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I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte gegen den Kläger und
Revisionskläger (Kläger) Aussetzungszinsen in Höhe
von 168 EUR fest. Dagegen erhob der Kläger Einspruch. Das FA
forderte den Kläger mit Schreiben vom 18.3.2009 auf, seinen
Einspruch zu begründen und teilte im Übrigen mit, die
Überprüfung nach § 367 Abs. 2 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO) habe ergeben, dass die Zinsen verbösernd
auf 1.181 EUR festgesetzt werden müssten. In dem Schreiben
heißt es u.a. wörtlich:
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„Bitte reichen Sie die erforderliche
Einspruchsbegründung bis zum 15.4.2009 nach. ...
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Ich bitte um Prüfung und Antwort bis
zum 15.4.2009.
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Ich rege an, dass Sie den Einspruch bis zum
15.4.2009 schriftlich zurücknehmen.“
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Mit Schreiben vom 26.3.2009 begründete
der Kläger seinen Einspruch mit einem Satz. Außerdem bat
er um Mitteilung, wie die Aussetzungszinsen ermittelt worden seien.
Die Zinsfestsetzung sei für ihn nicht nachvollziehbar. Deshalb
sei auch eine Einspruchsbegründung
„naturgemäß“ nicht möglich. Ferner
beantragte der Kläger den Erlass der Aussetzungszinsen sowie
die Aussetzung der Vollziehung (AdV).
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Am 30.3.2009 wies das FA den Einspruch
zurück und setzte die Aussetzungszinsen auf 1.181 EUR fest. In
der Einspruchsentscheidung heißt es u.a. wörtlich:
„Die Einwendungen des Ef. sind unverständlich, im
Übrigen jedenfalls vollständig unzutreffend. Sie dienen
offensichtlich nur der Vermeidung der Bestandskraft der
Zinsfestsetzung.“
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Mit Schreiben vom 15.4.2009, bei dem FA
eingegangen am 16.4.2009, erklärte der Kläger, er
könne zwar den Sachverhalt nicht verstehen, folge jedoch der
Anregung des FA und nehme den Einspruch zurück. Die
Einspruchsentscheidung sei aufzuheben. Das FA lehnte die Aufhebung
ab und erklärte, die Rücknahme des Einspruchs gehe ins
Leere.
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Dagegen hat der Kläger Klage erhoben,
die das Finanzgericht (FG) mit seinem in EFG 2010, 1006 = SIS 10 16 64 veröffentlichten Urteil abgewiesen hat.
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Dagegen richtet sich die Revision, mit der
der Kläger die Verletzung von Bundesrecht (Grundsatz von Treu
und Glauben) rügt.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Vorentscheidung sowie die
Einspruchsentscheidung vom 30.3.2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt, die Revision als
unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet
zurückzuweisen.
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Die Beteiligten haben übereinstimmend
auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung
verzichtet.
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II. Die Revision ist zulässig und
begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur
Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - hier: Aufhebung der verbösernden
Einspruchsentscheidung).
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1. Das FG hat zur Begründung
ausgeführt, der Kläger habe den Einspruch nicht
rechtzeitig zurückgenommen. Aus dem Schreiben des Klägers
vom 26.3.2009 habe das FA nur folgern können, dass der
Kläger endgültig an seinem Einspruch festhalte. Danach
sei das FA an die von ihm selbst gesetzte Frist nicht mehr gebunden
gewesen.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Die Einspruchsentscheidung ist
rechtswidrig, weil sie vor Ablauf der von dem FA selbst gesetzten
Frist erlassen worden ist. Das FG hat dies verkannt. Sein Urteil
ist deswegen aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst
entscheiden; die Klage ist begründet. Die im Streitfall unter
Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vorzeitig
erlassene (verbösernde) Einspruchsentscheidung ist
aufzuheben.
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a) Hat das FA im Einspruchsverfahren eine
Frist bestimmt, bis zu der es dem Steuerpflichtigen möglich
sein soll, bei Vermeidung der zugleich angedrohten Verböserung
den Einspruch zurückzunehmen, so kann ein Verstoß gegen
Treu und Glauben vorliegen, wenn es gleichwohl vor Ablauf der
selbst gesetzten Frist die (verbösernde)
Einspruchsentscheidung erlässt.
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aa) Der im Steuerrechtsverhältnis,
einschließlich des Verfahrensrechts uneingeschränkt zu
beachtende Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es u.a., auf die
schutzwürdigen Belange des jeweils anderen Teils
Rücksicht zu nehmen und sich insbesondere nicht zu seinem
früheren Verhalten in Widerspruch zu setzen (vgl. nur Urteil
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30.3.2011 XI R 30/09, BFHE 233,
18, BStBl II 2011, 613 = SIS 11 16 25, m.w.N.). Schutzwürdig
ist der andere Teil, wenn er im berechtigten Vertrauen disponiert
oder Dispositionen unterlassen hat (vgl. BFH-Urteil vom 9.8.1989 I
R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990 = SIS 89 22 56). Eine
vom FA im Verfahren selbst gesetzte Frist muss beachtet werden.
Widerspruchsfrei verhält sich die Behörde nur, wenn sie
vor ihrer Entscheidung den Ablauf der selbst gesetzten Frist
abwartet, denn die Fristbestimmung schließt die Zusage ein,
dass vor Ablauf der Frist nicht entschieden wird.
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bb) Schutzwürdig ist der
Steuerpflichtige, wenn er aus der maßgeblichen Sicht eines
objektiven Beteiligten mit einer Entscheidung der
Finanzbehörde vor Ablauf der Frist nicht rechnen musste und
wenn er sein Verhalten darauf eingestellt hatte. Dazu genügt
es, wenn er eine abschließende Äußerung noch nicht
abgegeben hat, denn Fristen dürfen ausgeschöpft werden
(vgl. BFH-Beschluss vom 8.7.2011 III B 7/10, BFH/NV 2011, 1895 =
SIS 11 33 36). Anders wäre die Rechtslage, wenn der
Steuerpflichtige durch sein Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben
hätte, dass er entweder von der ihm eingeräumten
Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch machen werde
oder hiervon bereits abschließend Gebrauch gemacht habe. Ob
dies der Fall ist, bestimmt sich nach Maßgabe der
Grundsätze über die Auslegung von Willenserklärungen
aus dem objektiven Empfängerhorizont.
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b) Nach diesen Grundsätzen war das FA im
Streitfall nicht berechtigt, von der selbst gesetzten Frist
abzuweichen und schon vor Fristablauf die verbösernde
Einspruchsentscheidung zu erlassen.
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aa) Anders als das FG meint, hatte der
Kläger nicht eindeutig zu erkennen gegeben, von der
Gelegenheit zur Äußerung und Begründung des
Einspruchs keinen Gebrauch mehr machen zu wollen. Zwar hat der
Kläger innerhalb der Frist eine Erklärung abgegeben, aus
der sich ergeben könnte, dass er von weiteren
Äußerungen innerhalb der Frist absehen werde. Diese
Schlussfolgerung, die das FG gezogen hat, ist jedoch mit dem
eindeutigen Inhalt jenes Schreibens nicht in Übereinstimmung
zu bringen und kann den Senat deshalb nicht binden (§ 118 Abs.
2 FGO). Die Auslegung des Schreibens ergibt vielmehr, dass sich der
Kläger eine abschließende Begründung des Einspruchs
im Verfahren vorbehalten hatte.
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Dafür spricht vor allem, dass der
Kläger angesichts der divergierenden Berechnungen im
ursprünglichen Zinsbescheid und in dem Schreiben vom 18.3.2009
ausdrücklich, wenn auch „hilfsweise“ um
Erläuterung der Berechnung gebeten und darauf hingewiesen
hatte, dass ihm vorher „naturgemäß“
die Begründung des Einspruchs nicht möglich sei. Diese
Formulierungen können nur so verstanden werden, dass sich der
Kläger für den Fall nachträglicher Erläuterung
der Berechnungsgrundlagen eine abschließende Stellungnahme
vorbehalten wollte. Angesichts dessen kann weder aus der
einleitenden Formel („unseren o.g. Einspruch
begründen wir wie folgt“) noch aus dem einzigen
Begründungssatz oder den abschließenden Anträgen
auf Erlass der Zinsen und AdV mit der erforderlichen Sicherheit
geschlossen werden, dass sich der Kläger innerhalb der Frist
zum Verfahren nicht mehr äußern werde.
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bb) Entsprechendes gilt für die Frage, ob
der Kläger von der Möglichkeit, den Einspruch innerhalb
der Frist zurückzunehmen, noch Gebrauch machen wollte. Da dem
Kläger wegen fehlender Informationen eine abschließende
Begründung des Einspruchs noch nicht möglich erschien,
kann sein Schreiben (mit der Bitte um Erläuterung der
Berechnungsweise) nur so verstanden werden, dass er sich im
Hinblick auf die erbetenen Informationen auch die Rücknahme
des Einspruchs noch offenhalten wollte.
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c) Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil wird deshalb
aufgehoben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Der im
vorzeitigen Erlass der Einspruchsentscheidung liegende
Verstoß gegen Treu und Glauben hat zur Folge, dass die
Einspruchsentscheidung aufgehoben werden muss, weil der
Verfahrensmangel sonst ohne rechtliche Sanktion wäre.
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aa) Dem steht § 127 AO nicht entgegen.
Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes
nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung
von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist,
wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen
werden können. Zwar ist die Einspruchsentscheidung ein
Verwaltungsakt und findet § 127 AO auch im Einspruchsverfahren
grundsätzlich Anwendung (§ 365 Abs. 1 AO). Die Wertung
des § 127 AO, die einen Vorrang der materiellen Richtigkeit
vor dem Verfahrensrecht postuliert, schlägt aber nicht durch
in Fällen der Verböserung von Steuerbescheiden im
Einspruchsverfahren. Der mit dem Einspruch angefochtene
Verwaltungsakt darf zum Nachteil des Einspruchsführers nur
geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer
verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen
hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu
äußern (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Pflicht zur
vorherigen Anhörung bringt es mit sich, dass die
Verböserung durch die jederzeit mögliche
Einspruchsrücknahme (§ 362 AO) vermieden werden kann.
Durch die einseitige Erklärung, den Einspruch
zurückzunehmen, kann der Steuerpflichtige das
Rechtsbehelfsverfahren sofort beenden mit der Folge, dass eine
Einspruchsentscheidung nicht mehr ergehen darf. Dadurch wird unter
Umständen eine materiell unrichtige Entscheidung
bestandskräftig. Das Gesetz räumt damit der
Gewährung des rechtlichen Gehörs und dem Verfahrensrecht
in dieser Situation ausnahmsweise den Vorrang ein vor der
materiellen Richtigkeit der Entscheidung. Unterbleibt die in §
367 Abs. 2 Satz 2 AO vorgesehene Anhörung, führt dies zur
isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung wegen eines
wesentlichen Verfahrensmangels (vgl. nur BFH-Beschluss vom 3.7.2012
IX B 37/12, BFH/NV 2012, 1630 = SIS 12 24 64).
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bb) Diese Wertung ist auf den vorliegenden
Fall übertragbar. Der Verstoß des FA gegen den
rechtsstaatlichen Grundsatz von Treu und Glauben führt bei
beabsichtigter Verböserung im Einspruchsverfahren abweichend
von dem Grundsatz des § 127 AO als wesentlicher
Verfahrensmangel ebenfalls zur isolierten Aufhebung der
Einspruchsentscheidung. Andernfalls bliebe der
Verfahrensverstoß sanktionslos; das wäre mit der Wertung
des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO nicht vereinbar.
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