Das Bundesministerium der Finanzen wird
aufgefordert, dem Verfahren IX R 27/18 beizutreten.
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I. Streitig ist die Wirksamkeit eines nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter
bekannt gegebenen Einkommensteuerbescheids.
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen
des Herrn B. B war im Kalenderjahr 2014 (Streitjahr)
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der C GmbH, die
wiederum Alleingesellschafterin der D GmbH war.
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Am 09.12.2014 meldete die D GmbH Insolvenz
an; das Insolvenzverfahren wurde am 01.02.2015 eröffnet. Die
am 19.12.2014 beantragte Eröffnung des Insolvenzverfahrens
für die C GmbH wurde durch Beschluss vom 06.02.2015 mangels
Masse abgelehnt. Über das Vermögen des B wurde auf Grund
seines Antrags vom 30.01.2015 am 01.04.2015 das Insolvenzverfahren
eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter
bestellt.
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Im August 2015 reichte der Kläger eine
von ihm selbst sowie von B und dessen Ehefrau unterschriebene
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ein. Das FA
setzte die Einkommensteuer 2014 mit Bescheid vom 23.12.2015
erklärungsgemäß in Höhe von 28.942 EUR fest.
Unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer sowie
Kapitalertragsteuer ergab sich ein Erstattungsbetrag in Höhe
von 2.454 EUR. Das FA gab den Bescheid u.a. dem Kläger
bekannt. Der vom Kläger eingelegte Einspruch und seine Klage
blieben erfolglos.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit
der Revision. Nach seiner Auffassung dürfe das FA nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich keine
Bescheide mehr erlassen. Gleichwohl erlassene Bescheide seien
nichtig.
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II. Der Senat nimmt das Revisionsverfahren zum
Anlass, sich grundlegend mit der Rechtsfrage zu befassen, ob und
inwieweit Steuerbescheide nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens noch wirksam bekannt gegeben werden
können.
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1. Höchstrichterlich entschieden ist in
diesem Zusammenhang, dass ein Steuerbescheid über einen
Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, unwirksam ist
(§ 251 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung - AO - i.V.m. §
87 der Insolvenzordnung; vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 10.12.2008 - I R 41/07, BFH/NV 2009, 719 = SIS 09 12 32; vom
13.05.2009 - XI R 63/07, BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11 = SIS 09 25 61; jeweils m.w.N.). Hiervon ausgenommen sind jedoch
Steuerbescheide, durch die die Steuer auf 0 EUR (BFH-Urteil in
BFH/NV 2009, 719 = SIS 09 12 32) oder eine negative Umsatzsteuer
(BFH-Urteile in BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11 = SIS 09 25 61;
vom 11.12.2013 - XI R 22/11, BFHE 244, 209, BStBl II 2014, 332 =
SIS 14 04 57, Rz 21) festgesetzt werden. In beiden Fällen
fehle es an Insolvenzforderungen, die zur Tabelle anzumelden sind,
und somit an der abstrakten Eignung des Bescheids, sich auf
anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken.
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2. Umstritten ist dies hingegen für
Steuerbescheide, durch die eine positive Steuer festgesetzt wird
und bei denen sich - wie im Streitfall - eine Steuererstattung nur
unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen
ergibt.
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a) Teile des Schrifttums (z.B.
Boochs/Dauernheim, Steuerrecht in der Insolvenz, 2007, S. 38;
Debus/Hackl, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2019, 151;
Dickhöfer, EFG 2018, 2057; Koenig/ Fritsch, Abgabenordnung, 3.
Aufl., § 251 Rz 42; Jatzke in Hübschmann/Hepp/ Spitaler,
§ 251 AO Rz 171; Neumann in Gosch, AO, § 251 Rz 50 f.;
Schmittmann in Karsten Schmidt, Insolvenzordnung, 19. Aufl. 2016,
Anhang Steuerrecht Rz 37; Schmittmann in Vallender/Undritz, Praxis
des Insolvenzrechts, 2. Aufl. 2017, § 14 Rz 16; Witfeld, Neue
Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht 2019, 184) sind
der Auffassung, dass Steuerbescheide auch dann wirksam sind, wenn
die Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung von
Anrechnungsbeträgen zu einem Erstattungs- oder
Vergütungsanspruch führt.
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b) Nach anderer Ansicht sollen
Steuerbescheide, in denen eine positive Steuer festgesetzt wird,
stets unwirksam sein (BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 719 = SIS 09 12 32, in einem obiter dictum mit Verweis auf Welzel, DStZ 1999, 559
f.; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 155 Rz 20 f.; Roth,
Insolvenz Steuerrecht, 2. Aufl. 2016, Kapitel 3
Steuerverfahrensrecht im Insolvenzverfahren, Rz 3.187).
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c) Während die Finanzverwaltung
Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird
und bei denen sich eine Erstattung unter Berücksichtigung von
Anrechnungsbeträgen ergibt, im Anwendungserlass zur
Abgabenordnung (AEAO) ursprünglich nicht ausdrücklich
erwähnt hatte, werden diese seit der Änderung des AEAO
mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom
07.08.2017 (BStBl I 2017, 1257 = SIS 17 15 50) nunmehr explizit im
neu eingefügten Abs. 4 des AEAO zu § 251 Nr. 4.3.1
behandelt. Danach habe eine Steuerfestsetzung zu erfolgen, wenn der
Insolvenzverwalter ausdrücklich die Erteilung eines
Steuerbescheids beantragt, auch wenn sie sich auf anzumeldende
Steuerforderungen auswirken könne. Ein solcher Antrag, der
jedoch grundsätzlich nicht in der Abgabe einer gesetzlich
vorgeschriebenen Steuererklärung zu sehen sei, sei
erforderlich, wenn der Insolvenzverwalter die Anrechnung von
Steuerabzugsbeträgen und/oder Vorauszahlungen begehre mit dem
Ziel ihrer (teilweisen) Erstattung zu Gunsten der
Insolvenzmasse.
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3. Der Senat erachtet zunächst eine
Stellungnahme des BMF mit Blick auf die gängige Praxis der
Finanzverwaltung zur Bekanntgabe von Steuerbescheiden nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens (für vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens begründete Ansprüche) für
sinnvoll. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob durch die
Änderung des AEAO zu § 251 Nr. 4.3.1 Abs. 4 die bisherige
Verwaltungspraxis bestätigt oder geändert wurde und
welche Beweggründe hierfür eine Rolle gespielt haben.
Zudem ist unklar, wie die durch den AEAO konsolidierte
Verwaltungspraxis aussieht, wenn - wie vorliegend - (lediglich)
eine Steuererklärung ohne (ausdrücklichen) Antrag auf
Erteilung eines Steuerbescheids abgegeben wurde.
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Hieran schließt sich die Frage an, ob
die Bekanntgabe eines Steuerbescheids, in dem eine positive
Einkommensteuer festgesetzt wird, auch dann abstrakt dazu geeignet
ist, sich auf anzumeldende Forderungen auszuwirken, wenn sich unter
Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen eine Erstattung ergibt
(und damit eine anzumeldende Forderung - jedenfalls bei Abstellen
auf das negative Leistungsgebot - fehlt). Eine derartige abstrakte
Eignung könnte in der Möglichkeit bestehen, dass die
Steuerfestsetzung oder Steueranrechnung später geändert
wird (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 719 = SIS 09 12 32; Welzel,
DStZ 1999, 559 f.). In diesem Zusammenhang sollte auch dazu
Stellung genommen werden, ob es für die Auszahlung des
Einkommensteuer-Erstattungsanspruchs - in der Praxis der
Finanzverwaltung - überhaupt der vorherigen Festsetzung und
Anrechnung in einem Steuerbescheid bedarf oder ob diese etwa auch
auf der Grundlage einer - nicht in Bestandskraft erwachsenden -
„formlosen Mitteilung“ erfolgen kann.
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III. Angesichts der Komplexität der
angesprochenen Fragen erscheint es sachgerecht, das BMF in den
Entscheidungsprozess einzubinden. Das BMF wird deshalb
aufgefordert, gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Revisionsverfahren beizutreten.
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