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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) erhielten mit dem Ableben ihres Vaters am 3.8.2005
eine Beteiligung von 50 % an der U GmbH & Co. KG. Zum
Vermögen der U GmbH & Co. KG gehörte ein
Grundstück, das mit einem mehrgeschossigen
Bürogebäude und einer Tiefgarage bebaut war. Die
Gesamtnutzfläche betrug 15.776 qm.
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Das Gebäude war in den Jahren 1992 und
1993 errichtet worden, jedoch zunächst ohne Innenausbau,
insbesondere ohne Innenwände, Bodenbeläge,
Deckenabhängungen und Sanitäranlagen, um insoweit die
Wünsche der Mieter berücksichtigen zu können. Die
noch nicht vermieteten Gebäudeteile waren im Jahr 1994 in
Brandabschnitte unterteilt. An der jeweiligen Gebäudestelle
war eine Betontrennwand mit einer feuersicheren Stahltür
gezogen worden. Statische Innenwände waren fertiggestellt und
verputzt. Der Estrich war verlegt. Die Innenseiten der
Außenwände waren in dem für die Vermietung
vorgesehenen Teil verputzt und mit Heizkörpern versehen
worden. Die Betondecken befanden sich noch im Rohzustand;
angebracht waren die Grundverkabelung mit Verteilerdosen sowie
Leuchten, um den potentiellen Mietinteressenten die entsprechenden
Räumlichkeiten zeigen zu können. Die Grundleitungen
für die Toilettenanlagen sowie für die Be- und
Entlüftung des gesamten Gebäudes waren
installiert.
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Der Innenausbau wurde in den Jahren 1994
bis 2000 jeweils entsprechend den Bedürfnissen der Mieter
gestaltet und durchgeführt. Nach Abschluss des jeweiligen
Mietvertrags wurden Trennwände in Leichtbauweise eingezogen,
Deckenplatten und Beleuchtungskörper angebracht,
Teppichböden verlegt, Steckdosen und Lichtschalter gesetzt,
Zwischentüren eingesetzt, Böden und Wände in den
Sanitärräumen teilweise mit Fliesen verklebt,
Sanitäranlagen installiert, weitere Heizkörper angebracht
und an die vorhandenen Grundleitungen angeschlossen, Wände
tapeziert und gestrichen. Die ersten Mieter zogen im Jahr 1994 und
die letzten Mieter im Jahr 2000 ein.
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Für Zwecke der Erbschaftsteuer stellte
der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) mit
Bescheid vom 14.11.2007, der nach § 164 Abs. 1 der
Abgabenordnung unter Vorbehalt der Nachprüfung erging, den
Grundbesitzwert für das Grundstück auf den 3.8.2005 auf
22.621.500 EUR fest. Ausgehend von der Bezugsfertigkeit des
Bürogebäudes im Jahr 1994 berücksichtigte das FA
eine Alterswertminderung von 5,5 % des Ausgangswertes.
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Im Rahmen des Einspruchsverfahrens
erließ das FA am 7.1.2008 einen geänderten
Feststellungsbescheid, in dem der Grundbesitzwert auf 23.340.000
EUR erhöht wurde. Das FA ging nunmehr davon aus, dass das
Bürogebäude erst im Jahr 2000 mit der Erstellung des
gesamten Innenausbaus bezugsfertig gewesen und damit nur eine
Alterswertminderung von 2,5 % anzusetzen sei. Der Einspruch wurde
als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Klage hatte Erfolg. Das
Bürogebäude war nach der Auffassung des Finanzgerichts
(FG) bereits im Jahr 1994 bezugsfertig. Der Baukörper
einschließlich der Treppenhausbereiche sei vollständig
fertiggestellt und mit allen zentralen Versorgungs- und
Entsorgungseinrichtungen versehen gewesen. Die ausstehenden
Arbeiten im Innenbereich seien aus Sicht eines Mieters
geringfügige Baumaßnahmen gewesen, die am gewerblichen
Vermietungsmarkt üblich seien und der Benutzbarkeit des
Gesamtgebäudes nicht entgegenstünden. Ab dem Jahr 1994
sei das Bürogebäude auch tatsächlich durch Mieter
genutzt worden. Das Urteil ist veröffentlicht in EFG 2011, 409
= SIS 11 03 69.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung des § 145 Abs. 1 Satz 3 des Bewertungsgesetzes in
der für 2005 geltenden Fassung (BewG).
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Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht angenommen,
dass die Wertminderung wegen Alters des Bürogebäudes
für die Zeit ab 1994 anzusetzen ist und deshalb 5,5 % des
Ausgangswerts beträgt. Das Bürogebäude war im Jahr
1994 bereits bezugsfertig.
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Nach § 138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1
i.V.m. § 146 BewG sind bebaute Grundstücke für
erbschaftsteuerliche Zwecke in einem vereinfachten
Ertragswertverfahren zu bewerten. Dabei ist die Wertminderung wegen
Alters des Gebäudes für jedes Jahr, das seit
Bezugsfertigkeit des Gebäudes bis zum Besteuerungszeitpunkt
vollendet worden ist, mit 0,5 %, höchstens jedoch mit 25 % des
Werts nach § 146 Abs. 2 und 3 BewG (Ausgangswert) zu
berücksichtigen (§ 146 Abs. 4 Satz 1 BewG).
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a) Gebäude sind als bezugsfertig
anzusehen, wenn den zukünftigen Bewohnern oder sonstigen
Benutzern zugemutet werden kann, sie zu benutzen; die Abnahme durch
die Bauaufsichtsbehörde ist nicht entscheidend (§ 145
Abs. 1 Satz 3 BewG). Im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit beginnt die
Benutzbarkeit der Gebäude (§ 145 Abs. 1 Satz 2 BewG), mit
der Folge, dass das Grundstück als bebautes Grundstück
anzusehen ist (§ 146 Abs. 1 BewG).
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Die Frage der Bezugsfertigkeit ist nach
objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der
Verkehrsauffassung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung,
vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25.7.1980 III R
46/78, BFHE 132, 99, BStBl II 1981, 152 = SIS 81 05 60, und vom
2.8.1989 II R 148/86, BFH/NV 1990, 523; BFH-Beschluss vom
15.11.1989 II R 138/86, BFH/NV 1990, 622). Ein Gebäude ist
bezugsfertig, wenn die wesentlichen Bauarbeiten ausgeführt
sind und nur noch unwesentliche Restarbeiten verbleiben
(BFH-Urteile in BFHE 132, 99, BStBl II 1981, 152 = SIS 81 05 60,
und vom 29.4.1987 II R 262/83, BFHE 150, 67, BStBl II 1987, 594 =
SIS 87 15 06; BFH-Beschluss vom 9.12.1997 X B 213/96, BFH/NV 1998,
698 = SIS 98 09 17). Die Bezugsfertigkeit setzt grundsätzlich
voraus, dass Fenster und Türen eingebaut, Anschlüsse
für Strom- und Wasserversorgung, Heizung sowie sanitäre
Einrichtungen vorhanden sind (vgl. BFH-Urteile in BFHE 132, 99,
BStBl II 1981, 152 = SIS 81 05 60, und in BFHE 150, 67, BStBl II
1987, 594 = SIS 87 15 06, betr. Wohngebäude). Bei einem
betrieblich genutzten Gebäude ist von einer Bezugsfertigkeit
auszugehen, wenn das Gebäude in seinen wesentlichen Bereichen
bestimmungsgemäß für den vorgesehenen Betrieb
nutzbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1988 III R 186/83, BFHE 155,
450, BStBl II 1989, 203 = SIS 89 10 30).
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b) Ein neu errichtetes Bürogebäude,
das nach seiner Funktion zur Vermietung einzelner, entsprechend den
individuellen Bedürfnissen der Mieter gestalteter Büros
dienen soll, ist bezugsfertig i.S. von § 146 Abs. 4 Satz 1
i.V.m. § 145 Abs. 1 Satz 3 BewG, wenn es potentiellen Mietern
möglich ist, Büroräume zu nutzen. Dies setzt neben
der Fertigstellung der für das Gebäude wesentlichen
Bestandteile (z.B. Außenwände, Fenster, tragende
Innenwände, Estrichböden, Dach, Treppenhaus) voraus, dass
zumindest eine Büroeinheit benutzbar ist. Eine Benutzbarkeit
liegt vor, wenn die Büroeinheit durch Wände bzw.
eingebaute Türen gegenüber dem noch nicht vermieteten
Bereich abgegrenzt ist, die Innenwände eingebaut und Heizung,
Sanitäreinrichtungen sowie alle notwendigen Grundleitungen
für Wasser, Strom, Be- und Entlüftung,
Kommunikationsanlagen usw. installiert sind.
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Die Berücksichtigung einer
Alterswertminderung i.S. des § 146 Abs. 4 Satz 1 BewG
erfordert nicht, dass in einem neu errichteten, zur Vermietung
vorgesehenen Bürogebäude bereits alle Büroeinheiten
mietergerecht ausgebaut und benutzbar sind (vgl. auch BFH-Urteil
vom 9.8.1989 X R 77/87, BFHE 158, 51, BStBl II 1991, 132 = SIS 89 22 09, betr. Absetzung für Abnutzung nach § 7 Abs. 5 des
Einkommensteuergesetzes für ein Wohn- und Geschäftshaus).
Durch den pauschalen Abzug von 0,5 % des Ausgangswerts für
jedes seit der Bezugsfertigkeit vollendete Jahr soll der
Wertminderung des Grundstücks durch die altersbedingten
Abnutzungserscheinungen des Gebäudes Rechnung getragen werden
(BTDrucks 13/5952, 41). Bei einem Bürogebäude, bei dem
der Innenausbau der jeweiligen Büroeinheiten wegen der
Anpassung an die Wünsche der zukünftigen Mieter
zurückgestellt wird, setzt die Wertminderung schon mit der
Abnutzung der bereits fertiggestellten wesentlichen
Gebäudebestandteile ein. Auch das Alter des
Bürogebäudes bestimmt sich maßgeblich danach, wann
die Fertigstellung der wesentlichen Bauteile erfolgt ist. Ist in
einem solchermaßen fertiggestellten und für den
Innenausbau vorbereiteten Bürogebäude zumindest eine
Büroeinheit benutzbar, steht damit zugleich fest, dass auch
das Bürogebäude als solches genutzt werden kann. Deshalb
ist mit der Fertigstellung einer Büroeinheit die
Bezugsfertigkeit des Bürogebäudes i.S. des § 146
Abs. 4 BewG gegeben.
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c) Auch die Finanzverwaltung geht für die
Bewertung von Grundstücken für die Erbschaftsteuer
für die Zeit ab 1.1.2009 davon aus, dass ein
Bürogebäude insgesamt als bezugsfertig i.S. des §
178 Abs. 1 Satz 3 BewG in der ab 2009 geltenden Fassung (BewG 2009)
anzusehen ist, wenn es nur zum Teil fertiggestellt und der
Innenausbau nach den Wünschen der künftigen Nutzer
zurückgestellt wird (vgl. R B 178 Abs. 3 Satz 5 der
Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011). Die Regelung zur
Bezugsfertigkeit eines Gebäudes in § 178 Abs. 1 Satz 3
BewG 2009 entspricht der Regelung in § 145 Abs. 1 Satz 3 BewG.
Es sind deshalb keine Gründe ersichtlich, die hinsichtlich der
Bezugsfertigkeit eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertigen
könnten.
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d) Der Senat weicht mit dieser Entscheidung
nicht von dem BFH-Urteil in BFHE 155, 450, BStBl II 1989, 203 = SIS 89 10 30 ab. Danach reichte zwar für die Gewährung der
sog. Konjunkturzulage nach § 4b des
Investitionszulagengesetzes 1975 die Fertigstellung nur eines Teils
des Gebäudes nicht aus; es blieb aber ausdrücklich offen,
ob bewertungsrechtlich ein bezugsfertiges Gebäude vorlag
(BFH-Urteil in BFHE 155, 450, BStBl II 1989, 203 = SIS 89 10 30,
unter 4.).
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e) Im Streitfall hat das FG die
Alterswertminderung zutreffend für die Zeit ab 1994
berücksichtigt. Nach den insoweit nach § 118 Abs. 2 FGO
bindenden Feststellungen des FG wurden mehrere Büroeinheiten
ab 1994 durch Mieter tatsächlich genutzt.
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