1
|
I. Streitig ist, ob die Festsetzungsfrist
für die Einkommensteuer des Streitjahres 2002 abgelaufen
ist.
|
|
|
2
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erteilte den Klägern und
Revisionsklägern (Kläger) im Mai des Streitjahres 2002
für die Jahre 2001 bis 2003 eine
Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
des Einkommensteuergesetzes (EStG).
|
|
|
3
|
Der Kläger erhielt im Streitjahr 2002
von seiner ehemaligen Arbeitgeberin einen Betrag von insgesamt
119.065,88 EUR (= 232.872,62 DM), von dem die Arbeitgeberin keinen
Lohnsteuerabzug vornahm.
|
|
|
4
|
Nachdem das FA aufgrund einer
Kontrollmitteilung vom 4.2.2009 hiervon erfahren und es die
Kläger deshalb noch in demselben Jahr vergeblich zur Abgabe
einer Einkommensteuererklärung aufgefordert hatte, setzte es
gegenüber den Klägern unter Schätzung der
Besteuerungsgrundlagen die Einkommensteuer mit Bescheid vom
23.12.2009 für das Streitjahr 2002 fest. Dabei veranlagte es
die Kläger zusammen und ging insbesondere davon aus, dass es
sich bei den Zahlungen der Arbeitgeberin um Einnahmen aus
nichtselbständiger Arbeit handele. Aufgrund einer Verwechslung
von DM- und Euro-Beträgen setzte es insoweit irrtümlich
Einnahmen in Höhe von 232.872,62 EUR statt in Höhe von
119.065,88 EUR an.
|
|
|
5
|
Die hiergegen erhobenen Einsprüche
blieben erfolglos. Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage machten die
Kläger geltend, für den Veranlagungszeitraum 2002 sei
wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist eine Festsetzung der
Einkommensteuer nicht mehr zulässig gewesen. Überdies
wandten sie sich gegen die Höhe der vom FA geschätzten
Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.
|
|
|
6
|
Noch vor Abschluss des Klageverfahrens
reichten die Kläger im Jahr 2011 die
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2002 ein. In
dieser wurden insbesondere Einnahmen aus nichtselbständiger
Arbeit des Klägers in Höhe von 119.065,88 EUR
erklärt. Das FA erließ am 18.1.2012 einen entsprechend
geänderten Einkommensteuerbescheid.
|
|
|
7
|
Die Klage, mit der die Kläger im
Wesentlichen noch den Ablauf der Festsetzungsfrist geltend machten,
hat das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2012, 1323 = SIS 12 20 44
veröffentlichten Gründen abgewiesen.
|
|
|
8
|
Mit ihrer Revision rügen die
Kläger die Verletzung von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der
Abgabenordnung (AO).
|
|
|
9
|
Sie beantragen sinngemäß, das
Urteil des FG, den Einkommensteueränderungsbescheid für
2002 vom 18.1.2012 sowie den Einkommensteuerbescheid für 2002
vom 23.12.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.3.2010
aufzuheben.
|
|
|
10
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit
zur Stellungnahme.
|
|
|
12
|
Zu Recht hat das FG erkannt, dass dem Erlass
des Schätzungsbescheids zur Einkommensteuer 2002 sowie des
später ergangenen Einkommensteueränderungsbescheids nicht
die Festsetzungsverjährung entgegenstand.
|
|
|
13
|
1. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1
AO ist eine Steuerfestsetzung unzulässig, wenn die
Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies ist hier nicht der Fall.
|
|
|
14
|
a) Die Festsetzungsfrist beginnt
grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer
entstanden ist (§ 170 Abs. 1 1. Alt. AO). Dies wäre der
Ablauf des Jahres 2002, nämlich der Ablauf des Jahres der
Entstehung des Steueranspruchs (vgl. § 38 AO i.V.m. § 36
Abs. 1 EStG).
|
|
|
15
|
b) Allerdings waren die zusammen zur
Einkommensteuer veranlagten Kläger wegen der Höhe des dem
Kläger zugeflossenen und nicht lohnversteuerten Arbeitslohns
zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 2002 verpflichtet
(§ 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung).
|
|
|
16
|
aa) Ist eine Steuererklärung
einzureichen, beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO vorbehaltlich eines späteren Beginns nach
§ 170 Abs. 1 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Erklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf
des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem
die Steuer entstanden ist.
|
|
|
17
|
Da die streitbefangene Einkommensteuer mit
Ablauf des Jahres 2002 entstanden ist und die Kläger erst
während des Klageverfahrens im Jahr 2011 eine
Einkommensteuererklärung einreichten, begann die
Festsetzungsfrist abweichend von § 170 Abs. 1 1. Alt. AO mit
Ablauf des Jahres 2005 und endete mithin - bei einer
vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 169
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO und vorbehaltlich einer Ablaufhemmung nach
§ 171 AO - frühestens mit Ablauf des Jahres 2009.
|
|
|
18
|
bb) Die Erteilung einer
Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
EStG beendet im Gegensatz zur Einreichung einer
Steuererklärung nicht die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO.
|
|
|
19
|
aaa) § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll
verhindern, dass die Festsetzungsfrist schon beginnt, bevor die
Finanzbehörde etwas vom Entstehen des Steueranspruchs erfahren
hat. Der Steuerpflichtige soll nicht durch einen Verstoß
gegen seine Erklärungspflicht die der Finanzbehörde zur
Verfügung stehende Zeit zur Prüfung des Steuerfalls
verkürzen können (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 29.1.2003 I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687 = SIS 03 32 15, m.w.N.).
|
|
|
20
|
bbb) Unter Berücksichtigung dieses
Normzwecks kann die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung
(§ 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) nicht an die Stelle einer
fehlenden Steuererklärung treten.
|
|
|
21
|
Die zur Abstandnahme vom Steuerabzug bei
bestimmten Kapitalerträgen erteilte
Nichtveranlagungs-Bescheinigung entfaltet nach § 44a Abs. 1
Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG ihre Rechtswirkung bei der
Entstehung der Kapitalertragsteuer, d.h. bei Zufluss der
Kapitalerträge an den Gläubiger (§ 44 Abs. 1 Satz 2
EStG). Da der sich auch auf diese Kapitalerträge erstreckende
Einkommensteueranspruch erst danach, nämlich mit Ablauf des
Veranlagungszeitraums entsteht (vgl. § 38 AO i.V.m. § 36
Abs. 1 EStG), kann das FA im Zeitpunkt der Erteilung der
Nichtveranlagungs-Bescheinigung das Entstehen des
Einkommensteueranspruchs nicht verlässlich beurteilt
haben.
|
|
|
22
|
Der bereits deswegen lediglich vorläufige
Charakter der Nichtveranlagungs-Bescheinigung (vgl.
BFH-Urteil vom 16.10.1991 I R 65/90,
BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322 = SIS 92 07 93) folgt zudem daraus, dass diese aufgrund
der bloß voraussichtlichen Einkommensverhältnisse
gewährt wird (§ 44a Abs. 1 Nr. 2 EStG), nur unter dem
Vorbehalt des Widerrufs ausgestellt wird (§ 44a Abs. 2 Satz 2
EStG) und zurückzugeben ist, wenn das FA sie
zurückfordert oder der Gläubiger den Wegfall der
Voraussetzungen für ihre Erteilung erkennt (§ 44a Abs. 2
Satz 4 EStG).
|
|
|
23
|
cc) Der Schätzungsbescheid zur
Einkommensteuer vom 23.12.2009 ist damit innerhalb einer
Festsetzungsfrist von vier Jahren ergangen.
|
|
|
24
|
c) Überdies ist der
Einkommensteueränderungsbescheid vom 18.1.2012 nicht
festsetzungsverjährt.
|
|
|
25
|
Denn selbst bei einer Festsetzungsfrist von
vier Jahren wäre ihr Ablauf nach § 171 Abs. 3a AO
gehemmt. Nach § 171 Abs. 3a Satz 1 AO läuft in dem Fall,
dass ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage
angefochten wird, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über
den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist; dies gilt auch, wenn
der Rechtsbehelf erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt
wird. Mithin konnte der von den Klägern angegriffene
Schätzungsbescheid zur Einkommensteuer während des
Klageverfahrens geändert werden.
|
|
|
26
|
d) Da die Festsetzungsfrist damit selbst bei
einer nur vierjährigen Festsetzungsfrist gewahrt ist, kann der
Senat dahinstehen lassen, ob im Streitfall die Voraussetzungen
einer zehnjährigen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2
Satz 2 AO gegeben sind.
|
|
|
27
|
2. Zu Recht streiten die Beteiligten nicht
über die materielle Rechtmäßigkeit des
Einkommensteueränderungsbescheids vom 18.1.2012, der nach
§ 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist.
Der erkennende Senat sieht daher von weiteren Ausführungen
ab.
|