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I. Streitpunkt ist, ob die Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger) zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt werden können.
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Die Kläger sind Eheleute mit Wohnsitz
in L/Frankreich. Der Kläger ist deutscher
Staatsangehöriger und hatte im Streitjahr (2002) einen
weiteren Wohnsitz in Deutschland. Er erzielte Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit im Inland sowie Einkünfte aus
Kapitalvermögen. Die Klägerin erzielte nach ihren Angaben
im Streitjahr keine Einkünfte.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer gegenüber dem
Kläger auf der Grundlage seines zu versteuernden Einkommens
für das Streitjahr nach der Grundtabelle fest. Die im
Einspruchsverfahren vom Kläger beantragte Zusammenveranlagung
nach § 26 Abs. 1, § 26b i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) lehnte das FA mit der
Begründung ab, die Zusammenveranlagung nach diesen
Vorschriften setze die Vorlage einer Bescheinigung der
zuständigen ausländischen (französischen)
Steuerbehörde über die Höhe der von den Klägern
erzielten, nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden
Einkünfte voraus, an der es hier fehle. Die
zurückweisende Einspruchsentscheidung erließ das FA
gegenüber beiden Klägern.
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Im Klageverfahren reichten die Kläger
die beglaubigte Übersetzung einer vom 16.7.2008 datierenden
Bescheinigung des französischen Finanzministeriums mit
folgendem Wortlaut ein:
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„Die Unterzeichnete, Verantwortliche
der Steuerbehörde, bescheinigt hiermit, dass Herr oder Frau
(Nach- und Vorname des Klägers), wohnhaft (L), seit dem Jahre
2004 ihre Einkünfte in Frankreich versteuern. Seit dem
01.01.2005 ist die Adresse ihres Hauptwohnsitzes: (Adresse in L).
Gemäß § L 169 des Einkommensteuergesetzes
dürfen die Einkommen der vorhergehenden Jahre nicht mehr
versteuert werden. Paragraph L 169 bestimmt, dass die
Steuerbehörde Einkommensteuern und Körperschaftsteuern
rückwirkend nur bis zum Ende des dritten Vorjahres versteuern
darf.“
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Die vom Kläger erhobene Klage hatte
Erfolg; das Hessische Finanzgericht (FG) hat den angefochtenen
Bescheid und die Einspruchsentscheidung mit Urteil vom 24.8.2009 13
K 2032/08 aufgehoben und das FA verpflichtet, die Kläger zur
Einkommensteuer zusammen zu veranlagen und die Einkommensteuer
unter Anwendung der Splittingtabelle festzusetzen. Der Klage der
Klägerin hat das FG insoweit stattgegeben, als sie die
Aufhebung der auch an diese gerichteten Einspruchsentscheidung
betraf. Soweit sie auf Aufhebung auch des Einkommensteuerbescheids
gerichtet war, hat das FG die Klage der Klägerin als
unzulässig abgewiesen.
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Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf
die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des
FA.
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Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen
(sinngemäß), die Revision des FA
zurückzuweisen.
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Während des Revisionsverfahrens ist
das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dem Rechtsstreit
beigetreten. Es unterstützt in der Sache die Position des FA,
hat aber keinen Antrag gestellt.
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II. Die Revision ist unzulässig und
deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zu verwerfen, soweit die Klage der
Klägerin betroffen ist. Im Hinblick auf die Klage des
Klägers ist die Revision begründet und führt sie
gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung
des FG-Urteils und zur Klageabweisung.
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1. In Bezug auf die Klage der Klägerin
ist die Revision unzulässig.
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a) Die Revision des FA richtet sich auch gegen
die Entscheidung des FG über die Klage der Klägerin. Das
ergibt sich aus Revisionsschrift und
Revisionsbegründungschrift des FA, in denen ausdrücklich
auch die Klägerin als Revisionsbeklagte bezeichnet wird. Auch
der Revisionsantrag des FA lässt keine Beschränkung des
Rechtsmittels auf die vom Kläger erhobene Klage erkennen.
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b) Die gegen die Entscheidungen des FG zur
Klage der Klägerin gerichtete Revision ist unzulässig,
weil sie in diesem Punkt entgegen § 120 Abs. 2 FGO nicht
begründet worden ist. Soweit das FG die Klage der
Klägerin abgewiesen hat, ist das FA überdies durch das
angefochtene Urteil nicht beschwert.
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2. Hinsichtlich der Klage des Klägers ist
die Revision zulässig und begründet. Das FG hat die
Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 26,
§ 26b i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 zu Unrecht
bejaht.
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a) Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002
können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag
gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 26b) EStG
2002 zusammen veranlagt werden, wenn nur einer von ihnen die
Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach
§ 1 Abs. 1 EStG 2002 oder der „fiktiven
unbeschränkten Einkommensteuerpflicht“ nach § 1
Abs. 3 EStG 2002 erfüllt. Voraussetzung ist zum einen, dass
der unbeschränkt steuerpflichtige Ehegatte
Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen
Union (EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist
und der andere Ehegatte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt im EU/EWR-Ausland hat. Zum anderen sind die
Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 zu beachten.
Hierbei ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und
der nach der bis zum Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007 (BGBl I
2007, 3150) geltenden Gesetzesfassung maßgebliche Betrag von
6.136 EUR zu verdoppeln (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG
2002).
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Eine Zusammenveranlagung ist danach nur dann
möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im
Kalenderjahr mindestens zu 90 v.H. der deutschen Einkommensteuer
unterliegen (sog. relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht
der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den
Betrag von 12.272 EUR nicht übersteigen (sog. absolute
Wesentlichkeitsgrenze). Die Höhe der nicht der deutschen
Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte muss zudem
gemäß § 1a Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 4
EStG 2002 (in der Gesetzesfassung nach dem Jahressteuergesetz 2008:
§ 1 Abs. 3 Satz 5 EStG 2002/2009) durch eine Bescheinigung der
zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen
werden. An dem letztgenannten Erfordernis fehlt es im
Streitfall.
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b) Wie das FG im Ansatz zutreffend erkannt
hat, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG
2002 („Weitere Voraussetzung ist ...“), dass es
sich bei dem Erfordernis der Vorlage einer Bescheinigung der
ausländischen Steuerbehörde um eine materielle
Tatbestandsvoraussetzung und nicht um ein bloßes Beweismittel
handelt (ebenso FG Brandenburg, Urteil vom 17.8.2005 4 K 1467/01,
EFG 2005, 1706 = SIS 05 43 72; Niedersächsisches FG, Urteil
vom 28.2.2007 2 K 381/05, EFG 2007, 1442 = SIS 07 29 93; Ebling in
Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz,
Gewerbesteuergesetz, § 1 EStG Rz 299; Gosch in Kirchhof,
Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 1 Rz 23; Lehner/Waldhoff in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 1 Rz
D 151; Herlinghaus, EFG 2007, 1443; a.A. - aufgrund
gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung - Hahn, jurisPR-SteuerR
3/2006 Anm. 1).
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c) Entgegen einer in der Literatur vertretenen
Auffassung (Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
a.a.O., § 1 Rz D 152; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach,
Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, § 1 EStG
Rz 285; Herlinghaus, EFG 2007, 1443, 1444) ist die Bescheinigung
auch dann beizubringen, wenn die Ehegatten gegenüber dem FA
erklären, keine nicht der deutschen Einkommensteuer
unterliegenden Einkünfte erzielt zu haben (ebenso Urteil des
Niedersächsischen FG in EFG 2007, 1442 = SIS 07 29 93). Denn
auch durch die Bezifferung mit Null wird eine bestimmte Höhe
der betreffenden Einkünfte beschrieben.
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aa) Für die Pflicht zur Vorlage auch
einer sog. „Nullbescheinigung“ spricht
insbesondere, dass nach dem Gesetzeszweck die Vorlage der
Bescheinigung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002
nicht allein der Erleichterung der Berechnung der Einkünfte,
sondern auch der Verhinderung der Inanspruchnahme
ungerechtfertigter Steuervorteile dienen soll (vgl. erste
Beschlussempfehlung und erster Bericht des Finanzausschusses des
Deutschen Bundestages zum Regierungsentwurf eines
Jahressteuergesetzes 1996, BTDrucks 13/1558, S. 150). Um die
Angaben der Steuerpflichtigen auf ihre Plausibilität zu
überprüfen, ist eine Bescheinigung der zuständigen
Behörde des Ansässigkeitsstaats über die nicht der
deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünfte bei behaupteten
Nulleinkünften in gleichem Maße dienlich wie bei
Behauptung jedes anderen, unterhalb des Grenzbetrages liegenden
Einkunftsbetrages.
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bb) Soweit gegen die Pflicht zur Vorlage von
„Nullbescheinigungen“ eingewendet wird, die
ausländischen Steuerbehörden stellten solche
grundsätzlich nicht aus (Herlinghaus, EFG 2007, 1443, 1444),
besteht aus der Sicht des Senats kein Anhalt dafür, dass dies
generell für alle ausländischen Finanzbehörden
zutrifft. So haben die Kläger nach den Feststellungen des FG
für die Jahre 2004 und 2005 Bescheinigungen der
französischen Steuerbehörden vorgelegt, die keine
Einkünfte ausgewiesen haben, die im Ansässigkeitsstaat
der Besteuerung unterlegen haben. Es besteht deshalb kein Grund zu
der Annahme, die Vorlage einer
„Nullbescheinigung“ für das Streitjahr sei
nur deshalb unterblieben, weil die französischen Behörden
solche Bescheinigungen grundsätzlich nicht ausstellten.
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Soweit ausländische Finanzbehörden
Bescheinigungen nach § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 nicht
ausstellen, lässt die deutsche Finanzverwaltung im
Übrigen für Nicht-EU/EWR-Mitgliedstaaten die Vorlage
einer Bescheinigung einer deutschen Auslandsvertretung ausreichen,
in der dies bestätigt wird (BMF-Schreiben vom 30.12.1996,
BStBl I 1996, 1506 = SIS 97 03 79, Tz. 1). Diese
Billigkeitsregelung könnte ggf. auch auf den Fall, dass ein
EU/EWR-Mitgliedstaat die Ausstellung von
„Nullbescheinigungen“ verweigern sollte,
übertragen werden.
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cc) Keiner Entscheidung bedarf im Streitfall,
ob die Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 1 Abs. 3
Satz 4 EStG 2002 entbehrlich ist, wenn zwischen den Beteiligten
unstreitig ist, dass die Steuerpflichtigen nur im Inland, nicht
dagegen im Ansässigkeitsstaat Einkünfte erzielt haben (so
Urteil des FG Brandenburg in EFG 2005, 1706 = SIS 05 43 72). Denn
das FA hat die entsprechende Behauptung der Kläger - anders
als das FA im Fall des FG Brandenburg - nicht unstreitig
gestellt.
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d) Das Schreiben des französischen
Finanzministeriums vom 16.7.2008 kann nicht als Bescheinigung i.S.
von § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 angesehen werden.
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aa) Das ergibt sich allerdings - entgegen der
Auffassung von FA und BMF - nicht bereits aus dem Umstand, dass die
Erklärung vom 16.7.2008 nicht unter Verwendung des Vordrucks
EU/EWR der deutschen Finanzverwaltung abgegeben worden ist. Denn
die Verwendung eines bestimmten Vordrucks für die
Bescheinigung wird von § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 nicht
vorgeschrieben (ebenso Urteil des Niedersächsischen FG in EFG
2007, 1442 = SIS 07 29 93; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach,
a.a.O., § 1 EStG Rz 285). Dem vom FA in Bezug genommenen
BMF-Schreiben in BStBl I 1996, Tz. 1, in dem es heißt, die
Bescheinigung sei „auf amtlichen Vordrucken zu
erteilen“, kommt als Verwaltungsanweisung keine
Gesetzeskraft zu, so dass daraus eine Rechtspflicht zur Verwendung
des Vordrucks nicht abgeleitet werden kann. Da es sich bei der
Vorlage der Bescheinigung - auch nach Auffassung der
Finanzverwaltung - um ein materielles Tatbestandserfordernis
handelt, sind auch weder die Ermächtigungsgrundlage des §
51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. c EStG 2002 noch die verfahrensrechtliche
Pflicht des § 150 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung
einschlägig. Die Vordruckverwendung als weitere materielle
Tatbestandsvoraussetzung hätte vielmehr gesondert gesetzlich
angeordnet werden müssen.
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bb) Jedoch enthält das Schreiben vom
16.7.2008 inhaltlich nicht die von § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002
geforderten Angaben. Denn es besagt nichts über die Höhe
der im Streitjahr von den Klägern erzielten Einkünfte.
Selbst wenn man - wie es das FG ohne Weiteres getan hat -,
unterstellt, dass mit der Bezeichnung „Herr oder Frau
(Nach- und Vorname des Klägers)“ beide Kläger
gemeint sind, geht aus dem Schreiben lediglich hervor, dass die
Kläger ihre Einkünfte seit dem Jahr 2004 in Frankreich
versteuert haben und dass etwaige Einkünfte aus dem davor
liegenden Zeitraum wegen Zeitablaufs jetzt nicht mehr besteuert
werden dürften. Entgegen der Auffassung des FG lässt sich
aus dem Umstand, dass für das Streitjahr in Frankreich
offenbar keine Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer
durchgeführt worden ist und dass etwaige Einkünfte des
Streitjahres dort jetzt nicht mehr besteuert werden dürften,
nicht darauf schließen, das von den Klägern im
Streitjahr in Frankreich zu versteuernde Einkommen sei gleich
Null.
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e) Das FG ist von einer anderen rechtlichen
Beurteilung ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb im Hinblick auf
die vom Kläger erhobene Klage aufzuheben; diese ist
abzuweisen.
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