Mindeststreitwert, Verfassungsmäßigkeit: Die Regelung in § 52 Abs. 4 GKG, wonach in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Streitwert nicht unter 1.000 EUR angenommen werden darf (Mindeststreitwert), unterliegt grundsätzlich keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. - Urt.; BFH 31.5.2007, V E 2/06; SIS 07 24 62
I. Der Kostenschuldner und
Erinnerungsführer (Kostenschuldner), ein Rechts- und
Betriebswirt, erhob gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1996
bis 1998 Klage. Das Finanzgericht (FG) stellte durch Urteil vom
13.10.2004 1 K 1574/03 fest, dass der Kostenschuldner die Klage mit
- elektronisch übermitteltem - Schriftsatz vom 29.7.2004
(wirksam) zurückgenommen habe (vgl. EFG 2005, 1952 = SIS 06 00 66).
Auf die Beschwerde des Kostenschuldners
wegen Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil ließ
der Senat durch Beschluss vom 15.7.2005 V B 216/04 die Revision
zu.
Durch Urteil vom 26.10.2006 V R 40/05
(BFH/NV 2007, 356 = SIS 06 48 79) wies der Senat die Revision des
Kostenschuldners auf dessen Kosten als unbegründet
zurück.
Mit Kostenrechnung vom 11.12.2006 KostL
2257/06 setzte die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) die
Gerichtskosten für das Verfahren vor dem BFH mit 275 EUR an.
Dabei wurde der Mindeststreitwert gemäß § 52 Abs. 4
des Gerichtskostengesetzes (GKG) von 1.000 EUR zugrunde gelegt.
Daraus ergab sich gemäß § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr.
6120 des Kostenverzeichnisses i.V.m. Anlage 2 zu § 34 Abs. 1
Satz 3 GKG eine Verfahrensgebühr von (5 x 55 EUR =) 275
EUR.
Hiergegen wendet sich der Kostenschuldner
mit Schriftsatz vom 14.12.2006. Er beantragt, gemäß
§ 21 Abs. 1 Satz 3 GKG von der Kostenerhebung abzusehen, weil
die abweisende Entscheidung auf einer unverschuldeten Unkenntnis
der rechtlichen Verhältnisse beruhe. Der BFH habe die Revision
wegen grundsätzlicher Bedeutung der nunmehr entschiedenen
Rechtssache zugelassen; die Entscheidung des Gerichts sei daher im
Zeitpunkt der Zulassung der Revision offen gewesen; die Unkenntnis
der Rechtsauffassung des BFH sei daher unverschuldet.
Rein vorsorglich werde gegen die
Kostenrechnung Erinnerung eingelegt. Die Kostenrechnung gehe von
einem (Mindest-)Streitwert von 1.000 EUR aus, während
tatsächlich lediglich ca. 260 EUR im Streit gewesen seien. Die
Einführung eines Mindeststreitwerts von 1.000 EUR stelle eine
Rechtswegsperre dar und sei damit verfassungswidrig.
II. Die Eingabe des Kostenschuldners vom
14.12.2006 hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag des Kostenschuldners auf
Nichterhebung von Kosten nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG ist als
Erinnerung i.S. von § 66 Abs. 1 GKG auszulegen, wenn - wie
hier - ihm bereits die Kostenrechnung zugegangen ist (vgl. z.B.
BFH-Beschluss vom 28.6.2005 X E 1/05, BFHE 209, 422, BStBl II 2005,
646 = SIS 05 35 95).
2. Der Kostenschuldner konnte die Erinnerung
persönlich einlegen, da für ihre Einlegung der
Vertretungszwang des § 62a der Finanzgerichtsordnung (FGO)
nicht gilt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 1.9.2005 III E 1/05,
BFH/NV 2006, 92 = SIS 06 02 95; vom 22.12.2004 V E 1/04, V E 2/04,
BFH/NV 2005, 717 = SIS 05 18 49).
3. Nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG kann
für abweisende Entscheidungen von der Erhebung von Kosten
abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis
der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse
beruht.
a) Unter abweisender Entscheidung sind
Entscheidungen jeder Art und Form zu verstehen (vgl. BFH-Beschluss
vom 24.2.1967 III B 8/66, BFHE 88, 276, BStBl III 1967, 369 = SIS 67 02 44). Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich
auch auf die prozessuale Rechtslage beziehen (vgl. BFH-Beschluss
vom 20.6.1994 XI E 2, 3/94, BFH/NV 1995, 149). Ob die Unkenntnis
der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse
unverschuldet ist, richtet sich nach den Umständen des
Einzelfalls. Dabei ist u.a. der Bildungsgrad des Kostenschuldners
zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluss vom 21.6.1968 III B
73/67, BFHE 92, 548, BStBl II 1968, 659 = SIS 68 04 47; Ruban in
Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 135 Rz
22).
b) Im Streitfall greift § 21 Abs. 1 Satz
3 GKG nicht ein.
Der Kostenschuldner rügt insoweit
sinngemäß, die Rechtsauffassung des BFH in seiner
abweisenden Entscheidung im Urteil in BFH/NV 2007, 356 = SIS 06 48 79 sei für ihn (den Kostenschuldner) nicht vorhersehbar
gewesen und beruhe deshalb auf einer unverschuldeten Kenntnis der
rechtlichen Verhältnisse. Dieses Vorbringen hat keinen
Erfolg.
Als der Kostenschuldner
Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG einlegte, ging er
bewusst ein Prozesskostenrisiko ein. Auch dass die
Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hatte, weil einer der
Revisionszulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO vorlag,
bedeutete nicht zwangsläufig, dass die nachfolgende Revision
(§ 116 Abs. 7 FGO) ebenfalls Erfolg haben musste. Das war
für den Kostenschuldner als Rechts- und Betriebswirt, der
zudem durch eine Rechtsanwältin als
Prozessbevollmächtigte fachkundig beraten wurde,
erkennbar.
Die Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG
verfolgt nicht den Zweck, einem Rechtsmittelführer das mit der
Einlegung eines Rechtsmittels verbundene Kostenrisiko abzunehmen
und auf die Allgemeinheit abzuwälzen (vgl. BFH-Beschlüsse
vom 25.3.1969 VII B 151/68, BFHE 95, 209, BStBl II 1969, 344 = SIS 69 02 23; vom 25.4.2006 VIII E 2/06, BFH/NV 2006, 1335 = SIS 06 26 45; vom 28.4.2006 I E 1/06, BFH/NV 2006, 1674 = SIS 06 34 26).
4. Auch soweit der Kostenschuldner ferner
„vorsorglich“ ausdrücklich
„Erinnerung“ gegen die Kostenrechnung wegen des
dabei angesetzten Mindeststreitwerts von 1.000 EUR eingelegt hat,
bleibt sein Vorbringen ohne Erfolg.
a) Mit der Erinnerung gemäß §
66 Abs. 1 GKG können die Kostenansätze und die ihnen
zugrunde liegende Streitwertbemessung überprüft werden
(vgl. BFH-Beschlüsse vom 15.12.1992 VII E 3/92, BFH/NV 1993,
488; vom 13.12.2006 XI E 5/06, BFH/NV 2007, 493 = SIS 07 07 34).
b) Die Einwendungen des Kostenschuldners gegen
den Ansatz des Mindeststreitwerts von 1.000 EUR gemäß
§ 52 Abs. 4 GKG greifen nicht durch. Der Kostenschuldner
beruft sich insoweit auf die gegen diese Vorschrift erhobenen
verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Thüringer FG, Beschluss
vom 28.2.2005 II 70007/05 Ko, EFG 2005, 975 = SIS 05 22 61; Eberl,
DB 2004, 1910). Der Senat teilt diese Bedenken - jedenfalls bei den
im Streitfall gegebenen Umständen - jedoch nicht.
aa) Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren
vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und
Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anders bestimmt ist, der
Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für
ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des
Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert
von 5.000 EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Betrifft der
Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen
hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe
maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). In Verfahren vor den
Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit darf der Streitwert nicht unter
1.000 EUR angenommen werden (§ 52 Abs. 4 GKG).
bb) Der Mindeststreitwert von 1.000 EUR
gemäß § 52 Abs. 4 GKG, der durch das
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRModG) vom 5.5.2004 (BGBl I
2004, 718) zum 1.7.2004 eingeführt worden ist, bewirkt keine
verfassungsrechtlich unzulässige Zugangsbeschränkung zu
den Finanzgerichten.
Der Gesetzgeber hat diese Regelung wie folgt
begründet (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 156):
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„Neu ist der Mindeststreitwert
für Verfahren vor den Finanzgerichten. Dieser soll mit 1.000
Euro festgelegt werden. Zahlreichen Verfahren liegt ein sehr
geringer Streitwert zugrunde. Die in diesen Verfahren anfallenden
sehr geringen Gebühren können nicht durch hohe
Gebühren bei Verfahren mit höheren“
(ergänzt: Streitwerten) „ausgeglichen werden. Mit dem
vorgeschlagenen Mindeststreitwert kann dem Aufwand, den ein
finanzgerichtliches Verfahren mit sich bringt, besser Rechnung
getragen werden. Auch haben die Verfahren schon häufig deshalb
eine höhere Bedeutung als der sich im Streit befindliche
Betrag, weil die Entscheidung in einer Steuersache Bedeutung
für die Folgejahre haben kann.“
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Der Senat hat gegen diese gesetzliche
Typisierung in § 52 Abs. 4 GKG keine verfassungsrechtlichen
Bedenken, zumal ein Kläger, der nach seinen persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der
Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, einen Antrag auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe - PKH - (§ 142 FGO i.V.m. §§ 114
ff. der Zivilprozessordnung - ZPO - ) stellen kann (ebenso
Hessisches FG vom 20.3.2006 12 Ko 3720/04, DStRE 2006, 1238 = SIS 06 29 38; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 135 FGO Rz
107a; Bartone, AO-Steuerberater 2005, 22, 24; wohl auch
Sächsisches FG vom 27.3.2006 3 Ko 243/06, EFG 2006, 1103 = SIS 06 24 46). Auch der VII. Senat des BFH geht (stillschweigend) von
der Rechtswirksamkeit des § 52 Abs. 4 GKG aus (vgl. Beschluss
vom 30.5.2006 VII E 26/05, BFH/NV 2006, 1686 = SIS 06 34 42).
cc) Allerdings ist es nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit der aus dem
Rechtsstaatsprinzip sowie aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes
folgenden Justizgewährungspflicht nicht vereinbar, den
Rechtsuchenden durch Vorschriften über die Gerichts- und
Anwaltsgebühren oder deren Handhabung mit einem Kostenrisiko
zu belasten, das außer Verhältnis zu seinem Interesse an
dem Verfahren steht und die Anrufung des Gerichts bei
vernünftiger Abwägung als wirtschaftlich nicht mehr
sinnvoll erscheinen lässt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 12.2.1992
1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337).
Danach ist eine unzumutbare Erschwerung des
Rechtswegs „regelmäßig“ dann zu
bejahen, wenn es (erstens) nicht nur um geringfügige
Beträge geht und wenn (zweitens) schon das Gebührenrisiko
für eine Instanz das wirtschaftliche Interesse eines
Beteiligten an dem Verfahren erreicht oder sogar übersteigt
(vgl. BVerfG in BVerfGE 85, 337, 348; vom 16.11.1999 1 BvR 1821/94,
NJW-RR 2000, 946).
(1) Der Senat ist der Auffassung, dass diese
Rechtsprechung im Hinblick auf die für die Einführung des
Mindeststreitwerts nach § 52 Abs. 4 GKG geltenden - wie
dargelegt - sachlichen Gründe und im Hinblick auf die
Möglichkeit der Gewährung von PKH einer Differenzierung
bedarf (so wohl auch Sächsisches FG in EFG 2006, 1103).
Zu beachten ist dabei auch, dass das
Finanzgericht seiner Struktur nach ein Obergericht wie das
Oberverwaltungsgericht (der Verwaltungsgerichtshof) ist und die
Richter am Finanzgericht wie die Richter an anderen Obergerichten
besoldet werden. Auf diesen Gesichtspunkt hat der Gesetzgeber in
der Gesetzesbegründung zum KostRMoG - in anderem Zusammenhang
- hingewiesen (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 213). Der Gesetzgeber darf
aber bei der Bestimmung der Gerichtskosten das Interesse des Fiskus
an einer angemessenen Gebühr berücksichtigen (vgl. BVerfG
in BVerfGE 85, 337, 348, m.w.N.).
(2) Jedenfalls sind die vom BVerfG
aufgestellten Kriterien für die Annahme einer unzumutbaren
Erschwerung des Rechtswegs im Streitfall nicht erfüllt. Denn
im Streitfall erreicht das Gebührenrisiko für eine
Instanz das wirtschaftliche Interesse des Kostenschuldners an dem
Verfahren nicht.
Entgegen der Darstellung des Kostenschuldners
waren nicht lediglich ca. 260 EUR im Streit; vielmehr betrug der
Streitwert 474 EUR. Der Kostenschuldner hat zuletzt im
Klageverfahren in der mündlichen Verhandlung vor dem FG - wie
im Revisionsverfahren - beantragt, die Einspruchsentscheidung vom
14.7.2003 betreffend den Umsatzsteuerbescheid für 1996 vom
4.12.2000 aufzuheben sowie unter erneuter Änderung des
Änderungsbescheides vom 8.6.2004 die Umsatzsteuer für
1997 um 65,20 DM (= 33,33 EUR) niedriger festzusetzen. Der
Streitwert betreffend Umsatzsteuer für 1996 betrug 440,73 EUR,
da die vom Kostenschuldner angefochtene (verbösernde)
Einspruchsentscheidung vom 14.7.2003 im Vergleich zum
Umsatzsteuerbescheid für 1996 vom 4.12.2000 zu einer
Steuernachforderung von 440,73 EUR führte. Hinsichtlich der
Umsatzsteuer für 1997 waren 33,33 EUR im Streit. Der
Streitwert betrug damit insgesamt 474 EUR.
Dieser Streitwert von 474 EUR ist höher
als das Gebührenrisiko für eine Instanz.
Denn bei Ansatz des (Mindest-)Streitwerts von
1.000 EUR entsteht in Klageverfahren vor den Finanzgerichten eine
Verfahrensgebühr von (4 x 55 EUR =) 220 EUR und in
Revisionsverfahren eine - von der Kostenstelle des BFH in der
angefochtenen Kostenrechnung angesetzte - Verfahrensgebühr von
(5 x 55 EUR =) 275 EUR. Das ergibt sich aus § 3 Abs. 2 GKG
i.V.m. Nr. 6110, 6120 des Kostenverzeichnisses i.V.m. Anlage 2 zu
§ 34 Abs. 1 Satz 3 GKG (vgl. auch Eberl, DB 2004, 1910;
Bartone, AO-Steuerberater 2005, 22 ff.; Thüringer FG in EFG
2005, 957). Weitere Gebühren sind nicht zu entrichten.