Spontanauskunft innerhalb EU: 1. Eine Spontanauskunft an die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats der EU setzt tatsächliche Anhaltspunkte für die Vermutung voraus, dass Steuern gerade dieses Mitgliedstaats verkürzt worden sind oder werden könnten. - 2. Wenn im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Spontanauskunft (§ 2 Abs. 2 EGAHiG) nicht erfüllt sind, ist wegen der Gefahr einer nicht mehr rückgängig zu machenden Verletzung des subjektiven Rechts auf Wahrung des Steuergeheimnisses auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. - Urt.; BFH 15.2.2006, I B 87/05; SIS 06 19 82
(Anmerkung der Redaktion:
vgl. auch BMF-Schreiben vom 1.8.2006, IV B 1 - S 1300 - 38/06 = SIS 06 33 58 )
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Antragsgegner), das
gemäß Art. 1 und Art. 6 des Gesetzes zur Neuorganisation
der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines
Refinanzierungsregisters vom 22.9.2005 (BGBl I 2005, 2809) mit
Wirkung vom 1.1.2006 an die Stelle des bisherigen Bundesamts
für Finanzen (BfF) getretene Bundeszentralamt für Steuern
(BZSt), berechtigt ist, im Rahmen des zwischenstaatlichen
Auskunftsaustauschs in Steuersachen der finnischen Steuerverwaltung
eine Auskunft zu erteilen. Außerhalb dieses Verfahrens
streiten die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit von
weiteren - mit der beabsichtigten Auskunft an Finnland im
Zusammenhang stehenden - Auskunftsersuchen an die tschechische und
die russische Steuerverwaltung.
Unternehmensgegenstand der Antragstellerin
und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), einer GmbH, ist u.a. der
Handel mit industriellen Ausrüstungen und Maschinen
(Vermittlung bzw. Verkauf von Produkten dritter Herstellerfirmen).
Der Alleingesellschafter der Antragstellerin ist zugleich als
Geschäftsführer bestellt. Zur Herstellung und Abwicklung
von Geschäftskontakten in Russland ist - auf der Grundlage
eines Beratervertrages mit einer in Panama ansässigen Firma B
- vertreten durch den russischen Staatsbürger K - ein
selbständiges russisches Unternehmen eingeschaltet (auch als
„Moskauer Repräsentanz“ der Antragstellerin
bezeichnet, ohne aber Betriebsstätte oder Niederlassung der
Antragstellerin zu sein). Als Gegenleistung schuldet die
Antragstellerin der B - die nach Erkenntnissen des Antragsgegners
(Informationszentrale Ausland beim BfF) eine Domizilgesellschaft
ohne eigenen Geschäftsbetrieb ist - 70 v.H. der
Nettoerlöse (Gewinne) der in Russland betriebenen
Geschäfte. Das Moskauer Büro wird von den Herren K und G
- dieser ist ebenfalls russischer Staatsbürger - betrieben.
Die Antragstellerin hat mit K und G darüber hinaus
personenbezogene Beraterverträge geschlossen. K soll nach
Auskunft der Antragstellerin als Bevollmächtigter
„mehrerer Offshore-Firmen“ auftreten.
Die N-Corporation mit Sitz in Finnland (N)
ist Herstellerin u.a. von industriellen
Ausrüstungsgegenständen. Diese Firma hatte
Beratungsverträge mit der B - vertreten durch K - und mit G
abgeschlossen; es sollten Geschäftsmöglichkeiten in
Russland eröffnet werden. Die Vermittlung von Lieferungen
erfolgte über die „Moskauer Repräsentanz“ der
Antragstellerin. Von 1999 bis 2000 zahlte die N Provisionen in
Höhe von 6.792.730 DM. Auf Anweisung des K sowohl an die N als
auch an die Antragstellerin erfolgten die einzelnen Zahlungen
jedoch nicht nach Russland, sondern auf zwei Konten bei einer
inländischen Sparkasse, über welche die Antragstellerin
jeweils verfügungsberechtigt war. Zum einen hatte die
Antragstellerin ein „Fremdgeldkonto“ auf eigenen Namen,
aber „für“ die B angelegt („Konto 1“);
zum zweiten existierte ein Konto, das als Ausgleich von Belastungen
durch die Verwendung von Kreditkarten für die Mitarbeiter der
„Moskauer Repräsentanz“ der Antragstellerin diente
(„Konto 2“). Nach dem Eingang von Zahlungen auf dem
„Konto 1“ wurden durch die Antragstellerin Beträge
von diesem Konto auf ein Konto des K in der Schweiz (auch insoweit
bestand eine Bankvollmacht zugunsten der Antragstellerin)
weitergeleitet. Von den insgesamt angefallenen Provisionszahlungen
verblieb ein Betrag von 211.423 DM bei der Antragstellerin
(offenbar als „Inkasso“-Provision).
Das Finanzamt S formulierte unter dem
1.9.2004 eine „Mitteilung nach Artikel 4 der
EG-Amtshilfe-Richtlinie“ an Finnland, der eine
Zusammenstellung der Zahlungen beigefügt war; ebenfalls lagen
Kopien von einigen Provisionsabrechnungen bei. Nachdem das BfF
Einwendungen der Antragstellerin gegen die Übermittlung dieser
Mitteilung entgegengetreten war, beantragte die Antragstellerin
beim Finanzgericht (FG), dem Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung die Erteilung der Auskunft zu untersagen.
Das FG Köln erließ mit Beschluss vom 27.4.2005 2 V
1095/05 antragsgemäß eine einstweilige Anordnung
(veröffentlicht in EFG 2005, 1322 = SIS 05 35 66).
Mit der - vom FG zugelassenen - Beschwerde
macht der Antragsgegner geltend, dass die Erteilung der Auskunft
durch die Bestimmungen zur europäischen Amtshilfe abgedeckt
sei.
Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss
des FG Köln aufzuheben und den Antrag auf einstweilige
Anordnung abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt, die
Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die zulässige Beschwerde (§ 128
Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) ist nicht
begründet. Das FG hat zu Recht dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung entsprochen. Die Voraussetzungen des §
114 Abs. 1 und 3 FGO sind erfüllt.
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass
das Begehren der Antragstellerin, die Erteilung der Auskunft auf
Dauer oder zumindest vorläufig zu unterlassen, im Wege einer
einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 FGO zu
verfolgen ist (z.B. Senatsbeschluss vom 10.5.2005 I B 218/04,
BFH/NV 2005, 1503 = SIS 05 36 75; Beschluss des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 28.10.1997 VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424 = SIS 98 02 79).
2. Die Antragstellerin hat einen
Rechtsanspruch auf ein Unterlassen der Auskunft (§ 1004 des
Bürgerlichen Gesetzbuches analog i.V.m. § 30 der
Abgabenordnung - AO 1977 - ; allgemein zu dieser Rechtsgrundlage
Senatsbeschlüsse vom 29.4.1992 I B 12/92, BFHE 167, 11, BStBl
II 1992, 645 = SIS 92 12 45; vom 17.5.1995 I B 118/94, BFHE 177,
242, BStBl II 1995, 497 = SIS 95 15 10) in ausreichender Weise
glaubhaft gemacht (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2
der Zivilprozessordnung).
a) Die Informationen, die der Antragsgegner im
Zuge der Ermittlungen des Finanzamts über die
Geschäftstätigkeit der Antragstellerin erhielt,
unterliegen gemäß § 30 AO 1977 dem Steuergeheimnis.
Die Antragstellerin kann daher vom Antragsgegner verlangen, dass
die dort tätigen Amtsträger (§ 7 AO 1977) und
für den öffentlichen Dienst besonders verpflichteten
Personen (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AO 1977) dieses Geheimnis wahren
(§ 30 Abs. 1 AO 1977) bzw. dass ihre Verhältnisse nicht
unbefugt offenbart oder verwertet werden (§ 30 Abs. 2 und 4 AO
1977).
b) Die vom Antragsgegner beabsichtigte
Auskunft wäre eine unbefugte Offenbarung der Verhältnisse
der Antragstellerin, da sie durch Gesetz nicht ausdrücklich
zugelassen ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine
Auskunft ohne besonderes Ersuchen (sog. Spontanauskunft) - §
117 Abs. 2 AO 1977 i.V.m. dem Gesetz zur Durchführung der
EG-Richtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der
direkten Steuern und der Mehrwertsteuer (EGAHiG - Art. 2 des
Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.12.1985, BGBl I 1985, 2436,
BStBl I 1985, 735, mit späteren Änderungen) - sind nicht
erfüllt.
aa) Das EGAHiG findet zwar Anwendung auf die
Amtshilfe, die sich die Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaften gegenseitig u.a. bei der Festsetzung der Steuern vom
Einkommen durch den Austausch von Auskünften leisten (§ 1
Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 EGAHiG). Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EGAHiG
können Auskünfte aber nur erteilt werden, wenn
„tatsächliche Anhaltspunkte die Vermutung
rechtfertigen“, dass „Steuern dieses
Mitgliedstaats verkürzt worden sind oder werden
könnten“.
bb) Nach der Rechtsprechung des erkennenden
Senats ist insoweit ausreichend, dass objektive Anhaltspunkte
für eine tatsächliche oder mögliche
Steuerverkürzung vorliegen (Senatsbeschluss in BFHE 177, 242,
BStBl II 1995, 497 = SIS 95 15 10; s. auch die
Gesetzesbegründung in BTDrucks 12/3432, S. 98;
Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 3.2.1999, BStBl I
1999, 228 = SIS 99 16 46 Tz. 4.2.1; Söhn in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 117 AO Rz. 264,
m.w.N.).
cc) Für den Streitfall hat der
Antragsgegner darauf verwiesen, dass für das Finanzamt die
Vermutung bestehe, „dass Provisionen des Moskauer
Büros über die Firma B. in das
‘Steueroasenland’ Panama geleitet werden und dass noch
andere Personen Teile der Provisionszahlungen tatsächlich
erhalten haben“. Diese auf den Umstand
„’verschlungener’ Zahlungswege“
gegründete Vermutung bezieht sich letztlich auf die
Besteuerung der Provisionsempfänger in Russland oder
Deutschland, nicht aber auf die Besteuerung der provisionszahlenden
Firma in Finnland. Auch wenn es - wie der Antragsgegner hervorhebt
- nicht darauf ankommt, dass eine Steuerfestsetzung im anderen
Vertragsstaat wahrscheinlich ist (Senatsbeschlüsse vom
8.2.1995 I B 92/94, BFHE 177, 25, BStBl II 1995, 358 = SIS 95 12 82; in BFH/NV 2005, 1503 = SIS 05 36 75), muss doch ein konkreter
Bezugspunkt zu einer dortigen Steuerfestsetzung erkennbar sein.
Dass es zu einem Rückfluss (eines Teils) der Provisionen zur
zahlenden Firma gekommen sein könnte, ist aber nicht
Gegenstand der Vermutung. Soweit die Auskunft den finnischen Fiskus
in die Lage versetzen könnte, in einer Parallelwertung zu
§ 160 AO 1977 den Empfängernachweis für die formell
der B geschuldeten Provisionen zu verlangen, bzw. nach der
Einschätzung des Antragsgegners „je nach
tatsächlichem Empfänger der Provisionsleistungen bzw. bei
verbleibenden Zweifeln oder nicht aufzuklärendem
tatsächlichem Empfänger der Provisionsleistungen
gegebenenfalls ein steuerliches Abzugsverbot der entsprechenden
Ausgaben in Finnland eintreten könne“, ist dies
jedenfalls nicht dem in § 2 Abs. 2 Nr. 1 EGAHiG angesprochenen
Bereich der „Steuerverkürzung“
unterzuordnen (zur begrifflichen Gleichstellung mit §§
370, 378 AO 1977 s. z.B. Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 264,
m.w.N.).
3. Die Antragstellerin hat auch den
notwendigen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Im Streitfall droht
eine Verletzung des subjektiven Rechts der Antragstellerin auf
Wahrung des Steuergeheimnisses durch eine nicht durch eine
Rechtsgrundlage abgedeckte Auskunft; diese Verletzung könnte
nicht mehr rückgängig gemacht werden (s. insoweit
BFH-Urteil vom 29.7.2003 VII R 39, 43/02, BFHE 202, 411, BStBl II
2003, 828 = SIS 03 42 97) und kann nur durch den Erlass der
einstweiligen Anordnung aufgehalten werden.