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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) bezog für seine Tochter X bis
einschließlich Januar 2009 Kindergeld von der
Landesfamilienkasse des Landesamts für Finanzen. Nachdem die
Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) der
Landesfamilienkasse Ende Dezember 2008 mitgeteilt hatte, die
geschiedene Ehefrau des Klägers und Mutter von X habe als
vorrangig Berechtigte bei ihr einen Kindergeldantrag gestellt, hob
die Landesfamilienkasse die Kindergeldfestsetzung für X
gegenüber dem Kläger ab Februar 2009 auf.
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Daraufhin bat der Kläger die
Familienkasse zunächst um Mitteilung, ob und ggf. seit wann im
Jahr 2009 Kindergeld für seine Tochter an die Kindsmutter
gezahlt worden sei. Die Familienkasse antwortete, die
gewünschte Auskunft könne wegen des Steuergeheimnisses
(§ 30 der Abgabenordnung - AO - ) nicht erteilt werden.
Daraufhin stellte der Kläger nochmals förmlich einen
Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 68 Abs. 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Diesen Antrag lehnte die
Familienkasse mit der Begründung ab, dass einen solchen Antrag
nur die Kindsmutter als Berechtigte stellen könne.
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Während der hiergegen eingelegte
Einspruch des Klägers erfolglos blieb, gab das angerufene
Finanzgericht (FG) mit in EFG 2013, 1865 = SIS 13 28 74
veröffentlichtem Urteil der Klage statt.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision
macht die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 68
Abs. 3 EStG geltend. Das FG habe verkannt, dass Berechtigter im
Sinne dieser Regelung im Fall mehrerer nach § 62 i.V.m. §
63 EStG grundsätzlich anspruchsberechtigter Personen nur der
vorrangig Berechtigte sei, der den Anspruch tatsächlich
innehabe. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift
ergebe, setze die Erteilung der Bescheinigung eine steuerliche
Relevanz voraus. Mit dem gleichzeitig zum 1.1.1996
eingeführten § 31 EStG sei bestimmt worden, dass bei
Berücksichtigung eines Kinderfreibetrages das erhaltene
Kindergeld der Einkommensteuer hinzuzurechnen sei. Aufgrund dessen
habe das Steuergeheimnis der Erteilung der Bescheinigung nicht
entgegengestanden, und zwar unabhängig davon, ob darin
Verhältnisse des Antragstellers oder auch Verhältnisse
anderer Berechtigter genannt worden seien. Denn die Kenntnis der
kindergeldrechtlichen Verhältnisse des vom Antragsteller
abweichenden Berechtigten sei für die Steuerfestsetzung
gegenüber dem Antragsteller i.S. des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO
erforderlich gewesen. Seit der Änderung des § 31 Satz 4
EStG durch das Steueränderungsgesetz 2003 vom 15.12.2003 (BGBl
I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) - danach komme es für die
Günstigerprüfung und eine etwaige Hinzurechnung nur noch
auf den abstrakten Kindergeldanspruch an - seien Angaben zur
Kindergeldzahlung, die aus der Kindergeldakte des vorrangig
Berechtigten hervorgingen, für die Einkommensteuerveranlagung
des nachrangig Berechtigten nicht mehr relevant. Die
Bescheinigungsregelung müsse daher im Lichte des § 30 AO
teleologisch dahingehend reduziert werden, dass sich der
Auskunftsanspruch nur noch auf solche Informationen erstrecke, die
allein den Antragsteller beträfen. Ob der Bescheinigung nach
§ 68 Abs. 3 EStG ggf. außerhalb des
Besteuerungsverfahrens Bedeutung zukommen und insofern ein
berechtigtes Interesse eines nach § 62 i.V.m. § 63 EStG
(lediglich) grundsätzlich Berechtigten an der Bescheinigung in
Betracht kommen könne, das ggf. geeignet wäre, den Schutz
des Steuergeheimnisses zu lockern, sei im Streitfall nicht
relevant, weil der Kläger zu einem berechtigten Interesse
nichts vorgetragen habe.
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Die Familienkasse beantragt, das
angegriffene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Die Beteiligten haben übereinstimmend
auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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II. Die Revision der Familienkasse ist
unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht
entschieden, dass dem Kläger eine Kindergeldbescheinigung
auszustellen ist. Das Steuergeheimnis steht dem nicht entgegen.
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1. Auf Antrag des Berechtigten erteilt die das
Kindergeld auszahlende Stelle eine Bescheinigung über das
für das Kalenderjahr ausgezahlte Kindergeld (§ 68 Abs. 3
EStG).
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Berechtigter in diesem Sinne ist jeder
Steuerpflichtige, der Anspruch auf Kindergeld gemäß
§ 62 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG hat (Wendl in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 68 EStG Rz 14; Bergkemper in
Kanzler, Familienleistungsausgleich, § 68 Rz 14). Das kann
auch ein sogenannter nachrangig Berechtigter sein, also ein
Berechtigter, dessen Anspruch gegenüber der
Anspruchsberechtigung einer anderen Person gemäß §
64 Abs. 2 EStG zurücktritt.
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a) Der Wortlaut des § 68 Abs. 3 EStG
bestätigt diese Deutung der Vorschrift. Zu den Regelungen, die
offenkundig nur den sogenannten vorrangig Berechtigten oder den
Leistungsberechtigten ansprechen (vgl. z.B. § 75 EStG),
gehört § 68 Abs. 3 EStG nicht. § 68 Abs. 3 EStG ist
auch nicht dahingehend formuliert, dass über das an
ihn, also den Berechtigten, ausgezahlte Kindergeld eine
Bescheinigung auszustellen ist.
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Der Blick auf die Entstehungsgeschichte und
den Zweck der Norm lässt nur den Schluss zu, dass auch dem
nachrangig Berechtigten auf Antrag die Kindergeldgewährung zu
bescheinigen ist. Insoweit besteht ersichtlich keine Divergenz zur
Rechtsauffassung der Familienkasse. Da es nach der Rechtslage zum
Zeitpunkt der Einführung des § 68 Abs. 3 EStG für
die Vergleichsrechnung (sogenannte Günstigerprüfung) und
die ggf. vorzunehmende Hinzurechnung des Kindergeldes auf das
tatsächlich gezahlte Kindergeld - auch soweit es dem
Steuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zustand
- ankam (§§ 31 Satz 4 und 5, 36 Abs. 2 Satz 1, 68 Abs. 3
i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.1995, BGBl I 1995,
1250), konnte insbesondere in Trennungs- und Scheidungsfällen
für jeden kindergeldberechtigten Elternteil die
Kindergeldbescheinigung als Nachweis für den Bezug
beziehungsweise den Nichtbezug des Kindergeldes von Bedeutung sein.
Lebte nämlich das Kind, wie im Streitfall, bei der vom Vater
geschiedenen Mutter und bezog diese das Kindergeld als vorrangig
Berechtigte, so war die Vergleichsrechnung bei ihr durch Ansatz des
einfachen Kinderfreibetrags und des hälftigen tatsächlich
gezahlten Kindergeldes durchzuführen. Bei der Veranlagung des
Kindsvaters war dieselbe Vergleichsrechnung anzustellen: Das
tatsächlich gezahlte Kindergeld, auch soweit es ihm im Wege
eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch zustand, war der
steuerlichen Entlastung durch den Kinderfreibetrag
gegenüberzustellen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 25.9.2008 III R 45/06, BFH/NV 2009, 556 = SIS 09 08 90). Bei
beiden hing die Vergleichsrechnung und die ggf. erforderlich
werdende Kindergeldhinzurechnung von der tatsächlichen
Kindergeldzahlung ab. Hatte das Finanzamt bei der Steuerfestsetzung
diesbezüglich Zweifel, konnten beide in die Situation kommen,
die Kindergeldzahlung nachweisen zu müssen. Im Fall des
Kindsvaters konnte die Bescheinigung ersichtlich nur von der
Familienkasse ausgestellt werden, die das Kindergeld an die
vorrangig berechtigte Kindsmutter gezahlt hatte.
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Die in den Gesetzesmaterialien niedergelegte
Einschätzung des Gesetzgebers, dass die zu bescheinigende
„Höhe des ausgezahlten Kindergeldes nur in wenigen
Fällen im Besteuerungsverfahren von Bedeutung ist“
(BTDrucks 13/1558, S. 161), betrifft die praktische Bedeutung des
§ 68 Abs. 3 EStG insgesamt, kann aber keinesfalls so
interpretiert werden, als habe überhaupt nur beim vorrangig
Berechtigten ein Bedürfnis für eine Bescheinigung
bestanden.
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b) Die unmissverständliche Aussage des
§ 68 Abs. 3 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996, wonach
der Berechtigte i.S. des § 62 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG die
Ausstellung einer Kindergeldbescheinigung beantragen kann, hat sich
nach Überzeugung des Senats nicht dadurch geändert, dass
der Gesetzgeber mehrere Jahre später mit dem
Steueränderungsgesetz 2003 (nur) die Regelung für die
Vergleichsrechnung in § 31 Satz 4 EStG dahingehend modifiziert
hat, dass nunmehr auf den abstrakten Kindergeldanspruch und nicht
auf das tatsächlich bezogene Kindergeld abzustellen ist (vgl.
BFH-Urteil vom 20.12.2012 III R 29/12, BFH/NV 2013, 723 = SIS 13 10 64). Weder wurde § 68 Abs. 3 EStG selbst geändert noch
kann der Gesetzesbegründung zum Steueränderungsgesetz
2003 ein Hinweis darauf entnommen werden, dass der
Bescheinigungsanspruch allein dem vorrangig Berechtigten zustehen
soll.
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Ein weiteres Argument dafür, dass sich
die inhaltliche Aussage des § 68 Abs. 3 EStG nicht
„einfach so“ im Zuge der Änderung des
§ 31 EStG mitverändert hat, kommt hinzu. Die Revision
reduziert den Zweck der Bescheinigung ganz auf deren Bedeutung
für das Besteuerungsverfahren. Dem vermag der Senat nicht zu
folgen. Seit Einführung des § 68 Abs. 3 EStG entsprach
und entspricht es der einhelligen Auffassung des Schrifttums, dass
ein Bedarf für eine Kindergeldbescheinigung auch im
außersteuerlichen Bereich entstehen kann, insbesondere in
Unterhaltsangelegenheiten (Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 68 Rz A 38 und C 2; Helmke in Helmke/Bauer,
Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung,
§ 68 Rz 23; Lange/Novak/Sander/Stahl/Weinhold, Kindergeldrecht
im öffentlichen Dienst, § 68 EStG Rz 189 ff.;
Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 68 Rz 40). Dieser Zweck der
Bescheinigungsregelung besteht über die Änderung des
§ 31 Satz 4 EStG hinaus fort. Ob mit dieser
außersteuerlichen Zwecksetzung möglicherweise eine von
§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO nicht gerechtfertigte Durchbrechung des
Steuergeheimnisses einhergehen kann, kann offenbleiben. Der von der
Revision in diesem Zusammenhang geltend gemachten teleologischen
Reduktion des § 68 Abs. 3 EStG bedarf es schon deshalb nicht,
weil der Senat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz von einer
Offenbarungsbefugnis gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO
ausgeht (hierzu unter II.2. der Gründe dieses Urteils). Auch
die Gesetzesmaterialien lassen nicht erkennen, dass die
Bescheinigung nur Bedeutung für Besteuerungszwecke haben
sollte. Die entsprechende Passage in der Gesetzesbegründung
(„Eine Bescheinigung über das ausgezahlte Kindergeld
soll nur auf Antrag ausgestellt werden, da die Höhe des
ausgezahlten Kindergeldes nur in wenigen Fällen im
Besteuerungsverfahren von Bedeutung ist.“, BTDrucks
13/1558, S. 161) versteht der Senat in dem Sinne, dass damit
speziell das Antragserfordernis gerechtfertigt wurde.
Ansonsten hätten trotz der vom Gesetzgeber vermuteten geringen
besteuerungspraktischen Relevanz in allen Kindergeldfällen
von Amts wegen Bescheinigungen erteilt werden
müssen.
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2. Das Steuergeheimnis steht der Ausstellung
einer Kindergeldbescheinigung für den nachrangig Berechtigten
nicht entgegen. Das FG hat zu Recht auf die Offenbarungsbefugnis
gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO abgestellt.
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a) Danach ist die Offenbarung zulässig,
soweit sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. Es muss
sich um ein Gesetz handeln, aus dem eindeutig und
unmissverständlich hervorgeht, dass die Auskunftsverpflichtung
oder -berechtigung auch das Steuergeheimnis durchbrechen soll. Ein
Zitiergebot in dem Sinne, dass in dem zur Auskunft
ermächtigenden Gesetz das Steuergeheimnis ausdrücklich
genannt wird, stellt § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO nicht auf (Alber in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 30 AO Rz 161;
Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 30 Rz 102; Tormöhlen
in Beermann/Gosch, AO § 30 Rz 113; inzident zu § 117 Abs.
2 AO BFH-Beschluss vom 29.4.1992 I B 12/92, BFHE 167, 11, BStBl II
1992, 645 = SIS 92 12 45). Da ein Zitiergebot nicht besteht, muss
in engen Grenzen auch eine Auslegung des betreffenden Gesetzes
möglich sein (Alber in HHSp, § 30 AO Rz 161;
Klein/Rüsken, a.a.O., § 30 Rz 102; a.A. Drüen in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 30 AO Rz
71; Tormöhlen in Beermann/Gosch, AO § 30 Rz 113). Das
Gesetz muss allerdings genau festlegen, unter welchen
Voraussetzungen welche Auskünfte zulässig sein sollen;
eine allgemeine, generalklauselartige Zulassung genügt nicht
(vgl. Alber in HHSp, § 30 AO Rz 161; Klein/Rüsken,
a.a.O., § 30 Rz 103).
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b) Nach diesen Grundsätzen stellt §
68 Abs. 3 EStG eine Befugnisnorm i.S. des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO
dar. Aus ihr geht unmissverständlich hervor, dass jedem
Kindergeldberechtigten eine Bescheinigung über das für
das Kalenderjahr ausgezahlte Kindergeld auszustellen ist, auch wenn
an den Berechtigten selbst wegen des Vorrangs eines anderen
Berechtigten (§ 64 EStG) oder wegen einer Abzweigung oder
Pfändung (§§ 74, 76 EStG) keine Zahlung erfolgt ist.
Die Norm legt genau fest, unter welchen Voraussetzungen (Antrag und
eigene nachzuweisende Berechtigung) und welchem eng umgrenzten
Personenkreis (nur Berechtigte i.S. des § 62 i.V.m. § 63
Abs. 1 EStG) eine Bescheinigung zu erteilen ist und welche
Informationen darin enthalten sein dürfen. Nach dem klaren
Wortlaut des § 68 Abs. 3 EStG sind lediglich folgende Daten in
die Bescheinigung aufzunehmen: Kind, Jahr und Kindergeldzahlbetrag.
Der Bescheinigungsanspruch erstreckt sich daher insbesondere nicht
auf die Person des Zahlungsempfängers und auch nicht auf die
Vorgänge, die mit dem Kindergeldantrag oder der
Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 1 EStG
zusammenhängen. Diese Daten werden von der
Offenbarungsbefugnis nicht erfasst, bedürfen allerdings in der
Regel auch keines besonderen Schutzes, weil sie in der Vielzahl der
Fälle den anderen Kindergeldberechtigten ohnehin bekannt sind.
Die verfahrens- wie materiell-rechtlich korrekte Anwendung des
§ 64 EStG lässt es nämlich regelmäßig
ausgeschlossen erscheinen, dass derjenige Berechtigte, dessen
Anspruch nach Anwendung dieser Vorschrift zurücktreten muss,
nichts von der Person des anderen Berechtigten und dessen Vorrang
erfährt. Die einzige zusätzliche, von § 30 AO
geschützte Information, die der nachrangig Berechtigte
über die Bescheinigung gemäß § 68 Abs. 3 EStG
erhält, ist die, dass eine Auszahlung von Kindergeld in
bestimmter Höhe tatsächlich stattgefunden hat.
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