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I. Streitig ist die zutreffende Anwendung
der 0,03 %-Zuschlagsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) wurden als Eheleute in den Streitjahren (2004, 2005)
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war als
angestellter Bauleiter nichtselbständig tätig. Sein
Arbeitgeber hatte ihm einen Kraftwagen zur auch privaten Nutzung
überlassen. Der Kläger hatte den geldwerten Vorteil
daraus mittels Fahrtenbücher ermittelt. Auf dieser Grundlage
wurden der Lohnsteuerabzug vorgenommen und die Kläger
erklärungsgemäß zur Einkommensteuer
veranlagt.
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Im Anschluss an eine beim Arbeitgeber des
Klägers durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung
vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -
) die Ansicht, dass die vom Kläger geführten
Fahrtenbücher nicht ordnungsgemäß seien, weil
Angaben zu den Zwecken der dienstlichen Fahrten und aufgesuchten
Personen/Firmen überwiegend fehlten. Das FA änderte daher
die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1
Nr. 1 der Abgabenordnung mit den hier streitigen
Änderungsbescheiden. Die geldwerten Vorteile aus der
Kraftfahrzeugnutzung für private Zwecke sowie für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ermittelte das FA nun auf
Grundlage der 1 %-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 i.V.m.
§ 8 Abs. 2 Satz 2 EStG und nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG
(0,03 %-Regelung). Dadurch erhöhten sich die
Lohneinkünfte des Klägers um 6.222 EUR (1. Mai bis
31.12.2004) sowie um 9.170 EUR (2005).
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Die von den Klägern nach erfolglosem
Einspruch erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) gelangte zwar zu der Auffassung, dass das vom Kläger
geführte Fahrtenbuch nicht ordnungsgemäß sei, so
dass das FA den geldwerten Vorteil aus der Nutzung des dem
Kläger von seinem Arbeitgeber überlassenen Kraftfahrzeugs
zu privaten Zwecken zu Recht nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2
i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG bemessen habe. Entgegen der
Auffassung des FA sei aber auf Grundlage der Entscheidung des VI.
Senats (vgl. Senatsurteil vom 4.4.2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11,
BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19) der Vorteil aus der
Kraftfahrzeugnutzung für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nicht pauschal nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG,
sondern nach der konkreten Anzahl der Fahrten zu ermitteln.
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Mit der dagegen eingelegten Revision
rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Das FA beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil des Niedersächsischen FG vom 11.5.2009
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu
Recht im Rahmen der Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 3 i.V.m.
Satz 5 EStG im Streitjahr 2004 nur 68 Fahrten und im Streitjahr
2005 nur 61 Fahrten zu Grunde gelegt und das zu versteuernde
Einkommen und die festzusetzende Einkommensteuer entsprechend
herabgesetzt.
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1. Der Senat hält auch nach erneuter
Überprüfung an seiner Rechtsprechung fest, dass die
Zuschlagsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG einen
Korrekturposten zum Werbungskostenabzug darstellt und sie deshalb
nur insoweit zur Anwendung kommt, wie der Arbeitnehmer den
Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte benutzt hat (Entscheidungen in BFHE 221, 11,
BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19; vom 4.4.2008 VI R 68/05, BFHE
221, 17, BStBl II 2008, 890 = SIS 08 24 18). Die Zuschlagsregelung
des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG hat insbesondere nicht die
Funktion, eine irgendwie geartete zusätzliche private Nutzung
des Dienstwagens zu bewerten. Sie bezweckt vielmehr lediglich einen
Ausgleich für abgezogene, aber tatsächlich nicht
entstandene Erwerbsaufwendungen. Denn die Entfernungspauschale
(§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) gestattet einen
Werbungskostenabzug unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
tatsächlich Kosten entstanden waren. Angesichts dieser
Korrekturfunktion ist der Zuschlag nur insoweit gerechtfertigt, als
tatsächlich Werbungskosten überhöht zum Ansatz
kommen konnten. Bei der Ermittlung des Zuschlags ist deshalb darauf
abzustellen, ob und in welchem Umfang der Dienstwagen
tatsächlich für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte genutzt worden ist; der Senat verweist zur
weiteren Begründung auf sein zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmtes Urteil vom 22.9.2010 VI R
57/09.
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2. Der Senat geht auch weiterhin davon aus,
dass die streitige Regelung formell verfassungsgemäß zu
Stande gekommen ist, insbesondere der Vermittlungsausschuss die ihm
von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen nicht überschritten
hat. Das beigetretene BMF hat zwar u.a. vorgebracht, dass die
Regelung im Jahr 1996 erst durch den Vermittlungsausschuss in das
Gesetz aufgenommen worden sei und eine detaillierte Dokumentation
des historischen gesetzgeberischen Willens zur 0,03
%-Zuschlagsregelung daher fehle. Aber auch das BMF selbst leitet
daraus nicht ab, dass die streitige Regelung deshalb formell
verfassungswidrig sei.
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a) Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darf der Vermittlungsausschuss
eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom
Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und
soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens
und des ihm zu Grunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt.
Dabei ist die Stellungnahme des Bundesrates auch dann in den
Vermittlungsvorschlag einzubeziehen, wenn diese vom Bundestag in
seinem Gesetzesbeschluss nicht berücksichtigt worden ist
(BVerfG-Urteil vom 7.12.1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, 307 =
SIS 99 24 15).
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b) Daran gemessen überschreiten die mit
dem Jahressteuergesetz 1996 nach Anrufung des
Vermittlungsausschusses auf Grundlage der Beschlussempfehlungen
dieses Gremiums zu Stande gekommenen einkommensteuerrechtlichen
Regelungen über die private Nutzung eines betrieblichen
Kraftfahrzeugs nicht die von Verfassungs wegen geltenden Grenzen
für die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses.
Zwar war die Frage der einkommensteuerrechtlichen Erfassung des
Vorteils aus der privaten Nutzung betrieblicher Kraftfahrzeuge im
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum
Jahressteuergesetz 1996 (BTDrucks 13/901) und im Gesetzentwurf der
Bundesregierung dazu (BTDrucks 13/1173), die vom Bundestag am
2.6.1995 in zweiter und dritter Lesung beraten worden waren, noch
nicht enthalten. Zuvor war jedoch schon von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit Antrag vom 28.3.1995 (BTDrucks
13/936) - insoweit noch ohne gesetzestechnisch ausformulierten Text
- die Einschränkung der Absetzbarkeit betrieblich genutzter
PKW und die Änderung der bis dahin pauschal unterstellten
Annahme, dass Geschäftsfahrzeuge regelmäßig zu 65 %
bis 70 % geschäftlich genutzt würden, gefordert worden.
Weiter hatte auch ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD
(BTDrucks 13/1590) in Verbindung mit der vorgeschlagenen
Entfernungspauschale bereits in gesetzestechnisch ausformulierter
Weise die Kürzung des Betriebsausgabenabzugs für
betrieblich genutzte Kraftfahrzeuge in Höhe von 0,04 % des
Listenpreises des Kraftfahrzeugs je Entfernungskilometer und Monat
zum Gegenstand. Überdies nahm der Bundesrat, der ebenfalls am
2.6.1995 das Jahressteuergesetz 1996 beraten hatte, in seiner
Stellungnahme u.a. auf die Empfehlungen des Finanzausschusses vom
23.5.1995 Bezug (BRDrucks 171/95 - Beschluss - mit Anlage BRDrucks
171/2/95, S. 14 ff.). Dieser hatte u.a. ebenfalls schon in
gesetzestechnisch ausformulierter Weise die Regelungen zu § 8
Abs. 2 Sätze 3, 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG
vorgeschlagen, wie sie im Wesentlichen dann auch nach zweimaliger
Anrufung des Vermittlungsausschusses (BTDrucks 13/1779, BTDrucks
13/2016) Gesetz geworden waren. Angesichts dessen hatten sich die
Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses vom 7.7.1995
(BTDrucks 13/1960) sowie vom 2.8.1995 (BTDrucks 13/2100) im Rahmen
der Kontroversen zwischen Bundestag und Bundesrat und der
parlamentarischen Debatte bewegt und mit den §§ 6 Abs. 1
Nr. 4 Satz 2, 8 Abs. 2 Sätze 3, 4 EStG keinen
Regelungsvorschlag zum Gegenstand, der außerhalb dieser
bisherigen Auffassungsunterschiede und Gegenläufigkeiten
zwischen Bundestag und Bundesrat im Sinne der Rechtsprechung des
BVerfG liegt (vgl. Urteil in BVerfGE 101, 297, 308 = SIS 99 24 15;
Beschluss vom 15.1.2008 2 BvL 12/01, BVerfGE 120, 56 <75 f.>
= SIS 08 16 84).
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