gesetzesbegründung
verbindet durch die Formulierung „ungewöhnlich
niedrig“ das Kriterium der fehlenden Marktüblichkeit
mit dem des Ungewöhnlichen. Nur ein ungewöhnlicher
Nominalzins rechtfertigt die Versagung des Sofortabzugs des
Disagios.
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Abzugrenzen ist das marktübliche Disagio
mithin von „ungewöhnlichen“ Gestaltungen,
die sich nicht in dem auf dem aktuellen Kreditmarkt üblichen
Rahmen halten. Wann dies der Fall ist, ist eine Frage der
tatrichterlichen Würdigung.
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Wird eine Zins- und Disagiovereinbarung mit
einer Geschäftsbank wie unter fremden Dritten geschlossen,
indiziert dies die Marktüblichkeit. Angesichts der
üblichen Pflicht von Geschäftsbanken zur Risikokontrolle
sind mit einer Geschäftsbank vereinbarte Zinsgestaltungen
regelmäßig als im Rahmen des am Kreditmarkt
Üblichen zu betrachten. Diese Vermutung kann widerlegt werden,
wenn besondere Umstände vorliegen, die dafür sprechen,
dass der Rahmen des am Kreditmarkt Üblichen verlassen wird.
Solche Umstände können etwa in einer besonderen
Kreditunwürdigkeit des Darlehensnehmers, besonderen
persönlichen Beziehungen der Beteiligten zueinander oder ganz
atypischen Vertragsgestaltungen liegen.
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Soweit das BMF aus Vereinfachungsgründen
von der Marktüblichkeit ausgeht, wenn für ein Darlehen
mit einem Zinsfestschreibungszeitraum von mindestens fünf
Jahren ein Disagio in Höhe von bis zu 5 % vereinbart worden
ist, bedeutet dies eine Sachverhaltstypisierung, die die
tatrichterliche Würdigung erleichtert. Handelt es sich jedoch,
wie vorliegend, um ein Disagio von mehr als 5 %, so trifft die
genannte Nichtbeanstandungsgrenze keine Aussage.
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2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat
das FG im Streitfall keine hinreichenden Feststellungen zur
Marktüblichkeit der streitbefangenen Disagio- und
Zinsvereinbarung getroffen.
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Die Nichtbeanstandungsgrenze des BMF (vgl.
oben 1.b) regelt den Streitfall nicht. Es kann dahinstehen, ob
diese Nichtbeanstandungsgrenze die Marktüblichkeit zutreffend
typisiert.
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Das FG hat lediglich festgestellt, dass der
Nominalzins von 2,85 % deshalb ungewöhnlich niedrig und
deutlich niedriger sei als der Marktzins, weil die Effektivzinsen
für Immobilienkredite nach der Zinsstatistik für Juli
2009 der Deutschen Bundesbank bei Wohnungsbaukrediten an private
Haushalte mit Ursprungslaufzeit von über fünf Jahren ca.
5 % betrügen. Deshalb sei das Disagio des Klägers
ungewöhnlich hoch. Da jedoch die streitbefangene Disagio- und
Zinsvereinbarung mit einer Geschäftsbank abgeschlossen wurde,
wird die Marktüblichkeit der Abrede vermutet. Das FG
hätte, um diese Vermutung ggf. zu widerlegen, die
Einzelumstände der Vertragsgestaltung prüfen
müssen.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Da das FG
die Maßstäbe für die Feststellung der
Marktüblichkeit abweichend beurteilt hat, hat es nicht
geprüft, ob besondere Einzelumstände des konkreten Falls
gegen die durch den Vertragsschluss mit einer Geschäftsbank
indizierte Marktüblichkeit sprachen. Dies wird im zweiten
Rechtsgang nachzuholen sein.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 2 FGO.
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