1
|
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt - FA - ) forderte die Kläger und
Beschwerdeführer (Kläger), die als Eheleute zur
Einkommensteuer zusammen veranlagt werden, am 18.7.2006 auf, ihre
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2005) bis
zum 30.11.2006 einzureichen. Nachdem die
Einkommensteuererklärung zunächst nicht beim FA
eingegangen war, erinnerte dieses am 8.12.2006 an deren Abgabe und
drohte ferner am 31.1.2007 für den Fall der Nichtabgabe bis
zum 22.2.2007 die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen
an.
|
|
|
2
|
Aufgrund der alsdann am 6.3.2007 beim FA
eingereichten Einkommensteuererklärung setzte dieses die
Einkommensteuer für das Streitjahr im Einkommensteuerbescheid
vom 30.4.2007 auf 68.710 EUR fest. Dies führte zu einer
Nachzahlung von Einkommensteuer in Höhe von 14.535 EUR. Einen
Verspätungszuschlag setzte das FA zunächst nicht
fest.
|
|
|
3
|
Mit geändertem Einkommensteuerbescheid
von 28.6.2007 wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr auf
67.598 EUR herabgesetzt. Auch dieser Bescheid enthielt keine
Festsetzung eines Verspätungszuschlags. Erst mit Bescheid vom
2.5.2008 setzte das FA einen Verspätungszuschlag zur
Einkommensteuer des Streitjahres von 800 EUR fest. Zu diesem
Zeitpunkt war auch die bis zum 31.12.2007 abzugebende
Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 bereits
eingereicht (nämlich am 10.1.2008). Aufgrund des
Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2006 vom 9.5.2008 kam
es zu einer Erstattung von Einkommensteuer.
|
|
|
4
|
Der gegen die Festsetzung des
Verspätungszuschlags gerichtete Einspruch der Kläger
blieb erfolglos. Auch ihre Klage wies das Finanzgericht (FG) als
unbegründet zurück. Es bejahte die Voraussetzungen des
§ 152 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Die Kläger
hätten die Einkommensteuererklärung unstreitig
verspätet abgegeben. Dieses Versäumnis sei auch nicht
entschuldbar. Das FA habe auch ermessensgerecht gehandelt. Es habe
das Erklärungsverhalten des Vorjahres (2004:
Einkommensteuererklärung verspätetet abgegeben) ebenso
zutreffend in seine Überlegungen einbezogen wie den Umstand,
dass die Kläger auch die Erklärung für das Jahr 2006
verspätet abgegeben hätten. Der Rechtmäßigkeit
stehe auch nicht entgegen, dass das FA den Verspätungszuschlag
entgegen dem Verbindungsgebot des § 152 Abs. 3 AO festgesetzt
habe. Diese bloße Ordnungsvorschrift sei nicht verletzt, wenn
die Festsetzung des Verspätungszuschlags binnen Jahresfrist
nachgeholt werde. Diese Frist stelle aber keine absolute zeitliche
Grenze dar. Deshalb halte es das FG für unbedeutend, wenn -
wie vorliegend - die Jahresfrist um zwei Tage überschritten
werde.
|
|
|
5
|
Hiergegen richtet sich die Revision der
Kläger, die sie auf die Verletzung von § 152 Abs. 3 AO
stützen. Verspätungszuschläge könnten nicht
für Vorjahre erhoben werden, obwohl die Steuererklärung
des Folgejahres bereits eingereicht und abschließend
bearbeitet worden sei.
|
|
|
6
|
Die Kläger beantragen, die
angefochtene Entscheidung und die Festsetzung des
Verspätungszuschlags vom 2.5.2008 i.d.F. der
Einspruchsentscheidung vom 23.6.2008 aufzuheben.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der
Klage gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO).
|
|
|
9
|
1. Das FG hat unzutreffend die Festsetzung des
Verspätungszuschlags gebilligt. Die Festsetzung des
Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2005 ist
rechtswidrig, weil sie - ohne einen Grund anzuführen - von der
Regel des § 152 Abs. 3 AO abgewichen ist (§ 102 FGO,
§ 5 AO).
|
|
|
10
|
a) Nach § 152 Abs. 3 AO ist der
Verspätungszuschlag regelmäßig mit der Steuer
festzusetzen, was der Fall ist, wenn der Verspätungszuschlag
in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Steuerbescheid
festgesetzt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11.6.1997
X R 14/95, BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642 = SIS 97 21 81, unter
I. 3.). Auch wenn die Verletzung dieser Vorschrift nicht ohne
Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Festsetzung des
Verspätungszuschlags führt, markiert sie ein
Regel-Ausnahme-Verhältnis: Nur in Ausnahmefällen soll von
der gleichzeitigen Festsetzung abgewichen werden können. Es
handelt sich um eine Sollvorschrift, die den Ermessensspielraum auf
eine Regelanwendung der Norm einengt (allgemein zu
Sollvorschriften: Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp
-, § 5 AO Rz 56, m.w.N.). Ihr Zweck liegt darin, den
Steuerpflichtigen möglichst nicht nachträglich durch
einen Verspätungszuschlag zu überraschen. Deshalb braucht
die Finanzbehörde besondere Gründe, wenn sie von einer
Verbindung der beiden Bescheide absehen will (Heuermann in HHSp,
§ 152 AO Rz 35).
|
|
|
11
|
b) Wenn es der XI. Senat des BFH in
Ausfüllung und Konkretisierung dieses
Regel-Ausnahme-Verhältnisses für unschädlich
hält, die Festsetzung des Verspätungszuschlags binnen
Jahresfrist nachzuholen (BFH-Urteil vom 10.10.2001 XI R 41/00, BFHE
196, 408, BStBl II 2002, 124 = SIS 02 03 21, unter II. 4.; so auch
die h.M. im Schrifttum, vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 152 AO Rz 62; Klein/Rätke, AO,
10. Aufl., § 152 Rz 13; Kuhfus in Kühn/v.Wedelstädt,
19. Aufl., AO, § 152 Rz 27), so hat die Frage, ob die
Festsetzung eines Verspätungszuschlags ohne Weiteres
nachgeholt werden kann, nicht allein eine zeitliche Dimension.
Entscheidend ist vielmehr, ob Gründe vorliegen, eine vom
Regelfall des § 152 Abs. 3 AO abweichende Festsetzung zu
rechtfertigen. Selbst wenn man den vom XI. Senat vorgegebenen
Zeitrahmen von einem Jahr in diesen Zusammenhang stellt und ein
Nachholen der Verspätungszuschlags-Festsetzung innerhalb
dieses Zeitraums ohne Weiteres - und damit ohne den Ausnahmefall
besonders zu begründen - für möglich hielte,
bedürfte es besonderer Gründe für den Ausnahmefall,
wenn der Zeitrahmen von einem Jahr überschritten ist.
Gründe dafür, den Verspätungszuschlag nicht mit der
Steuer festzusetzen, können z.B. gegeben sein, wenn zum
Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch ermittelt werden muss, ob die
Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 und des Abs. 2 AO vorliegen,
oder welche Umstände und Tatsachen in die
Ermessensentscheidung einzubeziehen sind.
|
|
|
12
|
2. Nach diesen Maßstäben ist die
Vorentscheidung aufzuheben. Die „Jahresfrist“
war bereits abgelaufen, als das FA den Verspätungszuschlag, um
den es hier geht, festsetzte. Der Umstand, dass diese Frist nur
zwei Tage überschritten wurde, ist entgegen der Auffassung des
FG nicht bedeutungslos. Wenn ein zeitlicher Rahmen als
Konkretisierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses vorgegeben
wird, kehrt sich das Verhältnis nach dessen Ablauf um. Das
bedeutet: Die abweichend vom Regelfall des § 152 Abs. 3 AO
durchgeführte Festsetzung des Verspätungszuschlags kann
nicht wiederum mit dem nur kurzfristigen Überschreiten der
Frist begründet werden, sondern allein dadurch, dass
Gründe für den Ausnahmefall ersichtlich sind und
vorgebracht werden. Das FG verengt seine Prüfung des §
152 Abs. 3 AO und seine Argumentation unzutreffend auf das
zeitliche Element der Verwirkung.
|
|
|
13
|
3. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist
stattzugeben, indem die Festsetzung des Verspätungszuschlags
aufgehoben wird. Das FA hat keinerlei Gründe dafür
angeführt, warum es den Verspätungszuschlag abweichend
vom Normalfall des § 152 Abs. 3 AO erst festgesetzt hat, als
die Veranlagung für das nachfolgende Jahr 2006 bereits
abgeschlossen war (und mit einer Erstattung endete). Das FA hat die
gesetzlichen Grenzen seines Ermessens verkannt. Es kann diesen
Ermessensfehler auch nicht mehr im finanzgerichtlichen Verfahren
nachbessern; denn es handelte sich nicht um eine bloße
Ergänzung gemäß § 102 Satz 2 FGO (vgl. dazu
BFH-Urteil vom 11.3.2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004,
579 = SIS 04 18 37). Die Festsetzung ist damit rechtswidrig und
aufzuheben.
|