Windkraftanlage, Gewerbesteuer, Zerlegung: 1. Macht eine Gemeinde, auf deren Gebiet ein andernorts ansässiger Betreiber eine Windkraftanlage unterhält, ohne dort Arbeitnehmer zu beschäftigen, im Verfahren der Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags des Betreibers geltend, eine Zerlegung nach dem allgemeinen Maßstab des § 29 GewStG führe wegen mit Errichtung und Betrieb der Anlage regelmäßig verbundener Schwertransporte und dadurch ausgelöster Schäden am gemeindlichen Straßen- und Wegenetz zu einem offenbar unbilligen Ergebnis i.S. von § 33 Abs. 1 GewStG, obliegt ihr eine konkrete Darlegung des Umfangs und der Intensität der Schwertransporte und der daraus im Erhebungszeitraum resultierenden Schäden. - 2. Negative Auswirkungen der Windkraftanlage auf das Orts- und Landschaftsbild, auf den Wert von Wohngrundstücken und auf den Tourismus in der Standortgemeinde begründen keinen von § 29 GewStG abweichenden Zerlegungsmaßstab. - Urt.; BFH 4.4.2007, I R 23/06; SIS 07 28 28
I. Streitpunkt ist die Zerlegung des
Gewerbesteuermessbetrages eines Organträgers, dessen
Organgesellschaften in verschiedenen Gemeinden Windkraftanlagen
betreiben.
Die Beigeladene zu 1., eine GmbH, hat ihren
Sitz in X-Stadt - der Klägerin und Revisionsbeklagten
(Klägerin) - . Sie war in den Streitjahren 1992 bis 1995
gewerbesteuerlicher Organträger mehrerer
Betreibergesellschaften von Windkraftanlagen, deren Betrieb und
Verwaltung sie von ihrem Sitz aus organisierte. Die
Windkraftanlagen befanden sich jeweils auf dem Gebiet einer der
drei beigeladenen Gemeinden des norddeutschen Küstenbereichs,
wo aber keine Arbeitnehmer der Beigeladenen zu 1. oder deren
Organgesellschaften tätig waren. Wartungs- und
Reparaturarbeiten wurden von Drittunternehmen
ausgeführt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) zerlegte die für die Streitjahre
festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermessbeträge der
Beigeladenen zu 1. in der Weise, dass jeweils die Hälfte auf
die Klägerin und die andere Hälfte auf die Beigeladenen
zu 2. bis 4. entfielen. Die Abweichung vom allgemeinen
Zerlegungsmaßstab des § 29 des Gewerbesteuergesetzes
(GewStG) begründete das FA unter Berufung auf § 33 GewStG
damit, bei den Beigeladenen zu 2. bis 4. fielen wegen der
intensiven Nutzung von Straßen und Wegen in Zusammenhang mit
der Wartung der Windkraftanlagen besondere Lasten an.
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg.
Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hat die
Gewerbesteuermessbeträge durch sein in Steuern in der
Elektrizitätswirtschaft 2006, 147 abgedrucktes Urteil vom
16.2.2006 6 K 457/04 = SIS 06 43 24 jeweils in voller Höhe der
Klägerin zugewiesen.
Gegen das Urteil richtet sich die Revision
des FA, mit der es die Verletzung materiellen Rechts
rügt.
Das FA beantragt (sinngemäß),
das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Gewerbesteuermessbeträge zur einen Hälfte der
Klägerin und zur anderen Hälfte den Beigeladenen zu 2.
bis 4. entsprechend den Stromeinnahmen der jeweils auf deren Gebiet
belegenen Betriebsstätten zuzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist gemäß §
126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet
zurückzuweisen. Das FG hat die Gewerbesteuermessbeträge
der Beigeladenen zu 1. zu Recht ausschließlich der
Klägerin zugewiesen.
1. Sind im Erhebungszeitraum
Betriebsstätten zur Ausübung des Gewerbes in mehreren
Gemeinden unterhalten worden, so ist der Steuermessbetrag
gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG in die auf die
einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile (Zerlegungsanteile) zu
zerlegen. Zerlegungsmaßstab ist gemäß § 29
Abs. 1 GewStG das Verhältnis, in dem die Summe der
Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten
beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu den
Arbeitslöhnen steht, die an die bei den Betriebsstätten
der einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt
worden sind. Dabei sind gemäß § 29 Abs. 2 GewStG
die Arbeitslöhne anzusetzen, die in den Betriebsstätten
der beteiligten Gemeinden während des betreffenden
Erhebungszeitraums erzielt oder gezahlt worden sind.
2. Danach steht der Klägerin der gesamte
Steuermessbetrag zu, weil sich auf deren Gebiet mit der
Geschäftsleitung eine Betriebsstätte (§ 12 Satz 2
Nr. 1 der Abgabenordnung) der Beigeladenen zu 1. befunden hat, in
der Arbeitslöhne gezahlt worden sind. Zwar sind wegen der nach
den tatrichterlichen Feststellungen bestehenden gewerbesteuerlichen
Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG (in der
für die Streitjahre geltenden Fassung der Bekanntmachung vom
21.3.1991, BGBl I 1991, 814) auch die auf dem Gebiet der
Beigeladenen zu 2. bis 4. tätigen Organgesellschaften als
Betriebsstätten im gewerbesteuerlichen Sinne anzusehen. Nach
den nicht angegriffenen und den Senat gemäß § 118
Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG waren in diesen
Betriebsstätten jedoch keine Arbeitnehmer beschäftigt und
wurden dort folglich auch keine Arbeitslöhne gezahlt, so dass
auf die betreffenden Gemeinden ein Zerlegungsanteil von jeweils 0
DM entfällt.
3. Eine vom Regelmaßstab des § 29
Abs. 1 GewStG abweichende Zerlegung gemäß § 33 Abs.
1 Satz 1 GewStG ist im Streitfall nicht veranlasst.
a) Die Gewerbesteuer ist gemäß
§ 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG unter der Voraussetzung, dass die
Zerlegung nach den §§ 28 bis 31 GewStG zu einem offenbar
unbilligen Ergebnis führt, nach einem Maßstab zu
zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser
berücksichtigt. Allerdings rechtfertigt nach ständiger
Rechtsprechung nicht jede offenbare Unbilligkeit, die sich aus dem
Zerlegungsmaßstab des § 29 Abs. 1 GewStG ergibt, eine
Zerlegung nach einem abweichenden Maßstab, sondern nur eine
eindeutige Unbilligkeit von erheblichem Gewicht (Senatsurteil vom
17.2.1993 I R 19/92, BFHE 171, 304, BStBl II 1993, 679 = SIS 93 16 46, m.w.N.; vgl. auch Blümich/Hofmeister, EStG, KStG, GewStG,
§ 33 GewStG Rz 3 f., m.w.N.). Eine solche liegt nur dann vor,
wenn aufgrund der atypischen Umstände des Einzelfalles die
sich aus dem groben Maßstab des § 29 GewStG allgemein
ergebende Unbilligkeit offensichtlich übertroffen wird
(Senatsurteile vom 24.5.2006 I R 102/04, BFH/NV 2007, 270 = SIS 07 04 10; vom 26.2.1992 I R 16/90, BFH/NV 1992, 836 = SIS 92 21 31,
m.w.N.).
b) Allein der Umstand, dass in den auf dem
Gebiet der Beigeladenen belegenen Betriebsstätten keine
Arbeitslöhne angefallen sind und deshalb nur Zerlegungsanteile
von 0 DM auf diese entfallen, führt nicht zur offenbaren
Unbilligkeit des von § 29 GewStG vorgegebenen
Aufteilungsmaßstabes (vgl. allgemein Senatsbeschlüsse
vom 13.5.1958 I B 49/58 U, BFHE 67, 275, BStBl III 1958, 379 = SIS 58 02 25; vom 5.10.1965 I B 387/62 U, BFHE 83, 468, BStBl III 1965,
668 = SIS 65 03 87). Dieser Maßstab ist nur dann von
vornherein ungeeignet, wenn - was vorliegend nicht der Fall ist -
die Zerlegung wegen des Fehlens jeglicher Arbeitslöhne (in
allen Betriebsstätten) nicht vorgenommen werden kann
(Senatsurteil vom 7.12.1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995,
175 = SIS 95 08 23).
c) Das FG hat das Vorliegen einer
offensichtlichen Unbilligkeit von erheblichem Gewicht wegen der vom
FA und den Beigeladenen behaupteten Schäden, die die
Beigeladenen zu 2. bis 4. infolge der zur Errichtung und zur
Reparatur der Anlagen erforderlichen Schwertransporte an ihren
gemeindlichen Straßen und Wegen zu erleiden gehabt
hätten, ohne Rechtsfehler verneint.
aa) Grundsätzlich kann nach der
Rechtsprechung des Senats allerdings eine Unbilligkeit i.S. des
§ 33 Abs. 1 GewStG in Betracht kommen, wenn durch das
Vorhandensein einer Betriebsstätte einer Gemeinde zwar keine
mit der Ansässigkeit von Arbeitnehmern verbundenen
Folgekosten, sondern Lasten anderer Art entstehen, die im Rahmen
der Zerlegung nicht berücksichtigt werden können
(Senatsbeschluss in BFHE 67, 275, BStBl III 1958, 379 = SIS 58 02 25; Senatsurteil vom 26.8.1987 I R 376/83, BFHE 151, 452, BStBl II
1988, 201 = SIS 88 13 25). Das FG hat sich jedoch wegen des Fehlens
jeglichen konkreten Vorbringens des FA und der Beigeladenen
außer Stande gesehen, konkrete Feststellungen zum jeweiligen
Umfang der pauschal behaupteten Schäden an gemeindlichen
Straßen und Wegen durch Schwertransporte zu treffen. An diese
Beurteilung ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO
gebunden, zumal keiner der Beteiligten eine Verfahrensrüge
wegen unzureichender Sachaufklärung erhoben hat.
Entgegen der Auffassung des FA sind die mit
der Durchführung von Schwertransporten verbundenen besonderen
Lasten für die Gemeinden auch nicht derart offenkundig, dass
konkrete, einzelfallbezogene Feststellungen unterbleiben
könnten. Diese sind schon deshalb unerlässlich, weil -
wie zuvor ausgeführt - nur besonders gewichtige und atypische
Lasten zu einer Unbilligkeit nach § 33 GewStG führen
können, die durch Schwertransporte verursachten
Straßenschäden aber in einer großen Bandbreite von
geringfügig bis schwerwiegend vorstellbar sind. Konkrete
Folgerungen können ohne Kenntnis des Umfangs und der
Intensität der Inanspruchnahme des jeweiligen gemeindlichen
Straßen- und Wegenetzes, der Art und Anzahl der
Schwertransporte und der hierdurch verursachten Schäden nicht
getroffen werden. Auch verbietet sich eine vom Einzelfall
gelöste pauschale Betrachtung deshalb, weil im Rahmen der
Billigkeitsprüfung nach § 33 GewStG solche Lasten nicht
berücksichtigt werden können, für die der Gemeinde -
was bei Schwertransporten nicht fern liegend ist - ein
Gebührenerhebungsrecht (vgl. Senatsurteil in BFHE 151, 452,
BStBl II 1988, 201 = SIS 88 13 25; Trossen, DStZ 2006, 836, 839)
oder zivilrechtliche Schadensersatzansprüche zustehen.
bb) Etwas anderes kann nicht aus dem vom FA in
Bezug genommenen Urteil des Niedersächsischen FG vom 9.6.1981
V 12/79 (EFG 1981, 639) zum Zerlegungsmaßstab bei der
Vermietung von Ferienwohnungen abgeleitet werden. Einer Parallele
zum Streitfall steht bereits entgegen, dass sich nach den
Feststellungen des FG im Urteilsfall in der dortigen
Betriebsstätte des Geschäftssitzes keine nennenswerten
gewerblichen Aktivitäten abgespielt haben, während
vorliegend am Geschäftssitz der Beigeladenen zu 1. mehrere
Arbeitnehmer tätig waren.
d) Die von den Beigeladenen zu 3. und 4. ins
Feld geführten negativen Auswirkungen der Windkraftanlagen auf
das Orts- und Landschaftsbild, auf den Wert von
Wohngrundstücken und auf den Tourismus in den betroffenen
Gemeinden vermögen - unterstellt, sie lägen vor - einen
von § 29 GewStG abweichenden Zerlegungsmaßstab nicht zu
begründen (im Ergebnis auch FG Düsseldorf, Urteil vom
1.6.2006 15 K 5455/04 Zerl, EFG 2006, 1450 = SIS 06 47 06 mit
zustimmender Anmerkung Herlinghaus; Meier, FR 2006, 538). Es
handelt sich hierbei nicht um Lasten, die sich direkt auf die
gemeindlichen Haushalte auswirken. Vielmehr geht es um allgemeine
Auswirkungen der Betriebsstätten auf die Lebensqualität
der Einwohner und die touristische Infrastruktur in den betroffenen
Gemeinden, die Folgewirkungen auf die gemeindliche Haushaltslage
allenfalls mittelbar nach sich ziehen können. Die
Berücksichtigung solcher primär ästhetischen und die
allgemeine Lebensqualität betreffenden, sich nicht unmittelbar
auf die gemeindlichen Haushalte auswirkenden Faktoren würde
den gesetzlichen Rahmen des gewerbesteuerrechtlichen
Zerlegungsverfahrens sprengen. Diesem kommt nicht die Funktion
eines kommunalen Finanzausgleichs zu (Urteile des Bundesfinanzhofs
vom 9.10.1975 IV R 114/73, BFHE 117, 384, BStBl II 1976, 123 = SIS 76 00 70; vom 12.5.1992 VIII R 45/90, BFH/NV 1993, 191). Vielmehr
wurde ihm mit § 29 GewStG ein Zerlegungsmaßstab
beigegeben, der bewusst einfach und praktikabel handhabbar ist und
der die sich hieraus fast immer ergebenden Ungerechtigkeiten
regelmäßig in Kauf nimmt (Blümich/Hofmeister,
a.a.O., § 33 GewStG Rz 4; Trossen, DStZ 2006, 836, 838).
Mangels Feststellbarkeit einer offensichtlichen und gravierenden
Unbilligkeit bleibt es auch im Streitfall bei der Anwendung dieses
Maßstabes.