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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) hat für ihr Unternehmen die
vierteljährlich fällige Umsatzsteuervoranmeldung für
das III. Quartal 2010 über rd. 860 EUR abgegeben und dem
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) über
diesen Betrag einen Scheck ausgestellt, der dort am 8.11.2010
einging und am 10.11.2010 dem Konto der Finanzverwaltung
gutgeschrieben wurde.
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Die Beteiligten streiten darüber, ob
die Klägerin einen Säumniszuschlag schuldet. Das FA hat
deshalb einen Abrechnungsbescheid erlassen, wonach ein
Säumniszuschlag von 8,50 EUR entstanden sei, weil
gemäß § 224 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO)
die Zahlung als erst am 11.11.2010 entrichtet gelte, sie jedoch
bereits am 10.11.2010 fällig gewesen sei.
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Hiergegen hat die Klägerin nach
erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Sie ist der
Auffassung, § 224 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AO, wonach bei
Übersendung von Schecks die Zahlung drei Tage nach dem Tag des
Eingangs als entrichtet gilt, sei nicht anzuwenden, wenn die durch
Scheckeinreichung entrichtete Zahlung rechtzeitig der
Finanzverwaltung gutgeschrieben worden, eine Säumnis also
tatsächlich nicht eingetreten sei.
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Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) ist der Auffassung, es liege eine Gesetzeslücke vor, die
es gebiete, die Drei-Tages-Fiktion des § 224 Abs. 2 Nr. 1
Halbsatz 2 AO in Bezug auf Säumniszuschläge in dem Sinn
von „spätestens drei Tage“ auszulegen, so dass
kein Säumniszuschlag anfalle, wenn die tatsächliche
Gutschrift des Scheckbetrags noch vor dem oder am
Fälligkeitstag erfolge. Der Gesetzgeber habe diesen Fall
offensichtlich nicht bedacht. Zudem sei die Vorschrift bei einer
anderen Auslegung auch verfassungswidrig.
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Der Gesetzgeber habe zwar, wie die
Gesetzesbegründung zeige, in Kauf genommen, dass der
Scheckbetrag im Einzelfall vor Ablauf von drei Tagen auf Konten der
Finanzverwaltung gutgeschrieben werde und es somit zu einem
Zinsvorteil der Finanzverwaltung komme. Er habe das für
sachgerecht gehalten, da bei der Finanzverwaltung durch eine
Scheckzahlung ein hoher Verwaltungsaufwand entstehe und es der
Steuerpflichtige in der Hand habe, auf andere Zahlungswege
auszuweichen. Der Gesetzgeber habe jedoch nicht die Wechselwirkung
des § 224 AO zu § 240 AO bedacht. Die vorgenannten
Argumente ließen sich auch auf § 240 AO nicht
übertragen. Denn die Fiktionsregelung wirke sich nur auf einen
ganz kleinen Teil der Scheckzahlungen aus; für Schecks, die am
Tag nach dem Fälligkeitstag eingingen, sei nämlich schon
bisher ein Säumniszuschlag entstanden, und für Schecks,
die spätestens am dritten Tag vor dem nächsten Stichtag
beim FA eingereicht würden, fielen keine weiteren
Säumniszuschläge an. Nur bei Schecks, die im Zeitraum
zwei Tage vor dem Stichtag bis zu dessen Ablauf eingehen, werde,
wenn die Gutschrift noch vor Ende des Fälligkeitstages
erfolge, Säumnis fingiert. Dafür gebe es keine
Rechtfertigung. Der angeblich hohe Verwaltungsaufwand habe ggf. auf
alle Scheckzahlungen umgelegt werden müssen.
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Die deshalb verfassungswidrige
Ungleichbehandlung der von der fraglichen Regelung betroffenen
Scheckeinreicher sei durch eine verfassungskonforme Auslegung des
§ 224 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AO zu vermeiden, indem die
Drei-Tages-Regelung nur auf die Zinsberechnung bezogen werde,
hinsichtlich der Säumniszuschläge aber als
„spätestens drei Tage später“ ausgelegt
werde.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die
Revision des FA.
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II. Die Revision des FA ist begründet und
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das Urteil des FG verletzt
Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
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Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des
Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden
angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1
% des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu
entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AO). Entrichtet im
Sinne dieser Vorschrift ist eine Zahlung bei Hingabe oder
Übersendung eines Schecks drei Tage nach dem Eingang desselben
bei der Finanzbehörde (§ 224 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2
AO).
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Der Regelungsgehalt dieser Vorschriften ist
klar und eindeutig. Nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinn und Zweck
sind sie deshalb, anders als das FG offenbar angenommen hat, nicht
auslegungsfähig. Denn Auslegung kann nur dort Platz greifen,
wo ein Auslegungsbedürfnis besteht, der Gehalt einer Regelung
also nicht klar und eindeutig ist. Es ist indes hier klar und
eindeutig, dass der Gesetzgeber in § 224 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz
2 AO eine generalisierende Regelung treffen wollte, wann eine durch
Scheckeinreichung bewirkte Zahlung als entrichtet anzusehen ist,
und er es dabei in Kauf genommen hat, dass nach dieser Vorschrift
eine Zahlung mitunter als nicht entrichtet anzusehen ist, obwohl
die Finanzbehörde bereits über den Zahlungsbetrag
verfügen kann (ebenso wie sich die Vorschrift umgekehrt
zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken kann). Deshalb kann die
Vorschrift auch nicht etwa dahin einschränkend ausgelegt
werden, dass sie nur eingreift, wenn die tatsächliche Zahlung
später als am dritten Tag nach Scheckeinreichung bewirkt wird.
Die Fiktion des Zahlungszeitpunkts auch in dem Fall einer
früheren Scheckgutschrift ist vielmehr vom Gesetzgeber ganz
genau so gewollt (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom
13.12.2000 X R 96/98, BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274 = SIS 01 05 76) wie in dem Fall späterer Gutschrift.
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Anders als das FG meint, liegt insofern auch
keine Regelungslücke vor. Die Annahme des FG, der Gesetzgeber
habe bei § 224 Abs. 2 Nr. 1 AO die Folgen dieser Vorschrift
für Säumniszuschläge übersehen, wird durch
§ 240 Abs. 3 Satz 2 AO widerlegt, der gerade eine
Verknüpfung zwischen diesen beiden Vorschriften - allerdings
zulasten des Steuerpflichtigen - herstellt.
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§ 224 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AO ist
entgegen der Ansicht des FG auch nicht einer verfassungskonformen
Auslegung dahin zugänglich und bedürftig, dass eine durch
Scheckeinreichung bewirkte Zahlung spätestens am dritten Tag
nach der Einreichung als entrichtet gelte (jedoch bei früherer
Buchung auf dem Konto der Finanzbehörde im Zeitpunkt der
tatsächlichen Buchung). Dabei mag dahinstehen, ob es die den
Gerichten gesetzten Grenzen verfassungskonformer Auslegung wahren
würde, einer klaren und eindeutigen Vorschrift eine
Einschränkung ihres Geltungsbereiches in der Erwägung
hinzuzufügen, diese werde durch das Gleichbehandlungsgebot
gefordert. Denn der erkennende Senat vermag nicht der Auffassung
des FG beizupflichten, dass das Gesetz Steuerpflichtige, die ihre
Schuld durch Einreichung eines Schecks später als drei Tage
vor dem Fälligkeitstag begleichen, deren Zahlung jedoch
gleichwohl spätestens am Fälligkeitstag zugunsten der
Finanzbehörde gebucht wird, ohne einen rechtfertigenden Grund
schlechter behandelt - nämlich mit einem Säumniszuschlag
belegt - als Steuerpflichtige, bei denen die tatsächliche
Zahlung nicht mehr vor oder spätestens an dem
Fälligkeitstag eingeht. Die Prüfung, was die vom Gesetz
getroffene Regelung rechtfertigen kann, darf sich nicht allein an
der Begründung des entsprechenden Regierungsentwurfs
orientieren. Tut man dies nicht, liegt auf der Hand, dass die
Regelung des Gesetzes die Erhebung etwa verwirkter
Säumniszuschläge (und der Zinsen) vereinfacht, indem sie
es ermöglicht, bereits bei Eingang des Schecks den für
die Berechnung der Säumniszuschläge und Zinsen
maßgeblichen Zeitpunkt zu erfassen, der Finanzbehörde
also nicht auferlegt, zu ermitteln, wann der betreffende Betrag von
dem Kreditinstitut auf ihrem Konto gebucht worden ist. Unbeschadet
dessen, dass jedenfalls aufgrund des inzwischen erreichten
Standards programmgesteuerter elektronischer Datenverarbeitung eine
solche Erfassung des tatsächlichen Zahlungseingangs an sich
ohne Weiteres und jedenfalls ohne menschliches Zutun im Einzelfall
möglich sein dürfte, kann eine solche
Vereinfachungsregelung nicht als eine durch den
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr gerechtfertigte
generalisierende, die Verhältnisse des Einzelfalls zu Unrecht
außer Betracht lassende Regelung verworfen werden. Das gilt
umso mehr, als - wie sinngemäß auch die
Gesetzesbegründung hervorhebt - der Steuerpflichtige es ohne
Weiteres in der Hand hat, der Gefahr des Entstehens von
Säumniszuschlägen trotz rechtzeitiger tatsächlicher
Zahlung zu begegnen, und die in der vorgenannten Vorschrift
getroffene Regelung, wie auch das FG nicht verkannt hat, ohnehin
nur eine - vermutlich zunehmend - kleine Zahl von
Zahlungsvorgängen betrifft, deretwegen, wie die Klägerin
offenbar meint, ein entsprechendes, fiktive Säumnis
vermeidendes Datenbearbeitungsprogramm aufzulegen von der
Finanzbehörde nicht von Verfassung wegen verlangt werden kann.
Dass entsprechende Vorkehrungen die Erhebung der
Säumniszuschläge in einigen wenigen Einzelfällen
gerechter gestalteten, ist, wie keiner Vertiefung bedarf, ohne
Bedeutung; denn der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, ungeachtet
des damit verbundenen Aufwandes stets die gerechteste aller
möglichen Lösungen eines Regelungsproblems zu finden und
zu verwirklichen.
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