Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 7.4.2016 9 K
9257/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu
tragen.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) war bis zum 31.1.2008 bei
der B-GmbH (GmbH) beschäftigt. Von dieser erhielt sie Ende
Januar 2008 eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe von 28.969
EUR. Aufgrund zwischenzeitlich eingetretener
Erwerbsunfähigkeit war sie im Streitjahr 2008 nicht mehr aktiv
beruflich tätig. Im Zeitraum vom 1.1.2008 bis zum 25.5.2010
bezog die Klägerin vom Jobcenter Leistungen zur Sicherung
ihres Lebensunterhaltes und zur Eingliederung in Arbeit nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
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Mit Bescheid vom 25.5.2010 bewilligte die
Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) der Klägerin
rückwirkend ab dem 1.1.2008 für die Zeit bis zum
30.6.2011 eine Rente auf Zeit wegen voller Erwerbsminderung. Der
Nachzahlungsbetrag für die bereits abgelaufenen
Bewilligungsmonate in Höhe von insgesamt 27.998 EUR wurde -
bis auf einen Restbetrag in Höhe von 900 EUR - von der DRV
nicht an die Klägerin, sondern als Erstattungsleistung nach
§ 103 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) an das
Jobcenter ausgezahlt. Von der Erstattung entfielen 11.870 EUR auf
Leistungen des Jobcenters im Streitjahr 2008. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) unterwarf diesen Betrag
2008 gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a
Doppelbuchst. aa des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr
geltenden Fassung (EStG) mit dem Besteuerungsanteil
gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa
Satz 3 EStG der Besteuerung.
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Die Klägerin ist der Auffassung, im
Hinblick auf das in § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG statuierte sog.
Zuflussprinzip seien ihr die Renteneinkünfte frühestens
im Jahr 2010, d.h. in dem Jahr, in dem der
Rentenversicherungsträger den entsprechenden
Bewilligungsbescheid erlassen habe, zugeflossen und zu versteuern.
Zudem hätte das Jobcenter die im Streitjahr 2008
gewährten Leistungen nach dem SGB II wegen der
Abfindungszahlung der GmbH zurückverlangen können.
§§ 103 und 107 SGB X seien bei zu Unrecht gewährten
Sozialleistungen nicht anwendbar.
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Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit dem in EFG 2016,
1245 = SIS 16 15 65 veröffentlichten Urteil unter Bezugnahme
auf das Senatsurteil vom 9.12.2015 X R 30/14 (BFHE 252, 134, BStBl
II 2016, 624 = SIS 16 02 81) ab. Der Klägerin seien die
Renteneinkünfte aus der rückwirkend bewilligten
Erwerbsminderungsrente im Umfang der von ihr im Kalenderjahr 2008
bezogenen Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf § 107
Abs. 1 SGB X bereits im Streitjahr 2008 in Höhe von 11.870 EUR
zugeflossen. Selbst wenn die Klägerin wegen des Bezugs der
Abfindung möglicherweise keinen gesetzlichen Anspruch auf
Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 1.2.2008 gehabt
haben sollte, ändere sich hieran nichts. Nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es nur dann zum
Wegfall des gesetzlichen Erstattungsanspruchs nach § 103 SGB X
bzw. zum Nichteintritt der Erfüllungsfiktion gemäß
§ 107 Abs. 1 SGB X, wenn die Leistungen auf Bescheiden
beruhten, die entweder nichtig oder aber zumindest
„offensichtlich fehlerhaft“ seien. Eine derartige
Konstellation liege im Streitfall indes nicht vor.
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Die Klägerin begründet ihre
Revision mit der Verletzung materiellen Rechts. Sie ist u.a. der
Auffassung, die vom Senat in seinem Urteil in BFHE 252, 134, BStBl
II 2016, 624 = SIS 16 02 81 aufgestellten Grundsätze
könnten auf das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB II
und der rückwirkend bewilligten Erwerbsminderungsrente keine
Anwendung finden. In dem Senatsurteil sei der Bezug von Krankengeld
und einer Erwerbsminderungsrente streitgegenständlich gewesen;
diese Leistungen schlössen sich gegenseitig aus. Ein solches
Alternativverhältnis liege bei den Leistungen nach dem SGB II
und der Erwerbsminderungsrente hingegen nicht vor. Zudem sei es
möglich, dass es aufgrund der Erfüllungsfiktion des
§ 107 Abs. 1 SGB X zu einem vom Gesetzgeber weder gesehenen
noch gewünschten Splitting der steuerrechtlichen Beurteilung
von monatlichen Rentenleistungen komme, wenn die rückwirkend
bewilligte Erwerbsminderungsrente höher sei als die für
denselben Zeitraum ausgezahlten Leistungen nach dem SGB II. Mit der
Kodifizierung des § 107 Abs. 1 SGB X habe der Gesetzgeber
nicht beabsichtigt, eine steuerrechtliche Regelung zu treffen,
insbesondere das Zuflussprinzip des § 11 EStG zu modifizieren.
Der Zweck der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X
bestehe im Ausschluss von Doppelleistungen an den
Leistungsberechtigten (BSG-Urteil vom 12.5.2011 B 11 AL 24/10 R,
SozR 4-1300 § 107 Nr. 4, Rz 15). Deshalb werde gesetzlich
angeordnet, dass Leistungen des zu Unrecht in Anspruch genommenen
Leistungsträgers erstattet würden und die Erstattung
gleichzeitig die Erfüllung des Leistungsanspruchs
gegenüber dem Leistungsberechtigten bewirke. Hierdurch werde
eine Verwaltungsvereinfachung bezweckt, jedoch bei der
Sozialverwaltung und nicht bei der Steuerverwaltung.
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Die Erfüllungsfiktion des § 107
Abs. 1 SGB X könne vielleicht - wie im Falle des Senatsurteils
in BFHE 252, 134, BStBl II 2016, 624 = SIS 16 02 81 - bei
einkommensteuerrechtlich relevanten Lohnersatzleistungen
herangezogen werden, nicht aber beim Bezug der Leistungen nach dem
SGB II, da diese einkommensteuerrechtlich irrelevant seien. Der
Bezieher einer solchen Leistung müsse - anders als ein
Bezieher von Krankengeld - nicht damit rechnen, dass diese
später rückwirkend als Zahlung einer
Erwerbsminderungsrente angesehen und dementsprechend
steuerpflichtig werden könne. Die vom FG angenommene
Steuerpflicht habe zur Konsequenz, dass ein Bezieher von Leistungen
nach dem SGB II entsprechende Vorsorge treffen müsse, was
für diesen schlichtweg unzumutbar sei.
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Darüber hinaus finde die
Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X im Streitfall
bereits deshalb keine Anwendung, weil von vornherein kein Anspruch
auf Leistungen eines Sozialleistungsträgers bestanden habe.
Die Klägerin habe Leistungen nach dem SGB II bezogen, obwohl
sie von der GmbH eine Kapitalabfindung erhalten habe. Zudem habe
sie die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Leistungen
nach dem SGB II auch deshalb nicht erfüllt, weil sie nicht in
der Lage gewesen sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den
gewöhnlichen Bedingungen eine Arbeit auszuüben. Darauf,
dass die Bewilligungsbescheide des Jobcenters bestandskräftig
seien, komme es hingegen nicht an.
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Erbringe der erstattungspflichtige
Leistungsträger seine Sozialleistung gegenüber dem
Leistungsempfänger mit befreiender Wirkung, weil er keine
positive Kenntnis von der Leistung des erstattungsberechtigten
Sozialleistungsträgers gehabt habe, erhalte der
Leistungsberechtigte eine Doppelleistung, so dass § 107 Abs. 1
SGB X keine Anwendung finde. Damit werde ein Leistungsberechtigter,
der erhaltene Leistungen nach dem SGB II verschweige,
einkommensteuerlich günstiger behandelt als ein gesetzestreuer
Leistungsempfänger.
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Zur Durchführung des
Revisionsverfahrens wurden der Klägerin mit Senatsbeschluss
vom 27.1.2017 X S 13/16 (PKH) Prozesskostenhilfe bewilligt und
Rechtsanwalt X als Prozessbevollmächtigter
beigeordnet.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie die
Einspruchsentscheidung vom 1.8.2013 aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid 2008 vom 4.3.2013 dergestalt zu
ändern, dass die ursprünglich als SGB II-Leistungen
empfangenen Zahlungen nicht als sonstige Einkünfte
gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa
EStG besteuert werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
Klägerin die im Streitjahr vom Jobcenter zur Sicherung des
Lebensunterhalts und zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II
gezahlten Leistungen gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3
Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG insoweit der Besteuerung
unterwerfen muss, als die DRV dem Jobcenter die Leistungen
gemäß § 107 Abs. 1 SGB X für diesen Zeitraum
erstattet hat (unter 1.). Die hiergegen vorgebrachten Argumente der
Klägerin vermögen den Senat nicht zu überzeugen
(unter 2.).
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1. Die Leistungen, die die Klägerin im
Streitjahr 2008 vom Jobcenter erhalten hat, unterliegen infolge der
Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X in Höhe der
von der DRV geleisteten Erstattung in diesem Jahr als Leibrente mit
ihrem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3
Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG der Einkommensteuer.
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Zwar sind der Klägerin diese Bezüge
zunächst nicht als Erwerbsminderungsrente, sondern als
Leistungen nach dem SGB II zugeflossen. Für die Besteuerung
ist indes entscheidend, dass sie ihr auf der Rechtsgrundlage des
mit der DRV bestehenden Rentenversicherungsverhältnisses als
Erwerbsminderungsrente zustehen. Aufgrund der
Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X ist dieser -
endgültige - sozialversicherungsrechtliche Rechtsgrund
für das „Behaltendürfen“ der
Leistungen maßgebend für deren steuerliche Behandlung
(anders als bei der Beurteilung des Zuflusses gemäß
§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs
- BFH - vom 13.10.1989 III R 30-31/85, BFHE 159, 123, BStBl II
1990, 287 = SIS 90 06 07, unter II.2.b cc).
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a) Der Senat hat dieses Ergebnis in seinem
Urteil vom 10.7.2002 X R 46/01, BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391 =
SIS 03 05 84 damit begründet, dass der
„Austausch“ des sozialversicherungsrechtlichen
Rechtsgrundes - Erwerbsminderungsrente statt des im dortigen
Sachverhalt geleisteten Krankengeldes - betragsmäßig
durch den Erstattungsanspruch konkretisiert werde, der im Falle
einer zeitlichen Überschneidung zweier Leistungen dem
vorleistenden Versicherungsträger auf der Rechtsgrundlage des
§ 103 SGB X zustehe. Mit der Erfüllungsfiktion des §
107 Abs. 1 SGB X habe sich der Gesetzgeber aus Gründen der
Rechtsklarheit und der Verwaltungsökonomie für eine
unkomplizierte und im Rahmen des Sozialleistungsrechts einheitliche
Form des internen Ausgleichs von Leistungsbewilligungen
entschieden. Damit solle eine Rückabwicklung im
Verhältnis zwischen vorleistendem Träger (hier:
Jobcenter) und Leistungsberechtigtem (hier: Klägerin) sowie
ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen
leistungspflichtigem Träger (hier: DRV) und
Leistungsberechtigtem (hier: Klägerin) vermieden werden.
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Der Senat hat zudem in seinem Urteil in BFHE
252, 134, BStBl II 2016, 624 = SIS 16 02 81 entschieden, dass diese
Grundsätze auch auf die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des
Alterseinkünftegesetzes vom 5.7.2004 (BGBl I 2004, 1427)
Anwendung finden, da sich an ihren Grundlagen durch den
Systemwechsel nichts geändert habe. So sei - auch wenn seit
2005 nicht mehr der Ertragsanteil der Rente gemäß §
22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG a.F., sondern deren
Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst.
a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG besteuert werde - für die
Ermittlung des steuerpflichtigen Anteils der Rente weiterhin das
Jahr des Rentenbeginns entscheidend. Maßgeblich für die
Senatsrechtsprechung war und ist zudem, dass durch die
Zugrundelegung der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB
X der steuerbare Anteil der Rentenzahlungen in dem
Veranlagungszeitraum erfasst wird, in dem die Leistungen dem
Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen sind und seine
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht haben.
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b) Dies gilt auch dann, wenn die
Leistungsgewährung durch das Jobcenter ggf. materiell
rechtswidrig gewesen sein sollte.
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aa) Für die Besteuerung ist entscheidend,
dass die der Klägerin gewährten SGB II-Leistungen und die
Erwerbsminderungsrente auf wirksamen Bescheiden des Jobcenters bzw.
der DRV beruhen. Diese Bescheide sind von ihr weder angefochten
noch vom Jobcenter bzw. der DRV aufgehoben worden. Zudem hat das
Jobcenter der Klägerin die Leistungen zur Sicherung ihres
Lebensunterhaltes und zur Eingliederung in Arbeit gewährt und
ihr belassen, genauso wie die DRV dem Jobcenter dessen Zahlungen
gemäß §§ 102 ff. SGB X tatsächlich
erstattet hat.
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Das FA hat die wirksamen Bescheide der
Sozialleistungsträger sowie die vorgenommene Erstattung an den
vorleistenden Sozialleistungsträger zu respektieren und sie
auch im Rahmen der Besteuerung zu beachten.
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(1) Bereits nach der Rechtsprechung des VI.
Senats des BFH zu § 3 Nr. 62 EStG sind Entscheidungen der
zuständigen Sozialversicherungsträger im
Besteuerungsverfahren zu beachten, soweit sie verbindlich, wirksam
und nicht offensichtlich rechtswidrig sind. Dies folgt aus der
Tatbestandswirkung dieser Entscheidungen, die insofern eine
Bindungswirkung entfalten, als sie ein eigenes Prüfungsrecht
der Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit ausschließen.
Diese Tatbestandswirkung ist Ausfluss des Art. 20 Abs. 3 des
Grundgesetzes und bezweckt, dass die Entscheidung über
Rechtmäßigkeit und Bestand eines behördlichen
Bescheids den dazu berufenen Spezialgerichten vorbehalten bleibt.
Durch diese ressortbezogene Betrachtung werden die
Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen nicht vermindert, da
es den Betroffenen freisteht, sich gegen die Bescheide zu wenden
bzw. auf ihre mögliche Rechtswidrigkeit hinzuweisen (s. hierzu
BFH-Urteil vom 21.1.2010 VI R 52/08, BFHE 228, 295, BStBl II 2010,
703 = SIS 10 13 17, Rz 15, 17 und 19 f., m.w.N.).
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(2) Diese Rechtsprechung ist auch der
Beantwortung der streitgegenständlichen Frage zugrunde zu
legen, ob bei Besteuerung von erhaltenen Sozialleistungen eine
Erstattungsfiktion gemäß § 107 Abs. 1 SGB X
angenommen werden kann. Die Interessenlage ist vergleichbar: Auch
hier ist eine steuerliche Frage unter Rückgriff auf eine
sozialversicherungsrechtliche Vorfrage zu beantworten. Insoweit
verfügen die sozialrechtlichen Leistungsträger über
eine größere Sach- und Fachkunde als die
Finanzbehörden.
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bb) Die Tatbestandswirkung der Bescheide der
zur Entscheidung berufenen Behörde stimmt auch mit der
Rechtsprechung des BSG zu dem
„Akzeptierenmüssen“ der jeweiligen
Bescheide der beteiligten Sozialversicherungsträger bei
Anwendung der §§ 102 ff. SGB X überein.
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Nach der Rechtsprechung des BSG ist es zwar im
Bereich der Erstattungsansprüche der Leistungsträger
gemäß §§ 102 ff. SGB X erforderlich, dass die
Sozialleistungen materiell rechtmäßig erbracht worden
sind (vgl. z.B. Urteile vom 27.8.1987 2 RU 49/86, BSGE 62, 118, und
vom 31.10.2012 B 13 R 11/11 R, SozR 4-1300 § 106 Nr. 1, unter
3., m.w.N.; s.a. Becker, in Hauck/Noftz, SGB X, K §§
102-114, Rz 63; Böttiger, in Diering/Timme, Vor §§
102-114, Rz 24; Roos, in Schütze, SGB X, § 103, Rz 5).
Die Rechtsbeziehungen zwischen unterschiedlichen
Sozialleistungsträgern in einem gegliederten
Sozialleistungssystem erfordern aber auch, dass jeder
Leistungsträger die Regelungsbefugnis des zuständigen
Trägers respektiert und seinen eigenen Entscheidungen zugrunde
legt. Deshalb sind Entscheidungen des zuständigen Trägers
grundsätzlich von anderen Trägern hinzunehmen
(ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z.B. Urteile vom
30.5.2006 B 1 KR 17/05 R, SozR 4-3100 § 18c Nr. 2, Rz 30; vom
26.6.2008 B 13 R 37/07 R, BSGE 101, 86, Rz 14, jeweils m.w.N.; vgl.
auch Becker, in Hauck/ Noftz, a.a.O., K §§ 102-114 Rz
117, m.w.N. aus der früheren Rechtsprechung des BSG). Dem
steht auch nicht entgegen, dass ein derartiger Verwaltungsakt nur
die Leistung an den Berechtigten, nicht aber die Erstattung durch
den anderen Leistungsträger regelt. Ebenso wenig fällt
insoweit ins Gewicht, dass die durch §§ 102 ff. SGB X
geregelten Erstattungsansprüche unabhängig von und
selbständig neben dem Anspruch des Leistungsberechtigten gegen
den zur Erstattung herangezogenen Leistungsträger bestehen.
Die Eigenständigkeit des Erstattungsanspruchs führt
nämlich nicht dazu, dass über Grund und Höhe der
Leistung zum Zwecke der Erstattung noch einmal entschieden werden
müsste. Der auf Erstattung in Anspruch genommene
Leistungsträger kann sich in der Regel auf die bindende
Entscheidung einschließlich ihrer Tatbestandswirkung berufen,
was im Grundsatz auch für den Fall gilt, dass der die Leistung
bewilligende oder ablehnende Verwaltungsakt fehlerhaft ist (so
BSG-Urteil vom 1.9.1999 B 13 RJ 49/98 R, SozR 3-1300 § 86 Nr.
3, Rz 21).
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Wenn aber bereits in einem sozialrechtlichen
Erstattungsverfahren der eine Sozialleistungsträger den
Bescheid des anderen grundsätzlich zu akzeptieren hat, muss
dies umso mehr für eine fachfremde Finanzbehörde in einem
Besteuerungsverfahren gelten. Diese hat die Bescheide der beiden
betroffenen Sozialleistungsträger sowie die zwischen ihnen
vorgenommene Erstattung der Besteuerung zugrunde zu legen.
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cc) Die Bindung an die Bescheide des
Jobcenters und der DRV sowie die darauf beruhende Erstattung ist im
Streitfall gegeben, da die Bescheide wirksam und auch nicht
offensichtlich fehlerhaft sind. Die Fragen, ob und inwieweit die
erhaltene Abfindung sich im konkreten Streitfall anspruchsmindernd
auf die SGB II-Leistungen auswirken könnte und welche
Bedeutung die - möglicherweise - fehlende
Erwerbsfähigkeit der Klägerin für ihre
Ansprüche gemäß dem SGB II haben könnte, sind
sozialrechtlich nicht evident falsch beantwortet worden.
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Hinzu kommt, dass das tatsächliche
Ergebnis der Erstattung den zwei „Eckpfeilern“
des Erstattungsrechts entspricht: Danach soll der
erstattungsberechtigte Leistungsträger im Wege des
Erstattungsanspruchs nicht mehr erhalten können als er selbst
dem Sozialleistungsempfänger an Leistungen erbracht hat; der
erstattungspflichtige Leistungsträger soll aber auf der
anderen Seite - abgesehen von der hier nicht einschlägigen
Sonderregelung in § 102 Abs. 2 SGB X - nicht mehr erstatten
müssen, als er nach dem für ihn maßgebenden Recht
zu leisten gehabt hätte (s. BSG-Urteil in SozR 4-3100 §
18c Nr. 2, Rz 45). Im Streitfall hat die Klägerin aufgrund der
Leistungen des Jobcenters im Ergebnis Zahlungen genau in der
Höhe und in dem Veranlagungszeitraum erhalten, wie sie ihr als
Erwerbsminderungsrente ab dem 1.1.2008 zustanden. Die DRV hat durch
die Verrechnung mit dem Erstattungsanspruch des Jobcenters und der
späteren Nachzahlung im Jahr 2010 Leistungen in der von ihr
geschuldeten Höhe erbracht.
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2. Die von der Klägerin gegen dieses
Ergebnis geltend gemachten Einwendungen können den Senat nicht
überzeugen.
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a) Soweit die Klägerin vorbringt, die
Senatsrechtsprechung könne auf das Verhältnis von
Leistungen nach dem SGB II und der rückwirkend bewilligten
Erwerbsminderungsrente keine Anwendung finden, da ein
Alternativverhältnis der Leistungen nach dem SGB II und der
Erwerbsminderungsrente nicht gegeben sei, kann der Senat diesen
Erwägungen nicht folgen.
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Entscheidend ist - wie bereits dargestellt -,
dass ein Sozialleistungsträger einem anderen
Sozialleistungsträger dessen Leistungen gemäß
§§ 102 ff. SGB X erstattet hat, die dieser vorher einem
Leistungsempfänger gewährt hat. Um welche konkrete
Vorleistung es sich gehandelt hat, ob die Erstattung zu Recht
erfolgt ist und/oder ob die materiellen Voraussetzungen der
§§ 102 ff. SGB X gegeben sind, ist für die
Besteuerung so lange ohne Bedeutung, so lange die Leistungen auf
wirksamen und nicht offensichtlich unrichtigen Bescheiden beruhen
und die Erstattung zwischen den Sozialleistungsträgern
tatsächlich Bestand hat.
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b) Auch das Argument der Klägerin, es sei
einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II nicht zuzumuten,
Vorsorge für Steuernachzahlungen zu treffen, weil er nicht
damit rechnen müsse, dass eine später bewilligte
Erwerbsminderungsrente nachträglich zu steuerpflichtigen
Einkünften führen könne, überzeugt den Senat
nicht.
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Eine tatsächliche Steuerpflicht kann nur
eintreten, wenn das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag
übersteigt. Sind demgegenüber die Sozialleistungen selbst
bzw. die Sozialleistungen zuzüglich weiterer Einkünfte
des Steuerpflichtigen so hoch, dass es zu einer tatsächlichen
Steuerzahlungspflicht kommt, ist eine Vorsorge zumutbar, da auch
andere Steuerpflichtige mit einem vergleichbar hohen zu
versteuernden Einkommen diese Steuerlast tragen müssen. Dies
zeigt exemplarisch der Streitfall: Hätte die Klägerin im
Streitjahr 2008 lediglich ihre Erwerbsminderungsrente in Höhe
von 11.870 EUR versteuern müssen, wäre keine Steuer
angefallen, da der steuerpflichtige Teil ihrer Rente in Höhe
von 6.409 EUR unter dem Grundfreibetrag lag, der im Jahr 2008 7.664
EUR betrug. Die von ihr geschuldete Steuer beruht auf dem
Zusammentreffen mit der in diesem Jahr erhaltenen
Abfindungszahlung. Insoweit ist sie jedoch leistungs- und
zahlungsfähig.
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c) Dass es aufgrund der Erfüllungsfiktion
des § 107 SGB X zu einer „gesplitteten
Besteuerung“, d.h. einer Besteuerung der
Rentennachzahlung in zwei Veranlagungszeiträumen kommen kann,
steht in Einklang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip.
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Die Besteuerung der Rentenzahlungen unter
Berücksichtigung der Erfüllungsfiktion des § 107
Abs. 1 SGB X findet in dem Jahr und in genau der Höhe statt,
in dem der Klägerin die Zahlungen tatsächlich zugeflossen
sind und sich ihre Leistungsfähigkeit erhöht hat. Die
verbleibende Rentennachzahlung in Höhe von 900 EUR, die von
der DRV nach Verrechnung mit den SGB II-Leistungen an die
Klägerin ausgezahlt wurde, ist dieser 2010 zugeflossen und
infolgedessen auch erst dann von ihr zu versteuern.
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d) Wenn die Klägerin meint, der
Leistungsberechtigte, der Leistungen nach dem SGB II verschweige,
werde infolge der Senatsrechtsprechung einkommensteuerrechtlich
günstiger behandelt als ein gesetzestreuer
Leistungsempfänger, ist ihr nicht zuzustimmen.
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In einem solchen Fall müsste der
Leistungsberechtigte die Rentennachzahlungen der DRV
vollständig in dem Jahr der Nachzahlung versteuern. Die
Rückzahlung der zu Unrecht gewährten Zahlungen nach dem
SGB II wäre demgegenüber einkommensteuerrechtlich
unbeachtlich, da es sich um die Rückzahlung gemäß
§ 3 Nr. 2b EStG (§ 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 2018)
steuerfreier Leistungen handelte.
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Dass sich die Senatsrechtsprechung bei der
Klägerin im Streitjahr nachteilig auswirkt, liegt allein an
der Besonderheit, dass sie in diesem Jahr weitere Einkünfte in
Form der Kapitalabfindung erzielt hat.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus
§ 135 Abs. 2 FGO.
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