1
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft
britischen Rechts mit Sitz in Großbritannien und
Niederlassungen in den Niederlanden sowie in Belgien. Gegenstand
des Unternehmens der Klägerin ist die Wirtschaftsberatung,
Steuerberatung und das Rechnungswesen. Gesellschafter und
Geschäftsführer („director“) sind die in der
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ansässige S und der
in Belgien ansässige Y. Y war in Deutschland als Steuerberater
bestellt gewesen. Seine Bestellung wurde im Jahr 2000
widerrufen.
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2
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In Deutschland ist die Klägerin nicht
als Steuerberatungsgesellschaft nach den §§ 32 Abs. 3, 49
ff. des Steuerberatungsgesetzes in der für 2012 geltenden
Fassung (StBerG) anerkannt. Sie berät mehrere in Deutschland
ansässige Mandanten in steuerlichen Angelegenheiten und tritt
für diese in steuerlichen Verwaltungsverfahren auf.
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3
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Für Postsendungen benannte die
Klägerin als Zustellungsbeauftragte die A-Ltd., eine Firma
für Büroservice mit Sitz in Deutschland. Aus mehreren dem
Finanzgericht (FG) vorliegenden Zustellungsurkunden ist
ersichtlich, dass Y in den Büroräumen der A-Ltd.
geschäftlich tätig ist.
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4
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Die Klägerin wirkte bei der
Anfertigung der Umsatzsteuererklärung der in Deutschland
niedergelassenen C-Ltd. für 2010 mit. Diese Erklärung
ging Anfang 2012 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -
FA - ) ein. Das FA wies mit Bescheid vom 12.3.2012 die
Klägerin als Bevollmächtigte der C-Ltd. für das
Umsatzsteuer-Festsetzungsverfahren des Kalenderjahres 2010 nach
§ 80 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) zurück. Zur
Begründung war angegeben, dass die Klägerin nicht befugt
sei, geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen zu
leisten.
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5
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Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG
teilte die Auffassung des FA, dass die Klägerin keine Befugnis
zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen habe.
Auch die Voraussetzungen für eine vorübergehende und
gelegentliche Hilfeleistung in Steuersachen nach § 3a StBerG
lägen nicht vor. Die Klägerin habe keine schriftliche
Meldung, die den Anforderungen des § 3a Abs. 2 StBerG
entspreche, an die für die Niederlande zuständige
Steuerberaterkammer Düsseldorf/Deutschland gerichtet. Das
Urteil des FG ist in EFG 2012, 2174 = SIS 12 31 37
veröffentlicht.
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6
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Mit der Revision rügt die
Klägerin sinngemäß die Verletzung der
Dienstleistungsfreiheit i.S. von
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7
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Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.9.2005 über
die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - Nr. L 255, 22), zuletzt
geändert durch die Verordnung Nr. 623/2012 der Kommission vom
11.7.2012 (ABlEU Nr. L 180, 9) - Richtlinie 2005/36/EG - ,
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8
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Art. 16 der Richtlinie 2006/123/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über
Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABlEU Nr. L 376, 36) - Richtlinie
2006/123/EG - ,
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9
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Art. 56 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von
Lissabon zur Änderung des Vertrags über die
Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften (ABlEU 2008, Nr. C-115, 47) - AEUV
- und
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10
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Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über
bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen
Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über
den elektronischen Geschäftsverkehr“), Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften Nr. L 178, 1.
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11
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Zur Begründung trägt die
Klägerin vor, einem in den Niederlanden ansässigen
Dienstleister, der dort in zulässiger Weise steuerberatend
tätig sei, könne es nicht untersagt werden, seine
Dienstleistungen von den Niederlanden aus, also ohne die Grenze
physisch zu überschreiten, an in Deutschland ansässige
Wirtschaftsteilnehmer zu erbringen. Das gelte unabhängig
davon, dass die steuerberatende Tätigkeit in Deutschland -
anders als in den Niederlanden - bestimmten Berufsträgern
vorbehalten sei. Im Streitfall sei zur Erbringung der
Dienstleistung an die C-Ltd. kein Grenzübertritt erfolgt; sie
- die Klägerin - habe die Umsatzsteuererklärung in ihrer
Niederlassung in den Niederlanden angefertigt und von dort aus an
das FA übermittelt.
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12
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, die Vorentscheidung, soweit sie den Bescheid
vom 12.3.2012 betrifft, und den Bescheid vom 12.3.2012
aufzuheben.
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13
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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14
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II. Der Senat legt dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) die in der Entscheidungsformel
bezeichneten Fragen zur Auslegung von Art. 5 der Richtlinie
2005/36/EG, Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123/EG und
Art. 56 AEUV zur Vorabentscheidung vor und setzt das Verfahren bis
zur Entscheidung des EuGH aus.
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15
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1. Rechtlicher Rahmen
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16
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a) Unionsrecht
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aa) Richtlinie 2005/36/EG
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18
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Nach Art. 1 legt diese Richtlinie die
Vorschriften fest, nach denen ein Mitgliedstaat, der den Zugang zu
einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung in seinem
Hoheitsgebiet an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen
knüpft, für den Zugang zu diesem Beruf und dessen
Ausübung die in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten
erworbenen Berufsqualifikationen anerkennt, die ihren Inhaber
berechtigen, dort denselben Beruf auszuüben.
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19
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Art. 2 bestimmt den Anwendungsbereich. Die
Richtlinie gilt danach für alle Staatsangehörigen eines
Mitgliedstaats, die als Selbstständige oder abhängig
Beschäftigte, einschließlich der Angehörigen der
freien Berufe, einen reglementierten Beruf in einem anderen
Mitgliedstaat als dem, in dem sie ihre Berufsqualifikationen
erworben haben, ausüben wollen.
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20
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Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten
gemäß Art. 3 Abs. 1 folgende Begriffsbestimmungen:
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21
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„a) ‘reglementierter
Beruf’ ist eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe
beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder
Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder
indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz
bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist; eine Art der
Ausübung ist insbesondere die Führung einer
Berufsbezeichnung, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften
auf Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte
Berufsqualifikation verfügen. Trifft Satz 1 dieser
Begriffsbestimmung nicht zu, so wird ein unter Absatz 2 fallender
Beruf als reglementierter Beruf behandelt;
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22
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b) ‘Berufsqualifikationen’ sind
die Qualifikationen, die durch einen Ausbildungsnachweis, einen
Befähigungsnachweis nach Artikel 11 Buchstabe a Ziffer i
und/oder Berufserfahrung nachgewiesen werden;“
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23
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Art. 5 dieser Richtlinie regelt den Grundsatz
der Dienstleistungsfreiheit wie folgt:
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24
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„(1) Unbeschadet spezifischer
Vorschriften des Gemeinschaftsrechts sowie der Artikel 6 und 7
dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten die
Dienstleistungsfreiheit nicht aufgrund der Berufsqualifikationen
einschränken,
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25
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a) wenn der Dienstleister zur Ausübung
desselben Berufs rechtmäßig in einem Mitgliedstaat
niedergelassen ist (nachstehend
‘Niederlassungsmitgliedstaat’ genannt) und
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26
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b) für den Fall, dass sich der
Dienstleister in einen anderen Mitgliedstaat begibt, wenn er diesen
Beruf mindestens zwei Jahre während der vorhergehenden zehn
Jahre im Niederlassungsmitgliedstaat ausgeübt hat, sofern der
Beruf dort nicht reglementiert ist. Die Bedingung, dass der
Dienstleister den Beruf zwei Jahre ausgeübt haben muss, gilt
nicht, wenn entweder der Beruf oder die Ausbildung zu diesem Beruf
reglementiert ist.
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27
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(2) Die Bestimmungen dieses Titels gelten
nur für den Fall, dass sich der Dienstleister zur
vorübergehenden und gelegentlichen Ausübung des Berufs
nach Absatz 1 in den Aufnahmemitgliedstaat begibt.
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28
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Der vorübergehende und gelegentliche
Charakter der Erbringung von Dienstleistungen wird im Einzelfall
beurteilt, insbesondere anhand der Dauer, der Häufigkeit, der
regelmäßigen Wiederkehr und der Kontinuität der
Dienstleistung.
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29
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(3) Begibt sich der Dienstleister in einen
anderen Mitgliedstaat, so unterliegt er im Aufnahmemitgliedstaat
den berufsständischen, gesetzlichen oder
verwaltungsrechtlichen Berufsregeln, die dort in unmittelbarem
Zusammenhang mit den Berufsqualifikationen für Personen
gelten, die denselben Beruf wie er ausüben, und den dort
geltenden Disziplinarbestimmungen; zu diesen Bestimmungen
gehören etwa Regelungen für die Definition des Berufs,
das Führen von Titeln und schwerwiegende berufliche Fehler in
unmittelbarem und speziellem Zusammenhang mit dem Schutz und der
Sicherheit der Verbraucher.“
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30
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bb) Richtlinie 2006/123/EG
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31
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Diese Richtlinie enthält allgemeine
Bestimmungen, die die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch
Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr
erleichtern sollen.
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32
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Art. 16
(„Dienstleistungsfreiheit“) dieser Richtlinie
sieht vor:
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33
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„(1) Die Mitgliedstaaten achten das
Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem
anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu
erbringen.
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34
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Der Mitgliedstaat, in dem die
Dienstleistung erbracht wird, gewährleistet die freie Aufnahme
und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten
innerhalb seines Hoheitsgebiets.“
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35
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Gemäß Art. 17 Nr. 6 dieser
Richtlinie findet Art. 16 auf die Angelegenheiten, die unter Titel
II der Richtlinie 2005/36/EG fallen, sowie Anforderungen im
Mitgliedstaat der Dienstleistungserbringung, die eine
Tätigkeit den Angehörigen eines bestimmten Berufs
vorbehalten, keine Anwendung.
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36
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cc) Art. 56, 57, 62 AEUV
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37
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Nach Art. 56 Abs. 1 AEUV sind
Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb
der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in
einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des
Leistungsempfängers ansässig sind, nach Maßgabe der
folgenden Bestimmungen verboten.
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38
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Dienstleistungen im Sinne der Verträge
sind gemäß Art. 57 Abs. 1 AEUV Leistungen, die in der
Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den
Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und
über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.
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39
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Als Dienstleistungen gelten insbesondere
freiberufliche Tätigkeiten (Art. 57 Abs. 2 Buchst. d
AEUV).
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40
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Unbeschadet des Kapitels über die
Niederlassungsfreiheit kann der Leistende zwecks Erbringung seiner
Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem
Mitgliedstaat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und
zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat
für seine eigenen Angehörigen vorschreibt (Art. 57 Abs. 3
AEUV).
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41
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Nach Art. 62 AEUV finden die Bestimmungen der
Art. 51 bis 54 auf das in Kapitel 3 geregelte Sachgebiet
„Dienstleistungen“ Anwendung. Gemäß
Art. 54 Abs. 1 AEUV stehen die nach den Rechtsvorschriften eines
Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren
satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre
Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen
Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Als
Gesellschaften gelten gemäß Art. 54 Abs. 2 AEUV die
Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts
einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen
juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit
Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.
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42
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b) Nationales Recht
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43
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Nach § 80 Abs. 5 AO sind
Bevollmächtigte und Beistände zurückzuweisen, wenn
sie geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten,
ohne dazu befugt zu sein. Hilfeleistung in Steuersachen darf nach
§ 2 Satz 1 StBerG geschäftsmäßig nur von
Personen und Vereinigungen ausgeübt werden, die hierzu befugt
sind.
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44
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Zur geschäftsmäßigen
Hilfeleistung in Steuersachen sind gemäß § 3 StBerG
befugt:
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45
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„1. Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene
europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und
vereidigte Buchprüfer,
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2. Partnerschaftsgesellschaften, deren
Partner ausschließlich die in Nummer 1 genannten Personen
sind,
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3. Steuerberatungsgesellschaften,
Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften
und Buchprüfungsgesellschaften.“
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46
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§ 3a StBerG regelt eine
vorübergehende und gelegentliche Hilfeleistung in Steuersachen
wie folgt:
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47
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„(1) Personen, die in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen
Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum oder in der Schweiz beruflich niedergelassen sind
und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in
Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaates leisten, sind
zur vorübergehenden und gelegentlichen
geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befugt. Der Umfang der
Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen im Inland richtet sich
nach dem Umfang dieser Befugnis im Niederlassungsstaat. Bei ihrer
Tätigkeit im Inland unterliegen sie denselben Berufsregeln wie
die in § 3 genannten Personen. Wenn weder der Beruf noch die
Ausbildung zu diesem Beruf im Staat der Niederlassung reglementiert
ist, gilt die Befugnis zur geschäftsmäßigen
Hilfeleistung in Steuersachen im Inland nur, wenn die Person den
Beruf dort während der vorhergehenden zehn Jahre mindestens
zwei Jahre ausgeübt hat. Ob die
geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen
vorübergehend und gelegentlich erfolgt, ist insbesondere
anhand ihrer Dauer, Häufigkeit, regelmäßiger
Wiederkehr und Kontinuität zu beurteilen.
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48
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(2) Die geschäftsmäßige
Hilfeleistung in Steuersachen nach Absatz 1 ist nur zulässig,
wenn die Person vor der ersten Erbringung im Inland der
zuständigen Stelle schriftlich Meldung erstattet.
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49
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Zuständige Stelle ist für Personen
aus: ...
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50
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4. den Niederlanden und Bulgarien die
Steuerberaterkammer Düsseldorf,...
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51
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Die Meldung der Person muss enthalten:
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52
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1. den Familiennamen und die Vornamen, den
Namen oder die Firma einschließlich der gesetzlichen
Vertreter,
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53
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2. das Geburts- oder Gründungsjahr,
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54
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3. die Geschäftsanschrift
einschließlich der Anschriften aller Zweigstellen,
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55
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4. die Berufsbezeichnung, unter der die
Tätigkeit im Inland zu erbringen ist,
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56
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5. eine Bescheinigung darüber, dass die
Person in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in einem
anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum oder in der Schweiz rechtmäßig zur
geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen
niedergelassen ist und dass ihr die Ausübung dieser
Tätigkeit zum Zeitpunkt der Vorlage der Bescheinigung nicht,
auch nicht vorübergehend, untersagt ist,
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57
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6. einen Nachweis über die
Berufsqualifikation,
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58
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7. einen Nachweis darüber, dass die
Person den Beruf im Staat der Niederlassung während der
vorhergehenden zehn Jahre mindestens zwei Jahre ausgeübt hat,
wenn weder der Beruf noch die Ausbildung zu diesem Beruf im Staat
der Niederlassung reglementiert ist,
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59
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8. eine Information über Einzelheiten zur
Berufshaftpflichtversicherung oder eines anderen individuellen oder
kollektiven Schutzes in Bezug auf die Berufshaftpflicht.
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60
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Die Meldung ist jährlich zu wiederholen,
wenn die Person nach Ablauf eines Kalenderjahres erneut nach Absatz
1 geschäftsmäßig Hilfeleistung in Steuersachen im
Inland erbringen will. In diesem Fall sind die Bescheinigung nach
Satz 3 Nr. 5 und die Information nach Satz 3 Nr. 8 erneut
vorzulegen.“
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61
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§ 5 Abs. 1 Satz 1 StBerG hat folgenden
Wortlaut:
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62
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„(1) Andere als die in den
§§ 3, 3a und 4 bezeichneten Personen und Vereinigungen
dürfen nicht geschäftsmäßig Hilfe in
Steuersachen leisten, insbesondere nicht
geschäftsmäßig Rat in Steuersachen
erteilen.“
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63
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§ 32 StBerG lautet wie folgt:
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64
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„(1) Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften
leisten geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach
den Vorschriften dieses Gesetzes.
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65
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(2) Steuerberater und
Steuerbevollmächtigte bedürfen der Bestellung; sie
üben einen freien Beruf aus. Ihre Tätigkeit ist kein
Gewerbe.
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66
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(3) Steuerberatungsgesellschaften
bedürfen der Anerkennung. Die Anerkennung setzt den Nachweis
voraus, dass die Gesellschaft von Steuerberatern verantwortlich
geführt wird.“
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67
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Als Steuerberater darf nach § 35 Abs. 1
Satz 1 StBerG nur bestellt werden, wer die Prüfung als
Steuerberater bestanden hat oder von dieser Prüfung befreit
worden ist.
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68
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Gemäß § 33 Satz 1 StBerG haben
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und
Steuerberatungsgesellschaften die Aufgabe, im Rahmen ihres Auftrags
ihre Auftraggeber in Steuersachen zu beraten, sie zu vertreten und
ihnen bei der Bearbeitung ihrer Steuerangelegenheiten und bei der
Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten Hilfe zu leisten. Dazu
gehören auch die Hilfeleistung in Steuerstrafsachen und in
Bußgeldsachen wegen einer Steuerordnungswidrigkeit sowie die
Hilfeleistung bei der Erfüllung von
Buchführungspflichten, die auf Grund von Steuergesetzen
bestehen, insbesondere die Aufstellung von Steuerbilanzen und deren
steuerrechtliche Beurteilung (§ 33 Satz 2 StBerG).
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69
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Für die Entscheidung über den Antrag
auf Anerkennung einer Gesellschaft als Steuerberatungsgesellschaft
ist nach § 49 Abs. 3 Satz 1 StBerG die Steuerberaterkammer
zuständig, in deren Kammerbezirk die Gesellschaft ihren Sitz
hat.
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70
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2. Beurteilung des Streitfalls nach nationalem
Recht
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71
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Im Streitfall sind die Voraussetzungen des
§ 80 Abs. 5 AO für eine Zurückweisung der
Klägerin erfüllt.
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72
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a) Die Klägerin hat durch die Erstellung
und Mitwirkung bei der Abgabe der Umsatzsteuererklärung der
C-Ltd. geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen
geleistet, ohne hierzu befugt zu sein. Eine Befugnis ergibt sich
nicht aus § 3 Nr. 3 StBerG. Die Klägerin ist nicht nach
§ 32 Abs. 3 Satz 1 StBerG als Steuerberatungsgesellschaft
anerkannt. Einer solchen Anerkennung steht entgegen, dass die
Klägerin nicht von Steuerberatern verantwortlich geführt
wird.
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73
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b) Die Klägerin war auch nicht
gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 StBerG befugt, die
Steuererklärung zu erstellen und an das FA zu
übermitteln. § 3a StBerG dient der Umsetzung der
Richtlinie 2005/36/EG in Bezug auf die
geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen in
Deutschland durch Personen und Vereinigungen aus einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union.
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74
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Die Voraussetzungen des § 3a StBerG
für eine gelegentliche Hilfeleistung in Steuersachen auf
deutschem Hoheitsgebiet liegen jedoch nicht vor. Das FG hat nach
§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für den
Bundesfinanzhof (BFH) bindend festgestellt, dass die schriftliche
Meldung der Klägerin an die Steuerberaterkammer
Düsseldorf nicht den Anforderungen des § 3a Abs. 2 StBerG
entsprochen hat. Die Klägerin hat weder eine Bescheinigung
über eine rechtmäßige Niederlassung in den
Niederlanden (§ 3a Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 StBerG) noch einen
Nachweis über ihre Berufsqualifikation (§ 3a Abs. 2 Satz
3 Nr. 6 StBerG) noch einen Nachweis darüber vorgelegt, dass
sie ihren Beruf im Staat ihrer Niederlassung mindestens zwei Jahre
ausgeübt hat (§ 3a Abs. 2 Satz 3 Nr. 7 StBerG).
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75
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c) Da nach Auffassung des FG keine Befugnis
der Klägerin zur geschäftsmäßigen Hilfe in
Steuersachen besteht, hat es - aus seiner Sicht zu Recht - nicht
festgestellt, ob die Klägerin die konkrete Dienstleistung an
die C-Ltd. in Deutschland oder - wie von ihr geltend gemacht - in
den Niederlanden erbracht hat. Das FG hat auch keine ausreichenden
Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin in Deutschland
niedergelassen ist, weil die Geschäftsräume der A-Ltd.
eine ständige Präsenz der Klägerin begründen,
und deshalb die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit
gemäß Art. 49 ff. AEUV anzuwenden sind (vgl. Urteile
Kommission/Portugal, C-171/02, EU:C:2004:270, Rn. 24; Stoß
u.a., C-316/07 u.a., EU:C:2010:504, Rn. 59; Duomo Gpa u.a.,
C-357/10 u.a., EU:C:2012:283, Rn. 30).
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76
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d) Die Klägerin kann sich
möglicherweise mit Erfolg unmittelbar auf die
unionsrechtlichen Regelungen in Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG,
Art. 16 der Richtlinie 2006/123/EG oder Art. 56 AEUV berufen.
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77
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3. Vereinbarkeit mit Unionsrecht
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78
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Es bedarf der Klärung durch den EuGH, ob
es mit Unionsrecht vereinbar ist, die Dienstleistungsfreiheit durch
nationale Regelungen einzuschränken, nach denen Hilfeleistung
in Steuersachen geschäftsmäßig nur von hierzu
befugten Personen und Vereinigungen ausgeübt werden darf und
eine Steuerberatungsgesellschaft für die Befugnis einer
Anerkennung bedarf und von Steuerberatern verantwortlich
geführt werden muss. Die zu klärenden Fragen betreffen
den Fall, dass eine nach den Rechtsvorschriften eines
Mitgliedstaats gegründete Steuerberatungsgesellschaft im
Mitgliedstaat ihrer Niederlassung (Niederlassungsmitgliedstaat), in
dem die steuerberatende Tätigkeit nicht reglementiert ist,
eine Steuererklärung für einen Leistungsempfänger in
einem anderen Mitgliedstaat erstellt und an die Finanzbehörde
übermittelt, und in dem anderen Mitgliedstaat nationale
Vorschriften eine Reglementierung für diese Tätigkeit
vorsehen.
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79
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a) Der Vorlage steht nicht entgegen, dass das
FG noch nicht festgestellt hat, ob die Klägerin die konkrete
Dienstleistung - Erstellung und Übermittlung der
Umsatzsteuererklärung der C-Ltd. - tatsächlich im
Mitgliedstaat ihrer Niederlassung (Niederlande) erbracht hat und ob
sie auch in dem Mitgliedstaat des Leistungsempfängers
(Deutschland) niedergelassen ist.
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80
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In Anbetracht der Aufgabenverteilung zwischen
den nationalen Gerichten und dem EuGH wird nicht verlangt, dass das
vorlegende Gericht vor einer Vorlage an den EuGH sämtliche
Tatsachenerhebungen und die rechtliche Würdigung vornimmt, die
ihm im Rahmen seiner Rechtsprechungsaufgabe obliegen (vgl. Urteil
Winner Wetten, C-409/06, EU:C:2010:503, Rn. 39). Es reicht
vielmehr, dass sich der Gegenstand sowie diejenigen Punkte des
Ausgangsrechtsstreits, die für die Unionsrechtsordnung
hauptsächlich von Interesse sind, aus dem
Vorabentscheidungsersuchen ergeben, damit sich die Mitgliedstaaten
äußern und wirkungsvoll am Verfahren vor dem Gerichtshof
beteiligen können (vgl. Urteil Liga Portuguesa de Futebol
Profissional und Bwin International, C-42/07, EU:C:2009:519, Rn.
41).
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81
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Abgesehen davon, dass der BFH die fehlenden
Tatsachenfeststellungen nicht selbst nachholen könnte, ist es
nach dem derzeitigen Verfahrensstand möglich, dass das
für die Tatsachenfeststellung zuständige FG feststellt,
die Klägerin habe die fragliche Dienstleistung im
Niederlassungsmitgliedstaat (Niederlande) erbracht und sei im
Mitgliedstaat des Leistungsempfängers (Deutschland) nicht
niedergelassen. Von der Entscheidung des EuGH zu den gestellten
Rechtsfragen hängt es maßgebend ab, ob und
gegebenenfalls welche Feststellungen das FG nachzuholen haben
wird.
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82
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b) Zu Vorlagefrage 1
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83
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Die Vorlagefrage bezieht sich auf Art. 5 der
Richtlinie 2005/36/EG.
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84
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aa) Die Richtlinie 2005/36/EG hat nach ihrem
Art. 1 zum Gegenstand, die Vorschriften festzulegen, nach denen ein
Mitgliedstaat, der den Zugang zu einem reglementierten Beruf oder
dessen Ausübung in seinem Hoheitsgebiet an den Besitz
bestimmter Berufsqualifikationen knüpft, für den Zugang
zu diesem Beruf und dessen Ausübung die in einem anderen
Mitgliedstaat erworbenen Berufsqualifikationen anerkennt, die ihren
Inhaber berechtigen, dort denselben Beruf auszuüben (Urteil
Konstantinides, C-475/11 = SIS 14 04 47, EU:C:2013:542, Rn.
33).
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85
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Der Anwendungsbereich ergibt sich aus Art. 2
der Richtlinie 2005/36/EG. Die Richtlinie gilt für alle
Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die einen
reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in
dem sie ihre Berufsqualifikationen erworben haben, ausüben
wollen (Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG).
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86
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Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie
2005/36/EG können die Mitgliedstaaten die
Dienstleistungsfreiheit nicht aufgrund der Berufsqualifikationen
einschränken, wenn der Dienstleister rechtmäßig in
einem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem der Beruf
reglementiert ist (vgl. Urteil Kommission/Portugal, C-458/08,
EU:C:2010:692, Rn. 91). Ein solcher Dienstleister kann somit seine
Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat unter seiner
ursprünglichen Berufsbezeichnung erbringen, ohne dass er die
Anerkennung seiner Qualifikationen beantragen müsste. Ist der
fragliche Beruf im Niederlassungsmitgliedstaat nicht reglementiert,
so muss der Dienstleister zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen
(vgl. Urteil Kommission/Portugal, EU:C:2010:692, Rn. 91). Nach Art.
5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/36/EG gelten die Bestimmungen des
Titels II, also der Art. 5 bis 9 dieser Richtlinie nur für den
Fall, dass sich der Dienstleister zur vorübergehenden und
gelegentlichen Ausübung des Berufs nach Abs. 1 in den
Aufnahmemitgliedstaat begibt.
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87
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bb) Fraglich ist zunächst, ob Art. 5 der
Richtlinie 2005/36/EG im Fall einer dienstleistenden Gesellschaft
überhaupt anzuwenden ist. Dem könnte entgegenstehen, dass
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG eine Anwendung dieser
Richtlinie nur für Staatsangehörige und nicht für
Gesellschaften vorsieht. Es könnte jedoch sein, dass insoweit
auf die Personen abzustellen ist, die für die Gesellschaft
verantwortlich handeln.
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88
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cc) Weiter ist fraglich, ob Art. 5 der
Richtlinie 2005/36/EG Dienstleistungen erfasst, die eine
Gesellschaft im Niederlassungsmitgliedstaat erbringt, in dem der
ausgeübte Beruf nicht reglementiert ist, wenn der
Leistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat
ansässig ist, in dem die Tätigkeit an den Besitz
bestimmter Berufsqualifikationen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst.
a der Richtlinie 2005/36/EG gebunden ist.
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89
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Gegen eine Anwendung auf solche
Dienstleistungen spricht Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/36/EG.
Danach sollen die Bestimmungen über die
Dienstleistungsfreiheit nur für die Ausübung des
reglementierten Berufs in einem anderen Mitgliedstaat
(Aufnahmemitgliedstaat), also nicht für die Ausübung der
Tätigkeit im Niederlassungsmitgliedstaat gelten. Dies
könnte bedeuten, dass eine Dienstleistung ohne physischen
Grenzübertritt der für die Gesellschaft handelnden
Personen selbst bei Ausübung eines reglementierten Berufs
nicht unter Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG fällt. Die
Bestimmung wäre also für diesen Fall nicht anzuwenden.
Die Folge wäre, dass Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG einer
Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit unter den in der
Frage 1 genannten Umständen nicht entgegenstünde.
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c) Zu Vorlagefrage 2
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Die Vorlagefrage betrifft die Anwendung von
Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123/EG.
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aa) Ziel dieser Richtlinie ist die Schaffung
eines Rechtsrahmens, der die Niederlassungsfreiheit und den freien
Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten garantiert
(Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2006/123/EG). Diese
Richtlinie gilt nach Art. 2 Abs. 1 für Dienstleistungen, die
von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen
Dienstleistungserbringer angeboten werden. Erfasst werden u.a.
Dienstleistungen wie Rechts- oder Steuerberatung
(Erwägungsgrund 33 Satz 2 der Richtlinie 2006/123/EG).
Vorrangig ist nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d der Richtlinie
2006/123/EG die Richtlinie 2005/36/EG.
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Die Dienstleistungsfreiheit wird in Art. 16
der Richtlinie 2006/123/EG näher geregelt. Nach Abs. 1 dieser
Bestimmung achten die Mitgliedstaaten das Recht der
Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen
Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen. Der
Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird,
gewährleistet die freie Aufnahme und freie Ausübung von
Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets
(Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123/EG). Ausnahmen ergeben sich
aus Art. 17 der Richtlinie 2006/123/EG. Nach Art. 17 Nr. 6 der
Richtlinie 2006/123/EG ist Art. 16 dieser Richtlinie nicht
anzuwenden auf Angelegenheiten, die unter Titel II der Richtlinie
2005/36/EG fallen, sowie Anforderungen im Mitgliedstaat der
Dienstleistungserbringung, die eine Tätigkeit den
Angehörigen eines bestimmten Berufs vorbehalten. Die
Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit sollten in
Fällen, in denen eine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat im
Einklang mit dem Unionsrecht einem bestimmten Beruf vorbehalten
ist, keine Anwendung finden, z.B. wenn Rechtsberatung nur von
Juristen durchgeführt werden darf (Erwägungsgrund 88 der
Richtlinie 2006/123/EG).
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bb) Fraglich ist, ob sich eine
Steuerberatungsgesellschaft mit Erfolg auf Art. 16 der Richtlinie
2006/123/EG berufen kann, wenn die steuerberatende Tätigkeit
nicht im Niederlassungsmitgliedstaat, aber im Mitgliedstaat des
Leistungsempfängers reglementiert ist, und ob dies
unabhängig davon gilt, in welchem der beiden Mitgliedstaaten
sie die Dienstleistung erbringt.
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Erbringt die Steuerberatungsgesellschaft die
Dienstleistung im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung, könnte
Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG schon nach seinem
Wortlaut ausgeschlossen sein. Danach achten die Mitgliedstaaten das
Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem
anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu
erbringen. Dienstleistungen auf dem Gebiet des
Niederlassungsmitgliedstaats dürften deshalb nicht von Art. 16
der Richtlinie 2006/123/EG erfasst werden. Die Ausnahme von der
Dienstleistungsfreiheit nach Art. 17 Nr. 6 der Richtlinie
2006/123/EG wäre in diesem Fall nicht mehr zu prüfen.
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Für Dienstleistungen, die eine
Steuerberatungsgesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat als
demjenigen ihrer Niederlassung erbringt, könnte Art. 16 der
Richtlinie 2006/123/EG nach Art. 17 Nr. 6 dieser Richtlinie nicht
anzuwenden sein, weil die steuerberatende Tätigkeit in dem
Mitgliedstaat der Dienstleistungserbringung den Angehörigen
eines bestimmten Berufs vorbehalten ist.
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Eine solche Auslegung der Bestimmungen der
Richtlinie 2006/123/EG würde dazu führen, dass sich eine
Steuerberatungsgesellschaft unter den genannten Umständen
nicht auf die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 16 der Richtlinie
2006/123/EG berufen könnte.
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d) Zu Vorlagefrage 3
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aa) Die Vorlagefrage ergeht zu Art. 56 AEUV.
Fraglich ist, ob die Dienstleistungsfreiheit bei einer
geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen, die eine
nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründete
Gesellschaft im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung an einen
Leistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat erbringt,
durch nationale Regelungen des anderen Mitgliedstaats
eingeschränkt werden kann, wenn die Gesellschaft in dem
anderen Mitgliedstaat nicht niedergelassen ist.
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100
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bb) Die Richtlinie 2005/36/EG schließt,
selbst wenn insoweit eine abgeschlossene Rechtsharmonisierung auf
Unionsebene vorliegen würde, die Berufung auf den Grundsatz
des freien Dienstleistungsverkehrs in Art. 56 AEUV nicht aus, wenn
das Ausgangsverfahren nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie
2005/36/EG fällt (vgl. Urteil Konstantinides, EU:C:2013:542,
Rn. 43).
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cc) Art. 56 AEUV verlangt nach ständiger
Rechtsprechung nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des
Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des
Umstands, dass er in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist
als dem, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, sondern
auch die Aufhebung aller Beschränkungen - selbst wenn sie
unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie
für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten -, sofern sie
geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in
einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort
rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu
unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteil
Konstantinides, EU:C:2013:542, Rn. 44 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
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Zudem umfasst der Begriff der
Beschränkung insbesondere die von einem Mitgliedstaat
getroffenen Maßnahmen, die, obwohl sie unterschiedslos
anwendbar sind, den freien Dienstleistungsverkehr in den
übrigen Mitgliedstaaten berühren (vgl. Urteile
Konstantinides, EU:C:2013:542, Rn. 45, und Kommission/Italien,
C-565/08 = SIS 11 10 24, EU:C:2011:188, Rn. 46).
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Die Dienstleistungsfreiheit steht auch den
nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten
Gesellschaften zu, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre
Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union
haben (Art. 62, 54 Abs. 1 AEUV).
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dd) Die §§ 2 Satz 1, 3 Nr. 3, 32
Abs. 3 StBerG gelten zwar gleichermaßen für alle
Steuerberatungsgesellschaften, die geschäftsmäßig
Hilfe in Steuersachen leisten. Sie führen aber zu einer
Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs.
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Eine solche Beschränkung besteht, wenn
einem Dienstleister die Möglichkeit genommen wird, unter
Bedingungen eines normalen und wirksamen Wettbewerbs in den Markt
des Aufnahmemitgliedstaats einzutreten (vgl. Urteil
Kommission/Italien, EU:C:2011:188, Rn. 51). Die in Deutschland
geltenden Regelungen schließen es aus, dass eine nach den
Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegründete
Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat und
nicht von Steuerberatern verantwortlich geführt wird, in
Deutschland als Steuerberatungsgesellschaft anerkannt wird und
uneingeschränkt geschäftsmäßig Hilfe in
Steuersachen leisten kann. Die Befugnis zur
geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen entsteht
erst mit der Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft. Die
Anerkennung setzt den Nachweis voraus, dass die Gesellschaft von
Steuerberatern verantwortlich geführt wird, wobei als
Steuerberater nur bestellt werden darf, wer die Prüfung als
Steuerberater bestanden hat oder von dieser Prüfung befreit
worden ist (§§ 32 Abs. 3 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 1
StBerG). Für die Entscheidung über den Antrag auf
Anerkennung ist die Steuerberaterkammer zuständig, in deren
Kammerbezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 49 Abs. 3 Satz
1 StBerG).
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106
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Eine Gesellschaft, die keine Befugnis zur
geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen hat,
kann allenfalls nach § 3a StBerG zu vorübergehender und
gelegentlicher Hilfeleistung in Steuersachen auf dem Gebiet von
Deutschland befugt sein. § 3a StBerG erfasst aber nicht
Dienstleistungen, die eine Gesellschaft in einem anderen
Mitgliedstaat erbringt, ohne dass sich die für die
Gesellschaft handelnden Personen auf das Gebiet von Deutschland
begeben.
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ee) Zu klären ist, ob es gerechtfertigt
ist, die Dienstleistungsfreiheit für die
geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen, die eine
Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat aus leistet,
einzuschränken.
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108
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Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
kann eine nationale Regelung, die in einem Bereich erlassen worden
ist, der nicht Gegenstand einer Harmonisierung auf Unionsebene ist,
und die unterschiedslos für alle im betreffenden Mitgliedstaat
tätigen Personen oder Unternehmen gilt, trotz ihrer den freien
Dienstleistungsverkehr beschränkenden Wirkung gerechtfertigt
sein, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses
beruht und dieses Interesse nicht schon durch Vorschriften
geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat
unterliegt, in dem er niedergelassen ist, und wenn sie geeignet
ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu
gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was dazu
erforderlich ist (Urteil Jyske Bank Gibraltar, C-212/11,
EU:C:2013:270, Rn. 60).
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Zu den Zielen, die als zwingende Gründe
des Allgemeininteresses angesehen werden könnten und mit denen
sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs
rechtfertigen ließe, könnte das öffentliche
Interesse an der Einhaltung steuerlicher Regelungen und an der
Verhinderung von Steuerhinterziehung zählen. Diesen Zielen
dienen die nationalen Vorschriften der §§ 2 Satz 1, 3 Nr.
3, 32 Abs. 3 StBerG (vgl. Arbeitspapier der Europäischen
Kommission vom 2.10.2013, SWD(2013)402, Ziffer 4.4). Durch die
Beschränkung der Steuerberatungstätigkeit auf bestimmte
Personen und Gesellschaften soll sichergestellt werden, dass
Steuerpflichtige bei der Erfüllung ihrer steuerlichen
Pflichten qualifizierte Hilfe erhalten. Die Regelungen über
die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in
Steuersachen sind im Allgemeininteresse geboten; die mit der
Steuerberatung verbundenen Berufsaufgaben dienen der
Steuerrechtspflege, einem wichtigen Gemeinschaftsgut
(Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom
15.2.1967 1 BvR 569, 589/62, BVerfGE 21, 173, 179, und vom
27.1.1982 1 BvR 807/80, BStBl II 1982, 281, 286 = SIS 82 25 54).
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110
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Zudem sollen die Steuerpflichtigen vor
Nachteilen bewahrt werden, die ihnen dadurch entstehen können,
dass sie steuerlich von Personen beraten werden, die nicht die erforderliche berufliche oder
persönliche Qualifikation besitzen (vgl. BVerfG-Beschluss in
BStBl II 1982, 281, 286 = SIS 82 25 54). Das in § 3 StBerG verankerte Beratungsprivileg dient
deshalb zugleich den Interessen der Steuerpflichtigen, die als
Verbraucher Beratungsdienstleistungen in Anspruch nehmen. Der
Verbraucherschutz ist als Rechtfertigungsgrund für eine
Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit anerkannt (vgl.
Urteile Säger/Dennemeyer, C-76/90, EU:C:1991:331, Rn. 17, und
Konstantinides, EU:C:2013:542, Rn. 51).
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Die Regelungen in §§ 2 Satz 1, 3 Nr.
3, 32 Abs. 3 StBerG erscheinen im Hinblick auf die Komplexität
des deutschen Steuerrechts und die ständigen Änderungen
der steuerlichen Vorschriften als geeignet und erforderlich, um die
vorgenannten Ziele zu verfolgen.
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112
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4. Die dem EuGH vorgelegten Fragen sind
entscheidungserheblich.
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Sollte sich die Klägerin nicht mit Erfolg
auf die Bestimmungen in den Richtlinien 2005/36/EG und 2006/123/EG
berufen können und wären die §§ 2 Satz 1, 3 Nr.
3, 32 Abs. 3 StBerG unionsrechtskonform, wäre die
Zurückweisung der Klägerin rechtmäßig. Die
Revision wäre in diesem Fall als unbegründet
zurückzuweisen.
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114
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Für den Fall, dass sich die Klägerin
mit Erfolg auf die unionsrechtlich gewährleistete
Dienstleistungsfreiheit berufen könnte, wäre die Revision
begründet. Die Vorentscheidung des FG wäre aufzuheben und
der Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen. Das FG
müsste je nachdem, welche Entscheidung der EuGH zu den
gestellten Rechtsfragen trifft, die danach für die
Entscheidung der Streitsache erforderlichen Feststellungen
nachholen. Insbesondere müsste das FG, falls es nach der
Entscheidung des EuGH darauf ankommt, noch feststellen, ob die
Geschäftsräume der A-Ltd. in Deutschland eine
Niederlassung der Klägerin begründen. Wäre die
Klägerin in Deutschland niedergelassen, fiele sie in den
Geltungsbereich des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit, wie er
in Art. 49 AEUV definiert ist (vgl. Urteil Duomo Gpa u.a.,
EU:C:2012:283, Rn. 30). Wäre sie dagegen nicht in Deutschland
niedergelassen, so wäre sie ein grenzüberschreitender
Dienstleister, der unter den Grundsatz des freien
Dienstleistungsverkehrs nach Art. 56 AEUV fiele (vgl. Urteil
Kommission/Portugal, EU:C:2004:270, Rn. 24).
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5. Das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH
ist nach Art. 267 Abs. 3 AEUV erforderlich.
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6. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf
§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO.
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