Kontaktlisten, ermäßigter USt-Satz: Umsätze aus dem Verkauf von Listen mit persönlichen Angaben von kontaktsuchenden Personen (Kontaktlisten), die für eine unbestimmte Anzahl von Interessenten hergestellt werden, unterliegen als Lieferungen von Druckerzeugnissen dem ermäßigten Steuersatz. - Urt.; BFH 13.5.2009, XI R 75/07; SIS 09 26 29
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GbR, die im
Streitjahr (1997) eine Partnervermittlung im In- und Ausland sowie
artverwandte Geschäfte betrieb; zum 30.6.1999 erklärte
sie die Betriebsaufgabe. In regionalen und überregionalen
Zeitungen bot sie mittels Annoncen für Damen eine kostenlose
Partnervermittlung an. Interessierten Damen sandte die
Klägerin einen Aufnahmebogen mit Einwilligungserklärung
zu. In den Aufnahmebogen trugen die Damen neben ihrer Adresse und
Telefonnummer auch Angaben zur Person (Alter, Größe,
Figur, Haarfarbe, Augenfarbe, Familienstand, Kinder) ein und
konkretisierten ihre Wünsche hinsichtlich der gesuchten
Herren. Die Klägerin überprüfte die
zurückgesandten Aufnahmebögen im Hinblick auf die
Telefonnummer und sortierte Bewerbungen mit finanziellen Interessen
oder unseriösen Angaben aus. Die aus den Aufnahmebögen
gewonnenen Informationen wurden archiviert und drucktechnisch in
einer immer wieder aktualisierten Kontaktliste aufbereitet.
Die Kontaktliste bot die Klägerin in
verschiedenen Zeitschriften zum Verkauf per Telefon an. Unter der
angegebenen Rufnummer meldete sich geschultes Personal, das den
Interessenten anhand eines Gesprächsleitfadens nähere
Informationen zu den Damen (ca. 150-200 kontaktfreudige Damen ohne
finanzielles Interesse) und dem Preis (einmalige
„Gebühr“ von 385 DM) gab. Die Bezahlung erfolgte -
ohne dass Ausgangsrechnungen erstellt wurden - per Nachnahme,
Lastschriftverfahren oder Kreditkarte.
Nachdem die Klägerin die aus dem
Verkauf erzielten Umsätze zunächst zum Regelsteuersatz
erklärte, reichte sie am 13.3.2003 eine berichtigte
Umsatzsteuererklärung ein, in der sie für diese
Leistungen den ermäßigten Steuersatz beanspruchte. Zur
Begründung fügte sie eine unverbindliche
Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke der
Oberfinanzdirektion vom 4.3.2003 bei, wonach es sich bei der
„Kontaktliste partnersuchender Frauen“ um ein
Druckerzeugnis handele, das dem ermäßigten Steuersatz
unterliege.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) lehnte den Änderungsantrag ab und wies den
dagegen eingelegten Einspruch mit der Einspruchsentscheidung vom
29.12.2005 als unbegründet zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass die Klägerin eine
einheitliche Leistung erbringe, die sowohl Lieferelemente
(Verschaffung der Verfügungsmacht an den Kontaktlisten) als
auch Elemente einer sonstigen Leistung (Sammlung und Verschaffung
von Kontaktmöglichkeiten mit heiratswilligen Personen)
enthalte. Unter Berücksichtigung des Willens der
Vertragspartner bilde nicht die Lieferung eines Druckwerks, sondern
die Verschaffung von Kontaktmöglichkeiten den wirtschaftlichen
Gehalt der Leistung. Das Urteil ist in EFG 2008, 652 = SIS 08 12 97
veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
a)
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Das FG gehe zu Unrecht davon aus, dass die
von den Käufern der Kontaktlisten entrichteten Beträge
ein Entgelt für die Vermittlung von Kontakten seien. Sie sei
weder gegenüber den kontaktwilligen Damen noch gegenüber
den Käufern der Kontaktlisten im fremden Namen oder auf fremde
Rechnung und damit als Vermittlerin aufgetreten, vielmehr seien die
Kontaktlisten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung
veräußert worden. Abgesehen davon werde das Entgelt
unabhängig davon bezahlt, ob ein Kontakt zwischen den
Käufern und den Damen überhaupt zustande komme.
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b)
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Es liege keine einheitliche sonstige
Leistung vor, vielmehr seien zwei separate Leistungen erbracht
worden: eine unentgeltliche Dienstleistung an die kontaktwilligen
Damen und eine entgeltliche Informationslieferung an die
Käufer der Liste. Inhalt der an die Käufer erbrachten
Lieferung sei die Verschaffung der wirtschaftlichen
Verfügungsmacht an einer Informationssammlung. Diese
Informationslieferung sei vergleichbar mit dem Verkauf jeder
anderen Information, z.B. dem Erwerb des Bundessteuerblatts oder
sonstiger steuerlicher Fachliteratur.
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c)
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Aufgrund der zolltariflichen Auskunft
über die Einstufung der Kontaktlisten als drucktechnische
Erzeugnisse sei der ermäßigte Steuersatz
anzuwenden.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz,
der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2005 und des
Ablehnungsbescheids zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung
1997 vom 14.4.2003 das FA zu verpflichten, die
Umsatzsteuerfestsetzung 1997 dahingehend zu ändern, dass die
durch den Verkauf der Listen mit Kontaktadressen erzielten
Umsätze von 1.695.613 DM netto dem ermäßigten
Steuersatz unterliegen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Erstellung und der Verkauf von
Kontaktlisten seien nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt eine
sonstige Leistung. Es liege keine bloße
„Informationslieferung“ wie beim Erwerb von
Fachliteratur vor. Vielmehr verschaffe die Klägerin mit dem
Ermitteln und dem Zurverfügungstellen von Daten über
kontaktwillige Damen ihren Kunden die Möglichkeit der
Kontaktaufnahme.
II. Die Revision der Klägerin ist
begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der
Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Ansicht der
Vorinstanz unterliegen die mit den Kontaktlisten erzielten
Umsätze dem ermäßigten Steuersatz.
1. Nach § 12 Abs. 1 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 in der im Streitjahr geltenden Fassung
(UStG) beträgt die Steuer für jeden steuerpflichtigen
Umsatz 15 v.H. der Bemessungsgrundlage. Auf 7 v.H.
ermäßigt sich die Steuer u.a. für die Lieferungen
der in der Anlage zum UStG bezeichneten Gegenstände (§ 12
Abs. 2 Nr. 1 UStG). Nach Nr. 49 gehören dazu Bücher,
Zeitungen und andere Erzeugnisse des graphischen Gewerbes, und
zwar
„a) Bücher, Broschüren und
ähnliche Drucke, auch in losen Bogen oder Blättern
(ausgenommen kartonierte, gebundene oder als Sammelbände
zusammengefasste periodische Druckschriften, die überwiegend
Werbung enthalten)“.
Die Anwendung des ermäßigten
Steuersatzes setzt eine Lieferung voraus. Gemäß § 3
Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch
die er oder in seinem Auftrag ein Dritter einen Abnehmer oder in
dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen
über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der
Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen sind Leistungen, die
keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG).
a) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass
die Klägerin eine einheitliche Leistung erbrachte, die sowohl
Lieferungselemente (Verschaffung der Verfügungsmacht an den
Kontaktlisten) als auch Elemente einer sonstigen Leistung
(Verschaffung von Kontaktmöglichkeiten mit heiratswilligen
Personen) enthält.
aa) Ob bei einer einheitlichen Leistung, die -
wie hier - sowohl Lieferungselemente als auch Elemente sonstiger
Leistungen aufweist, der Umsatz als Lieferung von Gegenständen
oder als Dienstleistung (sonstige Leistung) zu beurteilen ist,
ergibt sich im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Umstände aus
Sicht des Durchschnittsverbrauchers (vgl. Urteile des Gerichtshofs
der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 2.5.1996 Rs.
C-231/94 - Faaborg-Gelting Linien -, Slg. 1996, I-2395 = SIS 96 15 24, Randnr. 12; vom 25.2.1999 Rs. C-349/96 - CPP -, Slg. 1999,
I-973 = SIS 99 10 25, Randnrn. 28 f.). Es ist das überwiegende
Element des besteuerten Umsatzes zu ermitteln (vgl. EuGH-Urteil vom
10.3.2005 Rs. C-491/03 - Hermann -, Slg. 2005, I-2025 = SIS 05 17 79), wobei es nicht auf ein quantitatives, sondern auf ein
qualitatives Überwiegen ankommt (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18.12.2008 V R 55/06, BFH/NV 2009, 673
= SIS 09 08 71, m.w.N.).
So hat der EuGH (Urteil vom 27.10.2005 Rs.
C-41/04 - Levob Verzekeringen und OV Bank -, Slg. 2005, I-9433 =
SIS 06 02 01) die Übertragung einer auf einem Datenträger
gespeicherten Standard-Software mit anschließender Anpassung
an die besonderen Bedürfnisse des Erwerbers nicht als
Lieferung, sondern als Dienstleistung eingestuft, weil die
Anpassungen von ausschlaggebender Bedeutung waren, um die Software
nutzen zu können (vgl. Randnr. 29).
Die orthopädische Zurichtung eines
Konfektionsschuhs durch Einbringen von Einlagen oder durch eine
Schuherhöhung stellt nach dem BFH-Urteil vom 9.6.2005 V R
50/02 (BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98 = SIS 05 39 64) keine
Lieferung von - nach Nr. 52 Buchst. b der Anlage zu § 12 Abs.
2 Nr. 1 und 2 UStG - begünstigten Gegenständen, sondern
eine sonstige Leistung dar. Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers
wolle der Kunde seinen mitgebrachten Konfektionsschuh für
seine individuellen physischen Bedürfnisse herrichten lassen
und erwarte somit keine Lieferung von Gegenständen, sondern
die passgenaue, der ärztlichen Verordnung und seiner
individuellen Anatomie entsprechende Zurichtung des Schuhwerks.
Im Urteil vom 23.8.1990 V R 28/85 (BFH/NV
1993, 63, nur red. Leitsatz) hat der BFH die Erstellung eines
Computerhoroskops aufgrund der persönlichen Lebensdaten des
Bestellers als eine aus Lieferungselementen (Übersendung des
Computerausdrucks) und Elementen sonstiger Leistungen
(Horoskoperstellung) bestehende einheitliche sonstige Leistung
angesehen. Dabei stehe die Erstellung des Horoskops aufgrund der
persönlichen Lebensdaten des Bestellers im Vordergrund,
während der Computerausdruck als bloßes Hilfsmittel
für die Mitteilung des Horoskops an den Besteller von
untergeordneter Bedeutung sei.
bb) Unter Berücksichtigung dieser
Rechtsprechung des EuGH und des BFH geht der Senat davon aus, dass
für den Durchschnittsverbraucher bei Druckerzeugnissen das
Dienstleistungselement überwiegt, wenn eine individuelle, auf
die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene
Leistung bestellt und erbracht wird, während das
Lieferungselement dominiert, wenn der Gegenstand der Leistung in
einem für eine unbestimmte Anzahl von Interessenten bestimmten
„fertigen“ Produkt besteht, wie dies bei
Zeitungen, Zeitschriften und Büchern der Fall ist.
cc) Auch wenn im Einzelfall für ein
Druckerzeugnis das Lieferungselement überwiegt, kann es als
unselbständige Nebenleistung zu einer Dienstleistung anzusehen
sein und deren Schicksal teilen. Davon ist bei einer
Seminarbroschüre auszugehen, die gegenüber einer
Dienstleistung (Durchführung von Gruppenseminaren) lediglich
ergänzende und vertiefende Funktion hat (vgl. BFH-Urteil vom
17.4.2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712 = SIS 08 36 15).
2. Nach diesen Grundsätzen hat die
Klägerin ihren Kunden die streitgegenständlichen
Kontaktlisten geliefert.
a) Die Kontaktlisten enthielten - nach
Postleitzahlen geordnet - Adressen und Telefonnummern von
kontaktwilligen Damen aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie waren
somit nicht auf die individuellen Wünsche (bspw. Wohnort,
Alter, Größe, Figur, Augen- und Haarfarbe) des
jeweiligen Interessenten zugeschnitten, sondern wurden für
eine unbestimmte Anzahl von kontaktsuchenden Männern
hergestellt. Aus der Sichtweise des Durchschnittsverbrauchers
unterscheidet sich die Kontaktliste insoweit nicht wesentlich von
Adress- oder Fernsprechbüchern, die nach allgemeiner Ansicht
unter Nr. 49 Buchst. a der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2
UStG fallen (vgl. Husmann in Rau/ Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Rz 680; Huschens
in Vogel/Schwarz, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rz 221; Langer in
Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 1
Rz 122).
b) Die Kontaktliste stellt auch keine
unselbständige Nebenleistung zu einer - auf Partner- oder
Kontaktvermittlung gerichteten - Dienstleistung der Klägerin
dar. Der einzige direkte Kundenkontakt bestand während des
Telefongesprächs mit den Interessenten und beschränkte
sich auf die Mitteilung von Einzelheiten zum Inhalt der
Kontaktliste, deren Preis und der Zahlungsmodalitäten. Dabei
handelt es sich um ein reines Verkaufsgespräch hinsichtlich
der Liste, ohne dass Ansätze für eine
Vermittlungsleistung gegenüber den Kunden erkennbar sind.
3. Da das FG von anderen Grundsätzen
ausgegangen ist, waren das Urteil sowie der Ablehnungsbescheid und
die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif,
sodass das FA zum Erlass des begehrten Änderungsbescheids zu
verpflichten war (vgl. § 101 FGO). Die mit den Kontaktlisten
erzielten Umsätze in Höhe von 1.695.613 DM netto stellen
Lieferungen dar und unterliegen als Druckerzeugnisse i.S. von Nr.
49 Buchst. a der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG dem
ermäßigten Steuersatz.