Die Revision der Beklagten gegen das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26.9.2013 3 K 158/13
= SIS 14 01 76 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist Mutter einer im September 1991 geborenen
Tochter (T), die im Sommer 2010 eine Ausbildung als Assistentin
für Wirtschaftsinformatik abschloss und im Sommer 2012 die
Fachhochschulreife erlangte. Danach bemühte sich T um einen
Ausbildungsplatz. Sie lebte in einer eigenen Wohnung und bezog
zunächst Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II). Im November 2012 nahm sie eine Beschäftigung mit
einer regelmäßigen Arbeitszeit von 30 Wochenstunden
auf.
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Die Klägerin beantragte Kindergeld
für T. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse)
lehnte den Antrag durch Bescheid vom 31.10.2012 ab, weil die
Klägerin keine Nachweise für die Bemühungen der T um
einen Ausbildungsplatz vorgelegt habe. Zuvor hatte der
Sozialleistungsträger - der Landkreis A, Jobcenter - mit
Schreiben vom 28.8.2012 gegenüber der Familienkasse einen
Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X geltend
gemacht.
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Gegen die Ablehnung wandte sich die
Klägerin mit Einspruch. Im Verlauf des Rechtsbehelfsverfahrens
wurde bekannt, dass der Vater der T seit August 2012 monatliche
Zahlungen von 200 EUR leistete. Damit sollten bislang nicht
erfüllte, jedoch titulierte Unterhaltsansprüche der T
ratenweise abgegolten werden. Diese beliefen sich bis zum Erreichen
der Volljährigkeit der T im September 2009 auf insgesamt ca.
16.000 EUR. Die Familienkasse war der Ansicht, die Zahlungen des
Vaters an T seien als Unterhaltsrente i.S. von § 64 Abs. 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusehen. Somit sei der Vater
kindergeldberechtigt und nicht die Klägerin, die keinen
Unterhalt leiste. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) gab der
anschließend erhobenen Klage zum Teil statt und verpflichtete
die Familienkasse, der Klägerin Kindergeld für den
Zeitraum August 2012 bis November 2012 zu gewähren (Urteil vom
26.9.2013 3 K 158/13, EFG 2014, 147 = SIS 14 01 76). Es war der
Ansicht, die Zahlungen des Vaters seien keine Unterhaltsrente, da
sie erst nachträglich für nicht erfüllte
Unterhaltsansprüche geleistet worden seien. Da beide
Elternteile keinen Unterhalt gezahlt hätten, greife die
zwischen den Eltern getroffene Berechtigtenbestimmung zugunsten der
Klägerin ein. Trotzdem werde diese voraussichtlich kein
Kindergeld ausgezahlt erhalten, weil der Sozialleistungsträger
die Erstattung des Kindergelds beantragt habe. Hinsichtlich der
Monate Dezember 2012 bis April 2013 wies das FG die Klage ab, da T
eine Erstausbildung abgeschlossen habe und mit 30 Wochenstunden
erwerbstätig sei.
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Gegen das Urteil des FG wendet sich die
Familienkasse insoweit, als es den Zeitraum August 2012 bis
November 2012 betrifft. Zur Begründung trägt sie vor,
nach dem Urteil des FG Münster vom 23.3.2007 4 K 1807/05 Kg
(EFG 2007, 1177 = SIS 07 22 25) könnten auch verspätet
geleistete Unterhaltszahlungen als Geldrente anzusehen sein. Zwar
habe der Bundesfinanzhof (BFH) im Beschluss vom 28.10.2005 III B
107/05 (BFH/NV 2006, 549 = SIS 06 11 88) entschieden, dass
nachträgliche Unterhaltszahlungen nicht dem Zeitraum
zuzurechnen seien, für welchen sie geleistet würden.
Allerdings seien sie im Zeitraum des tatsächlichen Zuflusses
zu berücksichtigen. Es lägen Unterhaltsleistungen vor,
wenn auch verspätete.
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Das angefochtene Urteil sei auch deshalb
fehlerhaft, weil die Sache nicht spruchreif sei. Das FG habe sie -
die Familienkasse - zur „Gewährung“ von Kindergeld
verpflichtet. Diese Verpflichtung beinhalte nicht nur die
Festsetzung, sondern auch die Auszahlung des Kindergeldes an die
Klägerin. Die Entscheidung darüber, wer das Kindergeld
erhalten solle, setze jedoch eine Entscheidung über den
Erstattungsantrag des Sozialleistungsträgers oder
gegebenenfalls über einen Abzweigungsantrag der T voraus, die
noch nicht vorliege.
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Die Familienkasse beantragt, das
angefochtene Urteil hinsichtlich des Zeitraums August 2012 bis
November 2012 aufzuheben und die Klage auch insoweit
abzuweisen,
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hilfsweise, das angefochtene Urteil
hinsichtlich des Zeitraums August 2012 bis November 2012 aufzuheben
und die Streitsache insoweit zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat
zutreffend die vom Kindsvater gegenüber T erbrachten Zahlungen
nicht als Unterhaltsrente i.S. von § 64 Abs. 3 EStG beurteilt
und hat zu Recht die Verpflichtung der Familienkasse zur
Gewährung von Kindergeld für den hier noch streitigen
Zeitraum ausgesprochen.
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1. Nach § 64 Abs. 1 EStG wird das
Kindergeld nur an einen Kindergeldberechtigten gezahlt. Leben die
Eltern in einem gemeinsamen Haushalt, so können sie nach
§ 64 Abs. 3 Satz 2 EStG untereinander den Berechtigten
bestimmen. Lebt das Kind nicht im Haushalt beider Eltern oder eines
Elternteils, sondern in einem eigenen Haushalt, so ist
gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG kindergeldberechtigt,
wer dem Kind eine Unterhaltsrente zahlt. Zahlt keiner der beiden
Elternteile eine Unterhaltsrente, so können sie gemeinsam
einen Berechtigten bestimmen; kommt keine Einigung zustande, so
bestimmt das Familiengericht auf Antrag den Berechtigten (§ 64
Abs. 3 Satz 3 und 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 EStG).
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a) Der Begriff der Unterhaltsrente i.S. von
§ 64 Abs. 3 Satz 1 EStG orientiert sich am Begriff der
Geldrente i.S. von § 1612 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Hiernach ist Unterhalt durch
Entrichtung einer monatlich im Voraus zu zahlenden Geldrente zu
gewähren. Unterhaltsrente ist der laufende Barunterhalt
(BFH-Urteil vom 16.12.2003 VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934 = SIS 04 22 66, sowie BFH-Beschluss vom 28.10.2004 VIII B 253/04, BFH/NV
2005, 346 = SIS 05 12 35). Nachträglich erbrachte
Unterhaltsleistungen wirken sich auf die Berechtigtenbestimmung
nach § 64 Abs. 3 EStG nicht aus (Senatsbeschluss in BFH/NV
2006, 549 = SIS 06 11 88; ebenso Wendl in Herrmann/Heuer/ Raupach,
§ 64 EStG Rz 16; Felix in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 64 Rz D 3; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 64 Rz 151; zweifelnd
Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 34. Aufl., § 64 Rz 8). Es ist
grundsätzlich zu fordern, dass der Unterhalt sowohl für
als auch in dem Zeitraum geleistet wird, für den das
Kindergeld begehrt wird.
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b) Im Streitfall hat der Vater von T in der
Zeit bis zu deren Volljährigkeit im September 2009 keinen
laufenden Unterhalt gezahlt. Die von ihm nachträglich ab
August 2012 geleisteten Zahlungen betrafen den seit Langem
rückständigen Unterhalt (§ 1613 BGB). Der Senat kann
offenlassen, ob Unterhaltsleistungen auch dann bei der
Berechtigtenbestimmung nach § 64 Abs. 3 EStG außer
Betracht zu lassen sind, wenn die Zahlungen zwar kontinuierlich,
jedoch jeweils um wenige Wochen oder Monate verspätet
geleistet werden. Jedenfalls kann bei Unterhaltszahlungen, die -
wie im Streitfall - erst Jahre nach der Fälligkeit des
Unterhaltsanspruchs aufgenommen werden, nicht mehr von laufendem
Unterhalt gesprochen werden.
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2. Entgegen der Rechtsansicht der
Familienkasse hat das FG diese nicht zur Auszahlung des
Kindergeldes an die Klägerin trotz des vom
Sozialleistungsträger geltend gemachten Erstattungsanspruchs
verpflichtet. Es hat die Familienkasse im Urteilstenor dazu
verpflichtet, der Klägerin Kindergeld zu
„gewähren“. Damit ist bei verständiger
Würdigung gemeint, dass die Familienkasse verpflichtet werden
soll, das Kindergeld festzusetzen. Bei der Auslegung der
Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) kann auch auf den
Inhalt des Urteils zurückgegriffen werden (Senatsurteil vom
25.9.2014 III R 56/13, BFH/NV 2015, 206 = SIS 14 34 55). Aus dem
angefochtenen Urteil ergibt sich, dass dem FG bewusst war, dass das
Kindergeld trotz der Verpflichtung der Familienkasse zur
Gewährung von Kindergeld möglicherweise an den
Sozialleistungsträger auszuzahlen sein wird. Die Annahme der
Familienkasse, sie sei zur Auszahlung des Kindergeldes an die
Klägerin verpflichtet worden, geht fehl.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
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