Betriebsveräußerung, Freibetrag, Veräußerungszeitpunkt: Auch nach Neufassung durch das JStG 1996 kann der Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG nur gewährt werden, wenn der Veräußerer das 55. Lebensjahr bereits im Zeitpunkt der Veräußerung des Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils vollendet hat. - Urt.; BFH 28.11.2007, X R 12/07; SIS 08 05 52
I. Der am 26.12.1945 geborene Kläger
und Revisionskläger (Kläger) war Kommanditist der N-GmbH
& Co. KG. Die N-GmbH & Co. KG verkaufte mit Vertrag vom
8.5.2000 die ..., ihr einziges Schiff. Das Schiff wurde am
16.6.2000 an den Erwerber übergeben. Ausweislich der
Mitteilungen für 2000 über die gesonderte und
einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen des
Finanzamtes H vom 22.11.2002 und vom 9.9.2003 hatte der Kläger
als Beteiligter der N-GmbH & Co. KG nach Anwendung des §
15a des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzende
steuerpflichtige Veräußerungsgewinne und andere
tarifbegünstigte Einkünfte gemäß §§
16, 34 EStG in Höhe von 39.604 DM erzielt.
Mit Bescheid vom 22.7.2005 legte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die um den
Veräußerungsgewinn von 39.604 DM erhöhten
Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Besteuerung des Klägers
zugrunde. Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch vom 4.8.2005
beantragte der Kläger die Gewährung eines Freibetrags
gemäß § 16 Abs. 4 EStG. Das FA wies den Einspruch
zurück. Die Gewährung des Freibetrags gemäß
§ 16 Abs. 4 EStG scheide aus, da der Kläger im Zeitpunkt
der Veräußerung das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet
habe.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
dem in EFG 2007, 1020 = SIS 07 17 57 veröffentlichten Urteil
als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Auffassung, die
Vollendung des 55. Lebensjahres spätestens am Ende des
Veranlagungszeitraums müsse als ausreichend angesehen werden,
weil zum Ende des Veranlagungszeitraums die Steuer entstehe und
sich aus dem Text des § 16 Abs. 4 EStG nichts anderes ergebe.
Hätte der Gesetzgeber die frühere klar auf den
Veräußerungszeitpunkt abstellende Regelung belassen
wollen, hätte er die Formulierungen der früheren Regelung
ohne Probleme übernehmen können.
Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den
angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 22.7.2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 19.6.2006 mit der Maßgabe zu
ändern, dass der Veräußerungsgewinn in Höhe
von 39.604 DM um den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG
ermäßigt und die Einkommensteuer entsprechend niedriger
festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist
unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Recht hat das FG dem
Kläger die Gewährung des Freibetrags nach § 16 Abs.
4 EStG in der im Jahr 2000 geltenden Fassung versagt, weil der
Kläger im Zeitpunkt der Veräußerung des
Mitunternehmeranteils das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet
hatte.
1. Gemäß § 16 Abs. 1 EStG
gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch
Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen
Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs oder des Anteils eines
Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs
anzusehen ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), erzielt werden.
Ein „Härteausgleich für die punktuelle
Besteuerung der - teilweise über einen längeren Zeitraum
entstandenen - stillen Reserven“ (Beschluss des
Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.7.1993 GrS
2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33) wird durch
§ 16 Abs. 4 EStG - neben § 34 EStG - dadurch
gewährt, dass der Veräußerungsgewinn auf Antrag zur
Einkommensteuer nur herangezogen wird, soweit er 60.000 DM
übersteigt, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr
vollendet hat oder er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne
dauernd berufsunfähig ist. Der Freibetrag ist dem
Steuerpflichtigen nur einmal zu gewähren; er
ermäßigt sich um den Betrag, um den der
Veräußerungsgewinn 300.000 DM übersteigt (§ 16
Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).
2. Die Voraussetzungen für die
Gewährung des Veräußerungsfreibetrags müssen
bereits im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung vorliegen
(Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.12.2005 IV B
2 - S 2242 - 18/05, BStBl I 2006, 7 = SIS 06 04 00; Kobor in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 16 EStG Rz 508;
Schmidt/Wacker, EStG, 26. Aufl., § 16 Rz 579; Blümich/
Stuhrmann, § 16 EStG Rz 460; Blümich/Lindberg, § 34
EStG Rz 90; Hörger/Rapp in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 16 Rz 247; Reiß in
Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 16 Rz 503; Schuhmann in
Dankmeyer/Giloy, Einkommensteuer, § 16 Rz 428; Kauffmann in
Frotscher, EStG, 6. Aufl., § 16 Rz 254; Gänger in
Bordewin/Brandt, § 16 EStG Rz 253; G. Söffing in
Lademann, EStG, § 16 EStG Rz 426; Horn in HHR, § 34 EStG
Rz 77; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 34 Rz 74;
Gérard in Lademann, a.a.O., § 34 EStG Rz 83; Wendt, FR
2000, 1199, 1201; wohl auch Kanzler, FR 1995, 851, 852; a.A. Stahl
in Korn, § 16 EStG Rz 415; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34
Rz 61; Schiffers in Korn, § 34 EStG Rz 64; Hötzel in
Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2001, München
2000, 335).
a) Dem Wortlaut des § 16 Abs. 4 Satz 1
EStG in der im Streitjahr 2000 geltenden Fassung selbst ist dieses
Ergebnis nicht eindeutig zu entnehmen. Die Vorschrift lautet:
„Hat der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet
oder ist er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd
berufsunfähig, so wird der Veräußerungsgewinn auf
Antrag zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 60.000
Deutsche Mark übersteigt.“ Die
Wortlautinterpretation lässt sowohl den Schluss zu, das
Merkmal „Vollendung des 55. Lebensjahres“ auf
den Veräußerungszeitpunkt als auch auf den Zeitpunkt der
Heranziehung zur Steuer zu beziehen.
b) Im Unterschied dazu stellte die
Vorgängervorschrift des § 16 Abs. 4 EStG, die durch das
Jahressteuergesetz 1996 (JStG 1996) vom 11.10.1995 (BGBl I 1995,
1250) geändert wurde, eindeutig auf den Zeitpunkt der
Veräußerung ab, indem die Formulierung des damaligen
§ 16 Abs. 4 Satz 3 EStG folgendermaßen lautete:
„An die Stelle der Beträge von 30.000 Deutsche Mark
tritt jeweils der Betrag von 120.000 Deutsche Mark und an die
Stelle der Beträge von 100.000 Deutsche Mark jeweils der
Betrag von 300.000 Deutsche Mark, wenn der Steuerpflichtige nach
Vollendung seines 55. Lebensjahres oder wegen dauernder
Berufsunfähigkeit seinen Gewerbebetrieb veräußert
oder aufgibt“. Aus dem geänderten Wortlaut ist
jedoch entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu
schließen, dass der Gesetzgeber durch die neue Formulierung
den zeitlichen Anknüpfungspunkt für das Vorliegen der
persönlichen Voraussetzungen sowohl aufgrund des Alters als
auch wegen einer Berufsunfähigkeit verändern wollte (so
auch Kanzler, FR 1995, 851, 852).
Dies ergibt sich bereits aus der
Entstehungsgeschichte des JStG 1996. Die Neuformulierung des §
16 Abs. 4 EStG wurde durch den Bundesrat in das
Gesetzgebungsverfahren des JStG 1996 eingeführt. Der
Gesetzesvorschlag wurde folgendermaßen begründet:
„Die Freibeträge nach § 16 Abs. 4 Satz 1 und
§ 17 Abs. 3 bisheriger Fassung werden gestrichen. Der
Freibetrag nach § 16 Abs. 4 Satz 3 bisheriger Gesetzesfassung
wird (...) beibehalten“ (Stellungnahme des Bundesrates
zum Entwurf eines JStG 1996 – Drucksache 13/1173, BTDrucks
13/1686, S. 36). Aus dieser Erläuterung wird ersichtlich, dass
eine Änderung der zeitlichen Anknüpfung an das Alter bzw.
die Berufsunfähigkeit nicht beabsichtigt war. Ansonsten
wäre es inkonsequent gewesen, auf einen Hinweis in der
Begründung zu verzichten, da eine andere sachliche
Änderung der Regelung des § 16 Abs. 4 EStG - der Verzicht
auf die Quotelung bei dem Ansatz von Freibeträgen bei der
Veräußerung nur eines Teilbetriebs bzw. nur eines
Anteils an einem Betriebsvermögens - ausdrücklich
näher begründet wurde.
c) Dass § 16 Abs. 4 EStG weiterhin die
Vollendung des 55. Lebensjahres im Veräußerungszeitpunkt
fordert, wird auch durch den Vergleich mit der Gewährung des
Freibetrags aufgrund einer sozialversicherungsrechtlichen
Berufsunfähigkeit bestätigt. Zu Recht weist das FG darauf
hin, dass in der dem Gesetzeswortlaut nach parallel gestalteten
Regelung zur Gewährung des Freibetrags wegen dauernder
Berufsunfähigkeit des Veräußerers sprachlich kein
zwingender Bezug zwischen dem Begriff der dauernden
Berufsunfähigkeit und dem Zeitpunkt der Veräußerung
bzw. alternativ dem Ende des Veranlagungszeitraums hergestellt
wird. Gleichwohl ist aufgrund der kausalen Verknüpfung mit dem
Merkmal der dauernden Berufsunfähigkeit offensichtlich, dass
diese bereits im Zeitpunkt der Veräußerung vorgelegen
haben muss.
d) Vor allem aber hat der Gesetzgeber in der
Veräußerung eines Gewerbebetriebs einen in sich
geschlossenen, vom laufenden Gewinn zu trennenden, einheitlichen
Vorgang gesehen und die Besteuerung des
Veräußerungsgewinns besonderen Regelungen unterworfen
(BFH-Beschluss in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33).
Für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist
dabei der Veräußerungszeitpunkt von entscheidender
Bedeutung.
aa) Als Veräußerungszeitpunkt ist
nicht der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts
maßgebend, sondern der Übergang des (mindestens)
wirtschaftlichen Eigentums an den wesentlichen Betriebsgrundlagen
(BFH-Entscheidungen in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33; vom 21.9.1995 IV R 1/95, BFHE 178, 444, BStBl II 1995, 893 =
SIS 96 01 17).
bb) Der Veräußerungszeitpunkt
bestimmt zunächst den Zeitpunkt der Entstehung des
Veräußerungsgewinns. Der
Veräußerungszeitpunkt ist aber auch relevant für
die Ermittlung der Höhe des Veräußerungsgewinns, da
sowohl die Bewertung der Gegenleistung als auch die Ermittlung des
Buchwerts des Betriebsvermögens auf diesen Zeitpunkt
vorgenommen werden. Für die Beurteilung der Frage, ob als
Veräußerungsobjekt i.S. des § 16 EStG ein
Gewerbebetrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil vorliegt, ist
ebenfalls der Veräußerungszeitpunkt der maßgebende
Zeitpunkt (BFH-Urteil vom 3.10.1984 I R 119/81, BFHE 142, 433,
BStBl II 1985, 245 = SIS 85 07 13). Auch ob die Summe von
Wirtschaftsgütern einen Teilbetrieb darstellt, kann nur nach
den tatsächlichen Verhältnissen in dem Zeitpunkt
entschieden werden, in dem diese Wirtschaftsgüter
veräußert werden (BFH-Urteil vom 16.7.1970 IV R 227/68,
BFHE 99, 535, BStBl II 1970, 738 = SIS 70 04 06). Für die
steuerbegünstigte Veräußerung eines Betriebs oder
Teilbetriebs wird ebenfalls vorausgesetzt, dass alle wesentlichen
Betriebsgrundlagen in einem Veräußerungsvorgang, d.h.
einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang, veräußert
und dadurch die in dem veräußerten (Teil-)Betrieb
gebildeten stillen Reserven von Bedeutung en bloc in einem
einheitlichen Vorgang aufgelöst werden (vgl. BFH-Urteile in
BFHE 178, 444, BStBl II 1995, 893 = SIS 96 01 17, und in BFHE 142,
433, BStBl II 1985, 245 = SIS 85 07 13, jeweils m.w.N.).
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es
sowohl für die Antwort auf die Frage, welcher Zeitpunkt
für das Entstehen und für die Ermittlung der Höhe
des Veräußerungsgewinns maßgeblich ist, als auch
für die Beurteilung, ob der Veräußerungsgegenstand
(Betrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil) und der
Übertragungsakt selbst die sachlichen Voraussetzungen für
die Steuerbegünstigung gemäß § 16 EStG
erfüllen, auf den Veräußerungszeitpunkt ankommt.
Das Ende des Veranlagungszeitraums spielt demgegenüber keine
Rolle. Für die Beurteilung, ob ein Veräußerer die
besonderen persönlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 4
EStG erfüllt, also das 55. Lebensjahr vollendet hat, kann in
gleicher Weise nur der Veräußerungszeitpunkt
maßgebend sein.