Kapitalgesellschaft, Kapitalherabsetzung, Auflösungsverlust: Ein Auflösungsverlust i.S. von § 17 Abs. 2, 4 EStG ist auch zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige eine wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft erwirbt, die Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Auflösung der Gesellschaft aber auf einen Prozentsatz unterhalb der Grenze des § 17 Abs. 1 EStG abgesenkt wird. - Urt.; BFH 1.4.2009, IX R 31/08; SIS 09 22 55
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erwarb im Jahr 1999 einen Geschäftsanteil von
1,043 % (900 DM) an der S-GmbH zum Preis von 145.396,44 DM. Im Zuge
von drei Kapitalerhöhungen und Übernahme der neuen
Geschäftsanteile durch neue Gesellschafter sank die
Beteiligung des Klägers zunächst auf 1,025 %, sodann im
Jahr 2001 auf 0,860 % und später auf 0,819 %. In dem im Januar
des Streitjahres 2002 über das Vermögen der GmbH
eröffneten Insolvenzverfahren wurde Masseunzulänglichkeit
festgestellt.
Der Kläger beantragte im Rahmen eines
Lohnsteuerermäßigungsverfahrens für das Jahr 2002
die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte wegen
eines Verlustes aus der GmbH-Beteiligung. In dem
diesbezüglichen finanzgerichtlichen Verfahren erzielten die
Beteiligten eine tatsächliche Verständigung hinsichtlich
der Höhe des geltend gemachten Verlustes sowie der
Verlustentstehung im Jahr 2002 und einigten sich auf die Eintragung
des beantragten Freibetrags in Höhe von 74.341 EUR (145.396,44
DM) auf der Lohnsteuerkarte. Streitig blieb die
Berücksichtigung des Auflösungsverlustes dem Grunde nach.
Den mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr
erklärten Verlust aus der GmbH-Beteiligung in Höhe von
78.009 EUR erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) nicht an, da die Beteiligung an der GmbH nicht
wesentlich i.S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
gewesen sei. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) entschied, der
Berücksichtigung des Beteiligungsverlustes des Klägers
stehe § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002)
entgegen. Die Beteiligung des Klägers habe im Zeitpunkt der
Verlustentstehung unterhalb der relevanten Beteiligungsgrenze von 1
% gelegen.
Die hiergegen gerichtete Revision der
Kläger stützt sich auf die Verletzung materiellen Rechts
(§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2 EStG). Der Erwerb von
Anteilen führe auch dann zur Begründung einer
wesentlichen Beteiligung des Steuerpflichtigen i.S. von § 17
Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2 1. Alternative EStG, wenn die
erworbenen Anteile selbst eine wesentliche Beteiligung darstellten.
Zudem solle ein Verlust aus einer derart erworbenen relevanten
Beteiligung unabhängig von einer Behaltefrist und
unabhängig davon zu berücksichtigen sein, ob die
Beteiligung im
Auflösungszeitpunkt/Veräußerungszeitpunkt noch eine
wesentliche sei. Die gegenteilige Wortlautauslegung des FG verfehle
die mit der Korrektur des § 17 EStG durch das StEntlG
1999/2000/2002 angestrebte Reduzierung der
Verlustausgleichsbeschränkung auf die eigentlichen
Missbrauchsfälle. Beim Erwerb einer originär wesentlichen
Beteiligung sei jeder Gestaltungsmissbrauch denklogisch
ausgeschlossen.
Die Kläger beantragen
sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 19.5.2006 dahingehend zu ändern,
dass ein Verlust des Klägers aus § 17 EStG in Höhe
von 39.005 EUR berücksichtigt und die festzusetzende
Einkommensteuer auf Null herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur
Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Unrecht hat das FG den geltend
gemachten Auflösungsverlust des Klägers nicht
berücksichtigt. Zwar hat er die Anteile entgeltlich erworben
und diese haben nicht innerhalb der gesamten letzten fünf
Jahre vor der Auflösung der Gesellschaft zu einer Beteiligung
des Klägers i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der im
Streitfall geltenden Fassung des
Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I
2001, 3858, BStBl I 2002, 35) gehört (§ 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b Satz 1 EStG). Jedoch ist der Auflösungsverlust nach
Satz 2 dieser Vorschrift zu berücksichtigen.
1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb
gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 EStG auch der
Gewinn aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft, wenn der
Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am
Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1
% beteiligt war. Die relevante Beteiligung von zumindest 1 % gilt
für Auflösungen ab dem Jahr 2002 (vgl. Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.11.2004 VIII B 129/04, BFH/NV 2005,
540 = SIS 05 15 86).
Nach § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 1,
Abs. 4 EStG ist ein Auflösungsverlust nicht zu
berücksichtigen, soweit er auf Anteile entfällt, die
entgeltlich erworben sind und nicht innerhalb der gesamten letzten
fünf Jahre zu einer Beteiligung i.S. von Abs. 1 Satz 1
gehört haben. Dies gilt nicht für innerhalb der letzten
fünf Jahre erworbene Anteile, deren Erwerb zur Begründung
einer Beteiligung des Steuerpflichtigen i.S. von Abs. 1 Satz 1
geführt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2 1.
Halbsatz EStG).
Nach ihrem Wortlaut erfasst diese Norm - mit
der Rechtsfolge der vollen Verlustberücksichtigung - auch den
Fall, in dem eine ursprünglich in relevanter Höhe
erworbene Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der
Veräußerung/Auflösung der Gesellschaft auf einen
Prozentsatz unterhalb der Relevanzschwelle abgesenkt wurde (anders
wohl Herzig/Förster, DB 1999, 711, 716; Weber-Grellet in
Schmidt, EStG, 27. Aufl., § 17 Rz 199; Schneider, in:
Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 417 f.,
m.w.N.). Die Gesetzesformulierung „Erwerb zur
Begründung einer Beteiligung“ umfasst nicht nur den
Hinzuerwerb von Anteilen, durch den eine bis dahin geringere
Beteiligung relevant i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG wird
(vgl. Schneider; in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O.,
§ 17 Rz C 425 f.).
Diese am Wortlaut der Vorschrift orientierte
Auslegung wird bestätigt durch den Zweck des Gesetzes,
Missbrauchsgestaltungen zu vermeiden, im Rahmen derer eine
zunächst unwesentliche Beteiligung zur steuerwirksamen
Verlustrealisierung zu einer wesentlichen aufgestockt wird (vgl.
BTDrucks 14/23, S. 179, 14/265, S. 180). Erwirbt aber der
Steuerpflichtige von vorneherein eine qualifizierte (oder:
relevante) Beteiligung, kann es zu keinem Missbrauch kommen. Er
muss den Gewinn aus dieser Beteiligung versteuern und ist
berechtigt, auch die Verluste steuerrechtlich geltend zu machen.
Der Gesetzgeber zielt nach der Gesetzesbegründung vielmehr auf
Fälle, in denen der Steuerpflichtige im Privatvermögen
eine nicht relevante Beteiligung hält, dann erkennt, dass sie
zu Verlusten führt, und diese Verluste dadurch abziehbar
machen möchte, dass er Anteile hinzuerwirbt. So verhält
es sich z.B., wenn der Steuerpflichtige eine verlustträchtige
0,9 %-Beteiligung hält. Es soll verhindert werden, dass er
durch den Erwerb weiterer 0,1 % den gesamten Verlust geltend machen
könnte. § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2 EStG
beschränkt den Verlustabzug in diesem Fall auf die 0,1 % der
Anteile. Im Streitfall hat der Kläger aber von vornherein eine
Beteiligung über 1 % erworben. Er muss also alle Gewinne
versteuern und in der Konsequenz auch berechtigt sein, die Verluste
geltend zu machen. Nur der so erreichte Gleichklang der Besteuerung
von Auflösungsgewinn und -verlust entspricht dem objektiven
Nettoprinzip als systemtragendem Grundprinzip des
Einkommensteuergesetzes (vgl. §§ 2 Abs. 2, 10d EStG).
2. Nach diesen Grundsätzen war der
streitige Auflösungsverlust zu berücksichtigen. Die Sache
ist spruchreif. Die Höhe des Verlustes steht nach der
entsprechenden tatsächlichen Verständigung im
finanzgerichtlichen Verfahren fest.