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I. Streitig ist die Höhe der nach
§ 35a des Einkommensteuergesetzes in der für das
Streitjahr geltenden Fassung (EStG) zu berücksichtigenden
Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen, wenn der
Ansatz eines Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b EStG begehrt
wird.
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Die im Jahre 1929 geborene Klägerin
und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte im Streitjahr 2010
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus einer Pension
sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der Grad ihrer
Behinderung beträgt 60. In ihrem Schwerbehindertenausweis ist
das Merkmal G eingetragen.
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3
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Sie bewohnte ein gemietetes Appartement im
Wohnstift des E e.V. Hierbei handelt es sich um ein
Seniorenwohnstift i.S. des § 1 Abs. 1 des Heimgesetzes. In dem
zu zahlenden Entgelt waren folgende Aufwendungen enthalten:
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-
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Vorhalten einer altersgerechten
Grundversorgung, Krankenpflege im Appartement bei
vorübergehender Erkrankung, sowie 24 Stunden
Notrufbereitschaft, Vorhalten von Betreuungspersonal
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1.284 EUR
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-
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Kleinere Reparaturen
(Schönheitsreparaturen)
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113
EUR
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-
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Reinigung Appartement und
Gemeinschaftsflächen
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284
EUR
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-
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Gartenpflege
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100
EUR
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-
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24 Stunden Bereitschaft
Funktionsfähigkeit
technische Einrichtungen
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802 EUR
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-
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24 Stunden Besetzung des Empfangs
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593
EUR
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Gesamt
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3.176 EUR
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Nach einer Bescheinigung des Wohnstifts vom
4.8.2011 hat die Klägerin die vorgehaltene altersgerechte
Grundversorgung nicht in Anspruch genommen. Dies gilt auch für
Krankenpflege, Notrufbereitschaft und Betreuungsleistungen.
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In ihrer Steuererklärung für das
Streitjahr begehrte sie für die Leistungen des Wohnstifts in
voller Höhe von 3.176 EUR eine Steuerermäßigung nach
§ 35a EStG als „Pflege- und Betreuungsleistungen im
Haushalt, in Heimunterbringungskosten enthaltene Aufwendungen
für Dienstleistungen, die denen einer Haushaltshilfe
vergleichbar sind“. Daneben setzte sie Aufwendungen für
einen Umzug innerhalb des Wohnstifts in Höhe von 591 EUR als
„haushaltsnahe Dienstleistungen, Hilfe im Haushalt“ und
Renovierungskosten wegen des Umzugs als „Handwerkerleistungen
für Renovierungs-, Erhaltungs- und
Modernisierungsmaßnahmen“ in Höhe von 1.375 EUR an.
Darüber hinaus begehrte sie die Berücksichtigung eines
Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b Abs. 3 Satz 2 EStG in
Höhe von 720 EUR.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte im Rahmen der
Einkommensteuerveranlagung sämtliche Aufwendungen in Höhe
von 5.142 EUR nach § 35a EStG und ermäßigte
dementsprechend die tarifliche Einkommensteuer um 1.029 EUR. Den
daneben geltend gemachten Behinderten-Pauschbetrag gewährte er
unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen (BMF) vom 15.2.2010 IV C 4 – S 2296-b/07/0003 (BStBl
I 2010, 140 = SIS 10 00 72, Tz. 29) nicht. In den
Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid führte er aus,
dass der Ansatz der Pflegeaufwendungen nach § 35a EStG
günstiger und daher der Behinderten-Pauschbetrag von Amts
wegen außer Acht gelassen worden sei. Zukünftig sei die
Entscheidung in der Steuererklärung zu treffen.
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Nach erfolglosem Einspruch wandte sich die
Klägerin mit der Klage gegen die Versagung des
Behinderten-Pauschbetrags. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus
den in EFG 2012, 1070 = SIS 12 12 27 veröffentlichten
Gründen teilweise statt. Es berücksichtigte die
Aufwendungen der Klägerin dem Grunde nach nach § 35a
EStG, kürzte den geltend gemachten Betrag jedoch um 720 EUR,
weil darin auch durch den zu gewährenden
Behinderten-Pauschbetrag abgegoltene Aufwendungen enthalten
seien.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt, das Urteil des
Niedersächsischen FG vom 19.1.2012 10 K 338/11 aufzuheben und
den Einkommensteuerbescheid vom 15.6.2011 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 dahingehend zu ändern,
dass die Einkommensteuer auf 9.923 EUR festgesetzt wird.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Das BMF ist dem Verfahren beigetreten. Es
unterstützt das Vorbringen des FA, ohne einen Antrag zu
stellen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung).
Im Streitfall kann eine Steuerermäßigung nach § 35a
Abs. 2 EStG für die von der Klägerin geltend gemachten
Aufwendungen für Pflegeleistungen nicht gewährt werden,
weil diese Aufwendungen bereits durch die Inanspruchnahme des
Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b Abs. 1 EStG als
außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt sind
(§ 35a Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz EStG).
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1. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG
ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer für
haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für
die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen auf Antrag
um 20 %, höchstens 4.000 EUR, der Aufwendungen des
Steuerpflichtigen. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von
Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Aufwendungen, die
einem Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim oder
zur dauernden Pflege erwachsen, soweit darin Kosten für
Dienstleistungen enthalten sind, die mit denen einer Hilfe im
Haushalt vergleichbar sind (§ 35a Abs. 2 Satz 2 EStG).
Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für
Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen
ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer auf Antrag
um 20 % der Aufwendungen des Steuerpflichtigen, höchstens
jedoch um 1.200 EUR (§ 35a Abs. 3 Satz 1 EStG).
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2. § 35a Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz EStG
schließt die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung
jedoch aus, soweit Aufwendungen als außergewöhnliche
Belastungen berücksichtigt worden sind. Mit dieser Regelung
soll eine doppelte Berücksichtigung derselben Aufwendungen
nach § 35a EStG und als außergewöhnliche Belastungen
vermieden werden.
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a) Werden Pflegeaufwendungen nach § 33
EStG als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht,
folgt aus § 35a Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz EStG, dass die
Steuerermäßigung nach § 35a EStG für den Anteil
der Aufwendungen zu gewähren ist, der aufgrund der zumutbaren
Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG nicht vom Gesamtbetrag der
Einkünfte abgezogen werden kann. Denn insoweit sind sie nicht
als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt
worden (BMF-Schreiben vom 10.1.2014 IV C 4 - S 2296-b/07/0003:004,
BStBl I 2014, 75 = SIS 14 04 30, Tz. 32; Lehr, Die Information
für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 2006, 943,
945).
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b) Nimmt der Steuerpflichtige hingegen - wie
im Streitfall die Klägerin - den Behinderten-Pauschbetrag nach
§ 33b EStG in Anspruch, der ohne Einzelnachweis und ohne
Ansatz einer zumutbaren Belastung gewährt wird, so ist die
Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 5 Satz 1 EStG
ausgeschlossen, soweit die Aufwendungen mit dem
Behinderten-Pauschbetrag abgegolten sind.
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aa) Mit der Inanspruchnahme des Pauschbetrags
werden typische, unmittelbar mit der Behinderung
zusammenhängende Kosten des Steuerpflichtigen, insbesondere
sämtliche behinderungsbedingten Aufwendungen für das
Vorhalten von Pflegeleistungen, abgegolten (Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 4.11.2004 III R 38/02, BFHE 208, 155, BStBl
2005, 271, m.w.N. = SIS 05 11 95). Entgegen der Auffassung der
Klägerin ist unerheblich, ob tatsächlich eine
Pflegebedürftigkeit besteht bzw. konkrete Pflegeleistungen in
Anspruch genommen wurden. Auch eine Beschränkung der
Abgeltungswirkung auf die von der Klägerin angeführten
Mehraufwendungen für behinderungsbedingte Fahrten sieht das
Gesetz nicht vor (vgl. § 33b Abs. 1 Satz 1 EStG;
Senatsbeschluss vom 13.7.2011 VI B 20/11, BFH/NV 2011, 1863 = SIS 11 33 13; BTDrucks 16/6290, 57).
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bb) Aufgrund dieser Abgeltungswirkung sind
entgegen der Auffassung des FG Aufwendungen nicht nur in dem
Umfang, in dem sie sich steuerlich ausgewirkt haben, und damit in
Höhe des Behinderten-Pauschbetrags, sondern soweit die
Abgeltungswirkung des § 33b EStG reicht und damit
vollumfänglich i.S. des § 35a Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz
EStG berücksichtigt (gleiche Auffassung Bode, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 35a EStG Rz A 49;
Schmidt/Krüger, EStG, 33. Aufl., § 35a Rz 25;
Heß/Görn, DStR 2007, 1804; Apitz in Herrmann/
Heuer/Raupach, § 35a EStG Rz 14 und 24; Blümich/Erhard,
§ 35a EStG Rz 51; Eversloh in Lademann, EStG, § 35a EStG
Rz 22; vgl. auch BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 140 = SIS 10 00 72,
Tz. 29; in BStBl I 2014, 75 = SIS 14 04 30, Tz. 33). Über den
Behinderten-Pauschbetrag hinausgehende (abgegoltene)
behinderungsbedingte Aufwendungen können deshalb nicht noch
nach § 35a EStG berücksichtigt werden.
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3. Entgegen der Auffassung der Klägerin
führt dies nicht zu einer gleichheitswidrigen
Ungleichbehandlung zu Lasten behinderter Steuerpflichtiger. Sowohl
behinderte als auch nichtbehinderte Steuerpflichtige haben die
Möglichkeit, Pflegeaufwendungen bei Vorliegen der gesetzlichen
Voraussetzungen in der tatsächlichen Höhe als
außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend
zu machen. Beide Gruppen können für aufgrund des Ansatzes
der zumutbaren Belastung nicht berücksichtigte Beträge
eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG beanspruchen.
Zusätzlich haben behinderte Steuerpflichtige die
Möglichkeit, an Stelle der tatsächlichen Kosten nach
§ 33 EStG den Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b EStG
anzusetzen, beispielsweise weil die tatsächlich angefallenen
Aufwendungen niedriger sind als der Pauschbetrag. Durch dieses
zusätzliche Wahlrecht werden behinderte Steuerpflichtige nicht
schlechter gestellt. Vielmehr wird ihnen eine weitere
Gestaltungsmöglichkeit eröffnet, die ihren steuerlichen
Gestaltungsfreiraum erweitert.
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4. Es ergibt sich auch kein
Wertungswiderspruch zu der Tatsache, dass unter Geltung der
Rechtslage bis 2008 behinderte nicht pflegebedürftige
Heimbewohner neben dem Behinderten-Pauschbetrag einen Pauschbetrag
für die Leistungen einer Haushaltshilfe geltend machen konnten
(§ 33a Abs. 3 EStG a.F.).
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Durch das Familienleistungsgesetz vom
22.12.2008 (BStBl I 2009, 136) wurden die Regelungen über die
Steuerermäßigung für haushaltsnahe
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
und haushaltsnahe Dienstleistungen einschließlich
Pflegeleistungen, die bisher in mehreren gesonderten
Tatbeständen erfasst waren, in einer Vorschrift
zusammengefasst. Im Rahmen der Zusammenfassung der
Fördertatbestände entfiel die Berücksichtigung von
Aufwendungen für Haushaltshilfen als
außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 3 EStG
a.F. Diese Aufwendungen können nunmehr nach Maßgabe der
einheitlichen Förderung des § 35a Abs. 2 EStG unter
Beachtung der Kollisionsregelung des § 35a Abs. 5 EStG geltend
gemacht werden.
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5. Die Vorentscheidung widerspricht diesen
Rechtsgrundsätzen. Sie war daher aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif.
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23
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Da die Klägerin von ihrem Wahlrecht nach
§ 33b Abs. 1 EStG Gebrauch gemacht hat und an Stelle der
Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen
nach § 33 EStG den Ansatz des ihr aufgrund ihres Grades der
Behinderung von 60 zustehenden Behinderten-Pauschbetrags begehrt,
ist dieser bei der Steuerfestsetzung anzusetzen. Darüber
hinaus kann für die folgenden nicht typischerweise mit der
Behinderung zusammenhängenden Aufwendungen eine
Steuerermäßigung nach § 35a EStG gewährt
werden:
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- Aufwendungen für
Schönheitsreparaturen ...
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113
EUR
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- Reinigung Appartement ...
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284
EUR
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- Gartenarbeiten ...
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100
EUR
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- Umzug ...
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591
EUR
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- Handwerkerleistungen ...
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1.375
EUR
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Insgesamt
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2.463
EUR
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Die Aufwendungen für das Vorhalten der
Grundversorgung in Höhe von 1.284 EUR, für Bereitschaft
in Höhe von 802 EUR und Empfang in Höhe von 593 EUR,
mithin insgesamt 2.679 EUR kann die Klägerin im Streitfall
nicht noch nach § 35a EStG geltend machen. Diese Aufwendungen
sind bereits durch die Inanspruchnahme des
Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b EStG als
außergewöhnliche Belastung berücksichtigt
worden.
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25
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Hieraus ergibt sich eine festzusetzende Steuer
für das Streitjahr in Höhe von 10.196 EUR. Da die
zutreffende Steuerfestsetzung danach nicht niedriger ist als die
vom FA mit 9.923 EUR vorgenommene, war die Klage abzuweisen.
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