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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) kaufte am 18.6.2001 ein Reihenhausgrundstück von
einer GmbH, an der er zur Hälfte beteiligt war. Die GmbH hatte
das zu diesem Zeitpunkt im Rohbau fertig gestellte Haus auf ihre
Kosten zu vollenden. Der Kaufpreis betrug 200.000 DM. Davon waren
150.000 DM zwei Wochen nach Eintragung der Auflassungsvormerkung
fällig; diese Rate überwies der Kläger am 24.7.2001.
Die restlichen 50.000 DM, nach § 6 des notariellen
Kaufvertrages fällig bei vertragsgemäßer
Übergabe, wurden am 5.2.2002 gezahlt.
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Mit Vertrag vom 19.7.2001 vermietete der
Kläger das Haus ab dem 1.9.2001 für unbestimmte Zeit zu
einer Kaltmiete von 1.250 DM.
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Nach einer vom Kläger vorgelegten
privatschriftlichen Vereinbarung vom 5.7.2001 stundete die GmbH die
Zahlung der restlichen 50.000 DM bis zum 31.12.2002 und
bestätigte eine Änderung von § 6 des Kaufvertrages,
wonach das Kaufobjekt mit Rücksicht auf den geplanten Einzug
der Mieterin am 1.7.2001 übergeben worden sei.
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Den Antrag auf eine Investitionszulage
für den Mietwohnungsbau im innerörtlichen Bereich lehnte
der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) ab, weil
die Anschaffung neuer Gebäude bis zum Ende des Jahres der
Fertigstellung nur gefördert werde, wenn diese vor dem
1.1.2002 erfolgt sei (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 des Investitionszulagengesetzes - InvZulG - 1999). Der
Kläger habe das Gebäude erst im Februar 2002 angeschafft,
weil er erst zu diesem Zeitpunkt die letzte Kaufpreisrate gezahlt
und damit die Voraussetzungen für eine Übergabe des
Kaufobjektes geschaffen habe. Der Einspruch blieb
erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Es entschied (Urteil vom 13.9.2007 2 K 460/05), der Kläger
habe die Investition nicht vor dem 1.1.2002 abgeschlossen. Die
Anschaffung werde im Zeitpunkt der Lieferung verwirklicht (§
9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - ).
Geliefert werde ein Wirtschaftsgut, wenn der Erwerber nach dem
Willen der Vertragspartner darüber wirtschaftlich
verfügen könne. Dies sei bei Grundstücken
regelmäßig der Zeitpunkt, zu dem nach den vertraglichen
Vereinbarungen Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf den
Erwerber übergingen. Die Übergabe sei in § 6 des
Kaufvertrages von der Bezugsfertigkeit und der Zahlung des
Kaufpreises abhängig gemacht worden, den der Kläger erst
im Februar 2002 und somit nach Ende des für die Gewährung
der Zulage maßgeblichen Zeitpunktes beglichen habe.
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Es könne dahinstehen, ob die vom
Kläger vorgelegte privatschriftliche Abrede vom 5.7.2001
tatsächlich an diesem Tage oder erst nachträglich
getroffen worden sei, denn der notarielle Kaufvertrag habe nur
durch eine ebenfalls notariell beurkundete Abrede geändert
werden können. Die Heilung einer gegen die Beurkundungspflicht
verstoßenden Abrede trete nach § 311b Abs. 1 Satz 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ohne Rückwirkung erst mit
dem Zeitpunkt der Auflassung und Eintragung im Grundbuch ein, im
Streitfall also am 17.6.2002. Durch den Abschluss des Mietvertrages
im Juli 2001 und die tatsächliche Vermietung ab September 2001
sei der Kläger nicht wirtschaftlicher Eigentümer
geworden, da er den Eigentümer - die GmbH - nicht auf Dauer
von der Einwirkung auf das Grundstück habe ausschließen
können.
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Zur Begründung der Revision trägt
der Kläger vor, der Zeitpunkt der Anschaffung werde durch den
Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums bestimmt, d.h. durch den
Übergang von Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten. Im
Streitfall sei das Grundstück tatsächlich bereits zum
September 2001 übergeben worden. Die Übergabe vor der
Zahlung des Restkaufpreises sei in der notariellen Urkunde nicht
ausgeschlossen worden und auch nicht gemäß § 311b
BGB unzulässig. Nach Besitzübertragung habe der noch als
Eigentümerin eingetragenen GmbH kein Herausgabeanspruch
gemäß § 985 BGB zugestanden (Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 2.3.1984 V ZR 102/83, BGHZ 90,
269).
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, das FG-Urteil sowie die
Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage
für das Jahr 2001 auf 9.082,59 EUR festzusetzen.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Die
Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen, weil seine Feststellungen nicht für
eine abschließende Entscheidung ausreichen, ob der
Kläger schon vor dem 1.1.2002 wirtschaftliches Eigentum an dem
Reihenhaus erlangt hat (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1999 ist die Anschaffung neuer Gebäude
bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung begünstigt, wenn
sie der Anspruchsberechtigte nach dem 31.12.1998 und vor dem
1.1.2002 abschließt. Abgeschlossen sind Investitionen i.S.
des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1999 mit dem Zeitpunkt der
Anschaffung des Gebäudes (§ 3 Abs. 2 Satz 3 InvZulG
1999).
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2. Unter Anschaffung ist im Ertragsteuer- wie
im Investitionszulagenrecht der Erwerb eines bereits bestehenden
Wirtschaftsguts zu verstehen. Angeschafft wird im Zeitpunkt der
Lieferung (§ 9a EStDV). Geliefert ist das Wirtschaftsgut, wenn
der Erwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber
wirtschaftlich verfügen kann. Das ist bei der Übertragung
eines Grundstücks in der Regel der Zeitpunkt, zu dem
Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf den Erwerber
übergehen (Senatsurteile vom 24.3.2006 III R 6/04, BFHE 213,
178, BStBl II 2006, 774 = SIS 06 25 28; vom 28.11.2006 III R 17/05,
BFH/NV 2007, 975 = SIS 07 62 45, jeweils m.w.N.).
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Das FG ist zutreffend hiervon ausgegangen, hat
den Zeitpunkt der Anschaffung aber zu Unrecht danach bestimmt, wann
der Kläger aufgrund des notariellen Kaufvertrages die
Übergabe beanspruchen konnte. Maßgeblich ist dagegen,
wann Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten tatsächlich
übergingen.
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a) Der Besitz einer Sache wird durch die
Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache
erworben (§ 854 Abs. 1 BGB). Dies kann geschehen, indem der
bisherige Besitzer die Sache übergibt; gleichgestellt ist die
einseitige Besitzergreifung durch den Erwerber mit
Einverständnis des Übergebenden (BGH-Urteil vom 10.1.1979
VIII ZR 302/77, NJW 1979, 714, 715; Erman/Lorenz, BGB, 12. Aufl.,
§ 854 Rz 13). Der Besitz an Grundstücken kann auch durch
die Übergabe der Schlüssel übertragen werden
(BGH-Urteil vom 30.5.1958 V ZR 295/56, BGHZ 27, 360, 362;
Staudinger/Bund (2007), § 854 Rz 41).
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Bei der Übergabe handelt es sich um einen
Realakt, d.h. um eine auf einen tatsächlichen Erfolg
gerichtete Willensbetätigung; Willensmängel sind dabei
unerheblich (Diep in: jurisPK-BGB, 4. Aufl. 2008, § 854 BGB Rz
20). Der Besitz kann zu einem späteren oder - wie
möglicherweise im Streitfall - zu einem früheren als dem
kaufvertraglich vorgesehenen Zeitpunkt übertragen werden.
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b) Die Übergabe einer verkauften Sache -
auch eines Grundstücks (Palandt/Putzo, Bürgerliches
Gesetzbuch, 69. Aufl., § 446 Rz 2) - bewirkt gemäß
§ 446 BGB, dass die Gefahr des zufälligen Untergangs und
der zufälligen Verschlechterung auf den Käufer
übergehen; von der Übergabe an gebühren dem
Käufer die Nutzungen und trägt er die Lasten. Der
Zeitpunkt des Eigentumserwerbs ist insoweit unerheblich
(Palandt/Putzo, a.a.O., § 446 Rz 13). Die Regelung des §
446 BGB ist im Streitfall nicht - z.B. durch Vereinbarung eines von
der Übergabe unabhängigen Gefahrüberganges -
abbedungen worden (vgl. Palandt/Putzo, a.a.O., § 446 Rz 3 zu
dem insoweit geltenden Formzwang des § 311b BGB).
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c) Wenn das verkaufte Gebäude, wie der
Kläger behauptet, vor Zahlung des restlichen Kaufpreises und
damit früher als nach § 6 des Kaufvertrages vorgesehen
übergeben wurde, konnte die GmbH als Verkäuferin danach
die Herausgabe (Rückgabe) nicht mehr verlangen, denn dem
Kläger stand, soweit die GmbH nicht z.B. wegen
Zahlungsverzuges vom Vertrag zurücktrat, gemäß
§ 986 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Recht zum Besitz zu (vgl.
Staudinger/Gursky (2006), § 986 Rz 14, m.w.N.).
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3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif.
Bislang ist weder festgestellt worden, ob das Reihenhaus - wie vom
Kläger behauptet - tatsächlich im Jahr 2001
übergeben wurde - ggfls. im Zusammenhang mit der Vermietung -,
noch ob daraus die sich nach § 446 BGB ergebenden Folgerungen
gezogen wurden - z.B. ob der Kläger die Grundstückslasten
getragen und die Miete vereinnahmt und nicht an die GmbH
weitergeleitet hat.
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