Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Köln vom 29.9.2015 10 K 3587/13 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Streitig ist die steuerliche Behandlung
einer Lebensversicherung, deren Versicherungsleistung von der
Wertentwicklung eines Anlagestocks abhängig ist.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) schloss auf Vermittlung der X (Deutschland) AG (im
Folgenden: X), bei der sie ein Wertpapierdepot unterhielt, im Jahr
2007 eine lebenslängliche Todesfallversicherung mit
Einmalprämie (A) bei der Y (Liechtenstein) AG (im Folgenden:
Y) ab.
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Der Sparanteil der Versicherungsprämie
in Höhe von 1.200.000 EUR wurde von der Klägerin mittels
Banküberweisung gezahlt. Er wurde in verschiedene
Vermögenswerte investiert, die in einem bestimmten, dem
Versicherungsvertrag zugeordneten Depotkonto gehalten wurden. Die
Versicherungsleistung war, abgesehen von einer
Mindesttodesfallleistung, an die Wertentwicklung des Depots
gebunden. Die ab dem 1.12.2008 geltenden, überarbeiteten
Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) enthielten unter anderem
folgende Regelungen: Der Versicherungsnehmer konnte die
Anlagestrategie während der Vertragsdauer beliebig oft,
kostenfrei bis zu viermal jährlich, ändern. Der
Versicherungsnehmer hatte während der Vertragsdauer keinen
direkten Einfluss auf die Auswahl und Verwaltung der dem
Versicherungsvertrag zuzuordnenden Vermögenswerte. Er konnte
insbesondere weder unmittelbar noch mittelbar über die
Veräußerung der Vermögensgegenstände und die
Wiederanlage der Erlöse bestimmen. Die X wurde von der Y als
Vermögensverwalter bestimmt. Ein Wahlrecht, ein Rechtsanspruch
oder ein Weisungsrecht des Versicherungsnehmers auf Beauftragung
eines bestimmten Vermögensverwalters oder einer bestimmten
Depotbank bestand nicht. Anlageentscheidungen wurden
ausschließlich vom beauftragten Vermögensverwalter
getroffen.
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Im Rahmen einer Prüfung durch das
Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung kam der
zuständige Prüfer zu dem Ergebnis, dass es sich bei der
Versicherung um eine vermögensverwaltende Versicherung i.S.
von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in
der ab dem Veranlagungszeitraum 2009 geltenden Fassung (EStG)
handele. Die daraus erzielten Erträge seien deshalb im
Streitjahr (2011) unmittelbar der Klägerin zuzurechnen. Der
Prüfer schätzte die Kapitalerträge auf 4 % der
gezahlten Einmalprämie, mithin auf 48.000 EUR jährlich.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
folgte der Auffassung der Steuerfahndung und erließ am
24.5.2013 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)
geänderten Einkommensteuerbescheid 2011, in dem Zinsen aus der
Versicherung in Höhe von 48.000 EUR als zusätzliche
Einnahmen aus Kapitalvermögen berücksichtigt wurden. Den
Einspruch der Klägerin wies das FA als unbegründet
zurück. Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG)
mit dem in EFG 2016, 26 = SIS 15 27 13 veröffentlichten Urteil
vom 29.9.2015 10 K 3587/13 statt.
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Mit der vom FG zugelassenen Revision macht
das FA geltend, es liege ein vermögensverwaltender
Versicherungsvertrag i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG
vor. Entgegen der Auffassung des FG begründe die Auswahl einer
Anlagestrategie eine individuelle Gestaltung der Kapitalanlage nach
den Wünschen der Klägerin. Des Weiteren habe bereits bei
Vertragsschluss festgestanden, dass die X, mit der die
Klägerin bereits zuvor in Geschäftsbeziehungen gestanden
habe, das Depot verwalten würde. Somit würden auch nach
der Änderung der AVB die Anlageentscheidungen weiterhin von
einem Vermögensverwalter getroffen, dessen Beauftragung die
Klägerin gebilligt und durch Abschluss des Vertrags
herbeigeführt habe. Die geänderten AVB könnten eine
tatsächliche Einflussnahme nicht ausschließen. Als
Druckmittel diene der Klägerin das eingesetzte Vermögen.
Dieses könne sie nach einer Kündigung jederzeit
zurückfordern.
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und trotz des
Antrags des FA eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und
hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision des FA ist daher
als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO).
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1. Das FG ist rechtsfehlerfrei davon
ausgegangen, dass kein vermögensverwaltender
Versicherungsvertrag i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG
vorliegt. Die Erträge aus dem Anlagestock sind daher im
Streitjahr nicht der Klägerin zuzurechnen und von dieser nicht
zu versteuern.
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a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG
liegt ein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag vor, wenn
in dem Versicherungsvertrag eine gesonderte Verwaltung von speziell
für diesen Vertrag zusammengestellten Kapitalanlagen
vereinbart worden ist, die nicht auf öffentlich vertriebene
Investmentfondsanteile oder Anlagen, die die Entwicklung eines
veröffentlichten Indexes abbilden, beschränkt ist, und
der wirtschaftlich Berechtigte unmittelbar oder mittelbar über
die Veräußerung der Vermögensgegenstände und
die Wiederanlage der Erlöse bestimmen kann. Auf solche
vermögensverwaltenden Versicherungsverträge sind die
Sätze 1 bis 4 des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht anzuwenden
(§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG). Kapitalerträge z.B. in
Form von Zinsen, Dividenden oder Veräußerungsgewinnen
aus den der Versicherung zugeordneten Kapitalanlagen werden
stattdessen dem wirtschaftlich Berechtigten zugerechnet und nach
den allgemeinen Regelungen - transparent - bei ihm besteuert
(BTDrucks 16/11108, S. 15). § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG ist
auf alle Kapitalerträge anwendbar, die dem
Versicherungsunternehmen nach dem 31.12.2008 zufließen
(§ 52 Abs. 36 Satz 10 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes
2009).
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b) Zwar handelt es sich bei der Versicherung
der Klägerin, wie das FG zutreffend angenommen hat und auch
vom FA nicht in Abrede gestellt wird, um eine Kapitalversicherung
mit Sparanteil i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Der Tatbestand
des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG ist vorliegend jedoch nicht
erfüllt. Es fehlt jedenfalls an der Voraussetzung, dass die
Klägerin als wirtschaftlich Berechtigte des
Versicherungsvertrages unmittelbar oder mittelbar über die
Veräußerung der Vermögensgegenstände und die
Wiederanlage der Erlöse bestimmen konnte.
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aa) Eine unmittelbare
Dispositionsmöglichkeit i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5
EStG besteht, wenn der Berechtigte selbst unmittelbar über die
Vermögensgegenstände verfügen kann (BTDrucks
16/11108, S. 14). Darüber hinaus begründet ein
Weisungsrecht des Berechtigten gegenüber dem
Versicherungsunternehmen oder dem Vermögensverwalter eine
unmittelbare (so BTDrucks 16/11108, S. 15, und Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 1.10.2009 IV C 1-S
2252/07/0001, BStBl I 2009, 1172 = SIS 09 30 17, Rz 34g),
jedenfalls aber eine mittelbare Dispositionsmöglichkeit. Ein
solches Weisungsrecht besteht nicht lediglich in den Fällen,
in denen dies vertraglich zwischen den Beteiligten vereinbart ist,
sondern kann - nach den allgemeinen steuerlichen Grundsätzen
(vgl. § 41 AO) - auch auf tatsächlicher Grundlage
beruhen. In allen diesen Fällen bestimmt der Berechtigte als
Herr des Geschehens die Auswahl der konkreten Kapitalanlagen
(BTDrucks 16/11108, S. 14).
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Ob tatsächlich die Möglichkeit der
Einflussnahme des wirtschaftlich Berechtigten auf die
Anlageentscheidungen besteht, hängt von den
Gesamtumständen des Einzelfalls ab. Die Feststellung und
Würdigung der Gesamtumstände obliegt dem Tatsachengericht
und ist für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2
FGO), wenn sie verfahrensrechtlich ordnungsgemäß
durchgeführt wurde und nicht gegen Denkgesetze
verstößt oder Erfahrungssätze verletzt
(ständige Rechtsprechung, vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs
- BFH - vom 8.7.2015 VI R 77/14, BFHE 250, 518, BStBl II 2016, 60 =
SIS 15 25 62, Rz 24, m.w.N.). Im Rahmen der Gesamtwürdigung
kann es nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung von
entscheidender Bedeutung sein, ob der wirtschaftlich Berechtigte
einen Wechsel in der Person des Vermögensverwalters verlangen
kann und ob eine nach individuellen Gesichtspunkten und auf
konkrete Kapitalanlagen ausgerichtete Anlagestrategie mit dem
wirtschaftlich Berechtigten vereinbart wurde (BMF-Schreiben in
BStBl I 2009, 1172 = SIS 09 30 17, Rz 34g, zweiter und dritter
Spiegelstrich).
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Keine - auch nur mittelbare - Möglichkeit
der Einflussnahme auf die Anlageentscheidungen wird dagegen
begründet, wenn der wirtschaftlich Berechtigte lediglich aus
standardisierten Anlagestrategien, die einer unbestimmten Vielzahl
von Versicherungsnehmern angeboten wird, wählen kann
(zutreffend: BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1172 = SIS 09 30 17, Rz
34h). Die konkrete Anlageentscheidung liegt bei einer
standardisierten Anlagestrategie im Ermessen des
Vermögensverwalters, das lediglich durch die abstrakten
Anlageziele eingeschränkt wird.
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bb) Nach diesen Grundsätzen ist die
Tatsachenwürdigung des FG revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden.
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Nach den nicht angegriffenen Feststellungen
des FG sind der steuerlichen Beurteilung des Versicherungsvertrags
im Streitjahr die AVB vom 1.12.2008 zugrundezulegen. Danach hatte
die Klägerin kein verbindliches (rechtliches) Weisungsrecht
gegenüber der X oder der Y. Sie konnte ausweislich der AVB
auch keinen Wechsel des Vermögensverwalters verlangen. Dass
eine von diesen AVB abweichende tatsächliche Handhabung
vorlag, hat das FG nicht festgestellt. Die Tatsache, dass die
Beauftragung der X als Vermögensverwalterin bereits bei
Vertragsschluss feststand, führt nicht zu einer
Dispositionsbefugnis i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG.
Auch die Möglichkeit, den Versicherungsvertrag zu
kündigen, begründet keine steuerschädliche
Einflussmöglichkeit der Klägerin, sondern kann als
„vermeintliches“ Druckmittel bei jeder
Lebensversicherung ausgeübt werden.
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Für die Klägerin bestand nach den
bindenden Feststellungen des FG lediglich die Möglichkeit, aus
mehreren standardisierten Anlagestrategien, die einer unbestimmten
Vielzahl von Versicherungsnehmern angeboten wurden, zu wählen.
Dies ist, wie bereits ausgeführt wurde, steuerunschädlich
(BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1172 = SIS 09 30 17, Rz 34h). Das
Recht der Klägerin, die gewählte Anlagestrategie beliebig
oft zu wechseln, begründet kein anderes Ergebnis. Auch
insoweit bestand lediglich die Wahl zwischen abstrakt vorgegebenen,
standardisierten Anlagezielen, ohne dass dadurch eine individuelle
Anlagestrategie vereinbart oder eine sonstige mittelbare
Dispositionsmöglichkeit über die Vermögenswerte
eröffnet wurde.
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cc) Ob mit dem BMF angenommen werden kann,
dass (allein) die Einbringung eines bereits vorhandenen Depots in
den Versicherungsvertrag die widerlegbare (tatsächliche)
Vermutung einer fortbestehenden Einflussmöglichkeit erbringt
(BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1172 = SIS 09 30 17, Rz 34i), kann
dahingestellt bleiben (kritisch Winkels, BB 2016, 1310, 1312). Das
FG hat bindend festgestellt, dass für eine derartige Vermutung
wegen der Barleistung der Einmalprämie keine tatsächliche
Grundlage besteht. Überdies wäre die Vermutung nach den
Feststellungen des FG jedenfalls aufgrund der konkreten
Vertragsgestaltung widerlegt. Dabei geht das FG zutreffend davon
aus, dass maßgebend nur der fortdauernde tatsächliche
Einfluss während der Vertragslaufzeit sein kann (vgl. auch
Winkels, BB 2016, 1310, 1312). Einen solchen tatsächlichen
Einfluss hat das FG nicht festgestellt. Dass aus der Sicht des FA
auch eine andere Tatsachenwürdigung möglich gewesen
wäre, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, da die
Würdigung des FG nicht widersprüchlich ist und auch nicht
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze
verstößt.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
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