Formwirksames Vermächtnis, Erbschaftsteuer: 1. Anerkennen und beachten der Belastete und der Begünstigte den Willen des Erblassers und führen sie dessen formunwirksam angeordnetes Verschaffungsvermächtnis aus, entsteht die Erbschaftsteuer nicht - auch nicht rückwirkend - mit dem Tod des Erblassers, sondern erst mit der Erfüllung des Vermächtnisses. - 2. Der vermächtnisweise erworbene Anspruch auf Verschaffung einer Sache, die sich der Belastete mit Geldern aus dem Nachlass besorgen muss, ist mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Steuer vor 1996 oder nach 1995 entstanden ist. - Urt.; BFH 28.3.2007, II R 25/05; SIS 07 16 95
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind die Gesamtrechtsnachfolger ihres während
des Rechtsstreits verstorbenen Sohnes W. Ein am 15.5.1998
verstorbener Vetter (E) eines der Kläger hatte drei Wochen vor
seinem Tod ein privatschriftliches Testament gefertigt, in dem er
u.a. verfügte, sein Geld- und Wertpapiervermögen solle
bis auf einen Betrag von 50.000 DM seiner Schwester (S) zufallen;
die 50.000 DM solle W bekommen. Dementsprechend gab S in ihrer
Erbschaftsteuererklärung vom September 1998 an, mit einem
Vermächtnis zugunsten des W in Höhe von 50.000 DM
beschwert zu sein. Anfang Oktober ging beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ein Schreiben der S ein,
wonach E ihr wenige Tage vor seinem Tod bei einem Besuch im
Krankenhaus aufgetragen habe, dem W aus dem ihr testamentarisch
zugedachten Kapitalvermögen eine Eigentumswohnung im Wert von
250.000 DM bis 300.000 DM zu kaufen. E habe dies noch in sein
Testament aufnehmen wollen, dies aber nicht mehr geschafft.
Allerdings habe er den W noch davon unterrichten können. Sie,
die S, habe erst nach Erklärungsabgabe erfahren, dass einer
derartigen mündlichen Verfügung gemäß §
41 der Abgabenordnung (AO) doch Bedeutung zukommen könne. Sie
habe noch keine geeignete Eigentumswohnung gefunden, beantrage
aber, bei Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen sie eine weitere
Verpflichtung aus Vermächtnis in Höhe von 300.000 DM zu
berücksichtigen.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom
5.10.1999 übertrug S dem W unentgeltlich eine
Eigentumswohnung. In der Urkunde hieß es, die Übergabe
erfolge in Vollzug des letzten Willens des E.
Ungeachtet des im Oktober 1998
eingegangenen Schreibens setzte das FA gegen W - lediglich
ausgehend von der Erbschaftsteuererklärung der S - mit
Bescheid vom 4.12.1998 wegen des vermächtnisweisen Erwerbs des
W in Höhe von 50.000 DM eine Steuer von 3.600 DM fest. Erst
nach Eingang einer Erbschaftsteuererklärung auch des W, in der
dieser als weiteren Erwerb neben den 50.000 DM auch die
mittlerweile erhaltene Eigentumswohnung angegeben hatte,
erließ das FA am 16.8.2000 einen nach § 173 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid, mit dem es die Erbschaftsteuer
auf 47.226 DM heraufsetzte. Dabei war das erklärte
Verschaffungsvermächtnis mit 247.858 DM (Erwerbskosten der S
./. Nebenkosten der Übertragung auf W) angesetzt.
Einspruch und Klage, mit denen sich
zunächst W und später die Kläger gegen die Bewertung
des geltend gemachten Verschaffungsvermächtnisses mit dem
Verkehrswert der Eigentumswohnung gewandt und statt dessen verlangt
hatten, es mit dem von ihnen in Anlehnung an § 146 des
Bewertungsgesetzes (BewG) ermittelten Grundstückswert in
Höhe von 108.000 DM zu bewerten, blieben ohne Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) war mit dem in EFG 2005, 1133 = SIS 05 29 15
veröffentlichten Urteil der Ansicht, das FA sei
gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zum Erlass des
Änderungsbescheides berechtigt gewesen. Der Erwerb der
Eigentumswohnung durch W sei ein rückwirkendes Ereignis im
Sinne dieser Vorschrift. Erst mit dem Vollzug der formunwirksamen
Vermächtnisanordnung sei insoweit der Tatbestand des § 3
Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes
(ErbStG) erfüllt worden. Der Änderungsbescheid entspreche
auch der materiellen Rechtslage. Es, das FG, sei davon
überzeugt, dass E kurz vor seinem Tod den Willen kundgetan
habe, S solle dem W eine Eigentumswohnung verschaffen, und dass S
diesen Willen umgesetzt habe. Dieses Verschaffungsvermächtnis
sei mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Das ergebe sich aus dem
Korrespondenzprinzip. Der Gegenstand des Vermächtnisses habe
sich zunächst nicht im Nachlass befunden. W habe zunächst
keinen Herausgabeanspruch, sondern einen Anspruch gegen S erworben,
sich die Sache zu beschaffen. Darin liege ein wesentlicher
Unterschied zum reinen Sachvermächtnis, der es
ausschließe, dem Verschaffungsvermächtnis dieselbe
Sonderbehandlung angedeihen zu lassen wie einem reinen
Sachvermächtnis.
Mit der Revision rügen die Kläger
fehlerhafte Anwendung des § 12 Abs. 1 ErbStG sowie des §
9 BewG. Die Ansprüche aus Verschaffungsvermächtnissen
seien wie die Rechte aus reinen Sachvermächtnissen zu
bewerten, nämlich mit dem Steuerwert der Sache, auf die die
Ansprüche gerichtet seien. Die Ansprüche aus
Verschaffungsvermächtnissen seien nämlich nicht Teil
eines Gegenseitigkeitsverhältnisses. Daran ändere die
Tatsache, dass der Beschwerte die Sache mit Mitteln aus dem
Nachlass erst erwerben müsse, nichts.
Die Kläger beantragen
sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den
Erbschaftsteuerbescheid vom 16.8.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 20.11.2001 dahin zu ändern, dass
die Steuer nach einem steuerpflichtigen Erwerb von 134.800 DM
bemessen wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Die
Sachverhaltswürdigung des FG, S habe ein unwirksames
Vermächtnis des E, dem W eine Eigentumswohnung zu verschaffen,
erfüllt, ist zwar möglich und revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Der Sachverhalt ist daher materiell-rechtlich so zu
besteuern, als habe E ein wirksames Verschaffungsvermächtnis
angeordnet. Die Erfüllung dieses Vermächtnisses hat aber
zu einem weiteren Erwerb des W nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG
geführt, für den die Steuer erst mit der Erfüllung
entstanden ist. Die Steuer war daher nicht im Wege einer
Änderung desjenigen Bescheides festzusetzen, der bereits
bezüglich des Geldvermächtnisses ergangen war, sondern
durch einen weiteren, selbständigen Bescheid. Da der
Vorentscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war
sie aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Auch der angefochtene
Änderungsbescheid konnte keinen Bestand haben.
1. Wird eine Verfügung von Todes wegen
ausgeführt, obwohl sie unwirksam ist, und beruht die
Ausführung der Verfügung auf der Beachtung des
erblasserischen Willens, den Begünstigter und Belasteter
anerkennen, ist gemäß § 41 Abs. 1 AO das
wirtschaftliche Ergebnis dieses Vollzugs erbschaftsteuerrechtlich
von Bedeutung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15.3.2000
II R 15/98, BFHE 191, 403, BStBl II 2000, 588 = SIS 00 08 59, sowie
vom 2.12.1969 II 120/64, BFHE 91, 311, BStBl II 1970, 119 = SIS 70 00 67). Ein formunwirksames Vermächtnis ist danach
erbschaftsteuerrechtlich zu erfassen, wenn feststeht, dass der
Beschwerte die Rechtshandlungen, die sich als Erfüllung dieses
Vermächtnisses darstellen, mit dem Willen vorgenommen hat, dem
(formunwirksam) geäußerten letzten Willen des Erblassers
zu entsprechen. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist
eine Tatfrage. Im Streitfall hat das FG das Vorliegen der
Voraussetzungen bejaht. Daran ist das Revisionsgericht
gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Die
Schlussfolgerungen des FG sind möglich und verstoßen
weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine
Erfahrungssätze.
2. Die nach § 41 Abs. 1 AO i.V.m. §
3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG festzusetzende Steuer für den
vermächtnisweisen Erwerb eines formunwirksam Bedachten
entsteht entgegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG nicht -
auch nicht rückwirkend - mit dem Tod des Erblassers, sondern
erst mit der Erfüllung des formunwirksam geäußerten
letzten Erblasserwillens. Erst zu diesem Zeitpunkt ist der um
§ 41 Abs. 1 Satz 1 AO zu ergänzende Erwerbstatbestand des
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.S. des § 38 AO verwirklicht (so
auch Gebel in UVR 1995, 239, 243, sowie Moench, Erbschaft- und
Schenkungsteuer, § 3 Rz 57). Die Frage, ob der Erfüllung
die Bedeutung eines rückwirkenden Ereignisses i.S. des §
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zukommt, kann sich nur auf Seiten des
Erfüllenden stellen, und zwar dann, wenn gegen diesen bereits
ein Erbschaftsteuerbescheid ergangen ist, ohne das nunmehr
vollzogene unwirksame Vermächtnis zu berücksichtigen.
Verschiedene Zeitpunkte der Tatbestandsverwirklichung und damit
zusammenhängend der Entstehung der Steuer bedeuten
nämlich, dass selbständige Erwerbsvorgänge
vorliegen, für die die Steuer jeweils gesondert festzusetzen
ist (BFH-Urteil vom 2.3.2006 II R 57/04, BFH/NV 2006, 1480 = SIS 06 30 62, unter II.3.a). Da das FG demgegenüber einen einzigen,
beide Vermächtnisse umfassenden Erwerb des W von Todes wegen
angenommen hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.
3. Die Sache ist spruchreif. Mit dem Vollzug
des zivilrechtlich unwirksamen Verschaffungsvermächtnisses ist
kein Änderungstatbestand erfüllt worden. Der
gegenüber W ergangene Änderungsbescheid vom 16.8.2000 war
daher rechtswidrig. Er hätte nicht ergehen dürfen. Die
Kläger haben allerdings nicht seine Aufhebung verlangt,
sondern nur beantragt, die Änderung im Umfang zu
beschränken. Gleichwohl war der Änderungsbescheid
aufzuheben. Die §§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, wonach das
Gericht nicht mehr zusprechen darf, als die Kläger begehren,
stehen dem nicht entgegen. Die Begrenzung durch das Begehren der
Kläger gilt dann nicht, wenn nur eine Herabsetzung der Steuer
begehrt wird, aber der angefochtene Bescheid als solcher nicht
hätte ergehen dürfen (BFH-Urteile vom 11.12.1985 I R
31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474 = SIS 86 12 56, sowie vom
20.10.1970 II 167/64, BFHE 100, 56, BStBl II 1970, 826, 830 = SIS 70 04 55; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, Stand November 2006, § 96 FGO Rz 100).
So verhält es sich im Streitfall. Der angefochtene
Änderungsbescheid ist zwar hinsichtlich der festgesetzten
Steuer teilbar, nicht aber hinsichtlich des Grundes, der zur
Aufhebung der Vorentscheidung geführt hat, nämlich
hinsichtlich der fehlenden Änderungsbefugnis. Durch die
Aufhebung des Änderungsbescheides lebt der ursprüngliche
Erbschaftsteuerbescheid vom 4.12.1998 wieder auf (BFH-Beschluss vom
25.10.1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231 = SIS 73 01 27, unter III.3.).
4. Für den Fall einer erstmaligen
Steuerfestsetzung wegen des formunwirksamen, aber vollzogenen
Verschaffungsvermächtnisses weist der Senat auf folgendes hin:
Der Besteuerung unterliegt der nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO
anzunehmende Erwerb eines Verschaffungsanspruchs auf eine
Eigentumswohnung. Dieser Anspruch ist wie ein Sachleistungsanspruch
zu bewerten. Sachleistungsansprüche werden nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung gemäß § 12
Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG grundsätzlich mit dem
gemeinen Wert und nicht mit dem Steuerwert der Sache, auf die sie
gerichtet sind, bewertet (BFH-Entscheidungen vom 15.10.1997 II R
68/95, BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820 = SIS 98 01 05, sowie vom
22.5.2002 II R 61/99, BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598, 615 = SIS 02 85 75). Eine Ausnahme davon hat die Rechtsprechung zum ErbStG in
der Fassung vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1997 vom
20.12.1996 (BGBl I, 2049, 2055) lediglich für einseitige
Sachleistungsansprüche und -verpflichtungen gemacht, die - wie
diejenigen aus Sachvermächtnissen - zu keiner Zeit Teil eines
Gegenseitigkeitsverhältnisses waren (BFHE 183, 248, BStBl II
1997, 820, 823 = SIS 98 01 05). Ob an ihr auch für
Sachvermächtnisse festzuhalten ist, für die die Steuer
nach 1995 entstanden ist, kann im Streitfall ebenso auf sich
beruhen wie in der Entscheidung des Senats vom 2.7.2004 II R 9/02
(BFHE 207, 42, BStBl II 2004, 1039 = SIS 04 39 15).
a) Die Ausnahme erfolgte nicht im Hinblick auf
den Vermächtnisnehmer als Berechtigten, sondern wegen der
Verhältnisse auf Seiten des Beschwerten - also zumeist des
Erben - als Verpflichteten. Beim Vermächtnisnehmer musste nur
deshalb eine mit der Erbenseite korrespondierende Bewertung
vorgenommen werden, weil ein auf denselben Gegenstand bezogener
Anspruch nicht anders bewertet werden sollte als die ihm
gegenüberstehende Verpflichtung. Die Erben aber erwerben bei
einem Sachvermächtnis neben der Verpflichtung, den vermachten
Gegenstand auf den Vermächtnisnehmer zu übertragen,
diesen Gegenstand selbst. Per Saldo gleichen sich Aktiv- und
Passivposten aus. Werden aber der Gegenstand und die ihn
betreffende Sachleistungsverpflichtung unterschiedlich bewertet,
nämlich die Verpflichtung mit dem gemeinen Wert und der
Gegenstand selbst mit einem davon abweichenden Steuerwert,
beeinflusst der abweichende Steuerwert auf Seiten der Erben die
Höhe der Bereicherung im Übrigen.
b) Diese Erwägungen, die zu der Ausnahme
für die Ansprüche und Verpflichtungen aus
Sachvermächtnissen geführt haben, treffen auf
Verschaffungsvermächtnisse, die der Erbe mit Geldern aus dem
Nachlass erfüllen soll, nicht zu. In derartigen Fällen
steht der Verpflichtung des Erben, das
Verschaffungsvermächtnis zu erfüllen, der Erwerb des mit
dem Nennwert zu bewertenden Kapitalvermögens gegenüber.
Der Sachleistungsanspruch aus einem Verschaffungsvermächtnis,
das mit Geldern des Nachlasses erfüllt werden soll, ist daher
mit dem gemeinen Wert zu bewerten (so auch Gebel in
Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3 Rz 174; a.A. Meincke,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl.
2004, § 3 Rz 42; unentschieden: Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG
Rz 176; eine Sonderstellung nimmt Hübner in Viskorf/
Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 2004,
§ 3 ErbStG Rz 130 ein, der auch betont, dass die
Verschaffungsverpflichtung des beschwerten Erben mit dem gemeinen
Wert zu bewerten ist, aber die Notwendigkeit leugnet, den
Verschaffungsanspruch des Vermächtnisnehmers ebenso zu
bewerten wie die Verschaffungsverpflichtung des Erben -
eingeschränktes Korrespondenzprinzip - ).