Die Revision des Klägers gegen das Urteil
des Finanzgerichts Köln vom 18.08.2022 - 7 K 1800/21 = SIS 23 01 91 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Kläger zu tragen.
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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sowie seine beiden Geschwister schlossen mit ihrem
Vater (V) am …2014 einen notariell beurkundeten Vertrag zur
vorweggenommenen Erbfolge, mit dem V ihnen zum 01.05.2014 jeweils
23,33 % seiner Anteile an der … GmbH (GmbH) übertrug.
An den übertragenen Geschäftsanteilen behielt sich V den
lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauch vor. Eine
Gegenleistung für den Erwerb der Geschäftsanteile hatten
der Kläger und seine Geschwister nicht zu erbringen. Zu einer
Ausgleichung nach den §§ 2050 ff. des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) waren sie nicht verpflichtet. In § 4 des
notariellen Vertrags wurde vereinbart, dass der Nießbraucher
während der Dauer des Nießbrauchs alle mit den
übertragenen Geschäftsanteilen verbundenen Lasten,
insbesondere fällig werdende Einlagen und Nachschüsse, zu
tragen hat.
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Mit Bescheid vom 23.08.2021 setzte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) Schenkungsteuer
in Höhe von 1.918 EUR gegenüber dem Kläger fest.
Dabei legte das FA für die an den Kläger
übertragenen Anteile einen Wert in Höhe von 781.864 EUR
zugrunde. Dieser Wert beruhte auf einem Bescheid des für die
GmbH zuständigen Belegenheitsfinanzamts vom 23.06.2021
über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach §
151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG). Von dem
Anteilswert brachte das FA den Kapitalwert des
Nießbrauchsrechts des V in Höhe von 354.406 EUR in
Abzug, so dass sich der Wert des
Erwerbs auf 427.458 EUR belief. Zur Ermittlung dieses
Kapitalwerts setzte es den Jahreswert des Nießbrauchs
gemäß § 16 BewG mit 1/18,6 des Werts der
übertragenen Anteile an (781.864 EUR : 18,6 = 42.036 EUR) und
multiplizierte diesen Betrag gemäß § 14 Abs. 1 BewG
mit dem sich aus der amtlichen Sterbetafel ergebenden
Vervielfältiger von 8,431 aufgrund des im Zeitpunkt der
Schenkung vollendeten 74. Lebensjahres des V als
Nießbrauchsberechtigtem.
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Die gegen den Schenkungsteuerbescheid vom
23.08.2021 vom Kläger mit Zustimmung des FA erhobene
Sprungklage wies das Finanzgericht (FG) ab. Die Urteilsgründe
sind in EFG 2023, 243 = SIS 23 01 91 veröffentlicht.
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Mit der gegen das FG-Urteil erhobenen
Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen
Rechts.
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Er vertritt die Auffassung, dass bei der
Berechnung des Kapitalwerts des Nießbrauchs ein höherer
Vervielfältiger hätte verwendet werden müssen.
§ 14 BewG enthalte einen „logischen
Bruch“, da nach Absatz 1 der Vorschrift der
Vervielfältiger nach der statistischen Lebenserwartung
bemessen werde, in Fällen jedoch, in denen sich das
Sterberisiko innerhalb kurzer Zeit verwirkliche, nach Absatz 2 der
Vorschrift der Kapitalwert nach der tatsächlichen Laufzeit zu
bestimmen sei. Wenn die Ermittlung des Kapitalwerts nach der
statistischen Lebenserwartung erfolge, von vornherein aber nur
solche Sterbefälle berücksichtigt würden, die nach
einer bestimmten Mindestdauer eingetreten seien, sei der in den
Tabellen nach § 14 Abs. 1 BewG ermittelte Wert mathematisch
falsch. Außerdem verstoße die Verwendung
geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln bei der Bewertung des
Nießbrauchs gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs.
3 des Grundgesetzes (GG), weil der Gesetzgeber im Rahmen des §
14 BewG nicht berechtigt sei, das Geschlecht bei der Anwendung der
Sterbetafeln mit steuerlicher Wirkung zu
berücksichtigen.
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Der Kläger beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und den
Schenkungsteuerbescheid vom 23.08.2021 dahin abzuändern, dass
die Schenkungsteuer auf 0 EUR festgesetzt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
Übertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger aufgrund des
notariellen Vertrags vom …2014 gemäß § 1
Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) der Schenkungsteuer unterliegt
(unter 1.). Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs hat es
den Kapitalwert des Vorbehaltsnießbrauchs zutreffend
gemäß § 14 BewG ermittelt und in Abzug gebracht
(unter 2. und 3.). Die von dem Kläger erhobenen
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 14
BewG greifen nicht durch (unter 4.). Auch ein Verstoß gegen
Gemeinschaftsrecht ist nicht ersichtlich (unter 5.).
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1. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2
i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Schenkungsteuer
jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch
sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Die
Übertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger aufgrund des
notariell beurkundeten Vertrags vom …2014 erfüllt diese
Voraussetzungen. Die Übertragung der Geschäftsanteile auf
den Kläger stellt eine freigebige Zuwendung dar, da sie nicht
von einer Gegenleistung des Klägers abhängig war, sondern
unentgeltlich erfolgte. Insbesondere waren nach § 4 des
notariellen Vertrags vom …2014 während der Dauer des
Nießbrauchs sämtliche mit den übertragenen
Geschäftsanteilen verbundenen Lasten, die sonst auf die
GmbH-Gesellschafter und damit auch auf den Kläger entfallen
wären, abweichend von der gesetzlichen Lastenverteilung von V
zu tragen.
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2. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass
das FA bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs
gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG den Kapitalwert des Nießbrauchs des V zutreffend in
Abzug gebracht hat.
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a) Als steuerpflichtiger Erwerb im Sinne des
§ 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG gilt nach § 10 Abs. 1 Satz 1
ErbStG die Bereicherung des Erwerbers, soweit diese nicht
steuerfrei ist. Die Belastung mit einem Nießbrauch mindert
die Bereicherung des Bedachten. Daher ist bei der Ermittlung des
steuerpflichtigen Erwerbs die aus einem Vorbehaltsnießbrauch
erwachsende Belastung des zugewendeten Gegenstandes abzuziehen
(vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.05.2019 - II R
4/16, BFHE 265, 408, BStBl II 2020, 326 = SIS 19 18 52 zur
Schenkung eines Grundstücks unter dem Vorbehalt des
Nießbrauchs). Ob der Nießbrauch an einer Sache (§
1030 BGB) oder, wie im Streitfall, an einem GmbH-Anteil (§
1068 BGB) bestellt wird, ist ohne Bedeutung.
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b) Aus § 25 Abs. 1 ErbStG a.F., wonach
der Erwerb von Vermögen, dessen Nutzungen dem Schenker
zustanden, ohne Berücksichtigung dieser Belastungen besteuert
wurde und die Steuer, die auf den Kapitalwert dieser Belastungen
entfiel, bis zu deren Erlöschen zinslos gestundet wurde, folgt
nichts anderes. Die Vorschrift ist durch das
Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12.2008 (BGBl I 2008, 3018,
BStBl I 2009, 140) aufgehoben worden und gilt nur noch für
Erwerbsvorgänge, für die die Steuer bis zum 31.12.2008
entstanden ist (BFH-Urteil vom 28.05.2019 - II R 4/16, BFHE 265,
408, BStBl II 2020, 326 = SIS 19 18 52, Rz 16 f.). Sie findet daher
im Streitfall, wovon auch das FG stillschweigend ausgegangen ist,
keine Anwendung.
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3. Wie vom FG zu Recht erkannt, hat das FA den
Kapitalwert des Nießbrauchs des V auch der Höhe nach
zutreffend gemäß § 14 Abs. 1 BewG ermittelt.
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a) Die Bewertung des bei der Zuwendung der
GmbH-Anteile vorbehaltenen Nießbrauchs richtet sich
gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG nach den Vorschriften des
Ersten Teils des Bewertungsgesetzes. Der Kapitalwert
lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen ist nach § 14
Abs. 1 Satz 1 BewG mit dem Vielfachen des Jahreswerts nach
Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzusetzen. Die
Vervielfältiger sind nach der Sterbetafel des Statistischen
Bundesamtes zu ermitteln und ab dem 1. Januar des auf die
Veröffentlichung der Sterbetafel durch das Statistische
Bundesamt folgenden Kalenderjahres anzuwenden (§ 14 Abs. 1
Satz 2 BewG). Hat eine nach § 14 Abs. 1 BewG bewertete Nutzung
oder Leistung bei einem Alter von mehr als 70 Jahren bis zu 75
Jahren nicht mehr als fünf Jahre bestanden und beruht der
Wegfall der Verpflichtung auf dem Tod des Berechtigten oder
Verpflichteten, ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BewG die
Festsetzung der nicht laufend veranlagten Steuern auf Antrag nach
der wirklichen Dauer der Nutzung oder Leistung zu berichtigen. Ist
eine Last weggefallen, so bedarf die Berichtigung nach § 14
Abs. 2 Satz 3 BewG keines Antrags.
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b) Nach Maßgabe dieser gesetzlichen
Regelungen ist die Berechnung des Kapitalwerts des
Nießbrauchs durch das FA nicht zu beanstanden.
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aa) Das FA hat den Kapitalwert des
Nießbrauchs in der Weise berechnet, dass es den der Höhe
nach unstreitigen Jahreswert des Nießbrauchs an den
übertragenen GmbH-Anteilen in Höhe von 42.036 EUR mit
einem Vervielfältiger in Höhe von 8,431 multipliziert
hat. Diese Berechnung entspricht den gesetzlichen Vorgaben aus
§ 14 Abs. 1 Satz 2 und 4 BewG. Im Hinblick darauf, dass die
Übertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger mit Wirkung
zum 01.05.2014 erfolgte, ergibt sich der anzuwendende
Vervielfältiger aus der am 02.10.2012 veröffentlichten
Sterbetafel 2009/2011 des Statistischen Bundesamtes (vgl. § 14
Abs. 1 Satz 4 BewG i.V.m. Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen - BMF - vom 26.10.2012, BStBl I 2012, 950 = SIS 12 28 09).
Denn da für das Jahr 2013 keine aktuelle Sterbetafel
veröffentlicht wurde, sind die Vervielfältiger zur
Berechnung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen oder
Leistungen, die nach der am 02.10.2012 veröffentlichten
Sterbetafel 2009/2011 zugrunde zu legen sind, auch für
Bewertungsstichtage vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2015 und damit
auch im Streitfall anzuwenden (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG
i.V.m. BMF-Schreiben vom 13.12.2013, BStBl I 2013, 1609 = SIS 13 33 39). Aus der danach für den 01.05.2014 maßgebenden
Sterbetafel ist zur Ermittlung einer lebenslangen Nutzung für
einen im Bewertungszeitpunkt 74-jährigen Mann im Hinblick auf
dessen (voraussichtliche) Lebenserwartung von 11,21 Jahren der
Vervielfältiger in Höhe von 8,431 heranzuziehen.
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bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen
für eine von § 14 Abs. 1 Satz 2 BewG abweichende
Bestimmung des Vervielfältigers nach § 14 Abs. 2 Satz 1
Nr. 6 BewG hat das FA zutreffend nicht als erfüllt angesehen,
weil nach den Feststellungen des FG das Nießbrauchsrecht des
V mehr als fünf Jahre nach der Ausführung der Schenkung
zum 01.05.2014 bestanden hat.
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cc) Ebenso hat das FA zu Recht davon
abgesehen, bei der Berechnung des Kapitalwerts des
Nießbrauchs den vom Kläger geltend gemachten
Vervielfältiger von 9,509 anzusetzen. Soweit der Kläger
sich zur Begründung des von ihm errechneten
Vervielfältigers darauf beruft, dass Sterbefälle, die
innerhalb des Korrekturzeitraums des § 14 Abs. 2 BewG
erfolgen, bei einer „schlichten“
Anwendung des § 14 Abs. 1 BewG doppelt berücksichtigt
würden und daher nur solche Sterbefälle in die Berechnung
des „mathematisch richtigen“
Vervielfältigers einfließen dürften, die nach
Ablauf dieses Korrekturzeitraums eingetreten seien, vermag sich der
Senat dieser Betrachtungsweise nicht anzuschließen. Der
Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 BewG
seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass bei der
(schätzweisen) Ermittlung des Kapitalwerts
lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen hinsichtlich der
voraussichtlichen Lebenserwartung auf die jeweils aktuelle
Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes zurückzugreifen ist
(vgl. BT-Drucks. 16/7918, S. 39). Zwar ist die Nutzung oder
Leistung gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BewG mit dem
gemeinen Wert anzusetzen, wenn dieser geringer oder höher ist
als der Wert, der sich nach Absatz 1 ergibt. Die Vorschrift
ermöglicht jedoch lediglich den Ansatz eines
„nachweislich“ abweichenden Werts, was
gleichzeitig bedeutet, dass es sich um einen tatsächlichen
Wert handeln muss (BFH-Beschluss vom 17.05.2023 - II B 82/22,
BFH/NV 2023, 945 = SIS 23 09 01, Rz 13). Der Kläger
knüpft demgegenüber mit seiner Wertermittlungsmethode
nicht an einen nachweislich anderen Wert zum
Wertermittlungsstichtag an, sondern legt seiner Berechnung des
Vervielfältigers eine Verbindung aus tatsächlich
zurückgelegter Lebenszeit (dem durch § 14 Abs. 2 BewG
vorgegebenen Berichtigungszeitraum) und einer statistischen
Lebenserwartung zu einem späteren Zeitpunkt (dem Ende des
Berichtigungszeitraums) zugrunde. Damit ersetzt er die gesetzliche
Typisierung durch eine andere Typisierung auf abweichenden
Berechnungsgrundlagen, was in § 14 Abs. 4 Satz 1 BewG keine
Grundlage findet. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es
bei Anwendung der gesetzlichen Regelungen auch nicht zu einer
Doppelerfassung von Sterbefällen (vgl. hierzu bereits
BFH-Beschluss vom 17.05.2023 - II B 82/22, BFH/NV 2023, 945 = SIS 23 09 01, Rz 15).
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Hinzu kommt, dass die Argumentation des
Klägers darauf hinausläuft, dass bei der Ermittlung des
Kapitalwerts des Nießbrauchs von einer höheren
Lebenserwartung des V auszugehen wäre als diejenige, die sich
nach der gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 und 4 BewG
maßgebenden Sterbetafel für 74-jährige Männer
ergibt (13,28 Jahre statt 11,21 Jahre). Der Nachweis eines vom
Kapitalwert abweichenden gemeinen Werts mit der Begründung, es
sei mit einer kürzeren oder längeren Lebensdauer zu
rechnen, als sie den Vervielfältigern des § 14 Abs. 1
BewG entspricht, ist jedoch nach § 14 Abs. 4 Satz 2 BewG kraft
Gesetzes ausgeschlossen. Es bedarf vor diesem Hintergrund auch
keiner Entscheidung der Frage, ob die Prämisse des
Klägers, aus mathematisch-logischen Gründen sei eine
Korrektur der sich aus § 14 Abs. 1 BewG ergebenden Berechnung
des Kapitalwerts lebenslänglicher Leistungen und Nutzungen
geboten, zutrifft. An die gesetzlich vorgegebene
Berechnungsmethodik sind die Verwaltung und die Gerichte nach dem
Vorbehalt des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden.
Der von dem Kläger errechnete Vervielfältiger wäre
daher selbst dann nicht zugrunde zu legen, wenn er gegenüber
dem sich aus § 14 Abs. 1 Satz 2 BewG ergebenden
Vervielfältiger in mathematisch-logischer Hinsicht
vorzugswürdig wäre.
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4. Eine Aussetzung des Verfahrens
gemäß § 74 FGO und eine Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur verfassungsgerichtlichen
Prüfung, ob § 14 Abs. 1 BewG mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG
vereinbar ist, kommt nicht in Betracht. Der Senat ist nicht davon
überzeugt, dass die Ermittlung des Kapitalwerts von
lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen nach
unterschiedlichen Vervielfältigern für Männer und
Frauen gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstößt.
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a) Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand
wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Die
Vorschrift konkretisiert und verstärkt den allgemeinen
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Geschlecht darf
grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine
rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch
dann, wenn die Regelung nicht unmittelbar auf eine nach Art. 3 Abs.
3 Satz 1 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in
erster Linie andere Ziele verfolgt. An das Geschlecht
anknüpfende differenzierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3
Satz 1 GG grundsätzlich nur dann vereinbar, wenn und soweit
sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach entweder
nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten können,
zwingend erforderlich sind. Ausnahmsweise können sie auch
durch sonstige Sachgründe zu rechtfertigen sein, die jedoch
von erheblichem Gewicht sein müssen (vgl. z.B.
BVerfG-Beschlüsse vom 14.04.2010 - 1 BvL 8/08, BVerfGE 126, 29
und vom 10.07.2012 - 1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL
3/11, BVerfGE 132, 72, m.w.N.). Soweit die Regelungen nicht
unerlässlich sind, um geschlechtsbezogenen Besonderheiten oder
sonstigen zwingenden Gründen Rechnung zu tragen, kommt die
Rechtfertigung einer geschlechterbedingten Ungleichbehandlung im
Wege der Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht unter
Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
in Betracht (vgl. BVerfG-Urteil vom 22.11.2023 - 1 BvR 2577/15, 1
BvR 2578/15, 1 BvR 2579/14, BVerfGE 167, 239, Rz 59 zu Art. 3 Abs.
3 Satz 2 GG).
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b) Bestimmt der Gesetzgeber eine Gruppe nach
sachlichen Merkmalen, die nicht in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannt
sind, so ist diese Regelung an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Etwas
anderes gilt, wenn der vom Gesetzgeber gewählte, durch Art. 3
Abs. 3 Satz 1 GG nicht verbotene sachliche Anknüpfungspunkt in
der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend nur für eine
Gruppe zutrifft oder die differenzierende Regelung sich weitgehend
nur auf eine Gruppe im Sinne einer faktischen Benachteiligung
auswirkt, deren Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG
untersagt ist (mittelbare Diskriminierung). Eine Anknüpfung an
das Geschlecht kann deshalb auch dann vorliegen, wenn eine
geschlechtsneutral formulierte Regelung überwiegend Personen
eines Geschlechts trifft und dies auf natürliche oder
gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern
zurückzuführen ist (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom
18.06.2008 - 2 BvL 6/07, BVerfGE 121, 241, Rz 49 und vom 10.07.2012
- 1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL 3/11, BVerfGE 132, 72,
Rz 57, m.w.N.).
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c) Nach diesen verfassungsrechtlichen
Grundsätzen ist die durch § 14 Abs. 1 BewG vorgegebene
Ermittlung des Kapitalwerts von lebenslänglichen Nutzungen und
Leistungen nach unterschiedlichen Vervielfältigern für
Männer und Frauen am Maßstab des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG
zu messen.
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aa) Zwar führt die Heranziehung der nach
dem Geschlecht differenzierenden Sterbetafeln im vorliegenden Fall
nicht zu einer Benachteiligung des Klägers aufgrund seines
eigenen Geschlechts im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, denn die
Ermittlung des Kapitalwerts des Nießbrauchs bei der
Festsetzung der Schenkungsteuer erfolgt im Streitfall nicht in
Abhängigkeit von seinem Geschlecht, sondern dem Geschlecht
(und Lebensalter) des V als Nießbrauchsberechtigten.
Wäre Empfänger der zugewendeten
nießbrauchsbelasteten Anteile eine Frau, wäre für
den vorbehaltenen Nießbrauch kein anderer Kapitalwert zu
berücksichtigen als derjenige, der im Streitfall beim
Kläger in Ansatz gebracht worden ist.
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bb) Indem § 14 Abs. 1 BewG zur Bestimmung
der Vervielfältiger, die bei der Ermittlung des Kapitalwerts
eines lebenslänglichen Nießbrauchs anzuwenden sind,
unmittelbar an die sich aus den Sterbetafeln ergebende statistisch
unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und Frauen
anknüpft (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG), führt die
Regelung jedoch insoweit zu einer geschlechterbedingten
Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, als der zu
versteuernde Kapitalwert des Nießbrauchs zugunsten einer Frau
aufgrund ihrer statistisch höheren Lebenserwartung
entsprechend höher ausfällt als bei einem
(gleichaltrigen) Mann. Jedenfalls in dieser Fallkonstellation
bewirkt die Vorschrift daher eine ungleiche steuerliche Behandlung,
die einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des eigenen
Geschlechts im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG gleichsteht.
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d) Nach Auffassung des Senats ist diese
geschlechterbedingte Differenzierung im Rahmen der Bewertung
für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer jedoch
verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
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aa) Die Verwendung der
geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln im Rahmen von § 14
Abs. 1 BewG dient einem legitimen Ziel mit Verfassungsrang,
nämlich die Kapitalwerte lebenslänglicher Nutzungen und
Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit
zutreffenden Werten zu erfassen und entsprechend dem
Leistungsfähigkeitsgrundsatz der Besteuerung zugrunde zu
legen. Im Hinblick auf die der Erbschaft- und Schenkungsteuer
zugrunde liegende gesetzgeberische Belastungsentscheidung, den
durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs und
die dadurch eintretende Steigerung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit des Erwerbers zu besteuern, erfordert eine
gleichheitsgerechte Belastung der Steuerpflichtigen im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 GG, dass für die zu einer Erbschaft oder
Schenkung gehörenden Wirtschaftsgüter
Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die deren Werte zutreffend
und in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. Eine diesem
Gebot genügende Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ist
wegen der beschriebenen Belastungsentscheidung des Gesetzgebers nur
dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der
Bewertungsebene am tatsächlichen (gemeinen) Wert als dem
maßgeblichen Bewertungsziel orientiert. Nur dieser bildet den
durch den Substanzerwerb vermittelten Zuwachs an
Leistungsfähigkeit zutreffend ab und ermöglicht eine
gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Belastungsentscheidung (vgl.
hierzu BVerfG-Beschluss vom 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117,
1 = SIS 07 06 26, Rz 101 ff., 107).
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bb) Die Verwendung
geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln ist zur Förderung
des verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsziels, eine
möglichst realitätsgerechte Bewertung
lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der
Erbschaft- und Schenkungsteuer zu gewährleisten, auch geeignet
und erforderlich.
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Da sich die Vergleichsgruppe der Frauen von
der Vergleichsgruppe (gleichaltriger) Männer ausweislich der
Sterbetafeln durch eine statistisch höhere Lebenserwartung
unterscheidet, führt die Verwendung geschlechtsspezifisch
unterschiedlicher Vervielfältiger bei der Ermittlung des
Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen zu
genaueren und in ihrer Relation realitätsgerechteren
Bewertungsergebnissen als die Verwendung von um das Geschlecht
bereinigten Vervielfältigern. Es ist nicht ersichtlich, dass
eine ebenso realitätsgerechte Schätzung der
voraussichtlichen Dauer lebenslänglicher Nutzungen und
Leistungen durch eine andere, gleich wirksame Regelung auf der
Bewertungsebene, die nicht an das Geschlecht der jeweils
berechtigten Person anknüpft, erreicht werden könnte. Da
die statistische Lebenserwartung ausgehend von einem bestimmten
Lebensalter je nach Geschlecht unterschiedlich hoch ist, kann der
tatsächliche Wert lebenslänglicher Nutzungen und
Leistungen vielmehr nur bei Zugrundelegung geschlechtsspezifisch
unterschiedlicher Sterbetafeln und daraus abgeleiteten
Vervielfältigern annäherungsweise ermittelt werden.
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cc) Die mit der Verwendung
geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Sterbetafeln verfolgten
verfassungsrechtlichen Ziele stehen nicht außer
Verhältnis zu den mit einer solchen Regelung verbundenen
Nachteilen.
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Bei der gebotenen Abwägung ist zu
berücksichtigen, dass sich in Abhängigkeit von der
jeweiligen Fallkonstellation die Anwendung der
geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln für den
Steuerpflichtigen steuerlich günstiger oder ungünstiger
auswirken kann. So ist der zu versteuernde Kapitalwert bei der
Zuwendung eines Nießbrauchs an eine Frau aufgrund ihrer
statistisch längeren Lebenserwartung höher zu bewerten
als bei der Zuwendung eines Nießbrauchs an einen Mann, was zu
einer entsprechend höheren Schenkungsteuer führt.
Spiegelbildlich wirkt sich bei einer Schenkung unter Abzug des
Kapitalwerts des Nießbrauchs die Anwendung der
geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Vervielfältiger zum
Nachteil aus, wenn es sich bei dem Schenker um einen Mann handelt,
da der Kapitalwert des Nießbrauchs aufgrund seiner
kürzeren Lebenserwartung in geringerem Maße
steuermindernd in Abzug zu bringen ist als bei einer Schenkung
durch eine Frau.
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dd) Danach ergibt die gebotene Abwägung,
dass das verfassungsrechtliche Erfordernis einer möglichst
genauen Erfassung der Kapitalwerte für Zwecke der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit das Interesse an einer
geschlechtsneutralen Bewertung überwiegt. Ließe man die
statistisch unterschiedliche Lebenserwartung zwischen den
Geschlechtern aus außersteuerlichen Gründen wegen Art. 3
Abs. 3 Satz 1 GG außer Betracht, indem man der Bewertung eine
um das Geschlecht bereinigte und somit auf einem Mittelwert
basierende Sterbetafel zugrunde legte, hätte dies zur Folge,
dass der mit einer Erbschaft oder Schenkung verbundene
Vermögenszuwachs nicht mehr (annäherungsweise)
gemäß seinem tatsächlichen Wert erfasst und der
daraus resultierende Zuwachs an Leistungsfähigkeit im Rahmen
der Bemessungsgrundlage nicht mehr hinreichend genau abgebildet
werden würde. Bei der Abwägung ist zudem zu
berücksichtigen, dass der sich bei Verwendung
geschlechtsspezifischer Vervielfältiger ergebende höhere
Kapitalwert des Zuwendungsnießbrauchs einer Frau lediglich
Ausdruck einer höheren Bereicherung ist, weil statistisch
betrachtet mit der höheren Lebenserwartung eine längere
Dauer der Berechtigung einhergeht. Durch die Anwendung der
geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln im Rahmen des § 14
Abs. 1 BewG soll daher gerade eine wirtschaftliche Gleichbehandlung
von Männern und Frauen erreicht werden (vgl. Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 05.09.2013 - 2 C 47.11, NVwZ -
Rechtsprechungs-Report 2014, 394, Rz 32).
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ee) Es handelt sich zwar um eine rein
statistische Gleichbehandlung, weil die tatsächliche
Lebensdauer von der bei der Bildung der Vervielfältiger
unterstellten durchschnittlichen Lebensdauer abweichen kann.
Gleichwohl legt der Gesetzgeber mit der Anknüpfung an die
geschlechtsspezifisch unterschiedliche Lebenserwartung im
maßgebenden Bewertungszeitpunkt realitätsgerecht den
typischen Fall zugrunde, was insbesondere durch die Heranziehung
der jeweils aktuellsten Sterbetafel im Rahmen von § 14 Abs. 1
Satz 2 BewG erreicht wird (vgl. Begründung zum
Reichsbewertungsgesetz, RStBl 1935, 161, 163; vgl. auch BFH-Urteil
vom 31.10.1969 - III R 45/66, BFHE 97, 558, BStBl II 1970, 196 =
SIS 70 01 08, Rz 10). Atypischen Fällen, in denen die Dauer
der Nutzung oder Leistung tatsächlich wesentlich kürzer
ist als die nach der unterstellten Lebenserwartung zugrunde gelegte
Laufzeit, trägt der Gesetzgeber durch die Berichtigung im
Rahmen der Anwendung von § 14 Abs. 2 BewG hinreichend
Rechnung. Angesichts dessen ist der Senat der Auffassung, dass mit
der Heranziehung der geschlechterdifferenzierenden Sterbetafeln im
Rahmen von § 14 Abs. 1 BewG die verfassungsrechtliche Grenze
der Zumutbarkeit nicht überschritten wird.
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5. Auch ein Verstoß gegen
Gemeinschaftsrecht ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist der
Anwendungsbereich des vom Kläger angeführten
primärrechtlichen Grundsatzes der Entgeltgleichheit aus Art.
157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union (AEUV) im Streitfall nicht eröffnet (vgl. z.B. Urteil
des Gerichtshofs der Europäischen Union Kowalska/Freie und Hansestadt
Hamburg vom 27.06.1990 - C-33/89, EU:C:1990:265). Art. 157 Abs.
1 AEUV gewährt keinen allgemeinen Gleichbehandlungsanspruch,
sondern beschränkt ihn auf das Entgelt im Sinne des Art. 157
Abs. 2 AEUV (Krebber in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art.
157 AEUV Rz 20, m.w.N.). Auf die Ermittlung des Kapitalwerts
lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen nach § 14 Abs.
1 BewG für Zwecke der Besteuerung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2,
§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist diese Regelung nicht
übertragbar. Im Streitfall anwendbare sekundärrechtliche
Vorschriften, die zu einem anderen Ergebnis führen
könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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