Milch-Garantiemengenabgabe, Milcherzeuger, Begriff: 1. Der Pächter von der Milcherzeugung dienenden Produktionsmitteln ist Milcherzeuger, wenn er die gepachteten Produktionsmittel selbständig bewirtschaftet. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist eine im Wesentlichen dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der im Einzelfall festgestellten Tatsachen. - 2. Bei kurzen Pachtzeiten kann die Annahme einer selbständigen Bewirtschaftung mit Erfahrungssätzen unvereinbar sein. - Urt.; BFH 4.12.2006, VII B 316/05; SIS 07 07 67
I. Der Kläger und Beschwerdegegner
(Kläger) ist Milcherzeuger. Für den Zeitraum 26. bis
31.3.2002 verpachtete er seine Stallanlage einschließlich der
dort aufgestellten Milchkühe an einen anderen Milcherzeuger
(Pächter). Bei einer am 28.3.2002 auf seinem Hof im Rahmen der
Steueraufsicht durchgeführten Kontrolle wurden der Kläger
und dessen Frau im Stall beim Probemelken angetroffen. Der Beklagte
und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt - HZA - ) nahm dies zum
Anlass, den Kläger auch für die während der
Pachtzeit erzeugte und gelieferte Milch als Erzeuger anzusehen. Da
der Kläger u.a. mit dieser Milchmenge seine
Anlieferungs-Referenzmenge überliefert hatte, wurde eine
Milchabgabe gegen ihn festgesetzt.
Der hiergegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG)
statt. Das FG urteilte, dass nicht der Kläger, sondern der
Pächter der Erzeuger der während der Pachtzeit
produzierten Milch gewesen sei, da er nach den geschlossenen
Verträgen die Anlagen gepachtet und diese selbständig
betrieben habe; es habe sich nicht lediglich um ein
Scheingeschäft gehandelt. Dies stehe nach dem Ergebnis der
mündlichen Verhandlung und der durchgeführten
Beweisaufnahme fest. Die eigenverantwortliche Bewirtschaftung der
Produktionsmittel durch den Pächter sei auch nicht durch die
Anwesenheit des Klägers beim Probemelken eingeschränkt
gewesen, denn die Milchleistungsprüfung, der das Probemelken
gedient habe, stehe in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem
Zweck des Pachtvertrags. Die Milchleistungsprüfung diene der
Sicherung der Milchqualität und der Gesundheit der Kühe
und habe nur Bedeutung für den Kläger. Dieser sei als
Verpächter verpflichtet gewesen, die Kühe in einem zum
vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu erhalten,
weshalb er die Kühe zur Sicherung der Milchqualität einer
regelmäßigen Milchleistungsprüfung habe unterziehen
müssen.
Hiergegen richtet sich die
Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die
Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache sowie der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr.
1 und 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) stützt.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, da die
geltend gemachten Zulassungsgründe - ungeachtet der Frage, ob
sie in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO
genügenden Weise dargelegt sind - jedenfalls nicht
vorliegen.
1. Die Entscheidung, ob die streitige
Milchmenge dem Kläger oder dem Pächter zuzurechnen ist,
hängt davon ab, wer als Erzeuger dieser Milchmenge anzusehen
ist, weil nach Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 (VO Nr.
3950/92) des Rates vom 28.12.1992 über die Erhebung einer
Zusatzabgabe im Milchsektor (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 405/1) i.d.F. der
Änderungs-Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 des Rates vom
17.5.1999 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor
(ABlEG Nr. L 160/73) bei den Erzeugern von Kuhmilch eine
zusätzliche Abgabe auf die Mengen Milch oder
Milchäquivalent erhoben wird, die in dem jeweiligen
Zwölf-Monats-Zeitraum geliefert oder direkt verkauft wurden
und eine bestimmte Menge überschreiten. Der danach für
die Zuordnung von Milchmengen maßgebende Begriff des
Milcherzeugers wird in Art. 9 Buchst. c VO Nr. 3950/92 definiert
und ist darüber hinaus höchstrichterlich geklärt.
Grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen
stellen sich daher insoweit nicht.
a) Die Erzeugereigenschaft kommt demjenigen
zu, der den Milch erzeugenden Betrieb oder die Produktionsmittel in
eigener Verantwortung leitet und bewirtschaftet
(Senatsbeschlüsse vom 26.6.1990 VII B 196/89, BFH/NV 1991,
565; vom 1.2.2000 VII B 214/99, BFH/NV 2000, 1002 = SIS 00 57 88).
Diese Definition schließt es nicht aus, auch einen
Pächter als Milcherzeuger anzusehen, der die Milchproduktion
in gepachteten Anlagen eines anderen Landwirts betreibt, wobei es
auch nicht entscheidend darauf ankommt, ob lediglich bestimmte der
Milchproduktion dienende Anlagen oder sogar lediglich einzelne
Kühe von einem anderen Landwirt überlassen sind. In
Fällen dieser Art setzt die Anrechnung der gelieferten
Milchmenge auf die Referenzmenge des Pächters jedoch voraus,
dass er die gepachteten Produktionseinheiten selbständig
betreibt und dass die von ihm erzeugten Milchmengen eindeutig von
den vom Verpächter - falls dieser ebenfalls Erzeuger ist -
erzeugten Milchmengen zu unterscheiden sind (Urteil des
Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom
15.1.1991 Rs. C-341/89, EuGHE 1991, I-25; Senatsurteil vom
23.1.1996 VII R 67/95, BFH/NV 1996, 654).
Ob danach in Fällen gepachteter
Produktionsmittel der Pächter als Milcherzeuger anzusehen ist
und die erzeugten und gelieferten Milchmengen ihm zuzurechnen sind,
ist eine dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der im
Einzelfall festgestellten Tatsachen, die revisionsrechtlich nur
eingeschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob
sie gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze
verstößt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung,
6. Aufl., § 118 Rz 54). Solche Verstöße zeigt
jedoch die Beschwerde weder auf noch sind sie ersichtlich.
Das FG hat sich im Streitfall an den genannten
Grundsätzen orientiert und hat aufgrund der festgestellten
Tatsachen entschieden, dass über die Verpachtung der Anlagen
und der Kühe Nutzungsverträge mit dem Pächter
abgeschlossen worden seien, die eine selbständige
Bewirtschaftung durch den Pächter geregelt hätten, und
dass es sich dabei auch nicht um ein Scheingeschäft gehandelt
habe, sondern die Verträge entsprechend umgesetzt worden
seien. Die Zeugenvernehmung habe ergeben, dass die Kühe vom
Pächter eigenverantwortlich betreut worden seien und dass
dieser das wirtschaftliche Risiko getragen habe. Diese
tatsächliche Würdigung der Verhältnisse durch das FG
ist möglich; ob das FG aus den Tatsachen ggf. auch eine andere
Schlussfolgerung hätte ziehen können, ist unerheblich.
Der Senat wäre daher in einem Revisionsverfahren
gemäß § 118 Abs. 2 FGO an diese Würdigung
gebunden.
b) Die von der Beschwerde bezeichnete Frage,
ob ein Pächter auch dann als Milcherzeuger anzusehen ist, wenn
er aufgrund einer kurzen Pachtdauer und aufgrund sonstiger
Gegebenheiten sowohl in qualitativer als auch in quantitativer
Hinsicht keine dem vorherigen Milcherzeuger vergleichbare
Bewirtschaftung bewältigen kann, ist nicht
klärungsfähig, weil es an entsprechenden
tatsächlichen Feststellungen des FG fehlt. Vielmehr hat das FG
die eigenverantwortliche Bewirtschaftung durch den Pächter
bejaht. Darüber hinaus hat der Senat bereits entschieden, dass
allein die kurze Dauer eines Pachtvertrags der Annahme einer
selbständigen Nutzung der gepachteten Produktionsmittel durch
den Pächter nicht entgegensteht (Senatsurteil in BFH/NV 1996,
654).
Die weitere Frage der Beschwerde, ab wann ein
Pächter Sachherrschaft und die volle Dispositionsbefugnis
über die gepachtete Anlage hat, ist keine Rechtsfrage, sondern
ist im Einzelfall vom Tatrichter zu beantworten.
Ob und ggf. welche bestimmten Vorgänge
vom Pächter zwingend beherrscht werden müssen, um dessen
Milcherzeugereigenschaft bejahen zu können, bedarf keiner
grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren. Wie
ausgeführt, muss der Pächter die Produktionsmittel in
eigener Verantwortung bewirtschaften. Ob dies der Fall ist,
erfordert eine Gesamtwürdigung der Verhältnisse des
Einzelfalls, bei der eine Reihe verschiedener Umstände zu
berücksichtigen ist, die je nach dem Einzelfall in
unterschiedlicher Gewichtung für oder gegen die
selbständige und eigenverantwortliche Bewirtschaftung sprechen
können.
Die Frage, ob gemeinschaftsrechtliche und
nationale Regelungen über die Zuteilung nicht genutzter
Referenzmengen hinter zivilrechtliche
Individualvertragsgestaltungen zurücktreten müssen,
stellt sich im Streitfall nicht. Es geht nur darum, ob der
Kläger oder der Pächter als Erzeuger der streitigen
Liefermenge anzusehen ist.
Ebenso wenig ist es
klärungsbedürftig, ob wegen der Bedeutung einer
funktionierenden Milchwirtschaft für die Anerkennung von
Pachtverträgen hohe, auch administrativ überprüfbare
Anforderungen zu stellen sind. Aus den genannten Entscheidungen des
EuGH in EuGHE 1991, I-25, und des Senats in BFH/NV 1996, 654, folgt
bereits, dass die administrative Kontrolle der
gemeinschaftsrechtlichen Milchmengenregelung gewährleistet
sein muss. Ob ein Pachtvertrag über Milchproduktionsmittel und
dessen Umsetzung dieser Anforderung entspricht, ist eine im
Einzelfall zu treffende Entscheidung; grundsätzlich
klärungsbedürftige Rechtsfragen ergeben sich insoweit
nicht.
Die Beschwerde wendet sich im Kern gegen die
materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG und begründet
ihre Auffassung, dass das FG unter den Umständen des
Streitfalls keine eigenverantwortliche Bewirtschaftung der
Milchproduktionsmittel durch den Pächter hätte annehmen
dürfen. Damit wird jedoch kein Zulassungsgrund
gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan. Zwar mag die
Befürchtung des HZA begründet sein, dass bei
Pachtverträgen über Milchproduktionsmittel unter
bestimmten Voraussetzungen die Gefahr besteht, dass diese nur zum
Schein abgeschlossen werden und die Erzeugereigenschaft in Wahrheit
beim Verpächter verbleibt. Im Streitfall hat jedoch das FG
festgestellt, dass es sich bei den zwischen dem Kläger und dem
Pächter geschlossenen Verträgen nicht um
Scheingeschäfte gehandelt hat.
2. Mangels klärungsbedürftiger
Rechtsfragen ist auch der Zulassungsgrund der Fortbildung des
Rechts nicht gegeben.
3. Der Senat sieht sich allerdings durch den
Streitfall veranlasst, darauf hinzuweisen, dass die vom Tatrichter
auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen des Einzelfalls
vorgenommene Würdigung, dass der Pächter während der
Pachtzeit die Milchproduktion mit Hilfe der gepachteten
Produktionsmittel selbständig betrieben habe, nicht mehr
möglich, sondern unvereinbar mit Erfahrungssätzen sein
dürfte, wenn es sich um eine Pacht von Milchproduktionsmitteln
für einen noch kürzeren Zeitraum als im Streitfall
handelt. Bei derart kurzen „Pachtzeiten“ wird
man die angeblich selbständige Bewirtschaftung fremder
Produktionsmittel durch einen Pächter von einer bloßen
Aushilfe für einen kurzfristig an der Verrichtung der für
die Milchproduktion erforderlichen Tätigkeiten verhinderten
Erzeuger nicht mehr sicher unterscheiden können.