1
|
I. Der Antragsteller und
Beschwerdeführer (Antragsteller) führt beim
Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren, das
die Aufhebung eines geänderten Umsatzsteuerbescheides für
das Streitjahr 2000 vom 23.10.2008 und der hierzu ergangenen
Einspruchsentscheidung des Antragsgegners und Beschwerdegegners
(Finanzamt - FA - ) zum Gegenstand hat. Der Antragsteller hat die
aus der angefochtenen Änderung resultierende
Umsatzsteuernachforderung entrichtet.
|
|
|
2
|
Am Tag der Klageerhebung beantragte der
Antragsteller beim FG die Aufhebung der Vollziehung des
angefochtenen Umsatzsteuerbescheides für 2000 ohne
Sicherheitsleistung. Das FG verwarf den Antrag mit Beschluss vom
20.11.2012 4 V 184/11 als unzulässig mit der Begründung,
dass die besondere Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erfüllt sei. Denn im
Zeitpunkt der Antragstellung beim FG habe das FA einen Antrag auf
Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides
weder ganz noch teilweise zuvor abgelehnt. Auch die in § 69
Abs. 4 Satz 2 FGO vorgesehene Ausnahmeregelung greife nicht
ein.
|
|
|
3
|
Das FG hat nach § 128 Abs. 3 Satz 2
i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Beschwerde gegen seinen
Beschluss zugelassen unter Hinweis darauf, dass § 69 Abs. 4
Satz 1 FGO insofern eine Gesetzeslücke enthalte, als die darin
geregelte besondere Zugangsvoraussetzung nach dem Gesetzeswortlaut
nur für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, nicht
hingegen für den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung gelte.
Die Frage der entsprechenden Anwendung dieser besonderen
Zugangsvoraussetzung auf das Instrument der Aufhebung der
Vollziehung scheine höchstrichterlich noch ungeklärt zu
sein. Das FG half der Beschwerde des Antragstellers nicht ab
(Beschluss vom 23.1.2013 4 V 184/11).
|
|
|
4
|
Zur Begründung der Beschwerde
trägt der Antragsteller vor, das FG habe den Antrag auf
Aufhebung der Vollziehung zu Unrecht als unzulässig
zurückgewiesen. Denn das FG nehme in unzutreffender Weise an,
dass besondere Zugangsvoraussetzungen für seine unmittelbare
Anrufung bestünden. Die Einschränkung des § 69 Abs.
4 FGO sei nach Wortlaut, Systematik und Zweck allein auf das
Aussetzungsverfahren, nicht auf das Aufhebungsverfahren
zugeschnitten. Auch für verfahrensrechtliche Prinzipien gelte
das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit und
Vorhersehbarkeit: Belastende Eingriffe in die Rechtsstellung der
Steuerbürger seien nur dort gerechtfertigt, wo sie sich mit
der gebotenen Eindeutigkeit dem Gesetz entnehmen
ließen.
|
|
|
5
|
Das FA hat sich nicht am
Beschwerdeverfahren beteiligt.
|
|
|
6
|
II. Die zulässige Beschwerde ist
unbegründet.
|
|
|
7
|
1. Die Beschwerde ist zulässig.
|
|
|
8
|
Insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb
der insoweit geltenden Zweiwochenfrist des § 129 Abs. 1 FGO
eingelegt worden. Dem Antragsteller wurde der Beschluss des FG am
27.11.2012 zugestellt. Er hat die Beschwerde am 6.12.2012 - und
damit rechtzeitig - beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben, was nach
§ 129 Abs. 2 FGO gleichfalls zulässig ist.
|
|
|
9
|
2. Die Beschwerde ist aber nicht
begründet, weil entgegen der Rechtsauffassung des
Antragstellers ein beim FG gestellter Antrag auf Aufhebung der
Vollziehung grundsätzlich nur zulässig ist, wenn das FA
zuvor einen bei ihm gestellten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung
abgelehnt hat (vgl. § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO).
|
|
|
10
|
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 FGO
kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen
Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wobei der Antrag
schon vor Erhebung der Klage gestellt werden kann (§ 69 Abs. 3
Satz 2 FGO). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung
schon vollzogen, kann das Gericht nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO
ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen
Sicherheit, anordnen. Der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO ist
gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nur zulässig,
wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dies gilt nicht, wenn die
Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines
zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht
entschieden hat (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO) oder eine
Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO).
|
|
|
11
|
b) Der Wortlaut der Bestimmung des § 69
Abs. 4 Satz 1 FGO verbietet entgegen der Ansicht des Antragstellers
nicht die Anwendung dieser Regelung auch auf Anträge zur
Aufhebung der Vollziehung.
|
|
|
12
|
Denn durch die Bezugnahme in § 69 Abs. 4
Satz 1 FGO auf § 69 Abs. 3 FGO - und somit auch auf den in
§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO genannten Antrag auf Aufhebung der
Vollziehung - wird dem Rechtsanwender hinreichend deutlich, dass
gesetzestechnisch mit dem lediglich so bezeichneten Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auch der
Antrag auf Aufhebung der Vollziehung umfasst sein soll.
|
|
|
13
|
Diese gesetzessystematische Auslegung
entspricht auch der Auslegung der Vorschrift nach deren Sinn und
Zweck. § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO hat das Ziel, die Gerichte
dadurch zu entlasten, dass die Finanzbehörde mit den für
die Gewährung bzw. Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung
wesentlichen Gründen befasst worden ist und eine Aussetzung
der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat (vgl. z.B.
BFH-Beschluss vom 13.12.1999 III B 15/99, BFH/NV 2000, 827 = SIS 00 56 11, unter II.1., sowie Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung,
7. Aufl., § 69 Rz 70, m.w.N.). Dieser Entlastungszweck gilt
nicht nur für Anträge auf Aussetzung der Vollziehung,
sondern auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung.
Daher erfasst die besondere Zugangsvoraussetzung nach § 69
Abs. 4 Satz 1 FGO nach ständiger Rechtsprechung
gleichermaßen auch Anträge auf Aufhebung der Vollziehung
(vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17.12.2003 I B 182/02, BFH/NV
2004, 815 = SIS 04 29 76, unter II.1.; vom 14.3.2001 VI B 279/99,
BFH/NV 2001, 1237 = SIS 01 75 13, sowie vom 23.2.1989 V B 60/88,
BFHE 155, 503, BStBl II 1989, 396 = SIS 89 09 57, unter 2.b zur
Vorgängerregelung in Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des
Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und
Finanzgerichtsbarkeit).
|
|
|
14
|
Auch in der Literatur wird - soweit
ersichtlich - einhellig die Auffassung vertreten, dass die
besondere Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auch
für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung gilt (vgl.
Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 70; Birkenfeld in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 1071, 1073; Dumke
in Schwarz, FGO § 69 Rz 11; Gosch in Beermann/ Gosch, FGO
§ 69 Rz 272, und Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 70).
|