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I. Die am 3.11.1954 geborene Klägerin
und Revisionsbeklagte (Klägerin) nahm im Jahr 1999 die am ...
1952 geborene Frau S in ihren Haushalt auf. Sie betreut S seit dem
8.10.1999 im Rahmen der „Familienpflege für erwachsene
geistig und körperlich behinderte Menschen“. Daneben
befanden sich im Haushalt eine leibliche Tochter und drei weitere
Pflegekinder (davon zwei mit Behinderung). S ist seit ihrer Geburt
schwerbehindert. Der Grad ihrer Behinderung betrug zunächst
50. Es wurde eine geistige Behinderung festgestellt. Seit dem
26.2.2007 wurde der Grad der Behinderung mit 90 und eine geistige
Behinderung festgestellt. S bezieht seit April 1997 eine Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Aufgabenkreis des vom
Vormundschaftsgericht für S bestellten Betreuers umfasst die
Vermögensangelegenheiten, die Aufenthaltsbestimmung, die
Mitwirkung bei Maßnahmen der Heilbehandlung und
Gesundheitsfürsorge und die Entgegennahme der Post. Das
Sozialamt gewährt seit September 2006 Eingliederungshilfe
für behinderte Menschen i.S. der §§ 53 ff. des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - . Die
Klägerin erhält ein Betreuungsentgelt, das sich
zusammensetzt aus einem Betrag für den durch das eigene
Einkommen der S nicht gedeckten Grundbedarf und einem weiteren
Betrag, der als Pflegegeld gezahlt wird.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) lehnte mit Bescheid vom 18.9.2007 den Antrag der
Klägerin, ihr Kindergeld für die nach ihrer Ansicht als
Pflegekind anzusehende S zu gewähren, ab. Den hiergegen
gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit
Einspruchsentscheidung vom 31.10.2007 als unbegründet
zurück. Die Familienkasse sah die Voraussetzungen eines
Pflegekindschaftsverhältnisses als nicht gegeben an.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage
teilweise statt und verpflichtete die Familienkasse, unter
Aufhebung des angegriffenen Bescheids und der
Einspruchsentscheidung über den Kindergeldantrag für die
Zahlungszeiträume ab Januar 2002 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des FG erneut zu entscheiden (EFG 2009, 1210). Zur
Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass auch zu
einem bereits volljährigen Behinderten das für ein
Pflegekindschaftsverhältnis erforderliche
familienähnliche Band begründet werden könne. Bei S
liege eine Behinderung vor, die eine Betreuungsbedürftigkeit
begründe. Daher habe bereits im Januar 2002 ein
familienähnliches Band zwischen der Klägerin und S
bestanden, im Rahmen dessen die Klägerin zu S in einem
Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen
Eltern und leiblichen Kindern gestanden habe. Die Familienpflege
sei auch im Fall von S eine nicht nur vorübergehende
Wohnmöglichkeit für eine erwachsene behinderte Person,
die nicht selbständig leben könne und deshalb sonst der
Hilfe in einem Heim bedürfe. Es sei nicht erforderlich, dass
die betreute Person derart schwer geistig oder seelisch behindert
sei, dass sie in ihrer Entwicklung einem Kind gleich stehe.
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Zur Begründung ihrer Revision macht
die Familienkasse geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einer
unzutreffenden Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) und verletze daher Bundesrecht. Um
bei Aufnahme eines Volljährigen ein
Pflegekindschaftsverhältnis entstehen zu lassen, müsse
die behinderte Person in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind
gleichstehen. Aufgrund des vorliegenden nervenärztlichen
Gutachtens vom 12.2.2007 sei bei S jedoch von einer leichten bis
mittelschweren geistigen und psychischen Behinderung auszugehen. Da
S zudem noch über einen langen Zeitraum gearbeitet habe,
könne unter keinem Gesichtspunkt davon ausgegangen werden,
dass sie in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind gleichstehe und
sich ein Pflegekindschaftsverhältnis zur Klägerin habe
entwickeln können.
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Die Familienkasse beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur
Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur
Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.
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1. a) Nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für
Kinder i.S. des § 32 Abs. 1 EStG. Kinder sind nach § 32
Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Pflegekinder. Ein Pflegekind ist nach dem in
§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur
Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003) vom
15.12.2003 (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) enthaltenen
Klammerzusatz eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein
familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band
verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen
Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis
zu den Eltern nicht mehr besteht. Die Neufassung des § 32 Abs.
1 Nr. 2 EStG ist dem Streitfall zugrunde zu legen. Denn
gemäß § 52 Abs. 40 Satz 1 EStG i.d.F. des
StÄndG 2003 ist die geänderte Fassung in allen
Fällen anzuwenden, in denen die Einkommensteuer noch nicht
bestandskräftig festgesetzt ist. Diese Rückwirkung gilt
auch für das Kindergeld, wenn dieses noch nicht
bestandskräftig festgesetzt bzw. die Festsetzung noch nicht
bestandskräftig abgelehnt ist (vgl. Senatsurteil vom 21.4.2005
III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547 = SIS 05 36 99).
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Der Klammerzusatz stellt eine Legaldefinition
dar (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5.10.2004
VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524 = SIS 05 15 76), d.h. die hierin
enthaltenen Umstände sind echte Tatbestandsvoraussetzungen und
nicht nur erläuternde Nebenbestimmungen (ebenso
Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Rz
44).
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b) Ein familienähnliches Band liegt vor,
wenn das Kind wie zur Familie angehörig angesehen und
behandelt wird. Dies setzt voraus, dass zwischen dem
Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und
Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen
Kindern besteht (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 524 = SIS 05 15 76,
m.w.N.). Da das Gesetz Pflegekinder über § 32 Abs. 1,
Abs. 6 Satz 7 EStG und § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG in eine Reihe
mit leiblichen Kindern, Adoptivkindern, Stief- und Enkelkindern
stellt und das Pflegekindschaftsverhältnis steuerrechtlich
unter Umständen über das 27. Lebensjahr bzw. - nach
Absenkung der Altersgrenze durch das Steueränderungsgesetz
2007 vom 19.7.2006 (BGBl I 2006, 1652, BStBl I 2006, 432) -
über das 25. Lebensjahr hinauswirken und weiterhin zur
Gewährung von Kinderfreibeträgen und Kindergeld
führen kann, ist ein besonders enges Band erforderlich (vgl.
hierzu bereits Beschluss des Großen Senats des BFH vom
25.1.1971 GrS 6/70, BFHE 101, 247, BStBl II 1971, 274 = SIS 71 01 54).
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Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) ist erforderlich, dass das Aufsichts-,
Erziehungs- und Betreuungsverhältnis seine Grundlage in einer
ideellen Dauerbindung findet; dabei ist nicht allein auf die
äußeren Lebensumstände, sondern auch darauf
abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie eine natürliche
Einheit von Versorgung, Erziehung und „Heimat“
findet - also nicht nur Kostgänger ist, sondern wie zur
Familie gehörig angesehen und behandelt wird (BSG-Urteile vom
22.9.1993 10 RKg 6/92, SozR 3-5870 § 2 Nr. 20, und vom
19.11.1997 14/10 RKg 18/96, Fürsorgerechtliche Entscheidungen
der Verwaltungs- und Sozialgerichte 48, 188). Aus der Parallele zum
Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich zudem, dass auch zwischen
dem Pflegelternteil und dem Pflegekind ein
Autoritätsverhältnis bestehen muss, aufgrund dessen sich
das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht des
Pflegeelternteils unterwirft (ebenso BSG-Urteil vom 29.8.1962 7 RKg
7/61, BSGE 17, 265; Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz 31;
Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach
A, I. Kommentierung, § 32 EStG Rz 9). Dieser Auffassung
schließt sich der Senat an.
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c) Vor dem Hintergrund des Umstands, dass die
körperliche Versorgung und die Erziehung des Pflegekindes, die
Voraussetzung für die Annahme eines familienähnlichen
Bandes sind, bei einem gesunden Volljährigen in der Regel
keine entscheidende Rolle mehr spielen, hat der BFH bereits
entschieden, dass sich ein familienähnliches Band mit einem
bereits Volljährigen nur bei Vorliegen besonderer
Umstände begründen lässt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV
2005, 524 = SIS 05 15 76).
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aa) Insoweit ist zum einen der psychischen
Verfassung der zu pflegenden Person, insbesondere einer eventuellen
Unfähigkeit zu eigener Lebensgestaltung, im Einzelfall
Bedeutung beizumessen.
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Während bei Bestehen einer
körperlichen Behinderung, einer Sinnesbehinderung (z.B.
Blindheit, Gehörlosigkeit) oder einer Sprachbehinderung die
Entstehung eines familienähnlichen Bandes zu einem
Volljährigen in der Regel bereits am Fehlen eines
Erziehungsverhältnisses scheitern wird, kommt bei
Behinderungen im Bereich der geistigen Fähigkeiten oder der
seelischen Gesundheit die Entstehung eines familienähnlichen
Bandes grundsätzlich auch bei einem Volljährigen in
Betracht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erbringung
umfänglicher Pflege- und Unterstützungsleistungen und ein
damit verbundenes hohes Maß an persönlicher Zuwendung
gegenüber einem geistig oder seelisch behinderten Menschen
zugleich auch ein familienähnliches Band begründet (vgl.
hierzu BSG-Urteil in SozR 3-5870 § 2 Nr. 20). Denn dies
hätte zur Folge, dass jedes Pflegeverhältnis zwischen
einer Person und einem in dieser Form Behinderten zugleich auch ein
Pflegekindschaftsverhältnis begründen würde (vgl.
hierzu BFH-Urteil vom 4.4.1975 VI R 218/72, BFHE 115, 477, BStBl II
1975, 636 = SIS 75 03 70). Zwar reicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1
des Neunten Buches Sozialgesetzbuch für die Annahme einer
Behinderung aus, dass die geistige Fähigkeit oder die
seelische Gesundheit von dem für das Lebensalter typischen
Zustand abweichen. Um den Behinderten aber in ein Aufsichts-,
Betreuungs- und vor allem Erziehungsverhältnis wie zwischen
Eltern und leiblichen Kindern stellen zu können, muss die
Behinderung so schwer sein, dass der geistige Zustand des
Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch
minderjährigen Person entspricht (ebenso die Verwaltung, vgl.
Abschn. 63.2.2.3 Abs. 3 Satz 6 der Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X.
Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG -, Stand 2011,
BStBl I 2009, 1033, BStBl I 2011, 21, 716 = SIS 10 42 38).
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Weiter ist erforderlich, dass trotz der
Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten
Möglichkeiten und die Bereitschaft zu einer erzieherischen
Einwirkung gegeben sein müssen. Ist eine erzieherische
Einwirkungsmöglichkeit der pflegenden Person auf die zu
pflegende Person als ausgeschlossen zu betrachten, ähnelt ein
solches Pflegeverhältnis mehr dem zu einem Kostgänger als
dem zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern. Daher ist die
Entstehung eines familienähnlichen Bandes zu einem
Volljährigen in einem solchen Fall in der Regel
ausgeschlossen.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin
ergibt sich aus diesen Einschränkungen weder, dass der
Kindergeldbezug für behinderte Pflegekinder über das 27.
Lebensjahr hinaus nur bei geistiger Behinderung in Betracht kommt,
noch folgt hieraus eine Ungleichbehandlung gegenüber
behinderten leiblichen Kindern oder Adoptivkindern. Ist das
familienähnliche Band zwischen dem allein körperlich
behinderten Pflegekind bereits vor Eintritt der Volljährigkeit
entstanden, scheitert ein Kindergeldbezug weder über das 18.
Lebensjahr noch über das 25. bzw. 27. Lebensjahr hinaus an der
mangelnden Pflegekindeigenschaft, sofern nicht das
familienähnliche Band später aufgrund anderer
Umstände wieder gelöst wurde. Dass die Entstehung eines
familienähnlichen Bandes zu einem bereits volljährigen
Behinderten eine Behinderung voraussetzt, aufgrund derer der
geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand
einer noch minderjährigen Person entspricht, stellt auch keine
ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den Eltern von
allein körperlich behinderten leiblichen Kindern oder
Adoptivkindern dar. Vielmehr dient dieses Erfordernis gerade der
Gleichbehandlung, weil bei leiblichen Kindern und Adoptivkindern
das familiäre Band zu den kindergeldberechtigten Elternteilen
bereits besteht. Die Auffassung der Klägerin, wonach es
für die Begründung eines
Pflegekindschaftsverhältnisses ausreichend sei, wenn das Kind
die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG
erfüllt, würde hingegen bei behinderten Kindern zu einem
Leerlaufen der Tatbestandsvoraussetzung
„familienähnliches, auf längere Dauer
berechnetes Band“ führen, da ein
Pflegekindschaftsverhältnis dann immer schon bei nicht zu
Erwerbszwecken erfolgter Haushaltsaufnahme des behinderten Kindes
und Ausscheiden aus dem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den
leiblichen Eltern anzunehmen wäre.
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bb) Auch wenn die geistig behinderte oder
seelisch kranke Person umfangreicher Überwachung, Anweisung
und Unterstützung bedarf, folgt daraus allein noch nicht, dass
sie wie zur Familie gehörig anzusehen wäre. Vielmehr
müssen weitere Umstände hinzukommen, aus denen sich eine
Vergleichbarkeit zu den Verhältnissen leiblicher Kinder und
eine Zugehörigkeit zur Familie ergeben (ebenso BSG-Urteil in
SozR 3-5870 § 2 Nr. 20). Insoweit ist insbesondere von
Bedeutung, wie sich die Wohn- und Lebensverhältnisse der zu
pflegenden Person innerhalb der Familie darstellen (welche
Räume stehen den einzelnen Familienangehörigen allein
oder zur Mitbenutzung zur Verfügung?), in welchem
Verhältnis die zu pflegende Person zu den anderen
Familienangehörigen steht (Eingliederung in die Rolle eines
Kindes gegenüber „Pflegeeltern“ und
etwaigen „Pflegegeschwistern“) und ob sie in die
familiäre Lebensgestaltung eingebunden ist (z.B. Teilnahme an
gemeinsamen Mahlzeiten, Freizeit- und Urlaubsaktivitäten
etc.). Ferner ist in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob und
inwieweit die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsaufgaben in
familienähnlicher Weise von der pflegenden Person selbst
wahrgenommen werden bzw. ob und inwieweit in nicht
familienähnlicher Weise andere, insbesondere nicht
haushaltszugehörige „familienfremde“
Personen (z.B. Betreuungsfachkräfte des Trägers der
Familienpflege), solche Aufgaben erfüllen.
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cc) Da insbesondere die erzieherische
Einwirkungsmöglichkeit sich im Eltern-Kind-Verhältnis aus
einem Autoritätsverhältnis ableitet, ist eine solche
Autoritätsstellung der pflegenden Person gegenüber der zu
pflegenden Person auch Voraussetzung für das Vorliegen eines
familienähnlichen Bandes. Diese leitet sich im Verhältnis
zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern im Regelfall bereits
daraus ab, dass die Eltern wesentlich älter sind als das Kind
(vgl. hierzu bereits BFH-Urteile in BFHE 115, 477, BStBl II 1975,
636 = SIS 75 03 70, und vom 5.8.1977 VI R 187/74, BFHE 123, 380,
BStBl II 1977, 832 = SIS 77 04 61; BSG-Urteil vom 14.11.1961 11 RV
20/61, BSGE 15, 239) und über das ihnen zustehende
Erziehungsrecht (§ 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches)
langjährig auf die Entwicklung des Kindes Einfluss nehmen
können bzw. schon genommen haben. Erfüllt die pflegende
Person diese Voraussetzungen nicht, müssen andere besondere
Umstände vorliegen, aus denen sich im Einzelfall die
Entstehung eines Autoritätsverhältnisses zwischen der
pflegenden und der gepflegten Person ergibt (z.B. langjährige
Übernahme der Elternrolle für ein minderjähriges
behindertes Geschwisterteil bei Vollwaisen). Eine andere
Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass das BSG im Urteil
vom 7.8.1991 10 RKg 15/91 (SozR 3-5870 § 2 Nr. 16) auf das
Erfordernis eines Altersunterschieds verzichtet. Denn insoweit ist
zu berücksichtigen, dass das BSG zum einen den
Pflegekindbegriff aus seiner spezifischen sozialrechtlichen
Funktion heraus interpretiert hat. Dagegen hat der Begriff des
Pflegekindes in dem System der Einkommensteuer eine andere
Funktion; insbesondere schließt eine engere Auslegung des
steuerrechtlichen Pflegekindbegriffs anderweitige
Steuerermäßigungen (z.B. §§ 33, 33a EStG)
nicht aus (s. hierzu Beschluss des Großen Senats des BFH in
BFHE 101, 247, BStBl II 1971, 274 = SIS 71 01 54). Zum anderen
lagen auch in dem der BSG-Entscheidung zugrundeliegenden
Sachverhalt besondere Umstände vor, aus denen das BSG eine
Erziehungsfunktion ableitete (Behinderte stand in ihrer Entwicklung
einem zehnjährigen Kind gleich und wurde von ihrer zur
Pflegerin bestellten Nichte betreut).
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dd) Da der Pflegekindbegriff nach der
Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG voraussetzt, dass
der Steuerpflichtige mit dem Pflegekind durch ein
familienähnliches Band „verbunden ist“,
muss die ideelle Beziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem
Pflegekind bereits über einen längeren Zeitraum bestanden
haben, bevor von einer ideellen Bindung ausgegangen werden kann.
Dies entspricht auch dem typischen Eltern-Kind-Verhältnis, das
sich gegenüber einem bereits Volljährigen in der Regel
schon über viele Jahre entwickelt hat.
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Demgegenüber zielt das
Tatbestandsmerkmal, wonach es sich um ein „auf
längere Dauer berechnetes“ Band handeln muss, darauf
ab, wie sich die zukünftige Entwicklung des Verhältnisses
zwischen der pflegenden Person und der gepflegten Person darstellt.
Insoweit muss aus Sicht der pflegenden Person beabsichtigt sein,
die bereits entstandene familiäre Bindung auch zukünftig
langjährig aufrecht zu erhalten. Dabei bestehen keine
Bedenken, wenn im Regelfall eine beabsichtigte Dauer von zwei
Jahren als ausreichend angesehen wird (ebenso Abschn. 63.2.2.3 Abs.
2 Sätze 1 bis 3 DA-FamEStG). Da es nur auf die beabsichtigte
Dauer ankommt, ist dagegen nicht entscheidend, dass die
tatsächliche Dauer im Rückblick kürzer oder
länger ausfällt.
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2. Das FG hat diese Rechtsgrundsätze nur
teilweise berücksichtigt und wird daher im zweiten Rechtsgang
die noch fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.
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Es hat zwar festgestellt, dass eine
Behinderung vorliegt, die seit dem 26.2.2007 mit einem Grad von 90
festgestellt ist. Die darüber hinaus getroffenen
Feststellungen, dass sich S im Rahmen der Gewährung von
Eingliederungshilfe in Familienpflege befunden hat, für
bestimmte Aufgabenbereiche einen Betreuer zugewiesen bekommen und
eine Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten hat, tragen die daraus
gezogene Schlussfolgerung, dass sich S in einem Aufsichts-,
Betreuungs- und Erziehungsverhältnis befunden haben muss,
jedoch nicht.
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a) Es ist zunächst noch aufzuklären,
ob die geistige Behinderung so schwer war, dass der geistige
Zustand von S dem typischen Entwicklungsstand einer noch
minderjährigen Person entsprach. Insoweit ist auch der Umstand
zu würdigen, dass die Behinderung für den Streitzeitraum
Januar 2002 bis Januar 2007 noch mit einem Grad von 50 festgestellt
war. Zudem sind Feststellungen dazu erforderlich, ob die geistige
Behinderung Raum für erzieherische
Einwirkungsmöglichkeiten eröffnete.
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b) Des Weiteren sind bislang keine
Feststellungen zu den Wohn- und Lebensverhältnissen von S
innerhalb der Familie, zum Verhältnis zu den übrigen
Familienangehörigen, zur Einbindung in die familiäre
Lebensgestaltung sowie zum Umfang der Wahrnehmung der Aufsichts-,
Betreuungs- und Erziehungsaufgaben durch die Klägerin und die
von dem Träger der Familienpflege eingeschaltete
Betreuungsfachkraft getroffen worden.
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c) Die Klägerin ist weder älter als
S noch war ihr im Rahmen einer Personensorgeregelung eine
Erziehungsfunktion eingeräumt worden. Besondere sonstige
Umstände, die gleichwohl die Entstehung eines
Autoritätsverhältnisses wie zwischen Eltern und
leiblichen Kindern begründen könnten, hat das FG bisher
nicht festgestellt. Das langjährige Bestehen einer Betreuung
käme als besonderer Umstand allenfalls dann in Betracht, wenn
die Klägerin selbst als Betreuerin eingesetzt gewesen
wäre und aus der tatsächlichen Durchführung der
Betreuung Anhaltspunkte für die Entstehung eines
Autoritätsverhältnisses abgeleitet werden
könnten.
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d) Hinsichtlich der zeitlichen Anforderungen
an die zwischen der Klägerin und S bestehende Verbindung hat
das FG zwar bereits festgestellt, dass sich S zu Beginn des
Streitzeitraums (Januar 2002) bereits über einen längeren
Zeitraum, nämlich seit Oktober 1999, im Haushalt der
Klägerin befand. Festzustellen ist jedoch ggf. noch, ob die
Klägerin beabsichtigte, nach Entstehung einer familiären
Bindung diese auch zukünftig langjährig aufrecht zu
erhalten.
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