Frühere Erbschaftsteuer, Anrechnung: Die "tatsächlich für die in die Zusammenrechnung einbezogenen früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer" i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG ist die Steuer, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage für diese Erwerbe festzusetzen gewesen wäre, und nicht die dafür wirklich festgesetzte Steuer. - Urt.; BFH 9.7.2009, II R 55/08; SIS 09 33 04
I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und
Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt im Jahr 1997 von
ihrer Mutter u.a. einen landwirtschaftlichen Betrieb mit einem
Steuerwert von 55.000 DM geschenkt (Vorerwerb). Der Wert des
Erwerbs betrug insgesamt 427.000 DM. Bei der bestandskräftig
gewordenen Festsetzung der Schenkungsteuer in Höhe von 1.890
DM (966,34 EUR) gewährte der Beklagte, Revisionskläger
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die
Steuervergünstigungen des § 13a des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) nicht. Die Klägerin zahlte
die festgesetzte Steuer.
Im Jahr 2002 wurde die Klägerin
Miterbin nach ihrer Mutter (Letzterwerb). Das FA setzte gegen die
Klägerin für diesen Erwerb zuletzt mit Bescheid vom
7.4.2005 Erbschaftsteuer in Höhe von 6.514 EUR fest. Im Rahmen
der Zusammenrechnung der Erwerbe nach § 14 Abs. 1 Satz 1
ErbStG berücksichtigte es die Steuervergünstigungen des
§ 13a ErbStG weiterhin nicht. Das FA zog als tatsächlich
zu entrichtende Steuer für den Vorerwerb nach § 14 Abs. 1
Satz 3 ErbStG die im Schenkungsteuerbescheid festgesetzte Steuer
von 966 EUR ab, da diese aufgrund der Steuerberechnung auf
Euro-Basis (nicht exakte Umrechnung des Freibetrags,
Rundungsdifferenzen) höher war als die von ihm errechnete
fiktive anrechenbare Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG
(931 EUR). Das FA ermittelte die Steuer für den Letzterwerb im
Einzelnen wie folgt:
Letzterwerb 2002
|
54.712 EUR
|
+ Vorerwerb 1997
|
+
218.321 EUR
|
Zwischensumme
|
273.033 EUR
|
./. Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2
ErbStG
|
./.
205.000 EUR
|
steuerpflichtiger Erwerb,
abgerundet
|
68.000 EUR
|
Steuersatz
|
11
v.H.
|
Steuer vor Anrechnung
|
7.480 EUR
|
./.tatsächlich zu entrichtende Steuer
für Vorerwerb
|
./.
966 EUR
|
festzusetzende Erbschaftsteuer
|
6.514 EUR
|
Der Einspruch blieb erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Klägerin die
Aufhebung der ergangenen Erbschaftsteuerbescheide und der
Einspruchsentscheidung begehrte, nur insoweit statt, als es die
Erbschaftsteuer auf 5.271 EUR herabsetzte. Bei der Zusammenrechnung
nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG berücksichtigte es zwar
für den Vorerwerb den Bewertungsabschlag nach § 13a Abs.
2 ErbStG in Höhe von 11.248 EUR, nicht aber den Freibetrag
nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG, da dieser nur auf
Antrag zu gewähren sei, der wegen der Bestandskraft des
Schenkungsteuerbescheids nicht mehr gestellt werden könne. Von
der bei einem steuerpflichtigen Erwerb von nunmehr 56.700 EUR
ermittelten Steuer von 6.237 EUR sei gemäß § 14
Abs. 1 Satz 3 ErbStG nicht die unter Berücksichtigung des
Bewertungsabschlags berechnete Schenkungsteuer auf den Vorerwerb
(179 EUR) abzuziehen, sondern die höhere im Steuerbescheid
festgesetzte und gezahlte Steuer (966 EUR). Dies ergebe sich aus
Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte des § 14
Abs. 1 Satz 3 ErbStG. Die Vorentscheidung ist in EFG 2009, 676 =
SIS 09 14 29 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA
fehlerhafte Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG, da die
richtig berechnete Schenkungsteuer auf den Vorerwerb (179 EUR)
abzuziehen sei und nicht die im Schenkungsteuerbescheid
festgesetzte (966 EUR). Bei der Berechnung der Steuer auf den
steuerpflichtigen Erwerb von 56.700 EUR sei zugunsten der
Klägerin der Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG
zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom 7.4.2005 dahingehend
abzuändern, dass die Steuer auf 5.811 EUR festgesetzt
wird.
Die Klägerin beantragt, die Revision
des FA zurückzuweisen und die Erbschaftsteuer auf 5.024 EUR
herabzusetzen.
Diese Steuer ergebe sich bei
Berücksichtigung des in § 19 Abs. 3 ErbStG geregelten
Härteausgleichs. Im Übrigen sei die Vorentscheidung nicht
zu beanstanden.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und
zur Festsetzung der Erbschaftsteuer auf 5.811 EUR.
1. Entgegen der Auffassung des FG ist nach
§ 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG nicht die zu hohe, aber
bestandskräftig festgesetzte Steuer auf den Vorerwerb
abzuziehen, sondern die Steuer, die bei zutreffender Beurteilung
der Sach- und Rechtslage für den Vorerwerb festzusetzen
gewesen wäre.
a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG werden
mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende
Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem
letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren
Wert zugerechnet werden. Von der Steuer für den Gesamtbetrag
wird gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG die Steuer
abgezogen, die für die früheren Erwerbe nach den
persönlichen Verhältnissen des Erwerbers und auf der
Grundlage der geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs
zu erheben gewesen wäre. Anstelle dieser fiktiven
anrechenbaren Steuer ist nach dem durch Gesetz vom 20.12.1996 (BGBl
I 1996, 2049) eingeführten § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG die
tatsächlich für die in die Zusammenrechnung einbezogenen
früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer abzuziehen, wenn diese
höher ist als die fiktive anrechenbare Steuer nach Satz 2 der
Vorschrift.
§ 14 ErbStG will verhindern, dass durch
die Aufteilung einer beabsichtigten Zuwendung in mehrere zeitlich
folgende Teilübertragungen durch mehrfache Gewährung der
persönlichen Freibeträge und die Vermeidung der
Steuerprogression Steuervorteile erlangt werden. Die von der
Vorschrift angeordnete Zusammenrechnung gewährleistet, dass
die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen
Zusammenrechnungszeitraums nur einmal zur Anwendung gelangen und
sich für mehrere Erwerbe gegenüber einer einheitlichen
Zuwendung in gleicher Höhe kein Progressionsvorteil ergibt
(vgl. BTDrucks VI/3418, 69, zu § 14; Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30.3.1977 II R 98/76, BFHE 122, 330,
BStBl II 1977, 664 = SIS 77 03 69; vom 17.4.1991 II R 121/88, BFHE
164, 107, BStBl II 1991, 522 = SIS 91 14 08; vom 30.1.2002 II R
78/99, BFHE 197, 280, BStBl II 2002, 316 = SIS 02 05 94; vom
2.3.2005 II R 43/03, BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728 = SIS 05 29 93; vom 14.1.2009 II R 48/07, BFH/NV 2009, 1204 = SIS 09 16 35).
Die Vorschrift ändert nichts daran, dass
die einzelnen Erwerbe als selbständige steuerpflichtige
Vorgänge jeweils für sich der Steuer unterliegen. Weder
werden die früheren Steuerfestsetzungen für den letzten
Erwerb zusammengefasst noch werden die einzelnen Erwerbe innerhalb
eines Zehnjahreszeitraums zu einem einheitlichen Erwerb verbunden.
Die Vorschrift enthält lediglich eine besondere Anordnung
für die Berechnung der Steuer, die für den letzten Erwerb
innerhalb des Zehnjahreszeitraums festzusetzen ist (BFH-Urteile in
BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728 = SIS 05 29 93, und in BFH/NV
2009, 1204 = SIS 09 16 35).
b) Aufgrund der Selbständigkeit der
Besteuerung der einzelnen Erwerbe sind die in die Zusammenrechnung
nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG einzubeziehenden Vorerwerbe dem
letzten Erwerb nicht mit materiell-rechtlich unzutreffenden Werten
hinzuzurechnen, selbst wenn sie den vorangegangenen
Steuerfestsetzungen für diese Erwerbe zu Grunde gelegt worden
waren, sondern mit den ihnen (damals) zukommenden
materiell-rechtlich zutreffenden Werten. Dieser richtige Wertansatz
ist auch für die Berechnung der nach § 14 Abs. 1 Satz 2
ErbStG abziehbaren fiktiven Steuer maßgebend. Die für
die Vorerwerbe ergangenen Steuerbescheide entfalten keine
Bindungswirkung etwa im Sinn von Grundlagenbescheiden (BFH-Urteil
in BFHE 164, 107, BStBl II 1991, 522 = SIS 91 14 08).
Nichts anderes gilt auch für die
Berechnung der nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG abziehbaren
Steuer. Zwar deutet der Wortlaut „tatsächlich ... zu
entrichtende Steuer“ auf den ersten Blick darauf hin,
dass es auf die durch die Steuerbescheide für die Vorerwerbe
begründeten, bereits erfüllten oder noch offenen
Zahlungspflichten ankomme. Diese Auslegung ist aber mit der
Selbständigkeit der Besteuerung der einzelnen
Erwerbsvorgänge nicht vereinbar. § 14 Abs. 1 Satz 3
ErbStG verfolgt nicht das Ziel, eine Korrekturmöglichkeit
für Fehler zu eröffnen, die bei der Steuerfestsetzung
für die Vorerwerbe zugunsten oder zulasten des
Steuerpflichtigen unterlaufen sind. Der Gesetzgeber wollte durch
§ 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG lediglich unbillige Folgen für
Steuerpflichtige vermeiden, die sich durch für sie
günstige Rechtsänderungen wie höhere
Freibeträge oder niedrigere Steuersätze bei einem
Übergang zu neuem Recht ergeben können (BFH-Urteil in
BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728 = SIS 05 29 93). Derartige
Änderungen können dazu führen, dass die nach §
14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG anzurechnende Steuer niedriger
ausfällt, als die für den Vorerwerb
„tatsächlich“ zu entrichtende Steuer. Ist
hingegen zwischen dem Vorerwerb und dem Letzterwerb keine zugunsten
des Steuerpflichtigen wirkende Änderung der Rechtslage oder
der persönlichen Verhältnisse eingetreten, muss die nach
§ 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG berechnete abzuziehende Steuer der
nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG abzuziehenden fiktiven Steuer
entsprechen.
Das in § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG
verwendete Wort „tatsächlich“ ist demnach
im Sinn einer Abgrenzung gegenüber § 14 Abs. 1 Satz 2
ErbStG zu verstehen, nämlich dahingehend, dass es bei der
Steuerberechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG anders als bei
Satz 2 der Vorschrift nicht „fiktiv“ auf die
persönlichen Verhältnisse des Erwerbers und die geltenden
Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs ankommt, sondern die
Steuer anzurechnen ist, die bei zutreffender Beurteilung der Sach-
und Rechtslage für den Vorerwerb festzusetzen war.
Da das FG von einer anderen Ansicht
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist
teilweise begründet. Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid
vom 7.4.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.12.2005
ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten,
soweit die Steuer höher als 5.811 EUR festgesetzt wurde
(§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Damit entspricht die Entscheidung
im Ergebnis dem vom FA im Revisionsverfahren gestellten Antrag.
a) Der Vorerwerb ist nach § 14 Abs. 1
Satz 1 ErbStG mit dem ihm (damals) zukommenden richtigen Wert von
207.073 EUR unter Berücksichtigung des nicht
antragsabhängigen Bewertungsabschlags (§ 13a Abs. 2
ErbStG) anzusetzen und nicht mit dem Wert von 218.321 EUR, der der
Steuerfestsetzung für den Vorerwerb zugrunde gelegt worden
war. Nicht zu berücksichtigen ist der Freibetrag nach §
13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG; denn seine Gewährung konnte
nur bis zur Bestandskraft des Schenkungsteuerbescheids beantragt
werden (BFH-Beschluss vom 20.1.2005 II R 56/02, BFH/NV 2005, 1308 =
SIS 05 32 13). Dies ist aber nicht geschehen.
b) Wegen des durchzuführenden
Härteausgleichs (§ 19 Abs. 3 ErbStG) beträgt die
Steuer für den danach vom FG zutreffend ermittelten
steuerpflichtigen Erwerb von 56.700 EUR vor dem Abzug der
anrechenbaren Steuer 5.990 EUR (52.000 EUR x 7 v.H. + 4.700 x 50
v.H. = 5.990 EUR).
c) Hiervon ist nach § 14 Abs. 1 Satz 3
ErbStG die Schenkungsteuer abzuziehen, die bei zutreffender
Beurteilung der Sach- und Rechtslage für den Vorerwerb
festzusetzen gewesen wäre und die höher ist als die
fiktive Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG. Die nach §
14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG abziehbare Steuer berechnet sich wie
folgt:
Wert des Erwerbs laut
Schenkungsteuerbescheid
|
427.000
DM
|
./. Bewertungsabschlag
|
./.
22.000 DM
|
./. persönlicher Freibetrag
|
./.
400.000 DM
|
steuerpflichtiger Erwerb
|
5.000
DM
|
Steuersatz
|
7
v.H.
|
Schenkungsteuer
|
350 DM
= 179 EUR
|
Die fiktive Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz
2 ErbStG berechnet sich unter Berücksichtigung der in den
BFH-Urteilen in BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728 = SIS 05 29 93,
und vom 31.5.2006 II R 20/05 (BFH/NV 2006, 2260 = SIS 06 44 82)
dargelegten Grundsätze wie folgt:
Wert des Erwerbs laut
Schenkungsteuerbescheid
|
|
|
./. Bewertungsabschlag
|
405.000
DM
|
207.073,21 EUR
|
./. persönlicher Freibetrag
|
./.
400.000 DM
|
./.
204.516,75 EUR
|
steuerpflichtiger Erwerb, abgerundet
|
|
2.500
EUR
|
Steuersatz
|
|
7
v.H.
|
Schenkungsteuer
|
|
175
EUR
|
d) Die festzusetzende Erbschaftsteuer
beträgt danach 5.990 EUR ./. 179 EUR, also 5.811 EUR.
III. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.
4 FGO). Das FG hat zwar den nach den Berechnungsregeln des §
19 Abs. 3 ErbStG vorzunehmenden Härteausgleich übersehen.
Dies hat aber über die bereits aufgrund der Revision des FA
erfolgte Aufhebung des FG-Urteils keine Konsequenzen. Im Ergebnis
ist die Steuer entsprechend den Revisionsanträgen des FA
festzusetzen (oben II.).