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I. Der im Streitfall vom Finanzgericht (FG)
vernommene Zeuge S wurde im August 2011 vom Amtsgericht (AG) wegen
gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt. Der
Verurteilung lag (u.a.) der Verkauf von insgesamt 190 Stangen
unverzollter und unversteuerter Zigaretten im August und September
2007 durch S an D zugrunde. Für die insoweit entstandene
Abgabenschuld (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) nahm der
Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt - HZA - ) den
Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) als Haftenden
gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) mit der
Begründung in Anspruch, dieser habe das Kaufgeschäft
vermittelt und damit den Tatbestand der Steuerhehlerei des §
374 Abs. 1 AO erfüllt.
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Auf die hiergegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das FG den angefochtenen
Steuerhaftungsbescheid auf. Eine Beteiligung des Klägers am
Verkauf der Zigaretten habe sich nicht feststellen lassen. Zum
einen habe das AG in dem Strafurteil lediglich den Verkauf der
Zigaretten durch S an D, nicht jedoch eine Beteiligung des
Klägers daran festgestellt. Zum anderen habe der Zeuge S zwar
in seiner Vernehmung eingeräumt, zweimal unverzollte und
unversteuerte Zigaretten an D verkauft zu haben, jedoch behauptet,
der Kläger habe damit nichts zu tun gehabt. Die Protokolle
über eine im Jahr 2007 durchgeführte
Telefonüberwachung (TÜ-Protokolle), auf die das HZA seine
Behauptung der Beteiligung des Klägers am Kaufgeschäft
stütze, seien nicht verwertbar. § 100a der
Strafprozessordnung (StPO) habe in seiner Fassung des Jahres 2007
(StPO a.F.), als für den Streitfall Erkenntnisse durch die
Telefonüberwachung gewonnen worden seien, Steuerstraftaten der
AO nicht erfasst. Einige dieser Strafvorschriften seien erst durch
das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung
... (TKÜNReglG) vom 21.12.2007 (BGBl I 2007, 3198) mit Wirkung
ab dem 1.1.2008 in § 100a StPO eingefügt worden. Aus der
durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20.12.2007 (BGBl
I 2007, 3150) in die AO aufgenommenen Vorschrift des § 393
Abs. 3 lasse sich nichts anderes herleiten, da diese
rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen
gewonnene Erkenntnisse voraussetze und daher keine Erkenntnisse aus
Zeiträumen erfasse, in denen für seinerzeit noch nicht in
§ 100a StPO aufgeführte Steuerstraftaten ein
Verwertungsverbot bestanden habe.
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Hiergegen richtet sich die
Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die
Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1
und 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) stützt. Das HZA
hält es für klärungsbedürftig, ob die
Finanzbehörde vor dem Inkrafttreten der Neufassung des §
100a StPO gewonnene Ermittlungsergebnisse in noch nicht
abgeschlossenen Besteuerungsverfahren verwenden dürfe. Nach
Ansicht des HZA hat das FG diese Frage zu Unrecht verneint und
deshalb die Protokolle über die Telefonüberwachung
verfahrensfehlerhaft nicht als Beweismittel zugelassen.
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die
geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Die für den Streitfall
maßgebenden Rechtsfragen der Verwertung von Erkenntnissen aus
einer Telefonüberwachung im Besteuerungsverfahren sind nicht
klärungsbedürftig, sondern lassen sich anhand der
Vorschriften der AO und der StPO sowie der einschlägigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eindeutig
beantworten.
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Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und
Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen durch eine
Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse gehören,
dürfen nach § 393 Abs. 3 Satz 2 AO von der
Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren verwendet werden,
soweit sie diese rechtmäßig im Rahmen eigener
strafrechtlicher Ermittlung gewonnen hat oder soweit nach den
Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt
werden darf.
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Die seitens der Beschwerde formulierte und
für klärungsbedürftig gehaltene Frage, „ob
die Finanzbehörde Erkenntnisse, die sie [vor dem Inkrafttreten
des TKÜNReglG und des JStG 2008] rechtmäßig im
Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, in noch nicht
abgeschlossenen Fällen im Besteuerungsverfahren verwenden
darf“, stellt sich im Streitfall nicht, denn die
Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen, die das HZA im Streitfall
als Beweismittel verwenden will, stammen nicht - wie es der 1.
Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 AO entspräche - aus
eigenen strafrechtlichen Ermittlungen, sondern beruhen - wie sich
aus dem angefochtenen FG-Urteil ergibt - auf vom AG auf Antrag der
Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahmen zur
Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100a
Abs. 1 Nr. 2 StPO a.F., denen nach den in der Akte befindlichen
TÜ-Protokollen der Verdacht auf Bandendiebstahl zugrunde
lag.
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Gemäß der 2. Alternative des §
393 Abs. 3 Satz 2 AO dürfen daher die Erkenntnisse aus den
TÜ-Protokollen im Besteuerungsverfahren gegen den Kläger
nur verwendet werden, soweit nach den Vorschriften der StPO den
Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf. Wie auch das HZA
in seiner Beschwerdebegründung ausführt, sind insoweit
§ 474 Abs. 2 und § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO
einschlägig. Auskünfte aus Strafverfahren an die
Finanzbehörden zur Feststellung eines Haftungsanspruchs wegen
einer begangenen Steuerhehlerei (§ 71 AO) sind zwar
gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO i.V.m. §
116 AO grundsätzlich zulässig, unterliegen aber den
besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung
gemäß § 477 StPO (Meyer-Goßner/Schmitt,
Strafprozessordnung, 55. Aufl., § 477 Rz 1. Julius/Temming,
Strafprozessordnung, 4. Aufl., § 477 Rz 1).
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Nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfen
aufgrund einer nur bei Verdacht bestimmter Straftaten
zulässigen Maßnahme erlangte personenbezogene Daten ohne
Einwilligung des Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen
Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet
werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach
der StPO hätte angeordnet werden dürfen. Die
Voraussetzungen einer Informationsübermittlung nach dieser
Vorschrift sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar erscheint es
zweifelhaft, ob die Auskunftserteilung im Streitfall bereits
deshalb unzulässig ist, weil die Erkenntnisse aus den
TÜ-Protokollen nicht zu Beweiszwecken in einem anderen
Strafverfahren, sondern zum Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in
einem Besteuerungsverfahren verwendet werden sollen, denn §
393 Abs. 3 AO, der im Besteuerungsverfahren gerade der Verwertung
der dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegender
Erkenntnisse aus dem Strafverfahren dienen soll, liefe dann
weitgehend leer.
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Jedenfalls steht aber § 477 Abs. 2 Satz 2
StPO der Verwertung sog. Zufallserkenntnisse aus einer
Telefonüberwachung zu Beweiszwecken entgegen, wenn sich diese
Erkenntnisse nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a StPO
beziehen (Julius/ Temming, a.a.O., § 477 Rz 5). Daher
könnten im Streitfall die aus der Telefonüberwachung
gewonnenen Erkenntnisse nicht in einem gegen den Kläger
geführten Strafverfahren wegen Steuerhehlerei verwendet
werden, weil dieser Straftatbestand in § 100a StPO nicht
aufgeführt ist. Die Verwertung solcher sich nicht auf
Katalogtaten beziehenden Zufallserkenntnisse für Zwecke des
Besteuerungsverfahrens unterliegt keinen geringeren Anforderungen.
Insoweit ist zwar nach dem BGH-Urteil vom 27.11.2008 3 StR 342/08
(BGHSt 53, 64) auf die aktuelle Rechtslage, d.h. auf § 100a
StPO in seiner derzeitigen Fassung und nicht in der im Jahr 2007
geltenden Fassung abzustellen. Auch nach der aktuellen Fassung des
§ 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO sind jedoch Maßnahmen
zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf
Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 AO, also beim
Verdacht gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung
zulässig. Dass ein derartiger Verdacht gegen den Kläger
besteht, ist weder seitens des HZA vorgetragen noch ersichtlich.
Das HZA hat den Steuerhaftungsbescheid auf den Tatbestand der
Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO
gestützt.
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Für die Zulässigkeit einer
Informationsübermittlung zu präventiven Zwecken
gemäß § 477 Abs. 2 Satz 3 StPO bestehen ebenfalls
keine Anhaltspunkte.
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2. Aus alledem folgt, dass das FG im
Streitfall die Verwertung der TÜ-Protokolle als Beweismittel
zu Recht abgelehnt hat, das Urteil beruht nicht auf einem
Verfahrensmangel.
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