Änderung, Beteiligung eines Dritten, Klagebefugnis: Ein Dritter ist am Verfahren über die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides beteiligt (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO), wenn er hinzugezogen worden ist und wenn das Verfahren durch Erlass einer ihm, dem Dritten, bekanntgegebenen Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 1 Satz 1 AO) endet, in der dem Einspruch stattgegeben wird. - Urt.; BFH 18.2.2009, V R 81/07; SIS 09 16 36
I. Streitig ist, ob der Beigeladene oder
die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) aus den
für die Sanierung eines Wohngebäudes in den Streitjahren
1995 und 1996 von Unternehmern bezogenen Leistungen zum
Vorsteuerabzug nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes 1993
berechtigt ist.
Der Beigeladene erwarb 1994 ein mit einem
Wohngebäude bebautes Grundstück. Den Werkvertrag zur
Sanierung des Gebäudes schloss er im eigenen Namen ab. Die
Sanierungsleistungen wurden in den Streitjahren gegenüber dem
Beigeladenen erbracht und abgerechnet. Nach Abschluss der
Sanierungsarbeiten vermietete der Beigeladene mehrere Ladenlokale
im eigenen Namen. Ein zwischen dem Beigeladenen und der
Klägerin 1994 mündlich abgeschlossener Treuhandvertrag
wurde im März 2002 schriftlich bestätigt. Die
Klägerin wurde nach den Streitjahren als Eigentümerin im
Grundbuch eingetragen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erließ gegenüber dem Beigeladenen die
Umsatzsteuerbescheide vom 14.1.1998 für beide Streitjahre, in
denen die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus den
Sanierungsleistungen berücksichtigt waren.
Demgegenüber ging das FA später
davon aus, dass nicht der Beigeladene, sondern die Klägerin
zum Vorsteuerabzug aus den Sanierungsleistungen berechtigt sei, und
erließ am 10.5.2005 entsprechende Umsatzsteuerbescheide
für beide Streitjahre gegenüber der Klägerin. Diese
beruhten auf den von der Klägerin am 11.9.2002 abgegebenen und
am 8.6.2004 berichtigten Umsatzsteuerjahreserklärungen
für die beiden Streitjahre, in denen die streitigen
Vorsteuerbeträge aus den Sanierungsleistungen geltend gemacht
waren.
Im Anschluss hieran hob das FA durch die
Bescheide vom 10.6.2005 die gegenüber dem Beigeladenen
ergangenen Erstbescheide vom 14.1.1998 auf. Hiergegen legte der
Beigeladene Einspruch ein. Die Klägerin wurde zum
Einspruchsverfahren durch Verfügung vom 16.12.2005
hinzugezogen. Mit der Einspruchsentscheidung vom 9.5.2006 hob das
FA die gegen den Beigeladenen ergangenen Aufhebungsbescheide vom
10.6.2005 auf mit der Begründung, dem Beigeladenen und nicht
der Klägerin stehe der Vorsteuerabzug aus den bezogenen
Sanierungsleistungen zu. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt
folgenden Zusatz: „Der Hinzugezogene erhält als
Beteiligter am Verfahren eine Ausfertigung der
Einspruchsentscheidung. Einwendungen gegen die steuerlichen
Folgerungen bei seiner Veranlagung kann der Hinzugezogene nur mit
einer Klage gegen diese Einspruchsentscheidung geltend
machen.“
Die gegen die Einspruchsentscheidung von
der Klägerin erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) als
unzulässig abgewiesen, da die Klägerin durch die
Einspruchsentscheidung nicht beschwert sei. Werde das
Einspruchsverfahren ohne entsprechenden Antrag oder ohne Zustimmung
des Hinzugezogenen durch Abhilfebescheid oder durch einen
Abhilfebescheid in Gestalt einer Einspruchsentscheidung
abgeschlossen, fehle es an der nach § 174 Abs. 5 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO) erforderlichen Beteiligung. Die Abhilfe
entfalte keine materielle Wirkung gegen die Klägerin. Der
Hinzugezogene - wie hier die Klägerin - habe keine
Möglichkeit, die Einspruchsentscheidung anzufechten.
Klagebefugt sei die Klägerin daher nur im Verfahren gegen die
ihr gegenüber zu erlassenden Umsatzsteuerbescheide.
Das Urteil des FG ist in EFG 2008, 1471 =
SIS 08 18 39 veröffentlicht.
Hiergegen wendet sich das FA mit seiner
Revision, mit der es als Verfahrensmangel Verletzung von § 40
der Finanzgerichtsordnung (FGO) und von § 174 AO geltend
macht. Die Finanzbehörde müsse in den Fällen, in
denen sie dem Einspruch eines Steuerpflichtigen abhelfen und damit
den Antrag des hinzugezogenen Dritten ablehnen wolle, eine
Einspruchsentscheidung erlassen, mit der dem Einspruch stattgegeben
und der Antrag des Hinzugezogenen auf Abweisung des Einspruchs als
unbegründet zurückgewiesen werde. Die
Einspruchsentscheidung sei dem Steuerpflichtigen und dem
hinzugezogenen Dritten bekannt zu geben, um den Dritten nach §
174 Abs. 5 AO zu beteiligen und so die Korrektur nach § 174
Abs. 4 AO gegenüber dem Dritten zu ermöglichen. Die im
Einspruchsverfahren getroffene Entscheidung sei für die sich
anschließende Änderung nach § 174 Abs. 4 AO
gegenüber dem Dritten verbindlich. Dies müsse auch
gelten, wenn gegenüber dem Steuerpflichtigen eine abhelfende
Entscheidung im Rahmen einer Einspruchsentscheidung erfolge, da nur
so über § 174 Abs. 4 und 5 AO eine einheitliche und
für alle Beteiligten verbindliche Entscheidung
herbeigeführt werden könne.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Sie habe die Klage gegen die
Einspruchsentscheidung aufgrund der ihr erteilten
Rechtsbehelfsbelehrung erhoben, so dass dem FA trotz der
Klageabweisung die Kosten aufzuerlegen seien.
II. Die Revision des FA ist zulässig,
obwohl das FG die Klage der Klägerin als unzulässig
verworfen hat.
1. Die Zulässigkeit der Revision
erfordert, dass der Revisionskläger durch das angefochtene
Urteil des FG beschwert ist. Maßgeblich für die Beschwer
ist nach der Rechtsprechung (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 4.4.2008 IV R 91/06, BFH/NV 2008, 1298 = SIS 08 28 01) nur der
Entscheidungssatz und damit der Tenor des angefochtenen Urteils.
Beim Beklagten kommt es dabei nicht auf die formelle, sondern auf
die materielle Beschwer an. Maßgebend ist, dass der
rechtskraftfähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung
für den Beteiligten nachteilig ist. Eine Beschwer des
Beklagten liegt insbesondere dann vor, wenn das FG, wie im
Streitfall, die Klage statt durch Sachurteil durch Prozessurteil
als unzulässig abweist (BFH-Urteil vom 28.11.2007 I R 7/07,
BFH/NV 2008, 986 = SIS 08 21 38).
2. Die Revision ist unbegründet. Zwar hat
das FG die Klage zu Unrecht mangels Beschwer als unzulässig
abgewiesen; seine Entscheidung erweist sich aber aus anderen
Gründen als richtig, so dass die Revision gemäß
§ 126 Abs. 4 FGO mit der Maßgabe zurückzuweisen
ist, dass die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet
war.
a) Das FG hat zu Unrecht entschieden, die
Klägerin sei nicht klagebefugt.
Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine
Anfechtungsklage, um die es sich hier handelt, nur zulässig,
wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in
seinen Rechten verletzt zu sein. Wer zu dem Verfahren hinzugezogen
worden ist, kann - innerhalb des Verfahrens, d.h. hier innerhalb
des Einspruchsverfahrens, zu dem er hinzugezogen worden ist (vgl.
z.B. BFH-Entscheidung vom 1.2.2000 VII B 202/99, BFH/NV 2000, 960 =
SIS 00 57 32) - dieselben Rechte geltend machen wie derjenige, der
den Einspruch eingelegt hat. Gegen die Rechtsbehelfsentscheidung
(Einspruchsentscheidung) kann auch ein Hinzugezogener nur dann
Klage erheben, wenn er die dafür in der FGO aufgestellten
Voraussetzungen erfüllt, insbesondere eigene Rechte
gemäß § 40 Abs. 2 FGO geltend machen kann. Die
Klägerin ist durch die Einspruchsentscheidung beschwert, da
die Entscheidung über den Vorsteuerabzug aus den
Sanierungsleistungen eigene Rechte der Klägerin i.S. des
§ 40 Abs. 2 FGO berührt.
aa) Ist auf Grund irriger Beurteilung eines
bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund
eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen
durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder
geändert wird, können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO
aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder
Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen
Folgerungen gezogen werden. Gegenüber Dritten gilt diese
Regelung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO, wenn sie an
dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des
fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren.
bb) Als „bestimmter
Sachverhalt“ i.S. des § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO ist
ein einheitlicher Lebensvorgang anzusehen, aus dem steuerrechtliche
Folgerungen sowohl bei dem Steuerpflichtigen als auch bei dem
Dritten zu ziehen sind. Es genügt, dass derselbe Sachverhalt
bei mehreren Steuerpflichtigen erfasst und irrig beurteilt worden
ist (BFH-Urteil vom 18.9.2003 X R 152/97, BFHE 203, 337, BStBl II
2007, 749 = SIS 03 51 75). Ist die rechtliche Beurteilung zugunsten
des einen Steuerpflichtigen richtiggestellt worden, kann im Rahmen
des § 174 Abs. 4 AO i.V.m. § 174 Abs. 5 AO
grundsätzlich auch bei dem anderen Steuerpflichtigen durch
Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die entsprechende,
richtige steuerliche Folgerung gezogen werden (BFH-Urteil in BFHE
203, 337, BStBl II 2007, 749 = SIS 03 51 75). Nach einer
Richtigstellung der rechtlichen Beurteilung zugunsten des einen
Steuerpflichtigen kann damit korrespondierend aus dem einheitlichen
Lebenssachverhalt die richtige Folgerung auch bei dem anderen
Steuerpflichtigen im Wege der Änderung seiner
bestandskräftigen Steuerfestsetzung gezogen werden. § 174
Abs. 4 und Abs. 5 AO gewährleisten somit, dass ein und
derselbe Sachverhalt, der sich bei zwei verschiedenen
Steuerpflichtigen auswirkt, auch bei beiden gleich beurteilt werden
kann (BFH-Urteil in BFHE 203, 337, BStBl II 2007, 749 = SIS 03 51 75).
cc) Als „bestimmter
Sachverhalt“ kann auch die Berechtigung zum
Vorsteuerabzug angesehen werden. Wurde - wie im Streitfall - die
Berechtigung zum Vorsteuerabzug beim Treuhänder oder beim
Treugeber irrig beurteilt, lässt sich ein hieraus ergebender
Widerspruch unter den besonderen Voraussetzungen des § 174
Abs. 4 und Abs. 5 AO beseitigen, so dass aus einer vom
Steuerpflichtigen, hier dem Beigeladenen, erstrittenen Aufhebung
oder Änderung eines Steuerbescheids auch gegenüber dem
Dritten, hier der Klägerin, die „richtigen
steuerlichen Folgerungen“ gezogen werden können. Im
Hinblick auf die der Klägerin drohende Folgeänderung nach
§ 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO war sie durch die
Einspruchsentscheidung, in der antragsgemäß die
streitigen Vorsteuerbeträge zugunsten des Beigeladenen
berücksichtigt worden sind, beschwert.
dd) Das FG beruft sich für seine
Auffassung, die Klägerin sei nicht klagebefugt gewesen, zu
Unrecht auf die Rechtsprechung des BFH, wonach es an einer Beschwer
des zu einem Einspruchsverfahren hinzugezogenen Dritten fehlt, wenn
das Einspruchsverfahren nicht durch eine Einspruchsentscheidung,
sondern durch einen ohne seine Zustimmung oder seinen
entsprechenden Antrag ergangenen Abhilfebescheid beendet wird
(§ 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 367 Abs. 2 Satz 3 AO)
und in diesem Fall keine Beteiligung i.S. von § 174 Abs. 5
Satz 1 AO vorliegt (BFH-Urteile vom 11.4.1991 V R 40/86, BFHE 164,
176, BStBl II 1991, 605 = SIS 91 16 58; vom 20.5.1992 III R 176/90,
BFH/NV 1993, 74 = SIS 92 25 12; vom 5.5.1993 X R 111/91, BFHE 171,
400, BStBl II 1993, 817 = SIS 93 24 24, und BFH-Beschluss vom
4.7.2001 VI B 301/98, BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729 = SIS 01 12 82). Denn im Streitfall wurde das Einspruchsverfahren durch eine
Einspruchsentscheidung beendet, die der Klägerin als
Hinzugezogener auch bekannt gegeben worden ist. Bei Erlass einer
für den Hinzugezogenen nachteiligen und ihm bekanntgegebenen
Einspruchsentscheidung kommt es entgegen dem Urteil des FG
München vom 22.6.2005 10 K 4445/03 (EFG 2005, 1509 = SIS 05 39 08, nicht rechtskräftig, Az. des BFH: X R 16/06) nicht darauf
an, ob die Einspruchsentscheidung einem Antrag des Hinzugezogenen
entspricht oder ob der Hinzugezogene der Einspruchsentscheidung
zustimmt.
b) Die Klage ist aufgrund der vom FG
getroffenen Feststellungen als unbegründet abzuweisen, da das
FA die gegenüber dem Beigeladenen ergangenen
Aufhebungsbescheide vom 10.6.2005 im Ergebnis zu Recht durch die
Einspruchsentscheidung aufgehoben hat. Denn die Bescheide waren
aufgrund der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung
rechtswidrig.
aa) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine
Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht
mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die
Festsetzungsfrist beträgt im Streitfall nach § 169 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO beginnt die
Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer
entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt
geworden ist. Ist eine Steuererklärung oder eine
Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten,
beginnt die Festsetzungsfrist abweichend hiervon nach § 170
Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die
Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige
eingereicht wird, spätestens aber mit Ablauf des dritten
Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer
entstanden ist.
bb) Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO begann die
Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.1997, da die
Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Streitjahre, die
den gegenüber dem Beigeladenen ergangenen Erstbescheiden vom
14.1.1998 zugrunde lagen, am 8.12.1997 beim FA eingereicht wurden.
Dementsprechend endete die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 AO für beide Streitjahre mit Ablauf des
31.12.2001. Daher ergingen die gegenüber dem Beigeladenen
erlassenen Aufhebungsbescheide vom 10.6.2005 erst nach Eintritt der
Festsetzungsverjährung. Das FA hat deshalb zu Recht diese
Bescheide aufgrund des durch den Beigeladenen eingelegten
Einspruchs durch die Einspruchsentscheidung aufgehoben.
c) Ist die Sache spruchreif, so kann der BFH
in der Sache selbst entscheiden, auch wenn der Revisionskläger
nur die Zurückverweisung der Sache beantragt hat (BFH-Urteil
vom 27.9.1988 VIII R 98/87, BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229 = SIS 89 04 52).
3. Das FG hat die Kosten des Klageverfahrens
zu Unrecht abweichend von § 135 Abs. 1 FGO nicht der
unterlegenen Klägerin, sondern nach § 137 Satz 2 FGO dem
FA auferlegt. Die Voraussetzungen des § 137 Satz 2 FGO lagen
indes nicht vor, denn entgegen der Auffassung des FG war die Klage
gegen die der Klägerin als Hinzugezogener bekanntgegebene
Einspruchsentscheidung nicht unzulässig, sondern
unbegründet, und die Rechtsbehelfsbelehrung des FA deshalb
entgegen der Auffassung des FG nicht unzutreffend. Die Kosten des
Verfahrens sind der Klägerin daher nicht i.S. des § 137
Satz 2 FGO durch Verschulden des FA entstanden. Die
Kostenentscheidung des FG war deshalb entsprechend zu
ändern.