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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) bezog laufend Kindergeld für seine im August
1985 geborene Tochter T. T begann im Anschluss an ihre
Schulausbildung im September 2005 eine Ausbildung zur
Reiseverkehrskauffrau. Neben ihrer Ausbildungsvergütung und
weiteren Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus einer
Aushilfstätigkeit im elterlichen Betrieb erhielt sie von der
Unfallkasse aufgrund eines im Jahr 2000 erlittenen Sportunfalls
eine Verletztenrente in Höhe von monatlich 199,50 EUR wegen
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 25
%. Die zunächst zum 1.8.2005 eingestellte Rentenzahlung wurde
aufgrund eines erfolgreichen Widerspruchs ab Dezember 2005 wieder
aufgenommen, für den Zeitraum August bis November 2005 wurde
eine Nachzahlung in Höhe von 798 EUR im November 2005
geleistet.
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Mit Bescheid vom 18.8.2006 hob die Beklagte
und Revisionsklägerin (Familienkasse) die
Kindergeldfestsetzung für T für den Zeitraum Januar bis
Dezember 2005 wegen Überschreitens des Grenzbetrags des §
32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes nach der im
Streitzeitraum 2005 geltenden Fassung (EStG) auf.
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Im erfolglosen Einspruchsverfahren berief
sich der Kläger darauf, bei Einbeziehung eines
behinderungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe des
Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b Abs. 3 EStG ergäbe
sich, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge von T
unschädlich für die Gewährung des Kindergeldes
seien.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Nach seinen Feststellungen beliefen sich die Einkünfte und
Bezüge von T im Jahr 2005 auf 7.750,93 EUR. Es war daher der
Ansicht, dass zwar eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG im Hinblick auf den
überschrittenen Jahresgrenzbetrag nicht in Betracht komme. Das
FG sah jedoch die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
EStG im Streitfall als erfüllt an.
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Mit ihrer Revision rügt die
Familienkasse eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
EStG, da nicht die geringfügige Behinderung von T
ursächlich dafür sei, dass sie sich nicht selbst
unterhalten könne. Vielmehr sei das niedrige Niveau der
Ausbildungsvergütung zumindest mitursächlich.
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Die Familienkasse beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.
Das FG hat den Kindergeldanspruch des Klägers für die
Monate Januar bis Dezember 2005 im Ergebnis zu Recht bejaht.
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1. Für ein über 18 Jahre altes Kind,
das - wie T im Jahr 2005 - das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet
hatte, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen
Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der
Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und
Bezüge den für den Streitzeitraum maßgeblichen
Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR im Kalenderjahr nicht
übersteigen.
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a) Zu Unrecht hat das FG die Voraussetzungen
des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG allein deshalb
verneint, weil es die von der Unfallkasse als Träger der
gesetzlichen Unfallversicherung an T gezahlte Verletztenrente
(§ 56 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VII - ) in
vollem Umfang bei der Jahresgrenzbetragsberechnung nach § 32
Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt hat.
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b) Die nach § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG
steuerfreie sog. Verletztenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung gehört zwar zunächst in vollem Umfang
zu den Bezügen (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15.10.1999 VI
R 182/98, BFHE 189, 457, BStBl II 2000, 79 = SIS 00 01 15, unter
II. 4. c). Sie ist jedoch nur insoweit zur Bestreitung des
Unterhalts bestimmt oder geeignet, als sie die Aufwendungen
für therapeutische Maßnahmen übersteigt, die dem
Betroffenen als Folge des Unfalls entstanden sind (ausführlich
Senatsurteil vom 17.12.2009 III R 74/07, BFHE 228, 72, BStBl II
2010, 552 = SIS 10 05 34).
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Die Verletztenrente soll den Mehrbedarf durch
die bleibenden Verletzungen aufgrund des Unfalls und den
Einnahmenverlust aufgrund der geminderten Erwerbsfähigkeit
ausgleichen. Entstehen dem Kind Kosten für Maßnahmen zur
Behebung von körperlichen oder psychischen Schäden
aufgrund eines Unfalls, für die nach den Regelungen der
gesetzlichen Unfallversicherung keine Erstattung vorgesehen ist,
steht die Verletztenrente dem Kind insoweit nicht für den
Unterhalt zur Verfügung. Da die Verletztenrente auch gezahlt
wird, um den aufgrund des Unfalls entstehenden Mehrbedarf
auszugleichen, ist sie nur zum Unterhalt und zur Berufsausbildung
bestimmt oder geeignet, soweit die Rentenzahlungen die Kosten
übersteigen, die zum Ausgleich der Mehraufwendungen und zur
Wiederherstellung der durch den Unfall verursachten
gesundheitlichen Schäden angefallen sind (vgl. Senatsurteil in
BFHE 228, 72, BStBl II 2010, 552 = SIS 10 05 34, m.w.N.).
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c) Werden die Kosten für Maßnahmen
zur Behebung der aufgrund des Unfalls erlittenen Schäden nicht
im Einzelnen nachgewiesen, so kann auch hier der dem Kind
zustehende Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3
EStG als Anhalt für den unfallbedingten Mehrbedarf dienen.
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Behindert ist ein Mensch, wenn seine
körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische
Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs
Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht
und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch - SGB IX - ). Dies ist auch der Fall, wenn jemand
- wie vorliegend T - als Folge eines Arbeitsunfalls in seiner
Erwerbsfähigkeit gemindert ist und deshalb seit Jahren eine
Verletztenrente i.S. des § 56 SGB VII bezieht. Die
Feststellung des Grades der MdE gilt insoweit zugleich als
Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) (§ 69 Abs. 2 SGB
IX).
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Ab einem GdB von 25 werden auch sog. Leicht-
oder Minderbehinderte im Rahmen des § 33b EStG
berücksichtigt, wenn ihnen wegen der Behinderung ein
Rentenanspruch zusteht (§ 33b Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG).
Die Vorschrift schränkt den pauschalierten Ansatz typischer
Aufwendungen des Behinderten auf diejenigen Fälle ein, in
denen gesetzliche Leistungen aus der Beschädigtenversorgung
gezahlt werden. Ein Aufwand wird typisierend nur unterstellt, wenn
die gesetzliche Leistungspflicht der öffentlichen Hand an eine
bestimmte grundsätzliche Schädigung des
Versorgungsberechtigten anknüpft und auf dem Gesetz über
die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) oder
entsprechenden Vorschriften - wie z.B. §§ 56 ff. SGB VII
- beruht (Senatsurteil vom 28.9.2000 III R 21/00, BFH/NV 2001, 435
= SIS 01 58 23, m.w.N.).
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Im Hinblick auf die unterschiedlichen
Funktionen der Verletztenrente (Ausgleich des Mehrbedarfs durch die
bleibenden Verletzungen aufgrund des Unfalls auf der einen Seite,
Ausgleich des Einnahmenverlustes aufgrund der geminderten
Erwerbsfähigkeit auf der anderen Seite) begegnet es deshalb
keinen Bedenken, die Rentenzahlungen bei fehlendem Einzelnachweis
des unfallbedingten Mehraufwands aus Vereinfachungsgründen um
den maßgeblichen Behinderten-Pauschbetrag zu mindern.
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d) Für die Prüfung, ob die
Einkünfte und Bezüge von T den Jahresgrenzbetrag in
Höhe von 7.680 EUR übersteigen, ist deshalb die
Verletztenrente lediglich in Höhe von 1.904 EUR (2.394 EUR
abzüglich des Behinderten-Pauschbetrags in Höhe von 310
EUR und der Kostenpauschale in Höhe von 180 EUR) als Bezug zu
berücksichtigen. Damit übersteigen die Einkünfte und
Bezüge von T in Höhe von nunmehr 7.440,93 EUR den
Jahresgrenzbetrag nicht.
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2. Die Frage, ob T als behindertes Kind nach
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen ist, ist
mithin im Streitfall nicht entscheidungserheblich.
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