Irrtum über unbeschränkte ESt-Pflicht, LSt-Nachforderung: Das FA kann auch dann "nachträglich" i.S. von § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 1997 i.d.F. des StSenkG feststellen, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG 1997 nicht vorgelegen haben, wenn es dies bereits bei Erteilung der Bescheinigung hätte bemerken können. Auch bei einer fehlerhaft erteilten Bescheinigung nach § 39 c Abs. 4 EStG 1997 kann das FA die zu wenig erhobene Lohnsteuer nachfordern. - Urt.; BFH 23.9.2008, I R 65/07; SIS 09 03 37
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) und seine Ehefrau haben ihren Wohnsitz in den
Niederlanden. Der Kläger war in den Streitjahren 1998 bis 2001
im Inland mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden
als Controller beschäftigt. In gleichem Umfange war er in
dieser Funktion in den Niederlanden tätig.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erteilte für die Streitjahre
Bescheinigungen gemäß § 39c Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997). In seinen Anträgen
auf Erteilung einer Bescheinigung für beschränkt
einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer aus den Niederlanden (1998)
bzw. auf Behandlung als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtiger Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3,
§ 1a EStG 1997 (1999 bis 2001) hatte der Kläger seinen
voraussichtlichen Bruttoarbeitslohn im Inland und in den
Niederlanden auf folgende Beträge beziffert:
|
Inland
DM
|
Niederlande
hfl
|
1998
|
93
600
|
96
000
|
1999
|
98
400
|
115
000
|
2000
|
110
000
|
121
500
|
2001
|
110
000
|
121
500
|
Der inländische Arbeitgeber behielt
aufgrund der Bescheinigung des FA Lohnsteuer nach der Steuerklasse
III ein und berücksichtigte dabei die in den Bescheinigungen
ausgewiesenen Freibeträge gemäß § 39a Abs. 1
Nr. 1 und 6 EStG 1997.
Nach einer
Lohnsteueraußenprüfung forderte das FA die Lohnsteuer
für die Streitjahre nach. Der dagegen gerichteten Klage gab
das Finanzgericht (FG) Düsseldorf mit in EFG 2007, 1850 = SIS 08 23 09 veröffentlichtem Urteil vom 21.8.2007 10 K 121/04 L
statt.
Mit seiner Revision rügt das FA eine
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Entgegen der Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen
für eine Nachforderung von Lohnsteuer gemäß §
50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG
1997 i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 (BGBl I 2000,
1433, BStBl I 2000, 1428 - im Folgenden: EStG 2001 - ) vor.
1. Nach § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997 gilt
die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug
vom Arbeitslohn unterliegen, bei beschränkt Steuerpflichtigen
als durch den Steuerabzug abgegolten. Dies gilt nach § 50 Abs.
5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001
nicht, wenn der Steuerabzug nach Maßgabe unbeschränkter
Steuerpflicht vorgenommen wurde und nachträglich festgestellt
wird, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht i.S. des § 1 Abs. 2 oder 3 EStG 1997
oder des § 1a EStG 1997 nicht vorgelegen haben; § 39 Abs.
5a EStG 1997 ist dann sinngemäß anzuwenden.
2. a) Der Kläger hatte im Inland weder
einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt und war
daher nicht nach § 1 Abs. 1 EStG 1997 unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig. Da die Einkünfte, die der
Kläger und seine Ehefrau in den Niederlanden erzielt haben,
sowohl die absolute (24.000 DM bzw. 12.272 EUR) als auch die
relative (10 %-)Grenze nach § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2
i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG 1997 übersteigen, kann er auch nicht
nach diesen Vorschriften als unbeschränkt
Einkommensteuerpflichtiger behandelt werden. Er unterliegt vielmehr
mit seinen inländischen Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit gemäß § 1 Abs. 4
i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1997 in den Streitjahren der
beschränkten Einkommensteuerpflicht.
Der Kläger ist gleichwohl im
Lohnsteuerabzugsverfahren als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig i.S. von § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2
i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG 1997 behandelt worden. Ihm wurden auf
seinen Antrag hin Bescheinigungen nach § 39c Abs. 4 EStG 1997
erteilt, aufgrund derer seine Arbeitgeberin die Lohnsteuer nach der
Steuerklasse III abführte, statt - wie bei beschränkt
einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmern materiell-rechtlich
zutreffend - nach der Steuerklasse I (§ 39d Abs. 1 Satz 1 EStG
1997). Da das Ehegattensplitting nur unbeschränkt
Einkommensteuerpflichtige i.S. des § 1 Abs. 1 oder 2 oder des
§ 1a EStG 1997 beanspruchen können (§ 26 Abs. 1 Satz
1 EStG 1997), hat der Kläger zu wenig Lohnsteuer
entrichtet.
b) Das FA hat dies erst nach Ablauf der
Streitjahre und damit nachträglich festgestellt. Der
Kläger hat zwar in seinen Anträgen nach § 39c Abs. 4
Satz 2 EStG 1997 stets zutreffende Angaben zur Höhe seines in
den Niederlanden zu erwartenden Bruttoarbeitslohnes gemacht, so
dass das FA bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung hätte
feststellen können, dass der Kläger die Voraussetzungen
der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs.
3, § 1a Abs. 2 EStG 1997 voraussichtlich nicht erfüllen
wird. Es kommt jedoch nach dem Wortlaut des § 50 Abs. 5 Satz 4
Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 nicht auf
den Zeitpunkt an, in dem dies das FA anhand der Angaben des
Steuerpflichtigen hätte feststellen können.
Maßgeblich ist vielmehr allein, dass dies nachträglich,
also nach Erteilung der Bescheinigung gemäß § 39c
Abs. 4 EStG 1997, tatsächlich festgestellt wird. Dies folgt
auch daraus, dass erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes
feststeht, ob die Voraussetzungen der unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht tatsächlich vorliegen. Davor ist
lediglich eine Prognose möglich.
c) Das FA durfte die Lohnsteuer
gemäß § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50
Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 i.V.m. § 39 Abs. 5a Satz 4 EStG
1997 nachfordern.
aa) § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG
1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 bestimmt, dass der
Steuerabzug vom Arbeitslohn unter den dort geregelten
Voraussetzungen keine Abgeltungswirkung hat. Ob und inwieweit die
zu wenig einbehaltene Lohnsteuer beim Arbeitnehmer nachgefordert
werden kann, ergibt sich aus dem sinngemäß anzuwendenden
§ 39 Abs. 5a EStG 1997. Nach dieser Vorschrift hat ein
Arbeitnehmer, für den eine Lohnsteuerkarte ausgestellt worden
ist, dem Finanzamt unter Vorlage der Lohnsteuerkarte
unverzüglich anzuzeigen, wenn er zu Beginn des Kalenderjahres
beschränkt einkommensteuerpflichtig oder im Laufe des
Kalenderjahres beschränkt einkommensteuerpflichtig geworden
ist. Das Finanzamt hat die Lohnsteuerkarte vom Zeitpunkt des
Eintritts der beschränkten Einkommensteuerpflicht an
ungültig zu machen. Unterbleibt die Anzeige, hat das Finanzamt
die zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern,
wenn diese 20 DM übersteigt.
bb) Da § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG
1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001 auf § 39 Abs. 5a
EStG 1997 insgesamt und nicht lediglich auf § 39 Abs. 5a Satz
4 EStG 1997 verweist, ist mit dem FG davon auszugehen, dass
grundsätzlich auch § 39 Abs. 5a Sätze 1 bis 3 EStG
1997 sinngemäß anzuwenden sind (gl.A. Herkenroth in
Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und
Körperschaftsteuergesetz, § 50 EStG Rz 352). Dies
bedeutet: Der Arbeitnehmer hat dem Finanzamt unverzüglich
anzuzeigen, wenn er bemerkt, dass die Voraussetzungen
gemäß § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2 EStG 1997
voraussichtlich nicht vorliegen werden. In diesem Fall hat er die
Bescheinigung nach § 39c Abs. 4 EStG 1997 dem Finanzamt zur
Entwertung vorzulegen. Sofern eine Korrektur im
Lohnsteuerabzugsverfahren noch möglich ist und
tatsächlich erfolgt, ist für eine Nachforderung kein
Raum. In allen anderen Fällen kann das Finanzamt die zuwenig
entrichtete Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachfordern.
cc) Im Streitfall hat der Kläger nicht in
der genannten Weise darauf hingewirkt, dass der Lohnsteuerabzug
zutreffend vorgenommen wurde. Das FA durfte deshalb die zuwenig
erhobene Lohnsteuer nachfordern. Dem steht nicht entgegen, dass der
Kläger aus seiner Sicht keinen Anlass hatte, eine Anzeige zu
erstatten, weil sich seine Verhältnisse gegenüber dem
Zeitpunkt der Antragstellung nach § 39c Abs. 4 EStG 1997 nicht
geändert hatten und er daher möglicherweise guten
Glaubens war, die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 3, 1a
Abs. 2 EStG 1997 lägen vor. Der Vorschrift lässt sich
nicht entnehmen, dass das Finanzamt die Lohnsteuer nur nachfordern
darf, wenn der Steuerpflichtige in vorwerfbarer Weise -
fahrlässig oder vorsätzlich - die Anzeige unterlassen
hat. Eine Nachforderung der zu wenig entrichteten Lohnsteuer setzt
auch nicht voraus, dass sich die tatsächlichen
Verhältnisse nach dem Zeitpunkt der Antragstellung
geändert haben (a.A. Wüllenkemper, EFG 2007, 1852, 1853).
Die nachträgliche Feststellung i.S. des § 50 Abs. 5 Satz
4 Nr. 1 EStG 1997/§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG 2001, dass die
Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 oder 3 oder des § 1a EStG
1997 nicht vorliegen, beruht regelmäßig nicht auf einer
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern
darauf, dass die Höhe der Einkünfte oder das
Verhältnis der inländischen zu den ausländischen
Einkünften sich entgegen der Erwartungen abweichend entwickelt
haben. Verstünde man die sinngemäße Anwendung des
§ 39 Abs. 5a Satz 4 EStG 1997 dahin, dass eine Nachforderung
nur bei einer Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse möglich wäre, liefe der Verweis
weitgehend leer. Dies entspräche auch nicht dem Zweck der
Vorschrift, die Nacherhebung von Einkommensteuer (Lohnsteuer)
sicherzustellen, wenn beim Lohnsteuerabzug das Splitting-Verfahren
angewendet wurde und sich später herausstellt, dass die
Voraussetzungen für eine fiktive unbeschränkte
Einkommensteuerpflicht nicht vorgelegen haben (BTDrucks 10/1636, S.
64). Eine Nachforderung hat vielmehr nur dann zu unterbleiben, wenn
durch die Anzeige des Steuerpflichtigen bereits im
Lohnsteuerabzugsverfahren der zu geringe Lohnsteuerabzug korrigiert
wird. Aus welchem Grund der Antrag des Steuerpflichtigen
unterbleibt und ob der Arbeitnehmer aus seiner Sicht überhaupt
Anlass hatte, einen derartigen Antrag zu stellen, ist dagegen weder
nach Wortlaut noch dem Sinn der Vorschrift für die
Nachforderung von Belang.
Der Kläger durfte auch nicht mit Blick
auf die ihm wiederholt erteilten Bescheinigungen nach § 39c
Abs. 4 EStG 1997 darauf vertrauen, die Lohnsteuer werde nicht
nachgefordert. Für diese Bescheinigungen gelten die
Vorschriften über Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte
entsprechend (§ 39c Abs. 4 Satz 3 EStG 1997). Die Angaben in
der Bescheinigung stellen daher gesonderte Feststellungen von
Besteuerungsgrundlagen dar, die unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung stehen (§ 39 Abs. 3b Satz 4, § 39a Abs.
4 Satz 1 EStG 1997) und daher regelmäßig keinen
Vertrauensschutz auslösen können. Zudem entfallen die
Wirkungen dieser gesonderten Feststellungen, wenn der Arbeitgeber
das Lohnkonto des Arbeitnehmers abschließt (§ 41b Abs. 1
Satz 1 EStG 1997) und Änderungen des Lohnsteuerabzugs durch
den Arbeitgeber nicht mehr zulässig sind (§ 41c Abs. 3
Sätze 1 und 2, § 42b EStG 1997).
d) Die Höhe der Lohnsteuernachforderungen
ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Die angefochtenen
Bescheide sind daher rechtmäßig.
3. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil war daher
aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.