Vollverzinsung bei Unterschiedsbetrag von Null: Ein Steueranspruch ist auch dann gemäß § 233 a AO 1977 zu verzinsen, wenn sich infolge der Berücksichtigung eines Verlustrücktrags keine Abweichung zwischen der neu festgesetzten und der zuvor festgesetzten Steuer ergibt. - Urt.; BFH 9.8.2006, I R 10/06; SIS 06 44 13
I. Die Beteiligten streiten über die
Rechtmäßigkeit einer Festsetzung von Zinsen
gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977).
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger), ein Verein, gab für das Streitjahr (2000)
zunächst keine Körperschaftsteuererklärung ab.
Daraufhin erließ der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem
die Besteuerungsgrundlagen geschätzt waren. Er ging darin von
einem Einkommen in Höhe von 7.500 DM aus und setzte die Steuer
auf 0 EUR fest.
Im Oktober 2003 gab der Kläger eine
Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2001 ab.
Daraufhin setzte das FA im Mai 2004 die Körperschaftsteuer
2001 auf 0 EUR fest, wobei es von Einkünften in Höhe von
./. 126.662 DM ausging.
Im März 2004 ging beim FA eine
Körperschaftsteuererklärung des Klägers für das
Streitjahr ein, in der ein zu versteuerndes Einkommen von 42.963 DM
erklärt wurde. Daraufhin erließ das FA am 11.5.2004
einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid, in dem bei
einer Summe der positiven Einkünfte von 23.962 DM und einem
Verlustrücktrag in Höhe von ebenfalls 23.962 DM die
Steuer erneut auf 0 EUR festgesetzt wurde. Ferner erging am
18.4.2005 ein Bescheid, in dem für den Zeitraum vom 1.4.2002
bis zum 1.4.2003 Zinsen zur Körperschaftsteuer 2000 in
Höhe von 201 EUR festgesetzt wurden. Dieser Zinsberechnung
wurde eine fiktive Steuer in Höhe von 3.350 EUR zu Grunde
gelegt; dabei handelt es sich um denjenigen (abgerundeten) Betrag,
der sich für das Streitjahr ohne Berücksichtigung des
Verlustrücktrags aus 2001 ergeben hätte.
Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage
hatte Erfolg; das Finanzgericht (FG) München,
Außensenate Augsburg, hob den Bescheid auf. Sein Urteil ist
in EFG 2006, 863 = SIS 06 18 50 abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung des § 233a AO 1977. Es
beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen
Urteils und zur Abweisung der Klage. Der angefochtene Zinsbescheid
ist rechtmäßig.
1. Nach § 233a Abs. 1 AO 1977 ist, wenn
die Festsetzung der Körperschaftsteuer zu einem
Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 3 AO 1977 führt,
dieser zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des
Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs.
2 Satz 1 AO 1977). Der für die Verzinsung maßgebliche
Unterschiedsbetrag bemisst sich nach der festgesetzten Steuer
abzüglich der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, der
anzurechnenden Körperschaftsteuer und der bis zum Beginn des
Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (§ 233a Abs. 3 Satz 1
AO 1977); wird die Steuerfestsetzung später geändert, so
ist für die Zinsberechnung der Unterschiedsbetrag zwischen der
festgesetzten und der zuvor festgesetzten Steuer - jeweils
vermindert um anzurechnende Steuerabzugsbeträge und
anzurechnende Körperschaftsteuer - maßgeblich (§
233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977). Auf dieser Basis ergibt sich im
Streitfall, in dem sowohl im Bescheid vom 11.5.2004 als auch in dem
vorausgegangenen Bescheid die Steuer auf 0 EUR festgesetzt worden
ist, ein Unterschiedsbetrag in Höhe von 0 EUR. Daraus hat das
FG abgeleitet, dass Zinsen nicht entstanden sein können.
2. Jedoch enthält § 233a AO 1977 in
Abs. 2a und Abs. 7 Sonderregelungen, die u.a. die hier vorliegende
Fallgestaltung betreffen, in der die Steuerfestsetzung auf der
Berücksichtigung eines Verlustabzugs nach § 10d Abs. 1
des Einkommensteuergesetzes beruht. In einem solchen Fall beginnt
zum einen der Zinslauf - abweichend von der in § 233a Abs. 2
Satz 1 AO 1977 getroffenen Regelung - 15 Monate nach Ablauf des
Kalenderjahres, in dem der Verlust entstanden ist (§ 233a Abs.
2a AO 1977). Zum anderen ist dann der in § 233a Abs. 3 AO 1977
definierte Unterschiedsbetrag in Teil-Unterschiedsbeträge
aufzuteilen, für die jeweils gesonderte Zinsläufe
anzusetzen und auf dieser Grundlage gesonderte Zinsen zu berechnen
sind (§ 233a Abs. 7 Satz 1 AO 1977). Diese Vorschriften
greifen im Streitfall ein.
Sie führen hier dazu, dass der sich
für das Streitjahr ergebende Unterschiedsbetrag von 0 EUR in
einen positiven Teil-Unterschiedsbetrag einerseits und einen gleich
hohen negativen Teil-Unterschiedsbetrag andererseits aufzuteilen
ist. Für den positiven Betrag beginnt der Zinslauf
gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 am 1.4.2002; der
durch den Verlustrücktrag ausgelöste negative Betrag kann
dagegen gemäß § 233a Abs. 2a AO 1977 erst zum
1.4.2003 berücksichtigt werden, so dass sich für die
Zwischenzeit eine Verzinsung nach Maßgabe des positiven
Betrags ergibt. Dieser Rechtslage entsprechend ist das FA in dem
angefochtenen Bescheid verfahren.
3. Das FG ist davon ausgegangen, dass §
233a Abs. 2a und Abs. 7 AO 1977 im Streitfall nicht eingriffen.
Denn nach § 233a Abs. 1 AO 1977 scheide die Zinspflicht schon
dem Grunde nach aus, wenn die Differenz zwischen der neu
festgesetzten und der zuvor festgesetzten Steuer Null betrage;
§ 233a Abs. 2a und Abs. 7 AO 1977 regelten nur die Höhe
der anfallenden Zinsen, auf die es aber in einer solchen Situation
nicht ankomme. Der Senat hat im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes diese Sicht für nicht zweifelsfrei verfehlt
erachtet (Senatsbeschluss vom 21.10.2005 I B 115/05, BFH/NV 2006,
475 = SIS 06 11 31). Bei abschließender Prüfung der
Rechtslage vermag er ihr jedoch nicht zu folgen:
a) Nach § 233a Abs. 7 Satz 2 AO 1977
sind, wenn einem sich zunächst ergebenden
Teil-Unterschiedsbetrag später ein gegenläufiger anderer
Teil-Unterschiedsbetrag nachfolgt, beide Beträge für
Zwecke der Zinsberechnung getrennt voneinander zu betrachten. Dass
dies nur dann gelten soll, wenn die Beträge des positiven und
des negativen Teil-Unterschiedsbetrags ungleich sind, lässt
sich dem Gesetz nicht entnehmen. Deshalb ist davon auszugehen, dass
die in § 233a Abs. 7 AO 1977 getroffene Regelung auch
diejenige Situation erfassen soll, in der ein positiver mit einem
gleich hohen negativen Teil-Unterschiedsbetrag zusammentrifft.
b) Angesichts dessen spricht schon der
Gesetzeswortlaut dafür, dass es auch in dieser Situation zu
einer Verzinsung kommen kann. Denn § 233a Abs. 1 AO 1977
spricht von „einem Unterschiedsbetrag im Sinne des
Absatzes 3“, nimmt also u.a. Bezug auf die in § 233a
Abs. 3 Satz 1 AO 1977 enthaltene Definition dieses Begriffs. Diese
Definition wird jedoch in der hier zu beurteilenden Situation durch
§ 233a Abs. 7 Satz 1 AO 1977 überlagert, nach dem Abs. 3
„mit der Maßgabe“ anzuwenden ist, dass der
Unterschiedsbetrag in den Fällen des § 233a Abs. 2a AO
1977 in verschiedene Teil-Unterschiedsbeträge aufgeteilt wird.
Hierdurch wird der Begriff „Unterschiedsbetrag“
für bestimmte Gestaltungen speziell definiert, was auf dem Weg
über § 233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 auf Abs. 1 der
Vorschrift durchschlägt. Angesichts dessen ist § 233a
Abs. 1 AO 1977 so zu lesen, dass der dort genannte
„Unterschiedsbetrag“ ggf. aus mehreren
Teil-Unterschiedsbeträgen bestehen kann, die schon bei der
Frage nach der Zinspflicht dem Grunde nach getrennt voneinander zu
betrachten sind. Mithin wird allein dadurch, dass das
Zusammentreffen jener Teil-Unterschiedsbeträge zu einem
Gesamt-Unterschiedsbetrag von Null führt, die Zinspflicht
nicht ausgeschlossen.
c) Eine hiervon abweichende Auslegung des
§ 233a AO 1977 würde zudem zu kaum verständlichen
Folgen führen. So greift § 233a Abs. 7 AO 1977 - unter
Beachtung von § 238 Abs. 2 AO 1977 - zweifelsfrei ein, wenn
ein positiver und ein negativer Teil-Unterschiedsbetrag
zusammentreffen und die sich aus ihnen ergebende Differenz 1 EUR
beträgt; in einer solchen Situation kann mithin dadurch, dass
hinsichtlich der einzelnen Teil-Unterschiedsbeträge der
Zinslauf zu unterschiedlichen Zeiten beginnt, eine Verzinsung
ausgelöst werden. Ebenso ist für die Anwendung des §
233a Abs. 7 AO 1977 unerheblich, ob der positive oder der negative
Unterschiedsbetrag überwiegt. Dass der Gesetzgeber allein den
Sonderfall, in dem beide betragsmäßig gleich sind, nach
gänzlich abweichenden Regeln behandelt wissen will, ist nicht
anzunehmen. Ferner weist das FA zu Recht darauf hin, dass bei einer
dahin gehenden Gesetzesauslegung die Zinspflicht davon
abhängen könnte, in welcher zeitlichen Reihenfolge die
einzelnen Veranlagungen erfolgen. Und schließlich würden
Zinsen auch dann anfallen, wenn die Bescheidlage derjenigen im
Streitfall entspräche, die zunächst entstandene Steuer
für das Streitjahr aber zum Teil durch Vorauszahlungen oder
Steuerabzugsbeträge abgedeckt worden wäre; die Handhabung
seitens des FG bevorzugt den Kläger mithin insoweit allein
deshalb, weil er auf seine ursprüngliche Steuerschuld
keinerlei Zahlungen geleistet hat. Das widerspricht dem Gedanken
einer gleichmäßigen und gerechten Besteuerung, der bei
der Auslegung des § 233a AO 1977 ebenfalls zu
berücksichtigen ist.
d) Im Ergebnis muss die Auslegung deshalb
dahin gehen, dass sich nach Maßgabe des § 233a Abs. 2a
und Abs. 7 AO 1977 eine Zinspflicht auch dann ergeben kann, wenn in
einem Steuerbescheid einerseits höhere Einkünfte als
zuvor und andererseits ein bislang nicht berücksichtigter
Verlustrücktrag angesetzt werden und dies per saldo nicht zu
einer Änderung der festgesetzten Steuer führt. Hiernach
sind im Streitfall Zinsen angefallen. Dass die Berechnung dieser
Zinsen durch das FA fehlerhaft sei, ist weder vom Kläger
geltend gemacht worden noch sonst erkennbar. Damit erweist sich der
angefochtene Bescheid als rechtmäßig.