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I. Im Rahmen einer Außenprüfung
forderte der Betriebsprüfer von A die Vorlage von
Auszügen für das von ihr bei der Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), einer Bank, unterhaltene
Konto, um prüfen zu können, ob A aufgrund
regelmäßiger Abhebungen von dem Konto genügend
Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung
gestanden hatten. Andernfalls waren nach Ansicht des Prüfers
Hinzuschätzungen zu den von A erklärten steuerpflichtigen
Einnahmen vorzunehmen.
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Da A die Kontoauszüge nach ihren
Angaben nicht aufbewahrt hatte, verlangte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) von der Klägerin mit
Verfügung vom 29.6.2007 gemäß § 97 Abs. 1 bis
3 der Abgabenordnung (AO) die Vorlage der Kontoauszüge
für den Zeitraum August 2002 bis September 2004 in lesbar
gemachter Form und führte aus, A sei einem Vorlageverlangen
nicht nachgekommen. Eine Sachverhaltsaufklärung sei deshalb
unmöglich.
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Die Klägerin lehnte die begehrte
Vorlage unter Verweis auf § 97 Abs. 2 Satz 1 AO und ein bisher
fehlendes Auskunftsersuchen nach § 93 AO ab.
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Zur Begründung der nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobenen Klage brachte die Klägerin vor,
das FA habe das in § 97 Abs. 2 Satz 1 AO zum Ausdruck kommende
Rangverhältnis zwischen den unterschiedlichen Formen des
Eingriffs nicht eingehalten, obwohl insoweit kein Ermessen bestehe.
Der Wortlaut der Norm gebe eine klare Reihenfolge der Beweismittel
vor, wonach zunächst ein Auskunftsersuchen zu stellen sei.
Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
führe nicht zu einem Vorrang des Vorlageersuchens, da das FA
mit einem Auskunftsersuchen genau diejenigen Informationen und
Unterlagen erhalte, die es benötige. Das FA könne die
vorgeschriebene Reihenfolge der Einholung von Beweismitteln nicht
außer Acht lassen, um aus rein fiskalischen Motiven der
Kostentragungspflicht bei Auskunftsersuchen zu entgehen.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
in EFG 2008, 1760 = SIS 08 39 35 veröffentlichtem Urteil als
unbegründet ab. Das FA habe ermessensfehlerfrei die Vorlage
der angeforderten Kontoauszüge verlangt. Die Aufforderung vom
29.6.2007 stelle sich als isoliertes Vorlageersuchen dar, weil das
FA Kontoauszüge für ein bestimmtes Konto und einen klar
eingegrenzten Zeitraum verlangt habe. Die angeforderten
Kontoauszüge seien für die Besteuerung anderer Personen
als der Klägerin benötigt worden und erforderlich
gewesen, weil zur Erstellung einer Geldverkehrsrechnung und zur
Klärung, ob A über die erklärten Einnahmen hinaus
weitere Einnahmen zuzurechnen seien, nur die Anforderung von
Kontoauszügen und deren Prüfung geeignet gewesen
sei.
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Mit ihrer Revision macht die Klägerin
die Verletzung des § 97 Abs. 2 Satz 1 AO geltend.
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung sowie das Vorlageverlangen vom 29.6.2007 in Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 2.11.2007 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des
angegriffenen Vorlageverlangens in Gestalt der
Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Vorentscheidung verletzt
§ 97 Abs. 2 Satz 1 AO. Entgegen der Auffassung des FG ist das
Vorlageverlangen des FA ermessensfehlerhaft i.S. des § 102
Satz 1 FGO und somit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten.
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1. Dem FG ist zunächst darin zu folgen,
dass das FA im Streitfall durch sein Schreiben vom 29.6.2007 ein
Vorlageersuchen i.S. des § 97 Abs. 1 Satz 1 AO an die
Klägerin gerichtet hat. Danach kann die Finanzbehörde von
den Beteiligten und anderen Personen die Vorlage von Büchern,
Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur
Einsicht und Prüfung verlangen. Sie hat dabei nach den
Vorgaben des Satzes 2 der Vorschrift anzugeben, ob die Urkunden
für die Besteuerung des zur Vorlage Aufgeforderten oder
anderer Personen benötigt werden. Ein reines Vorlageverlangen
i.S. des § 97 AO liegt (nur) dann vor, wenn keinerlei eigenes
Wissen des in Anspruch Genommenen - als Vorfrage der Vorlage von
Urkunden - abgefragt bzw. darauf (unausgesprochen)
zurückgegriffen werden muss. Die begehrte Urkundenvorlage darf
auch nicht inzident einer Auskunft gleichkommen, wie sie in anderen
Verfahren ein Zeuge bekundet (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 24.3.1987 VII R 113/84, BFHE 149, 143, BStBl II 1988, 163
= SIS 87 14 51; vom 8.8.2006 VII R 29/05, BFHE 214, 97, BStBl II
2007, 80 = SIS 06 45 44). Hat das FA - wie im Streitfall - die
vorzulegenden Unterlagen durch Nennung des betroffenen Kontos sowie
des Vorlagezeitraums so konkret und eindeutig benannt, dass sich
die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein
mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und
Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt, so liegt
ein Vorlageverlangen i.S. des § 97 Abs. 1 Satz 1 AO vor (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 214, 97, BStBl II 2007, 80 = SIS 06 45 44).
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2. Entgegen der Annahme des FG
verstößt das streitbefangene Vorlageverlangen allerdings
gegen § 97 Abs. 2 Satz 1 AO. Danach soll die Vorlage von
Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen
Urkunden in der Regel erst dann verlangt werden, wenn der
Vorlagepflichtige eine Auskunft nicht erteilt hat, die Auskunft
unzureichend ist oder Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestehen.
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a) § 97 Abs. 2 Satz 1 AO dient der
Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die
Finanzbehörden müssen einen Sachverhalt in erster Linie
durch die Einholung von Auskünften aufklären. Das
Vorlageverlangen ist lediglich hilfsweise zulässig, weil
Aufklärungsmaßnahmen Eingriffscharakter haben und
deshalb unter mehreren Alternativen das mildeste Mittel
auszuwählen ist. Der Gesetzgeber ist insoweit in § 97
Abs. 2 Satz 1 AO in Ausgestaltung des verfassungsrechtlich
verankerten Grundsatzes der Erforderlichkeit davon ausgegangen,
dass die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 93 AO
regelmäßig das weniger belastende Mittel als die
Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden ist (vgl. Schuster in
Hübschmann/Hepp/ Spitaler - HHSp -, § 97 AO Rz 18). Diese
Annahme beruht - wie § 107 Satz 1 AO zeigt - nicht etwa auf
einem vom Gesetzgeber unterstellten geringeren
kostenmäßigen Aufwand der um Auskunft ersuchten Person,
sondern auf der Vorstellung, dass ein Auskunftsersuchen mit Blick
auf die Preisgabe persönlicher oder personenbezogener Daten
weniger stark in die Persönlichkeitssphäre der um
Auskunft ersuchten Person eingreift als ein
Herausgabeverlangen.
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b) Entsprechend den vorgenannten
Erwägungen hat der Gesetzgeber § 97 Abs. 2 Satz 1 AO als
Sollvorschrift abgefasst, weshalb die Finanzbehörde in der
Regel nach ihr verfahren muss und nur in atypischen Fällen von
ihr abweichen darf. Dabei ist am Zweck der Vorschrift zu messen, ob
ein atypischer Fall vorliegt (vgl. BFH-Urteile vom 27.10.1981 VII R
2/80, BFHE 134, 231, 235, BStBl II 1982, 141 = SIS 82 25 34; vom
24.10.1989 VII R 1/87, BFHE 158, 502, BStBl II 1990, 198 = SIS 90 02 50). Die Vorlage von Urkunden ohne vorheriges Auskunftsersuchen
kann gefordert werden, wenn das Vorliegen steuerrelevanter
Tatsachen nur durch die Vorlage eines Schriftstückes beweisbar
oder eine Auskunft zur Wahrheitsfindung untauglich ist. Da es sich
bei der Subsidiaritätsklausel in § 97 Abs. 2 Satz 1 AO um
eine Vorschrift im Interesse und zugunsten des Vorlagepflichtigen
handelt, berechtigt allerdings allein die Tatsache, dass die
Vorlage einer Urkunde in der Sache das geeignetste
Aufklärungsmittel ist, die Finanzbehörde nicht dazu, von
vornherein von einem Auskunftsersuchen abzusehen und sofort die
Urkundenvorlage zu verlangen (Schuster in HHSp, § 97 AO Rz
18). Dies stellt - entgegen der Annahme des FG - keine
„Förmelei“ dar, sondern ergibt sich aus dem
Schutzcharakter des § 97 Abs. 2 Satz 1 AO. Es ist deshalb
Aufgabe des FA, das Vorliegen eines atypischen und das unmittelbare
Vorlageverlangen rechtfertigenden Falles darzulegen.
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c) Im Streitfall liegt kein atypischer Fall
i.S. des § 97 Abs. 2 Satz 1 AO vor, der das unmittelbare
Vorlageverlangen des FA rechtfertigen könnte. Das FA hat die
Vornahme von Zuschätzungen bei der Besteuerung der A als
erforderlich angesehen, wenn A nicht aufgrund
regelmäßiger Abhebungen von dem Konto bei der
Klägerin genügend Mittel zur Bestreitung ihres
Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden hatten. Der
aufzuklärende Sachverhalt ist danach nicht so gelagert, dass
es um die Sichtung solcher steuererheblicher Kontenbewegungen
gegangen wäre, die nicht durch eine Auskunft klärbar
gewesen wären. Vielmehr wäre es dem FA möglich
gewesen, die Klägerin im Wege eines Auskunftsverlangens dazu
aufzufordern, zur Frage regelmäßiger Abhebungen Stellung
zu nehmen. Insoweit hätte die Frage, ob A in dem
entsprechenden Zeitraum regelmäßige Barabhebungen von
dem Konto vorgenommen hat und welche Höhe diese ggf.
aufgewiesen haben, zur Aufklärung des Sachverhalts
ausgereicht. Es wäre der Klägerin unter Heranziehung
ihrer Kontounterlagen möglich gewesen, diese Fragen zu
beantworten.
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d) Es ist nicht erkennbar, dass bei der
Klägerin mit unzureichenden oder unrichtigen Angaben in einer
Auskunft zu rechnen gewesen wäre (vgl. zur entsprechenden
Richtigkeitsannahme Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 107 Rz
3). Im Übrigen wäre es an der Klägerin gewesen,
darüber zu entscheiden, ob sie das Auskunftsverlangen ggf.
freiwillig durch die Vorlage von Kontoauszügen beantworten
wolle.
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