Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Thüringer Finanzgerichts vom 1.12.2016 1 K 221/16 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
1
|
I. Streitig ist, ob im Rahmen der
Einzelveranlagung von Ehegatten auf deren übereinstimmenden
Antrag der dem einem Ehegatten zustehende Behinderten-Pauschbetrag
bei beiden Ehegatten jeweils zur Hälfte abzuziehen
ist.
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist verheiratet und wurde im Veranlagungszeitraum
2014 (Streitjahr) antragsgemäß einzelveranlagt.
Übereinstimmend mit seiner Ehefrau beantragte er in seiner
Einkommensteuerklärung für 2014, die Sonderausgaben,
außergewöhnlichen Belastungen sowie die
Steuerermäßigung für haushaltsnahe
Beschäftigungsverhältnisse, Dienstleistungen und
Handwerkerleistungen gemäß § 26a Abs. 2 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung
(EStG) jeweils zur Hälfte aufzuteilen. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) versagte in dem den
Kläger betreffenden Einkommensteuerbescheid für 2014 vom
15.1.2016 den hälftigen Abzug des Behinderten-Pauschbetrags
der Ehefrau des Klägers; der Einspruch hatte keinen Erfolg
(Einspruchsentscheidung vom 10.3.2016).
|
|
|
3
|
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen
erhobenen Klage mit dem in EFG 2017, 405 = SIS 17 09 57
veröffentlichten Urteil statt und setzte die Einkommensteuer
des Klägers unter Berücksichtigung des hälftigen
Behinderten-Pauschbetrags der Ehefrau fest. Zur Begründung
führte das FG im Wesentlichen aus, § 26a Abs. 2 Satz 2
EStG lasse die Übertragung des halben
Behinderten-Pauschbetrags des einen Ehegatten auf den anderen
Ehegatten zu.
|
|
|
4
|
Mit der Revision rügt das FA eine
Verletzung von § 26a Abs. 2 EStG.
|
|
|
5
|
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung
des angefochtenen Urteils abzuweisen.
|
|
|
6
|
Der Kläger hat keinen Antrag
gestellt.
|
|
|
7
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat der Klage zu Recht
stattgegeben; das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118
Abs. 1 Satz 1 FGO).
|
|
|
8
|
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der
im Streitjahr der Ehefrau des Klägers zustehende
Behinderten-Pauschbetrag (vgl. § 33b Abs. 1 bis 3 EStG)
aufgrund eines übereinstimmenden Antrags der Ehegatten
gemäß § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG beim Kläger im
Rahmen seiner Einzelveranlagung zur Hälfte abzuziehen war.
|
|
|
9
|
2. Gemäß § 26a Abs. 2
Sätze 1 und 2 EStG werden Sonderausgaben,
außergewöhnliche Belastungen und die
Steuerermäßigung nach § 35a EStG demjenigen
Ehegatten zugerechnet, der die Aufwendungen wirtschaftlich getragen
hat. Auf übereinstimmenden Antrag der Ehegatten werden sie
jeweils zur Hälfte abgezogen.
|
|
|
10
|
a) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass
§ 26a Abs. 2 Satz 2 EStG den Ehegatten im Rahmen der
Einzelveranlagung ermöglicht, auf übereinstimmenden
Antrag den einem Ehegatten zustehenden Behinderten-Pauschbetrag
(vgl. § 33b Abs. 1 bis 3 EStG) zur Hälfte bei dem anderen
Ehegatten abzuziehen, da die vom Behinderten-Pauschbetrag erfassten
Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen i.S. des
§ 26a Abs. 2 Satz 1 EStG anzusehen sind und § 33b Abs. 1
bis 3 EStG keine gegenüber § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG
spezielle Aufteilungsregelung enthält.
|
|
|
11
|
b) Bereits aus dem Wortlaut
„außergewöhnliche Belastungen“ folgt
- auch ohne einen Klammerverweis auf die §§ 33 bis 33b
EStG -, dass § 26a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 EStG (auch) solche
Aufwendungen erfasst, die über den Behinderten-Pauschbetrag
i.S. des § 33b Abs. 1 EStG abgedeckt werden (anders z.B.
Blümich/Ettlich, § 26a EStG Rz 25; Pflüger in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 26a EStG Rz 60; Nacke in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33b
Rz 51a). Der Pauschbetrag für behinderungsbedingte
Aufwendungen i.S. des § 33b Abs. 1 EStG kann
grundsätzlich auch nur „anstelle“ einer
Steuerermäßigung nach § 33 EStG für
außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden
(vgl. z.B. Blümich/K. Heger, § 33b EStG Rz 11). Denn Sinn
und Zweck der Pauschbetragsregelung ist es gerade, typisierend zu
unterstellen, dass bestimmten Gruppen von behinderten Menschen
gewisse außergewöhnliche Belastungen erwachsen (vgl.
z.B. Blümich/K. Heger, § 33b EStG Rz 4, m.w.N.; Urteil
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.9.1984 VI R 164/80, BFHE 142,
377, BStBl II 1985, 129 = SIS 85 03 02, unter 1.c, m.w.N., und
BFH-Beschluss vom 13.7.2011 VI B 20/11, BFH/NV 2011, 1863 = SIS 11 33 13, Rz 9, m.w.N.).
|
|
|
12
|
c) Gegen diese Auslegung sprechen auch nicht
der systematische Zusammenhang zwischen § 26a Abs. 2 Satz 2
EStG und § 26a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG sowie der in
letzterer Vorschrift zum Ausdruck gekommene Grundsatz der
Individualbesteuerung (anders z.B. Blümich/Ettlich, § 26a
EStG Rz 25; HHR/Pflüger, § 26a EStG Rz 60). Denn soweit
§ 26a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG
außergewöhnliche Belastungen demjenigen Ehegatten
zurechnet, „der die Aufwendungen wirtschaftlich getragen
hat“, ist dies typisierend derjenige Ehegatte, dem der
Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG zusteht
(vgl. HHR/Schüler-Täsch, § 33b EStG Rz 16). §
26a Abs. 2 Satz 2 EStG regelt hingegen gerade eine Ausnahme von dem
Grundsatz der Individualbesteuerung. Die in dieser Ausnahme zum
Ausdruck gekommene Wertung des Gesetzgebers, dem
Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten (vgl. § 1360 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs) auch bei der Zuordnung bestimmter
Aufwendungen in beschränktem Umfang Geltung zu verschaffen
(vgl. HHR/Pflüger, § 26a EStG Rz 52), rechtfertigt auch
eine abweichende Zuordnung des Pauschbetrags.
|
|
|
13
|
d) Auch § 33b Abs. 1 bis 3 EStG
enthält keine gegenüber § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG
spezielle Regelung für die hälftige Aufteilung des einem
Ehegatten zustehenden Behinderten-Pauschbetrags im Rahmen der
Einzelveranlagung von Ehegatten (anders z.B. Lochte in Frotscher,
EStG, Freiburg 2011, § 26a Rz 30; Blümich/Ettlich, §
26a EStG Rz 25 f.; K. Schneider in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O.,
§ 26a Rz 66a; Nacke in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 33b
Rz 51a). Dieses Verständnis entspricht der bisherigen
Rechtsprechung des Senats zu § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG in der
bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung (vgl. z.B. Senatsurteil vom
19.4.2012 III R 1/11, BFHE 237, 325, BStBl II 2012, 861 = SIS 12 24 03, Rz 12). Hieran hält der Senat insoweit fest. Denn es ist
nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des §
26a Abs. 2 EStG von der bisherigen Möglichkeit einer
hälftigen Aufteilung des Behinderten-Pauschbetrags
abrücken wollte.
|
|
|
14
|
e) Aus den Gesetzesmaterialien zum
Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1.11.2011 (BGBl I 2011, 2131)
folgt nichts anderes. Soweit in der Begründung der
Entwurfsfassung des Finanzausschusses des Bundestags zu § 26a
Abs. 2 EStG ausgeführt wird, es werde dem Prinzip der
Individualbesteuerung Rechnung getragen (vgl. BTDrucks 17/6146, S.
14), verdeutlicht der Gesetzgebungsvorgang, dass damit das
Regel-/Ausnahmeverhältnis der Zurechnung der Aufwendungen in
Bezug genommen ist. Denn während § 26a Abs. 2 EStG i.d.F.
des Gesetzentwurfes der Bundesregierung noch für den Regelfall
die hälftige Zurechnung außergewöhnlicher
Belastungen vorsah und nur auf Antrag den vollständigen Abzug
bei dem Ehegatten, der die Aufwendungen wirtschaftlich getragen hat
(vgl. BTDrucks 17/5125, S. 9), wurde auf Empfehlung des Bundesrates
in der Entwurfsfassung des Finanzausschusses dieses
Regel-/Ausnahmeverhältnis umgekehrt (vgl. BTDrucks 17/5125, S.
63; 17/6146, S. 14; 17/6105, S. 12). Damit soll § 26a Abs. 2
EStG ersichtlich insoweit dem Prinzip der Individualbesteuerung
Rechnung tragen, als im Regelfall außergewöhnliche
Belastungen demjenigen Ehegatten zugerechnet werden, der diese auch
wirtschaftlich getragen hat (§ 26a Abs. 2 Satz 1 EStG). Mit
Blick auf die Wertung des § 33b Abs. 1 bis 3 EStG ist dies -
wie dargelegt - typisierend derjenige Ehegatte, dem der
Behinderten-Pauschbetrag zusteht. Auf übereinstimmenden Antrag
erfolgt jedoch jeweils ein hälftiger Abzug (§ 26a Abs. 2
Satz 2 EStG). Zwar wird § 26a Abs. 2 EStG mit der Reduzierung
auf diese beiden Zuordnungsalternativen gegenüber der
Vorgängerregelung - die zudem eine freie steueroptimale
Zuordnung bestimmter Kosten vorsah - wesentlich vereinfacht, nicht
aber weitergehend eingeschränkt (vgl. S. Schneider, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 26a Rz C 26).
|
|
|
15
|
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|