Schenkungskette, schenkungsteuerliche Überprogression: Bei einer Schenkungskette über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren ist unter der Geltung des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG eine Überprogression ausschließlich durch den Abzug der tatsächlich zu entrichtenden Steuer für den Vorerwerb zu korrigieren. Eine Korrektur der Überprogression nach den vor Inkrafttreten dieser Vorschrift anzuwendenden Grundsätzen (vgl. BFH-Urteil vom 30.1.2002 II R 78/99, BFHE 197 S. 280, BStBl 2002 II S. 316 = SIS 02 05 94) scheidet aus. - Urt.; BFH 14.1.2009, II R 48/07; SIS 09 16 35
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erhielt von seinem Vater über einen Zeitraum von
mehr als zehn Jahren mehrere freigebige Zuwendungen mit den
folgenden Steuerwerten:
1. am 13.12.1990: 7.317.429 DM
(Vorschenkung 1990)
2. am 19.12.1995: 326.908 DM (Vorschenkung
1995)
3. am 18.12.2003: 4.156.700 EUR
(Letzterwerb)
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte gegen den Kläger durch Bescheid vom
23.11.2005 für den Letzterwerb 439.916 EUR Schenkungsteuer
fest. Dabei rechnete er dem Letzterwerb die Vorschenkung 1995 hinzu
und zog gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) die
tatsächlich für die Vorschenkung 1995 zu entrichtende
Steuer in Höhe von 26.743 EUR ab, da diese höher war als
die von ihm - mit einem Steuersatz von 11 v.H. - ermittelte fiktive
anrechenbare Steuer gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG
(18.381 EUR).
Einspruch und Klage, mit denen der
Kläger zur Vermeidung einer „Überprogression“
den Abzug einer fiktiven anrechenbaren Steuer von 31.757,55 EUR
für die Vorschenkung 1995 bei der Besteuerung des Letzterwerbs
begehrte, blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
und führte aus, dass die Berücksichtigung einer etwaigen
Überprogression bei einer Schenkungskette über mehr als
zehn Jahre durch die mit Art. 2 Nr. 6 des Jahressteuergesetzes 1997
vom 20.12.1996 (BGBl I 1996, 2049, 2058) neu eingeführte
pauschalierende Billigkeitsbestimmung in § 14 Abs. 1 Satz 3
ErbStG abschließend geregelt sei. Das Urteil ist in EFG 2008,
147 = SIS 08 16 21 abgedruckt.
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung des § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG.
Der Kläger beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Schenkungsteuer unter
Änderung des Bescheids vom 23.11.2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung auf 434.901 EUR herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist
unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.
2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden,
dass bei der Besteuerung des Letzterwerbs nach § 14 Abs. 1
Satz 3 ErbStG die - höhere - tatsächlich für den
Vorerwerb zu entrichtende Schenkungsteuer abzuziehen ist.
a) Nach § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2
ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben
Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise
zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren
Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden. Von der
Steuer für den Gesamtbetrag wird die Steuer abgezogen, die
für die früheren Erwerbe nach den persönlichen
Verhältnissen des Erwerbers und auf der Grundlage der
geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben
gewesen wäre. Anstelle der Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2
ErbStG ist nach dem durch Gesetz vom 20.12.1996 (BGBl I 1996, 2049)
eingefügten § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG die
tatsächlich für die in die Zusammenrechnung einbezogenen
früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer abzuziehen, wenn diese
höher ist als die fiktive anrechenbare Steuer nach Satz 2.
§ 14 ErbStG will verhindern, dass durch
die Aufteilung einer beabsichtigten Zuwendung in mehrere zeitlich
folgende Teilübertragungen durch Mehrfachgewährung der
persönlichen Freibeträge und durch Vermeidung der
Steuerprogression Steuervorteile erlangt werden. Die von der
Vorschrift angeordnete Zusammenrechnung gewährleistet, dass
die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen
Zusammenrechnungszeitraums nur einmal zur Anwendung gelangen und
sich für mehrere Erwerbe gegenüber einer einheitlichen
Zuwendung in gleicher Höhe kein Progressionsvorteil ergibt
(vgl. BTDrucks VI/3418, 69 zu § 14; Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30.3.1977 II R 98/76, BFHE 122, 330,
BStBl II 1977, 664 = SIS 77 03 69; vom 17.4.1991 II R 121/88, BFHE
164, 107, BStBl II 1991, 522 = SIS 91 14 08; vom 30.1.2002 II R
78/99, BFHE 197, 280, BStBl II 2002, 316 = SIS 02 05 94, und vom
2.3.2005 II R 43/03, BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728 = SIS 05 29 93).
§ 14 ErbStG ändert nichts daran,
dass die einzelnen Erwerbe als selbständige steuerpflichtige
Vorgänge jeweils für sich der Steuer unterliegen. Weder
werden die früheren Steuerfestsetzungen mit der
Steuerfestsetzung für den letzten Erwerb zusammengefasst noch
werden die einzelnen Erwerbe innerhalb eines Zehnjahreszeitraums zu
einem einheitlichen Erwerb verbunden. Die Vorschrift enthält
lediglich eine besondere Anordnung für die Berechnung der
Steuer, die für den letzten Erwerb innerhalb des
Zehnjahreszeitraums festzusetzen ist (BFH-Urteil in BFHE 209, 153,
BStBl II 2005, 728 = SIS 05 29 93, m.w.N.).
b) Dem Regelungsziel des § 14 ErbStG
lässt sich entnehmen, dass Erwerbe außerhalb des zu
beurteilenden Zehnjahreszeitraums keinen Einfluss auf die Höhe
der Steuer für den Letzterwerb haben, d.h. den Steuersatz
nicht mehr erhöhen und nicht zum Ausschluss der (einmaligen)
Gewährung des Freibetrags für den nunmehr zu
beurteilenden Zehnjahreszeitraum führen dürfen
(BFH-Urteile vom 17.11.1977 II R 66/68, BFHE 124, 216, BStBl II
1978, 220 = SIS 78 01 26; in BFHE 197, 280, BStBl II 2002, 316 =
SIS 02 05 94, und in BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728 = SIS 05 29 93). Hierzu kann es bei der Besteuerung von mehreren, über
einen Zeitraum von zehn Jahren hinausreichenden Zuwendungen von
derselben Person u.a. dann kommen, wenn ein Vorerwerb
außerhalb des zu beurteilenden Zehnjahreszeitraums durch das
damalige Zusammenrechnen mit der ersten Schenkung innerhalb des
nunmehr zu beurteilenden Zehnjahreszeitraums einen höheren
Steuersatz auslöst als bei einer isolierten Besteuerung der
ersten Schenkung innerhalb des nunmehr zu beurteilenden
Zehnjahreszeitraums anzuwenden gewesen wäre (vgl. BFH-Urteile
in BFHE 124, 216, BStBl II 1978, 220 = SIS 78 01 26; in BFHE 197,
280, BStBl II 2002, 316 = SIS 02 05 94; Jülicher,
Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe nach § 14 ErbStG, 1993, S.
107 ff.; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 14 Rz
24 f.; Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, Kommentar, § 14
ErbStG Rz 11a; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 14 Rz 16 f.).
Der Senat hat deshalb vor der
Einfügung des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG, d.h. bei
(Letzt-)Erwerben bis einschließlich 1996, bei einer als Folge
eines Progressionssprungs durch einen Vorerwerb außerhalb des
Zehnjahreszeitraums herbeigeführten Mehrsteuer neben der
fiktiven anrechenbaren Steuer diese Mehrsteuer als weiteren
Abzugsbetrag zugelassen, weil die Mehrsteuer durch den Abzug der
fiktiven anrechenbaren Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG
nicht beseitigt wurde (BFH-Urteil in BFHE 197, 280, BStBl II 2002,
316 = SIS 02 05 94).
c) An dieser Beurteilung kann unter der
Geltung des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG, d.h. für
(Letzt-)Erwerbe ab 1997 nicht mehr festgehalten werden. Denn durch
die von der Vorschrift eröffnete Möglichkeit des Abzugs
der (höheren) tatsächlich zu entrichtenden Steuer
für die Vorschenkung erübrigt sich - entgegen der
Auffassung des Klägers - die Berücksichtigung eines
weiteren Abzugsbetrages zum Ausgleich einer Überprogression,
weil die tatsächlich zu entrichtende Steuer für den
Vorerwerb die Mehrsteuer enthält. Der Abzug der
tatsächlich zu entrichtenden Steuer überwindet die
Unzulänglichkeit des § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG und
führt zum exakten Abzug der sich aufgrund eines
Progressionssprungs beim Vorerwerb ergebenden Mehrsteuer. § 14
Abs. 1 Satz 3 ErbStG bewirkt den Abzug der Steuer, die nach der
bisherigen Rechtsprechung insgesamt - fiktive anrechenbare Steuer
plus Mehrsteuer - abzuziehen wäre.
Das lässt sich für den Streitfall
auch rechnerisch belegen, soweit man den hier bestehenden
Sondereffekt der zwischenzeitlichen Steuersatzerhöhung durch
Gesetz vom 20.12.1996 (BGBl I 1996, 2049) außer Acht
lässt. Ohne diese Steuersatzerhöhung wäre die
fiktive anrechenbare Steuer für die Vorschenkung 1995 mit
einem Steuersatz von 6 v.H. (anstatt 11 v.H.) zu berechnen gewesen,
hätte damit 10.029 EUR (167.145 EUR x 6 v.H.) betragen. Die
Differenz zwischen fiktiver und tatsächlich zu entrichtender
Steuer für die Vorschenkung 1995 beliefe sich dann auf 16.715
EUR (26.743 EUR ./. 10.029 EUR), was der Mehrsteuer aufgrund des
Progressionssprungs entspricht. Die Berechnung des Klägers zur
fiktiven anrechenbaren Steuer führt dagegen zum Abzug einer
Steuer, die über die tatsächlich zu entrichtende Steuer
für den Vorerwerb hinausgeht.