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Kindergeld, Minderung um niederländischen Unterhaltszuschuss

Kindergeld, Minderung um niederländischen Unterhaltszuschuss: Der niederländische Unterhaltszuschuss nach der "REGELING TEGEMOETKOMING ONDERHOUDSKOSTEN THUISWONENDE GEHANDICAPTE KINDEREN" vom 20.12.1999 (TOG 2000) ist eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u, i i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO Nr. 1408/71. Er mindert nach der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsregel des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i VO Nr. 574/72 den Anspruch auf das deutsche Kindergeld nach § 62 EStG. - Urt.; BFH 17.4.2008, III R 36/05; SIS 08 28 83

Kapitel:
Privatbereich > Kinder
Fundstellen
  1. BFH 17.04.2008, III R 36/05
    BStBl 2009 II S. 921
    LEXinform 0586610

    Anmerkungen:
    erl in StuB 15/2008 S. 608
    U.D. in BFH-PR 10/2008 S. 432
Normen
[VO (EWG) Nr. 574/72] Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i
[VO (EWG) Nr. 1408/71] Art. 1 Buchst. u, i, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 5, Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a, Art. 73, Art. 97
[EStG] § 1 Abs. 3, § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Köln, 13.04.2005, SIS 05 34 15, Kindergeld, Anrechnung, Niederlande, Ausland, TOG 2000
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Rheinland-Pfalz 19.9.2023, SIS 23 17 49, Vergleichbarkeit der Schweizer kantonalen Kinderzulage und des Schweizer Kinderabzugs mit dem deutschen K...
  • FG Münster 31.5.2022, SIS 22 11 20, Berechnung von Differenzkindergeld: Bei der Berechnung von Differenzkindergeld ist neben dem belgischen K...
  • BFH 25.7.2019, SIS 19 18 53, Koordinierung von Kindergeldansprüchen zwischen zwei EU-Staaten: 1. Familienleistungen nach dem polnische...
  • Sächsisches FG 24.1.2018, SIS 19 20 19, Anrechnung von Familienleistungen nach dem polnischen Gesetz über staatliche Beihilfen zur Kindererziehun...
  • FG Münster 5.8.2016, SIS 16 20 45, Anrechnung des niederländischen TOG-Zuschusses: 1. Der niederländische Zuschuss für zuhause wohnende behi...
  • BFH 16.9.2015, SIS 16 04 93, Polnische Zulage für Alleinerziehende als anzurechnende Familienleistung bei der Gewährung von (Differenz...
  • FG Münster 13.12.2013, SIS 14 09 26, Qualifikation der österreichischen Familienhilfe und des Kinderabsetzbetrags: Zu den kindergeldschädliche...
  • FG Köln 28.8.2013, SIS 13 29 62, Differenzkindergeld für ein Kind in Ausbildung und Rehabilitation in Polen: 1. Ein in Deutschland wohnend...
  • FG Baden-Württemberg 18.4.2013, SIS 13 16 02, Umrechnung von CHF in EUR bei der Berechnung von Differenzkindergeld: Dem EuGH wird die Frage zur Voraben...
  • BFH 8.3.2013, SIS 13 14 38, Divergenz bei mehreren tragenden Urteilsgründen: Stützt das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere t...
  • FG Rheinland-Pfalz 5.3.2013, SIS 13 13 33, Unzulässigkeit der Klageerweiterung nach Ablauf der Klagefrist bei Kindergeld: 1. Im Kindergeldrecht gilt...
  • BFH 26.7.2012, SIS 12 25 67, Minderung des Anspruchs auf deutsches (Differenz)Kindergeld um eine Schweizer Familienzulage, Begriff der...
  • FG Düsseldorf 13.7.2011, SIS 13 31 86, Anrechnung von polnischem Kindergeld: 1. Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG k...
  • FG Düsseldorf 13.7.2011, SIS 11 37 87, Kindergeldanspruch eines polnischen Staatsbürgers, Unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 E...
  • FG Düsseldorf 1.2.2011, SIS 14 04 97, Kindergeldanspruch eines polnischen Staatsbürgers,: 1. Ein unbeschränkt steuerpflichtiger polnischer Arbe...
  • FG Düsseldorf 1.2.2011, SIS 14 04 98, Kindergeldanspruch eines polnischen Staatsbürgers: 1. Ein unbeschränkt steuerpflichtiger polnischer Arbei...
  • Niedersächsisches FG 21.12.2010, SIS 11 14 75, Zahlung von Differenz-Kindergeld zum niederländischen "Kinderbijslag" für ein minderjähriges Kind: 1. Der...
  • BFH 23.10.2009, SIS 10 01 42, Kein Kindergeld für Ausländer aufgrund der Qualifikationsrichtlinie: Ausländer, die die Voraussetzungen d...
  • FG Baden-Württemberg 18.6.2009, SIS 09 25 03, Differenzkindergeld für Drittstaatangehörige, Schweiz, Vorlage an EuGH: Es wird dem EuGH die Frage vorgel...
  • FG Baden-Württemberg 20.11.2008, SIS 09 10 44, Differenzkindergeld bei Kinderzulage des schweizerischen Kantons Thurgau, von Schweizer Arbeitgeber gewäh...
Anmerkung RiBFH i.R. Dr. Dürr

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein niederländischer Staatsangehöriger, war im Streitzeitraum als Arbeitnehmer in Deutschland tätig und wurde nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt. Seine Ehefrau arbeitete in den Niederlanden, wo sich auch der Familienwohnsitz befand.

 

Für die drei gemeinsamen Kinder bezog die Ehefrau des Klägers „kinderbijslag“ (Kindergeld) nach dem „Algemene kinderbijslagwet (AKW)“. Der Kläger erhielt Kindergeld nach dem EStG nur in Höhe des Unterschiedsbetrags zu dem niedrigeren „kinderbijslag“.

 

Für die behinderte Tochter (T) wurde der Ehefrau des Klägers ab dem 2. Quartal 2004 zusätzlich zu dem „kinderbijslag“ von 176,62 EUR (monatlich 58,87 EUR) ein Unterhaltszuschuss nach der „regeling tegemoetkoming onderhouDskosten thuiswonende gehandicapte kinderen“ vom 20.12.1999 (TOG 2000) von 199,28 EUR (monatlich 66,43 EUR) gewährt.

 

Durch Bescheid vom 26.5.2004 setzte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) das Kindergeld für T ab Januar 2004 unter Anrechnung des Unterhaltszuschusses nach dem TOG 2000 auf 28 EUR fest. Auf den Einspruch des Klägers, mit dem er sich gegen die Anrechnung des Unterhaltszuschusses nach dem TOG 2000 wendete, änderte die Familienkasse den Kindergeldbescheid und berücksichtigte den Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000 erst von April 2004 an. Im Übrigen wies sie den Einspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, bei dem Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000 handle es sich um eine Familienleistung i.S. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), die in voller Höhe auf das Kindergeld anzurechnen sei.

 

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch Urteil vom 13.4.2005 4 K 3997/04 (EFG 2005, 1272 = SIS 05 34 15) statt und setzte das Kindergeld für T ohne Anrechnung der Leistungen nach dem TOG 2000 fest. Es führte im Wesentlichen aus:

 

Die Leistungen nach dem TOG 2000 seien nicht auf das deutsche Kindergeld anzurechnen, da es sich nicht um Familienleistungen i.S. der VO Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.3.1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 (VO Nr. 574/72) handle. Denn die Niederlande hätten keine Erklärung nach Art. 5 VO Nr. 1408/71 abgegeben, dass die Rechtsvorschriften des TOG 2000 unter Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 fielen.

 

Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision die Verletzung von Art. 4 und 5 VO Nr. 1408/71.

 

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

 

Entgegen der Auffassung des FG ist der Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000 auf das Kindergeld für T anzurechnen.

 

1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG hat, da er in Deutschland als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG).

 

Für Personen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnen und in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, wird durch Gemeinschaftsrecht (VO Nr. 1408/71 und VO Nr. 574/72) geregelt, nach welchem Recht sich die Ansprüche dieser Personen auf Leistungen richten, die auf Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit beruhen.

 

Nach Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 73 VO Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat wohnt, aber in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt ist, Anspruch auf Familienleistungen nach dem Recht des Beschäftigungslandes. Das Kindergeld nach § 62 ff. EStG ist eine Familienleistung in diesem Sinn (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 8.6.2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BFH/NV 2005, Beilage 1, 33 = SIS 04 36 31, unter A.I.2.a).

 

2. In welchem Umfang Leistungen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, in dem der Anspruchsberechtigte und seine Familie wohnen, für dasselbe Kind auf das deutsche Kindergeld anzurechnen sind, richtet sich ausschließlich nach den Kollisionsregeln des Gemeinschaftsrechts in der VO Nr. 1408/71 und der VO Nr. 574/72. § 65 Abs. 2 EStG, der die Anrechnung von im Ausland gewährten, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen regelt, wird durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt (Beschluss des BVerfG in BVerfGE 110, 412, BFH/NV 2005, Beilage 1, 33 = SIS 04 36 31, unter A.I.2.a).

 

Besteht ein Anspruch auf Familienleistungen im Wohnland, der nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängt, und ein Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland, so ruht nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 574/72 der Anspruch im Wohnland bis zur Höhe der im Beschäftigungsland geschuldeten Leistungen. Übt die Person, die im Wohnland einen Anspruch auf Familienleistungen hat, im Wohnland eine Berufstätigkeit aus, ruht dagegen der Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland bis zur Höhe der im Wohnland geschuldeten Leistungen (Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i VO Nr. 574/72).

 

Da die Ehefrau des Klägers in den Niederlanden berufstätig war, sind die von ihr nach niederländischem Recht bezogenen Familienleistungen nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i VO Nr. 574/72 auf das Kindergeld, das dem Kläger nach deutschem Recht zusteht, anzurechnen.

 

3. Der Zuschuss nach dem TOG 2000 ist eine Familienleistung, die nach den gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsregeln den Anspruch auf das deutsche Kindergeld mindert.

 

a) Familienleistungen werden in Art. 1 Buchst. u, i VO Nr. 1408/71 definiert als alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO Nr. 1408/71 genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, mit Ausnahme von Geburts- oder Adoptionsbeihilfen. Nach Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 fallen in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, welche die in Buchst. a bis h VO Nr. 1408/71 aufgeführten Leistungsarten betreffen. Dazu gehören die in Buchst. h aufgeführten Familienleistungen. Hiervon abzugrenzen sind im Streitfall die in Buchst. b genannten Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind, sowie die Sozialhilfeleistungen, die nicht von der Verordnung erfasst werden (Art. 4 Abs. 4 VO Nr. 1408/71).

 

b) Nach Art. 5 VO Nr. 1408/71 haben die Mitgliedstaaten die unter Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 fallenden Rechtsvorschriften und Systeme in Erklärungen, die gemäß Art. 97 notifiziert und veröffentlicht werden, anzugeben. Liegt eine solche Erklärung - wie im Streitfall für die Rechtsvorschriften des TOG 2000 - nicht vor, folgt daraus entgegen der Auffassung des FG nicht, dass die Rechtsvorschriften vom Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen sind. Vielmehr ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) jeweils zu prüfen, ob die Leistungen aufgrund dieser Rechtsvorschriften nach ihren grundlegenden Merkmalen, insbesondere ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung zum sachlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 gehören (z.B. Urteil des EuGH vom 15.3.2001 C-85/99, Offermanns, Slg. 2001, I-2261, m.w.N.).

 

c) Der Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000 fällt unter die VO Nr. 1408/71, da er aufgrund von Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit gewährt wird, die Familienleistungen betreffen (Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO Nr. 1408/71).

 

aa) Der Unterhaltszuschuss ist keine der Sozialhilfe i.S. des Art. 4 Abs. 4 VO Nr. 1408/71 vergleichbare Leistung. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine Leistung der sozialen Sicherheit i.S. von Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 und nicht der Sozialhilfe gegeben, wenn sie nicht aufgrund einer auf die persönliche Bedürftigkeit abstellenden Ermessensentscheidung, sondern aufgrund eines gesetzlichen Tatbestandes gewährt wird (EuGH-Urteil in Slg. 2001, I-2261, m.w.N.). Diese Voraussetzung erfüllt der Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000. Denn die Gewährung hängt nicht von der Bedürftigkeit der Eltern ab, sondern von objektiven, rechtlich festgelegten Voraussetzungen, nämlich davon, ob die Eltern mit dem Kind in den Niederlanden wohnen, ein zu Hause wohnendes behindertes, pflegebedürftiges Kind zu versorgen haben und keine dem Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000 vergleichbaren Leistungen erhalten. Aufgrund der Behinderung muss das Kind erheblich mehr Versorgung, Begleitung und Beaufsichtigung benötigen als ein gleichaltriges gesundes Kind. Dies ist durch ein Gutachten nachzuweisen, das im Auftrag der für die Auszahlung des Unterhaltszuschusses zuständigen Behörde, der „Sociale Verzerkeringsbank (SVB)“, durch „ClientFirst“, eine unabhängige Einrichtung, festzustellen ist.

 

bb) Unter Familienleistungen, die in Art. 1 Buchst. u, i VO Nr. 1408/71 als Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten definiert werden, sind nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH staatliche Beiträge zum Familienbudget zu verstehen, welche die Kosten für den Unterhalt von Kindern verringern. Dadurch soll das Familienbudget entlastet und der Lebensstandard der Familie verbessert werden. Familienleistungen sollen dazu dienen, Arbeitnehmer mit Familienlasten dadurch sozial zu unterstützen, dass sich die Allgemeinheit an diesen Lasten beteiligt (EuGH-Urteile in Slg. 2001, I-2261, und vom 7.11.2002 C-333/00, Maaheimo, Slg. 2002, I-10087, jeweils m.w.N.).

 

cc) Diese Voraussetzungen erfüllt der Unterhaltszuschuss nach dem TOG 2000. Maßgebend für dessen Bewilligung ist, in welchem Umfang das Kind im Vergleich zu gesunden Kindern in Bezug auf die tägliche Versorgung, die Kontinenz, das Laufen und Bewegen, Essen und Trinken, Verhalten, die Kommunikation und die Aktivitäten im und außer Haus pflegebedürftig ist. Infolge der Pflegebedürftigkeit des Kindes entstehen den Eltern erhöhte Unterhaltslasten. Der Unterhaltszuschuss dient dazu, den erhöhten Unterhaltsbedarf auszugleichen. Er ist somit ein staatlicher Beitrag zum Familienbudget, der die Kosten für den Unterhalt von behinderten Kindern verringern soll. Auch aus der Bezeichnung des Gesetzes ergibt sich, dass es sich um einen Zuschuss zu den Unterhaltskosten (tegemoetkoming onderhouDskosten thuiswonende gehandicapte kinderen) handelt. Durch den Unterhaltszuschuss wird unmittelbar die Liquidität des Familienbudgets und somit der Lebensstandard der Familie verbessert. Es handelt sich bei dem Zuschuss eindeutig nicht um einen Rechtsanspruch des behinderten Kindes auf Leistungen wegen seiner Invalidität oder zur Erhaltung und Verbesserung seiner Erwerbsfähigkeit i.S. von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 1408/71, sondern um einen Zuschuss zu den erhöhten Unterhaltskosten der Eltern und damit um eine Familienleistung i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO Nr. 1408/71, die nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i VO Nr. 574/72 auf das deutsche Kindergeld anzurechnen ist.

 

Auch die für die Auszahlung des Unterhaltszuschusses nach dem TOG 2000 zuständige Behörde, die „SVB (Bureau voor Duitse Zaken)“ hat auf Anfrage des FG bestätigt, dass die Leistungen nach dem TOG 2000 als „Familienleistungen“ i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO Nr. 1408/71 zu beurteilen seien. Sie hat dies unter anderem damit begründet, dass es sich um eine besondere Form einer Familienleistung handle, weil die Regelungen des TOG 2000 weitgehend im niederländischen Kindergeldgesetz (AKW) verankert seien.

 

4. Die Einholung einer Vorabscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der nach dem 1.5.1999 geltenden Fassung zur Auslegung des Begriffs „Familienleistung“ ist nicht erforderlich. Zu dem Begriff „Familienleistung“ besteht bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH. Es bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Unterhaltszuschuss die vom EuGH vorgegebenen Kriterien erfüllt.

Anmerkung RiBFH i.R. Dr. Dürr

1. Der BFH stellt nochmals klar, dass für EU-Bürger aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts § 65 EStG verdrängt wird. Für Personen, die in einem EU-Mitgliedstaat wohnen und in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, wird durch Gemeinschaftsrecht geregelt, nach welchem Recht sich die Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit richten. Danach gilt Folgendes:

 

a) Grundsätzlich gilt das Beschäftigungslandprinzip. Ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat wohnt und in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt ist, hat Anspruch auf Familienleistungen nach dem Recht des Beschäftigungslandes.

 

b) In welchem Umfang Leistungen des Wohnlandes auf das deutsche Kindergeld anzurechnen ist, richtet sich ebenfalls nach Gemeinschaftsrecht.

 

aa) Besteht ein Anspruch im Wohnland und im Beschäftigungsland, ruht der Anspruch im Wohnland bis zur Höhe der Leistungen des Beschäftigungslandes, d.h. der Anspruch im Beschäftigungsland wird auf den Anspruch im Wohnland angerechnet. Ist der Anspruch im Wohnland höher, kommt Teilkindergeld in Betracht.

 

bb) Übt die Person, die im Wohnland einen Anspruch hat, im Wohnland eine Berufstätigkeit aus, ruht dagegen der Anspruch im Beschäftigungsland bis zur Höhe der im Wohnland geschuldeten Leistungen. Das Kindergeld des Wohnlandes ist dann auf den Anspruch im Beschäftigungsland anzurechnen. Ist der Anspruch im Beschäftigungsland höher, kommt insoweit Teilkindergeld in Betracht.

 

2. Der BFH beurteilt den Anspruch in den Niederlanden nach dem TOG 2000 als Familienleistung, für die die gemeinschaftlichen Kollisionsregelungen gelten. Es handelt sich nicht um eine Sozialhilfe, da sie nicht auf die persönliche Bedürftigkeit abstellt, sondern um einen Unterhaltszuschuss für den erhöhten Unterhaltsbedarf eines behinderten Kindes.

 

3. Die Entscheidung liegt hinsichtlich der Verneinung der Pflicht zur Vorlage an den EuGH auf der Linie der ständigen Rechtsprechung. Eine Vorlage ist nicht zulässig, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Europarechtskonformität der Regelung bestehen.

 

4. Es sei noch darauf hingewiesen, dass die EU-Kollisionsregelungen aufgrund eines Abkommens auch im Verhältnis zur Schweiz gelten. Im Übrigen bestehen mit zahlreichen Staaten Sozialabkommen, die den nationalen Regelungen vorgehen.