Anbau, Investitionszulage: 1. Ob ein Anbau ein gegenüber dem bestehenden Gebäude selbständiges Wirtschaftsgut darstellt, ist - vom Nutzungs- und Funktionszusammenhang abgesehen - nach bautechnischen Kriterien zu beurteilen. Entscheidend hierfür sind die statische Standfestigkeit der Gebäudeteile und die dazu getroffenen Baumaßnahmen wie z.B. eigene tragende Mauern und eigene Fundamente. - 2. Ein Anbau, der keine eigene Standfestigkeit besitzt, ist kein selbständiges Wirtschaftsgut. Auf die Höhe der Bauaufwendungen, die erforderlich sind, um im Fall der Trennung den Gebäudeteil (Anbau) standfest zu machen, kommt es nicht an. - Urt.; BFH 25.1.2007, III R 49/06; SIS 07 16 96
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) - eine GmbH - betreibt ein Unternehmen, dessen
Gegenstand die Entwicklung, der Bau, der Vertrieb und die Wartung
von Anlagen und Sondermaschinen ist.
Das Grundstück, auf welchem die
Klägerin ihren Betrieb zur Herstellung von Sondermaschinen
betreibt, ist im Fördergebiet belegen und besteht aus mehreren
Grundstücken im Rechtssinn.
Im Jahr 1995 bebaute die GmbH das
Grundstück mit einem zweigeschossigen Büro- und
Sozialgebäude mit einer Grundfläche von 500 qm und einer
sich daran anschließenden eingeschossigen Produktionshalle
mit einer Grundfläche von 1.800 qm. Die Produktionshalle und
das Büro- und Sozialgebäude stehen im Eigentum der
GmbH.
Im Jahr 1998 erweiterte die Klägerin
die Produktionshalle durch einen Anbau mit einer Grundfläche
von 844 qm („erster Anbau“). Im Jahr 1999 errichtete
sie einen weiteren Anbau mit einer Grundfläche von 1.284 qm
(„zweiter Anbau“). Der zweite Anbau war mit
Baugenehmigung vom 28.1.1999 genehmigt und dort als „Anbau an
Produktionshalle“ bezeichnet worden. Die beiden Anbauten
stehen im Eigentum der Klägerin.
Zwischen dem zweigeschossigen Büro-
und Sozialgebäude und der Produktionshalle befindet sich eine
Brandmauer. Die Produktionshalle und der erste Anbau wurden als
Stahlrahmenhalle mit Wandelementen aus Gasbetonplatten errichtet.
Die beiden nicht voneinander getrennten Hallenkörper haben
einen Dachaufbau aus Stahlträgern und
Trapezblech-Mineralsteinwolle-Stahltrapezblech (Mehrschichtendach
aus Trapezblech). Die aus Fertigteilsockelplatten und
Gasbetonplatten bestehende abschließende Giebelwand des
ersten Anbaus wurde bei der Errichtung des zweiten Anbaus
abgerissen.
Auch der zweite Anbau ist eine
Stahlrahmenhalle mit Wandelementen aus Gasbetonplatten an den
Längsseiten und einer Isopaneelwand als Gebäudeabschluss
an der Giebelwand. Das Dach ist ebenfalls als Stahltragwerk mit
Mehrschichtendach aus Trapezblech konstruiert. Die
Längswände wurden an die Stützen des ersten Anbaus
montiert. Zusätzliche Stützen wurden nicht errichtet,
obwohl Hülsenfundamente hergestellt worden waren. Das Dach
wurde im Verbindungsbereich auf die Stahlträger des ersten
Anbaus aufgelegt. Mit dem Bau des zweiten Anbaus entstand eine
durchgehende Halle mit einer Gesamtlänge von 113,4 m. Durch
die gesamte Halle führt eine Kranbahn mit zwei Kränen.
Der (Industrie-)Fußboden enthält zwischen erstem und
zweitem Anbau eine Trennungsfuge (Dehnungsfuge). Der zweite Anbau
besitzt eigene Sektionaltore, eine eigene Energieversorgung und
Entsorgung zur Dachentwässerung sowie technische
Versorgungseinrichtungen. Die Stromkreise, die Druckluftanlage und
die Heizkreisläufe sind getrennt.
Die Klägerin beantragte u.a. für
die Herstellung des zweiten Anbaus eine Investitionszulage für
das Kalenderjahr 1999 nach § 2 Abs. 3 des
Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999. Die Herstellungskosten
des zweiten Anbaus betrugen 1.001.064,17 DM (= 511.835,98
EUR).
Bei einer Nachschau gelangte der Beklagte
und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) zu der Auffassung,
der zweite Anbau sei kein zulagenbegünstigter Neubau, da er
nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eine Erweiterung des
bereits vorhandenen Altbaus und damit kein selbständiges
Wirtschaftsgut darstelle. Das FA berücksichtigte die
Herstellungskosten des zweiten Anbaus daher nicht bei der
Festsetzung der Investitionszulage für das Kalenderjahr 1999.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies das FA als
unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Das Urteil ist in EFG 2006, 1605 = SIS 06 40 32
veröffentlicht.
Das FG führte im Wesentlichen aus,
nach § 2 Abs. 3 InvZulG 1999 sei die Herstellung neuer
Gebäude zulagenbegünstigt. Ein Anbau sei u.a. dann ein
selbständiges Wirtschaftsgut, wenn die Teile des Bauwerks ohne
weitere erhebliche Bauaufwendungen voneinander getrennt werden
könnten (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF -
vom 28.6.2001, BStBl I 2001, 379 = SIS 01 11 55 Rz 68, unter
Hinweis auf Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5.12.1974 V R
30/74, BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344 = SIS 75 02 03; vom
21.7.1977 V R 58/75, BFHE 123, 527, BStBl II 1978, 78 = SIS 78 00 49, und vom 15.9.1977 V R 14/76, BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123
= SIS 78 00 72).
Diese Voraussetzung sei im Streitfall
erfüllt, weil eine Trennung des Anbaus mit einem Aufwand von
weniger als 10 v.H. seiner Herstellungskosten möglich
sei.
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung des § 2 Abs. 3 InvZulG 1999.
Das FA trägt im Wesentlichen vor, die
vom FG zur Abgrenzung des erheblichen Bauaufwands angewandte
„Wesentlichkeitsgrenze von 10 v.H.“ finde weder in
§ 2 Abs. 3 InvZulG 1999 noch in der Rechtsprechung und den
Verwaltungsvorschriften eine Stütze. Nach dem BFH-Urteil in
BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123 = SIS 78 00 72 seien Aufwendungen
zur statischen Sicherung eines Gebäudes - wie im Streitfall -
stets als erheblicher Bauaufwand zu beurteilen. Im Übrigen
handele es sich dabei um fiktive Kosten einer Trennung des Anbaus.
Für die Gewährung einer Investitionszulage seien jedoch
die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden,
dass die Errichtung des zweiten Anbaus eine nach § 2 Abs. 3
InvZulG 1999 begünstigte Investition ist.
1. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG
1999 sind begünstigte Investitionen u.a. die Herstellung neuer
Gebäude, soweit die Gebäude mindestens fünf Jahre
nach ihrer Herstellung in einem Betrieb des verarbeitenden Gewerbes
oder in einem Betrieb der produktionsnahen Dienstleistungen i.S.
des § 2 Abs. 2 Nr. 1 InvZulG 1999 verwendet werden. Nach der
Definition in § 2 Abs. 3 Satz 1 InvZulG 1999 sind Gebäude
auch Eigentumswohnungen, im Teileigentum stehende Räume und
andere Gebäudeteile, die selbständige unbewegliche
Wirtschaftsgüter sind.
Nach der Gesetzesbegründung ist der
Begriff des Neubaus nach den für die degressive Absetzung
für Abnutzung (AfA) nach § 7 Abs. 5 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) 1997 bestehenden Grundsätzen
auszulegen. Danach entstehe nur dann ein Neubau, wenn die
eingefügten Neubauteile dem Gesamtgebäude das
Gepräge geben, so dass es in bautechnischer Hinsicht neu sei.
Das sei insbesondere der Fall, wenn verbrauchte Teile ersetzt
würden, die für die Nutzungsdauer bestimmend seien
(BTDrucks 13/7792, 13). Nachträgliche Herstellungsarbeiten
sind daher nicht nach § 2 Abs. 3 InvZulG 1999
begünstigt.
Wird - wie im Streitfall - ein bestehendes
Gebäudes durch einen Anbau erweitert, ist die Investition
demnach nur dann nach § 2 Abs. 3 InvZulG 1999 begünstigt,
wenn ein selbständiges, neben den Altbau tretendes neues
Gebäude, ein selbständiger Gebäudeteil oder ein
einheitliches neues Gebäude unter Einbeziehung des
Altgebäudes entsteht.
Ein Anbau an ein bestehendes Gebäude ist
ein selbständiges Gebäude, wenn er mit dem
Altgebäude baulich nicht verschachtelt ist. Trotz baulicher
Verschachtelung des Anbaus mit dem bestehenden Gebäude ist ein
selbständiger Gebäudeteil anzunehmen, wenn der Anbau in
unterschiedlichem Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit dem
bereits vorhandenen Gebäude steht oder an ihm gesondertes
Wohnungs- oder Teileigentum besteht. Durch einen mit dem
Gebäude verschachtelten Anbau entsteht ein einheitliches neues
Gebäude, wenn die Neubauteile dem Gesamtgebäude das
Gepräge geben; hierfür sind regelmäßig die
Größen- und Wertverhältnisse der Alt- und
Neubauteile maßgebend (BFH-Urteile vom 9.8.1974 V R 11/74,
BFHE 114, 569, BStBl II 1975, 342 = SIS 75 02 02; vom 18.8.1977 V R
164/75, BFHE 123, 165, BStBl II 1978, 46 = SIS 78 00 28, und vom
18.12.1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350 = SIS 87 08 22).
Ob ein Anbau ein gegenüber dem
bestehenden Gebäude selbständiges Wirtschaftsgut
darstellt, ist - vom Nutzungs- und Funktionszusammenhang abgesehen
- nach bautechnischen Kriterien zu beurteilen. Entscheidend
hierfür sind die statische Standfestigkeit der
Gebäudeteile und die dazu getroffenen Baumaßnahmen wie
z.B. eigene tragende Mauern und eigene Fundamente (vgl. die zur
Selbstverbrauchsteuer nach § 30 Abs. 2 des
Umsatzsteuergesetzes 1967 ergangene Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil
vom 15.2.1990 V R 7/85, BFH/NV 1991, 61, m.w.N.). Ein Anbau, der
keine eigene statische Standfestigkeit besitzt, ist folglich kein
selbständiges Wirtschaftsgut. Auf die Höhe der
Bauaufwendungen, die erforderlich sind, um im Fall der Trennung den
Gebäudeteil (Anbau) standfest zu machen, kommt es - entgegen
der Auffassung des FG - nicht an.
Zwar hat der BFH in früheren Urteilen
ausgeführt, eine Verschachtelung setze bauliche Verbindungen
voraus, die nicht ohne erhebliche Bauaufwendungen voneinander
getrennt werden können (z.B. Urteile in BFHE 114, 295, BStBl
II 1975, 344 = SIS 75 02 03; in BFHE 123, 527, BStBl II 1978, 78 =
SIS 78 00 49, und in BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123 = SIS 78 00 72). In erster Linie hat er jedoch die Frage der baulichen
Verschachtelung nach der eigenen Standfestigkeit des Anbaus
aufgrund eigener Fundamentierung und Ausstattung mit eigenen,
tragenden Mauern beurteilt. Im Urteil in BFH/NV 1991, 61 hat er bei
mangelnder eigener Standfestigkeit des Anbaus die Höhe der
Aufwendungen, um den Anbau standfest zu machen, ausdrücklich
nicht als maßgebendes Kriterium dafür angesehen, ob der
Anbau als selbständiges Wirtschaftsgut zu beurteilen ist.
2. Nach diesen Grundsätzen ist der zweite
Anbau nicht - wie vom FG angenommen - mangels baulicher
Verschachtelung ein selbständiges Gebäude. Jedoch ist
durch diesen Anbau ein neues Gebäude unter Einbeziehung des
Altgebäudes entstanden, weil die Neubauteile dem
Gesamtgebäude das Gepräge geben.
a) Die bauliche Verschachtelung des zweiten
Anbaus mit dem ersten Anbau ergibt sich daraus, dass nach den
tatsächlichen Feststellungen des FG die Standfestigkeit des
zweiten Anbaus von dem ersten Anbau abhängt. Im Streitfall
wurden die Längswände an die Stützen des ersten
Anbaus montiert. Auch wurde das Dach im Verbindungsbereich auf die
Stahlträger des ersten Anbaus aufgelegt; zusätzliche
Stützen wurden nicht errichtet. Ein Abriss des ersten Anbaus
würde daher - wie das FG selbst festgestellt hat - ohne
Sicherungsmaßnahmen zum Einsturz des zweiten Anbaus
führen.
Weiter spricht im Streitfall der Verzicht auf
eine Trennwand zwischen dem ersten und dem zweiten Anbau für
die Annahme einer Gebäudeeinheit, weil beide Gebäudeteile
dadurch eine einheitliche Produktionshalle bilden. Die
Einheitlichkeit beider Gebäudeteile wird noch durch die
durchgängige Kranbahn mit zwei Kränen unterstrichen. Dass
der zweite Anbau eine eigene Entsorgung zur Dachentwässerung,
eine eigene Energieversorgung sowie eigene technische
Versorgungseinrichtungen besitzt, rechtfertigt aufgrund der
genannten baulichen Verbindungen keine abweichende Beurteilung.
Ferner ist unerheblich, dass bereits die Hülsenfundamente
für eine eigene Abstützung des zweiten Anbaus hergestellt
worden sind, da die Klägerin auf diesen Fundamenten keine
zusätzlichen Stützen errichtet hat. Für die
Beurteilung der baulichen Verschachtelung sind allein die
tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich.
b) Das durch den zweiten Anbau an die Halle
entstandene einheitliche Gebäude wird aufgrund der
Größen- und Wertverhältnisse durch den zweiten
Anbau geprägt.
Maßgeblich sind im Streitfall die
Größen- und Wertverhältnisse des ersten Anbaus zum
zweiten Anbau. Die ursprüngliche Produktionshalle bleibt
außer Betracht, da sie nicht im Eigentum der Klägerin
steht. Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin die
ursprüngliche Produktionshalle zumindest als wirtschaftlicher
Eigentümerin persönlich zuzurechnen ist, sind im
Streitfall nicht erkennbar. Der zweite Anbau mit einer
Grundfläche von 1.284 qm überwiegt nach seinen
Größenverhältnissen den ersten Anbau mit einer
Grundfläche von 844 qm. Aufgrund des geringen zeitlichen
Abstands zwischen der Errichtung beider Anbauten und der
identischen Bauausführung ist auch vom wertmäßigen
Überwiegen des zweiten Anbaus auszugehen.