1
|
I. Die in X wohnhafte Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) besuchte im November 2007 ihre in
der Nähe von Cottbus ansässigen Großeltern. Im
Rahmen dieses Besuchs fuhr sie zusammen mit den Großeltern
und ihrem Vater von Deutschland nach Polen. In Polen erwarb jedes
Familienmitglied eine Stange Zigaretten. Die Zigarettenpackungen
waren mit polnischen Steuerzeichen versehen. Nach der Rückkehr
nach Deutschland schenkten die Großeltern und der Vater der
Klägerin die von ihnen erworbenen Zigaretten der
Klägerin, die allein ihre Fahrt nach X fortsetzte.
Anlässlich einer Fahrzeugkontrolle fanden Beamte des Beklagten
und Revisionsklägers (Hauptzollamt - HZA - ) insgesamt drei
Stangen und acht Schachteln polnische Zigaretten im Fahrzeug der
Klägerin. Von den insgesamt 760 Stück Zigaretten wurden
560 Stück Zigaretten nach § 215 der Abgabenordnung (AO)
sichergestellt. Den gegen die Sicherstellung eingelegten Einspruch
wies das HZA mit der Begründung zurück, die Klägerin
habe die sichergestellten Zigaretten nach § 19 i.V.m. §
20 Abs. 4 Satz 2 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) in der bis zum
31.3.2010 geltenden Fassung zu gewerblichen Zwecken nach
Deutschland verbracht.
|
|
|
2
|
Die Klage führte zur Aufhebung der
angefochtenen Verwaltungsentscheidungen. Das Finanzgericht (FG)
urteilte, dass die Voraussetzungen für eine Sicherstellung der
Zigaretten im Streitfall nicht erfüllt seien. Die polnischen
Zigaretten hätten dem Eigenbedarf der Familienmitglieder
gedient und somit steuerfrei in das Steuergebiet verbracht werden
dürfen. Der von § 20 Abs. 4 Satz 1 TabStG in Bezug
genommene Eigenbedarf könne nicht ausschließlich auf den
persönlichen Ver- oder Gebrauch beschränkt werden. Eine
solche Auslegung finde keine Stütze in Art. 8 der Richtlinie
92/12/EWG des Rates vom 25.2.1992 über das allgemeine System,
den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle
verbrauchsteuerpflichtiger Waren - RL 92/12/EWG - (Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1). Erkennbar werde der
Erwerb von Waren in der Absicht, Fremdbesitz an ihnen zu
begründen, nicht von dieser Regelung erfasst. Hiervon zu
unterscheiden sei die Begründung von Eigenbesitz, die einem
Erwerb von Sachen zum Verschenken oder zum Teilen mit
Familienangehörigen begriffsnotwendig vorausgehen müsse.
Dieses Verständnis des Eigenbedarfs sei auch in Anbetracht der
zollrechtlichen Regelung der Verordnung (EG) Nr. 1186/2009 des
Rates vom 16.11.2009 über das gemeinschaftliche System der
Zollbefreiungen - Zollbefreiungsverordnung - (Amtsblatt der
Europäischen Union Nr. L 324/23) naheliegend.
Schließlich stehe dieses Ergebnis nicht in Widerspruch zum
Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom
23.11.2006 C-5/05 (Slg. 2006, I-11075 = SIS 07 03 04).
|
|
|
3
|
Mit seiner Revision rügt das HZA eine
Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung von der
Rechtsprechung des EuGH. Wie der EuGH entschieden habe, sei Art. 8
RL 92/12/EWG dahingehend auszulegen, dass die
verbrauchsteuerpflichtigen Waren dazu bestimmt sein müssten,
den persönlichen Bedarf der Privatperson zu decken, die sie
erworben habe. Infolgedessen seien Waren vom Regelungsbereich
dieser Bestimmung ausgeschlossen, die eine Privatperson erwerbe, um
den Bedarf einer anderen Privatperson zu decken. Die englische
Sprachfassung von Art. 8 RL 92/12/EWG stelle mit der Formulierung
„for their own use“
auf den eigenen, d.h. persönlichen Gebrauch des Erwerbers ab.
Im Übrigen sei eine enge Auslegung des Begriffs
„Eigenbedarf“ zur Verhinderung von
Missbrauchsfällen erforderlich. Nicht förderlich seien in
diesem Zusammenhang die vom FG in Bezug genommenen zollrechtlichen
Regelungen. Im Streitfall seien die Zigaretten zu gewerblichen
Zwecken in das Steuergebiet verbracht worden, weshalb die
Sicherstellung zu Recht erfolgt sei.
|
|
|
4
|
II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit
zur Stellungnahme.
|
|
|
5
|
Die Revision ist unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht
entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Sicherstellung
der Zigaretten nicht vorliegen.
|
|
|
6
|
1. Nach § 19 Satz 1 i.V.m. Satz 4 TabStG
in der hier noch anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21.12.1992
(BGBl I 1992, 2150) sind Tabakwaren, die unzulässigerweise
entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer
Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet
verbracht werden, nach § 215 AO sicherzustellen. Im Streitfall
waren die bei der Klägerin sichergestellten und aus Polen
stammenden Zigaretten zwar entgegen § 12 Abs. 1 TabStG nicht
mit deutschen Steuerzeichen versehen, jedoch wurden sie nicht zu
gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht, so dass die
Voraussetzungen für ihre Sicherstellung nicht vorlagen.
Infolgedessen sind die angefochtenen Verwaltungsakte rechtswidrig
und aufzuheben.
|
|
|
7
|
2. Gemäß § 20 Abs. 1 TabStG
sind Tabakwaren steuerfrei, die Privatpersonen in einem anderen
Mitgliedstaat im freien Verkehr für ihren Eigenbedarf erwerben
und selbst in das Steuergebiet verbringen. Die Steuerbefreiung wird
indes nach § 20 Abs. 3 TabStG in der Fassung des Gesetzes vom
23.12.2003 (BGBl I 2003, 2924) nicht gewährt, wenn
Privatpersonen Tabakwaren aus anderen Mitgliedstaaten in das
Steuergebiet verbringen lassen, d.h. nicht selbst in das
Steuergebiet befördern. Nur in diesen Fällen wird durch
die gesetzliche Regelung des § 20 Abs. 3 TabStG fingiert, dass
die Tabakwaren mit der Folge der Entstehung der deutschen
Tabaksteuer zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht
worden sind. Nach den Feststellungen des FG, gegen die das HZA
keine Verfahrensrügen erhoben hat und die für den
erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, liegt
ein solcher Fall nicht vor. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die
Klägerin und ihre Familienangehörigen die von ihnen in
Polen erworbenen Zigaretten selbst nach Deutschland verbracht
haben.
|
|
|
8
|
3. Entgegen der Auffassung des HZA haben die
Großeltern der Klägerin und ihr Vater die in Polen
gekauften Zigaretten „für ihren
Eigenbedarf“ i.S. von § 20 Abs. 1 TabStG erworben.
Der Wortlaut der Vorschrift steht der vom FG vorgenommenen Deutung
nicht entgegen, nach der verbrauchsteuerpflichtige Waren auch dann
für den Bedarf des privaten Käufers erworben werden, wenn
sie aufgrund enger persönlicher Beziehungen zu einer anderen
Privatperson dieser zum Geschenk gemacht werden sollen. Dies gilt
jedenfalls dann, wenn zwischen der Privatperson und dem Beschenkten
- wie im Streitfall - verwandtschaftliche Beziehungen bestehen.
Auch wer aus eigenem Entschluss Geschenke für
Familienmitglieder kauft, deckt damit seinen eigenen Bedarf. Denn
er tätigt Aufwendungen, die nicht in Zusammenhang mit einem
Auftragsverhältnis stehen und für die von Dritten keine
Kostenerstattung erwartet werden kann. Jedenfalls lässt sich
der in § 20 Abs. 1 TabStG getroffenen Regelung nicht
entnehmen, die Steuerbegünstigung werde nur dann gewährt,
wenn die Zigaretten von der Privatperson, die sie in einem anderen
Mitgliedstaat erworben hat, auch selbst geraucht werden, so dass
nur Raucher in den Genuss des Steuerprivilegs kämen.
|
|
|
9
|
a) Durch die Normierung des
Befreiungstatbestands hat der Gesetzgeber Art. 8 RL 92/12/EWG in
nationales Recht umgesetzt. Danach werden die Verbrauchsteuern
für Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf
erwerben und die sie selbst befördern, nach dem Grundsatz des
Binnenmarkts im Erwerbsmitgliedstaat erhoben. Im privaten
Reiseverkehr gilt demnach das Ursprungslandprinzip. Insbesondere
aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bleibt es trotz der
Verwendung der verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Bestimmungsland
bei der endgültigen Besteuerung in dem Mitgliedstaat, in dem
die Waren im steuerrechtlich freien Verkehr erworben worden sind
(vgl. im Einzelnen Jatzke, Das System des deutschen
Verbrauchsteuerrechts, S. 211 f., und Peters in
Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 1.
Aufl., S. 111).
|
|
|
10
|
b) Zur Auslegung des Art. 8 RL 92/12/EWG hat
der EuGH entschieden, nach ihrem Wortlaut verlange die Vorschrift,
dass die Waren dazu bestimmt sein müssten, den
persönlichen Bedarf der Privatperson zu decken, die sie
erworben hat. Die Steuerbefreiung greife nicht, wenn Waren von
einer Privatperson erworben werden, um den Bedarf anderer
Privatpersonen zu decken. Der Besitz der letztgenannten Waren
könne nämlich nicht als ein Besitz angesehen werden, der
für die Privatperson, die diese Waren erworben habe, rein
persönlichen Charakter habe. In dem dieser Entscheidung
zugrunde liegenden Streitfall hatten sich mehrere in den
Niederlanden ansässige Weinliebhaber zu einer
Einkaufsgemeinschaft zusammengeschlossen. Im Namen der Gemeinschaft
bestellte eine der beteiligten Privatpersonen Wein in Frankreich
und ließ diesen durch ein niederländisches
Transportunternehmen in Frankreich abholen und in die Niederlande
verbringen. Dort wurde der Wein unter Erstattung der Kosten unter
den Privatpersonen aufgeteilt; Gewinne wurden nicht erzielt. Art. 8
RL 92/12/EWG kann also dann keine Anwendung finden, wenn die den
Transport veranlassende Privatperson, die sich nicht einmal selbst
in den anderen Mitgliedstaat begibt, von vornherein mit der Absicht
handelt, die von ihr in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen
verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Rahmen eines
Auftragsverhältnisses gegen Kostenerstattung an andere
Privatpersonen weiterzugeben. Es liegt auf der Hand, dass in diesen
Fällen von einem persönlichen Charakter der Transaktion
nicht gesprochen werden kann.
|
|
|
11
|
So liegt der Streitfall jedoch nicht. Entgegen
der Auffassung des HZA wird der vom EuGH geforderte rein
persönliche Charakter des Besitzes einer
verbrauchsteuerpflichtigen Ware auch dadurch vermittelt, dass
verbrauchsteuerpflichtige Waren in einem anderen Mitgliedstaat aus
eigenem Entschluss ohne ein bestehendes Auftragsverhältnis und
ohne die Absicht einer entgeltlichen Weitergabe erworben und im
Anschluss daran selbst in einen anderen Mitgliedstaat verbracht
werden.
|
|
|
12
|
Einer solchen Auslegung steht auch die
englische und französische Sprachfassung des Art. 8 RL
92/12/EWG nicht entgegen, durch die die Wendung „für
ihren Eigenbedarf“ mit „for their own use“ bzw.
„pour leurs besoins
propre“ übersetzt wird. Auch in diesen
Sprachfassungen wird nämlich nicht auf den Verbrauch
(consumption bzw. consommation) als solchen, sondern auf die
Bedarfsdeckung abgestellt.
|
|
|
13
|
c) Nach Auffassung des erkennenden Senats
wäre es mit den Zielen des freien Binnenmarkts nicht in
Einklang zu bringen, den Begriff des Eigenbedarfs dahingehend
auszulegen, dass er ausschließlich den persönlichen
Konsum der erworbenen verbrauchsteuerpflichtigen Waren erfasst. Ein
solches Verständnis führte im Ergebnis zu einem
Erwerbsverbot von Zigaretten durch Nichtraucher, denn der
Verwaltungsaufwand und die Kosten für eine erneute
Versteuerung der Tabakwaren im Bestimmungsland hielte diesen
Personenkreis regelmäßig von einem Einkauf von
Zigaretten in einem anderen Mitgliedstaat ab. Restriktionen dieses
Ausmaßes können vom Unionsgesetzgeber bei der Konzeption
der verbrauchsteuerrechtlichen Regelung des Reiseverkehrs nicht
beabsichtigt worden sein. Durch die Beschränkung der
Steuerbegünstigung auf den Eigenbedarf sollte lediglich eine
missbräuchliche Inanspruchnahme des nur Privatpersonen
zugestandenen Steuerprivilegs und die Verschleierung eines
gewerblichen Verkehrs mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren
verhindert werden. Ein solcher Missbrauch wäre insbesondere
dann zu befürchten, wenn es Privatpersonen gestattet
würde, die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Waren
durch Transportunternehmen befördern zu lassen, ohne selbst an
dem Verbringen mitzuwirken oder die Einkäufe im Auftrag und
auf Rechnung anderer Privatpersonen vorzunehmen. In der
entgeltlichen Abgabe wäre zumindest ein starkes Indiz
dafür zu sehen, dass der Erwerb der Waren keinen rein
persönlichen Charakter hatte.
|
|
|
14
|
Dagegen liegt ein Missbrauch - der eine
Gleichstellung des Vorgangs mit einem Verbringen zu gewerblichen
Zwecken rechtfertigte - ersichtlich nicht vor, wenn
verbrauchsteuerpflichtige Waren von einer Privatperson eingekauft
und von dieser selbst in einen anderen Mitgliedstaat verbracht
werden, um sie entweder nach der Rückreise aus rein privaten
Motiven zu verschenken oder um sie z.B. zunächst im Haushalt
zur weiteren Verwendung zu lagern, selbst wenn von vornherein nicht
nur der persönliche Konsum, sondern auch ein Verbrauch durch
Familienmitglieder oder Gäste in den Blick genommen wird. Bei
dieser Betrachtung ist kein überzeugender Grund ersichtlich,
warum es für die Gewährung der Steuervergünstigung
auf den Zeitpunkt ankommen soll, in dem die selbst in das
Steuergebiet verbrachten Waren aufgrund enger persönlicher
Beziehungen einer anderen Person unentgeltlich überlassen
werden.
|
|
|
15
|
Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich
die subjektiven Vorstellungen der beteiligten Personen ohne
objektive und nach außen erkennbare Anhaltspunkte kaum
zuverlässig ermitteln lassen. Ermitteln lässt sich
jedoch, ob die mitgeführten und bei einer einzelnen
Privatperson vorgefundenen verbrauchsteuerpflichtigen Waren zuvor
von anderen Privatpersonen in das Steuergebiet verbracht und erst
hier übergeben worden sind. Auch wird in der Regel die
Feststellung möglich sein, ob der Verbringer die aus einem
anderen Mitgliedstaat stammenden Waren gegen Erstattung des
Kaufpreises und anderer Auslagen weitergegeben hat.
|
|
|
16
|
4. Der zu gewährenden Steuerbefreiung
steht im Streitfall auch keine Missachtung der Mengenbegrenzung
entgegen. Denn die im Streitfall trotz des Beitritts Polens zur
Europäischen Union gemäß § 20 Abs. 1 i.V.m.
Abs. 4 Satz 1 Buchst. a TabStG für eine Übergangszeit
noch bestehende Freimenge von 200 Zigaretten ist nicht
überschritten worden. Nach den bindenden Feststellungen des FG
verbrachte jede Privatperson lediglich eine Stange Zigaretten von
Polen nach Deutschland.
|
|
|
17
|
5. Der Senat hält die von ihm
vorgenommene Auslegung des einschlägigen Unionsrechts aufgrund
der Rechtsprechung des EuGH für eindeutig. Ein Anlass zur
Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht demnach nicht
(vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81 - C.I.L.F.I.T. -, EuGHE
1982, 3415, Rz 16).
|