Verlängerung der Spekulationsfrist durch StEntlG 1999/2000/2002, keine Rückwirkung auf Grundstücksentnahmen: § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl 1999 I, 402) sind auf Entnahmen vor dem 1.1.1999 nicht anzuwenden (gegen BMF-Schreiben vom 5.10.2000, BStBl 2000 I S. 1383 = SIS 00 12 25, Tz. 1). - Urt.; BFH 18.10.2006, IX R 5/06; SIS 06 45 73
(Anmerkung der Redaktion:
vgl. auch BMF-Schreiben vom 7.2.2007, IV C 3 - S 2256 - 11/07,
BStBl 2007 I S. 262 = SIS 07 07 61)
I. Die Beteiligten streiten über die
Frage, ob die Anschaffungsfiktion des § 23 Abs. 1 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402) - EStG - auch auf
Grundstücksentnahmen vor dem 1.1.1999 anwendbar ist.
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) erhielt im Jahr 1993 von seinen Eltern im Wege der
vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück unentgeltlich
übertragen, das bis dahin Betriebsvermögen des
landwirtschaftlichen Betriebs der Eltern gewesen war, durch die
Übertragung aus dem Betriebsvermögen entnommen und vom
Kläger im Privatvermögen gehalten wurde. Im Streitjahr
(2001) veräußerte der Kläger das Grundstück.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
erfasste den daraus erklärten Gewinn in Höhe von 79.936
DM im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr.
Die Klage mit dem Begehren, die
Einkünfte aus dem privaten
Veräußerungsgeschäft unberücksichtigt zu
lassen, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wandte in seinem in
EFG 2006, 671 = SIS 06 18 44 veröffentlichten Urteil den erst
ab dem 1.1.1999 geltenden § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG nicht auf
Entnahmen vor diesem Zeitpunkt an und setzte die Einkommensteuer
für das Streitjahr entsprechend fest.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA:
Die Entnahme gelte selbst dann als Anschaffung, wenn das
Grundstück vor dem 1.1.1999 in das Privatvermögen
überführt worden sei (Hinweis auf die Rechtsauffassung
des Bundesfinanzministeriums - BMF - im Schreiben vom 5.10.2000 IV
C 3 - S 2256 - 263/00, BStBl I 2000, 1383 = SIS 00 12 25, Tz.
1).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Zutreffend hat das FG entschieden, dass der Kläger
mangels Anschaffung keine Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften nach § 22 Nr. 2, §
23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielt hat.
1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
sind Einkünfte aus privaten
Grundstücksveräußerungsgeschäften steuerbar,
bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und
Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
a) Nicht nur die Veräußerung, auch
die (entgeltliche) Anschaffung ist Tatbestandsmerkmal der
Steuernorm. Fehlt es daran oder an einer Anschaffungsfiktion, wird
eine Veräußerung nicht nach § 22 Nr. 2, § 23
Abs. 1 Satz 1 EStG erfasst (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 16.12.2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 = SIS 04 05 46 unter B. III. 1. b). Entnimmt ein Steuerpflichtiger sein
Grundstück aus seinem Betriebsvermögen, so liegt darin -
mangels Erwerb (§ 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches) - keine
Anschaffung (BFH-Urteil vom 23.4.1965 VI 34/62 U, BFHE 82, 637,
BStBl III 1965, 477 = SIS 65 02 75; vgl. dazu auch
Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz. 91).
b) Indes gilt nach § 23 Abs. 1 Satz 2
EStG die Überführung eines Wirtschaftsgutes in das
Privatvermögen durch Entnahme als Anschaffung, die - wenn sie
durch den Rechtsvorgänger vorgenommen wurde - bei
unentgeltlichem Erwerb gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3
EStG dem Einzelrechtsnachfolger zuzurechnen ist.
Diese Fiktion ist gemäß § 52
Abs. 1 EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999
anzuwenden. Entsprechend der normativen Struktur des § 23 Abs.
1 EStG ist für seine Anwendbarkeit nicht nur das
Tatbestandsmerkmal der Veräußerung, sondern auch das der
Anschaffung maßgebend (so auch Kupfer, Kölner
Steuerdialoge 2000, S. 12276; Carlé in Korn, § 23 EStG
Rz. 61, m.w.N.). Denn erst mit der Anschaffung oder ihrer Fiktion
beginnt die Tatbestandsverwirklichung des § 23 EStG
(BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 = SIS 04 05 46). Dementsprechend gilt die Fiktion des § 23 Abs. 1 Satz 2
EStG und deren Zurechnung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3
EStG nicht für Entnahmen vor dem 1.1.1999 (a.A. aber
BMF-Schreiben vom 5.10.2000, BStBl I 2000, 1383 = SIS 00 12 25 Tz.
1; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 25. Aufl., § 23 Rz 33).
Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 52
Abs. 39 EStG; denn diese Vorschrift enthält
Anwendungsregelungen lediglich für § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 bis 3 EStG (vgl. BTDrucks 14/443, S. 33 zu Abs. 39). Der
zeitliche Geltungsbereich von § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3
EStG richtet sich auch nicht deshalb nach § 52 Abs. 39 Satz 1
EStG, weil er mit dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 EStG korrespondiert. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass
in der Vergangenheit nicht eingetretene Rechtsfolgen einer Entnahme
aufgrund der Fiktion nachträglich als eingetreten gelten
sollen und die Norm deshalb in einer für ihren Adressaten
belastenden, verfassungsrechtlich problematischen Weise
zurückwirken soll. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat in §
52 Abs. 39 Satz 3 EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999
vom 22.12.1999 (BGBl I, 2601) die Anwendung der
Veräußerungsfiktion im Falle der Einlage (§ 23 Abs.
1 Satz 5 EStG) ausdrücklich auf Einlagen nach der
Gesetzesänderung beschränkt. Der hierin zum Ausdruck
kommende Grundgedanke, die Fiktion auf Sachverhalte zu
beschränken, die nach ihrer Einführung verwirklicht
werden, ist auf die Anschaffungsfiktion im Falle der Entnahme
(§ 23 Abs. 1 Satz 2 EStG) übertragbar.
2. Nach diesen Maßstäben hat das FG
zutreffend die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG verneint. Der Kläger hat das Grundstück, um das es
hier geht, von seinen Eltern im Wege der vorweggenommenen Erbfolge
unentgeltlich erworben und deshalb nicht angeschafft (vgl.
BFH-Urteil vom 22.9.1987 IX R 15/84, BFHE 151, 143, BStBl II 1988,
250 = SIS 88 02 11; vgl. dazu auch Jansen in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 23 EStG Anm. 231). Die Entnahme
dieses Grundstücks durch seine Eltern im Jahre 1993 gilt nicht
als Anschaffung i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG und ist dem
Kläger nicht gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG
zuzurechnen.