Steueranrechnung, zeitliche Zuordnung von Anrechnungsbeträgen: Hat das Finanzamt eine im Jahr 1993 erfolgte Gewinnausschüttung den Einkünften des Anteilseigners aus Land- und Forstwirtschaft zugeordnet und deshalb die entsprechende Einnahme zur Hälfte im Einkommensteuerbescheid 1992 erfasst, so müssen auch die anfallenden Steueranrechnungsbeträge (Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer) zur Hälfte auf die Einkommensteuer 1992 angerechnet werden. Das gilt auch dann, wenn jene Beträge bereits vollen Umfangs auf die Einkommensteuer 1993 angerechnet worden sind. - Urt.; BFH 18.9.2007, I R 54/06; SIS 08 05 40
I. Die Beteiligten streiten über die
Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids.
Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (1992)
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger ist
Landwirt und ermittelt seinen Gewinn gemäß § 4 Abs.
1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990) durch
Vermögensvergleich. Zum Betriebsvermögen seines
landwirtschaftlichen Betriebs, dessen Wirtschaftsjahr jeweils am 1.
Juli eines Kalenderjahres beginnt und am 30. Juni des Folgejahres
endet, gehört eine Beteiligung an einer GmbH.
Die GmbH bescheinigte dem Kläger
zunächst Ausschüttungen in Höhe von 115.810,94 DM,
die im Mai 1992 ausgezahlt wurden. Diese Ausschüttungen wurden
im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr erklärungsgemäß als Einkünfte aus
Kapitalvermögen erfasst. Die von der GmbH bescheinigten
anrechenbaren Beträge (Körperschaftsteuer,
Solidaritätszuschlag und Kapitalertragsteuer) wurden auf die
Einkommensteuer des Streitjahres angerechnet.
Im Anschluss an eine
Außenprüfung rechnete der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die
Ausschüttungen den Einkünften aus Land- und
Forstwirtschaft zu. Zudem ergab die Außenprüfung
Änderungen im Zusammenhang mit verdeckten
Gewinnausschüttungen der GmbH an den Kläger. Daraufhin
erging am 7.2.2000 ein geänderter Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr, in dem alle im Wirtschaftsjahr 1991/92
erfolgten Ausschüttungen jeweils zur Hälfte als Einnahmen
aus Land- und Forstwirtschaft erfasst waren. Die anrechenbaren
Steuern und Nebenabgaben wurden ebenfalls nur zur Hälfte auf
die Einkommensteuer des Streitjahres angerechnet. Dies führte
zu einer Verminderung der Anrechnungsbeträge um [83.384 DM ./.
73.276 DM =] 10.108 DM (Körperschaftsteuer), [2.779,46 DM ./.
2.084,60 DM =] 694,86 DM (Solidaritätszuschlag) und [37.060 DM
./. 27.795 DM =] 9.265 DM (Kapitalertragsteuer).
Im Wirtschaftsjahr 1992/93 hatte der
Kläger erneut Ausschüttungen der GmbH erhalten. Diese
wurden ebenfalls als Einnahmen aus Kapitalvermögen
erklärt und daraufhin zunächst in vollem Umfang im
Einkommensteuerbescheid 1993 erfasst. Im Anschluss an die
Außenprüfung ordnete das FA sie jedoch ebenfalls den
Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zu, weshalb es sie
zur Hälfte in einem geänderten Steuerbescheid für
das Streitjahr berücksichtigte. Die andere Hälfte der
Ausschüttungen erfasste das FA im Einkommensteuerbescheid
1993; die auf die Ausschüttungen im Wirtschaftsjahr 1992/93
entfallenden Anrechnungsbeträge rechnete es jedoch weiterhin
in voller Höhe auf die Einkommensteuer 1993 an.
Die Kläger legten gegen den
geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr
Einspruch ein und beantragten zunächst, die anrechenbaren
Steuern und Nebenabgaben aus dem Wirtschaftsjahr 1991/92 in vollem
Umfang auf die Einkommensteuer des Streitjahres anzurechnen. Das FA
wertete den Einspruch als Antrag auf Erlass eines
Abrechnungsbescheids gemäß § 218 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) und erließ einen solchen Bescheid, in dem
es dem Begehren der Kläger nicht folgte. Die Kläger
fochten den Abrechnungsbescheid mit Einspruch und Klage an; im
Klageverfahren beantragten sie, den Bescheid dahin zu ändern,
dass die auf das Wirtschaftsjahr 1992/93 entfallenden anrechenbaren
Steuern (Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer) zur
Hälfte auf die Einkommensteuer des Streitjahres angerechnet
würden. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab der
Klage durch Urteil vom 13.7.2006 11 K 12314/02 statt; das Urteil
ist in EFG 2006, 1716 = SIS 06 46 74 abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das angefochtene
Urteil weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des FA auf.
1. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1990 wird
auf die Einkommensteuer die durch Steuerabzug erhobene
Einkommensteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung
erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung
beantragt oder durchgeführt worden ist. Zu den hiernach
anrechenbaren Steuern zählt u.a. die gemäß §
43 Abs. 1 EStG 1990 erhobene Kapitalertragsteuer. Ferner bestimmt
§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990, dass unter bestimmten
Voraussetzungen und in bestimmtem Umfang die
Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen
Körperschaft auf die Einkommensteuer angerechnet wird. Um die
hiernach vorzunehmenden Anrechnungen geht es im Streitfall.
2. Sowohl die Körperschaftsteuer als auch
die Kapitalertragsteuer können nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) nur insoweit auf die Einkommensteuer
angerechnet werden, als sie auf die bei der Veranlagung erfassten
Einkünfte entfallen (BFH-Urteil vom 19.7.1994 VIII R 58/92,
BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362 = SIS 95 12 91). Daraus folgt in
zeitlicher Hinsicht, dass die Anrechnung auf die Steuer desjenigen
Veranlagungszeitraums bezogen werden muss, in dem die
entsprechenden Einkünfte im Steuerbescheid angesetzt worden
sind (Senatsurteil vom 26.11.1997 I R 110/97, BFH/NV 1998, 581 =
SIS 98 07 02; Gosch in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 36 Rz 46,
m.w.N.). Hingegen setzt speziell die Anrechnung einer
Körperschaftsteuer nach der im Streitfall maßgeblichen
Gesetzesfassung nicht voraus, dass die anzurechnende Steuer selbst
im Einkommensteuerbescheid als Einnahme erfasst ist (vgl. dazu
Senatsurteil vom 19.10.2005 I R 72/04, BFH/NV 2006, 925 = SIS 06 17 24, m.w.N.).
3. Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass
das FA die in Rede stehenden Ausschüttungen den
Einkünften des Klägers aus Land- und Forstwirtschaft
zugerechnet und auf dieser Basis - der Regel des § 4a Abs. 2
Nr. 1 Satz 1 EStG 1990 entsprechend - im Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr die Hälfte der
Ausschüttungsbeträge als Einnahmen des Klägers
berücksichtigt hat. Diese Feststellung ist nicht mit
zulässigen und begründeten Revisionsrügen
angegriffen worden und deshalb revisionsrechtlich bindend (§
118 Abs. 2 FGO). Die übrigen Voraussetzungen für eine
Steueranrechnung, namentlich die vom Gesetz geforderten
Steuerbescheinigungen der GmbH, liegen nach den bindenden
Feststellungen des FG ebenfalls vor. Angesichts dessen ist, dem
Verhältnis bei der Aufteilung der Einnahmen entsprechend, die
Hälfte der bescheinigten Anrechnungsbeträge auf die
Einkommensteuer des Streitjahres anzurechnen.
4. Der hiernach materiell-rechtlich gebotenen
Anrechnung stehen die vom FA erlassenen Anrechnungsverfügungen
nicht entgegen. In diesem Zusammenhang muss nicht auf die streitige
Frage eingegangen werden, ob eine bestandskräftige
Anrechnungsverfügung gegenüber einem nachfolgenden
Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) Bindungswirkung
entfalten kann (so BFH-Urteile vom 16.10.1986 VII R 159/83, BFHE
148, 4, BStBl II 1987, 405 = SIS 87 07 51; vom 15.4.1997 VII R
100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787 = SIS 97 19 74, m.w.N.;
einschränkend BFH-Beschluss vom 13.1.2005 VII B 147/04, BFHE
208, 404, BStBl II 2005, 457 = SIS 05 17 29; verneinend
Senatsurteile vom 28.4.1993 I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II
1993, 836 = SIS 93 20 44; vom 28.4.1993 I R 123/91, BFHE 170, 573,
BStBl II 1994, 147 = SIS 93 17 28). Denn auch wenn man die
Möglichkeit einer Bindungswirkung im Grundsatz bejaht, besteht
eine solche jedenfalls im Streitfall nicht. Die
Anrechnungsverfügung für 1993 kann - worauf die
Kläger zu Recht hinweisen - schon deshalb keine verbindliche
Regelung zur Anrechnung auf die Einkommensteuer des Streitjahres
beinhalten, weil sie diese Frage gar nicht betrifft. Aber auch auf
die - auf die ursprünglich festgesetzte Steuer bezogene - das
Streitjahr betreffende Anrechnungsverfügung kann sich das FA
nicht mit Erfolg berufen:
a) Bei dem Erlass eines Abrechnungsbescheids
ist das FA jedenfalls dann nicht an eine vorausgegangene
Anrechnungsverfügung gebunden, wenn es diese nach den
hierfür geltenden Regeln beseitigen könnte. Das gilt u.a.
dann, wenn die Anrechnungsverfügung rechtswidrig ist und die
in § 130 AO bestimmten Voraussetzungen für ihre
Rücknahme vorliegen (Senatsurteil vom 22.8.2006 I R 42/05,
BFH/NV 2007, 404 = SIS 07 06 64).
b) Im Streitfall haben die Kläger gegen
den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr
Einspruch eingelegt und diesen mit Einwendungen gegen die
Anrechnung begründet. Angesichts dessen hat das FA zwar zu
Recht einen Abrechnungsbescheid erlassen. Zugleich verbietet es
sich vor diesem Hintergrund aber, die mit dem angefochtenen
Bescheid verbundene Anrechnungsverfügung als
bestandskräftig und deshalb als im Abrechnungsverfahren
bindend anzusehen. Selbst wenn die Bindungswirkung einer
Anrechnungsverfügung im Grundsatz zu bejahen wäre,
könnte Maßstab der insoweit anzustellenden Prüfung
nur diejenige Verfügung sein, die an den - augenscheinlich
nicht angefochtenen - ursprünglichen Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr anschloss.
Diese Verfügung ist - zumindest aus
heutiger Sicht - zum einen insoweit fehlerhaft, als sie nicht
diejenigen Anrechnungsbeträge erfasst, die aus den
Ausschüttungen im Wirtschaftsjahr 1992/93 resultieren und dem
Streitjahr zuzuordnen sind; die vorgenommenen Anrechnungen sind
insoweit um 25.869,24 DM (Körperschaftsteuer) und 6.733,94 DM
(Kapitalertragsteuer) zu niedrig. Zugleich sind dort im
Zusammenhang mit den Ausschüttungen im Wirtschaftsjahr 1991/92
um 10.108 DM (Körperschaftsteuer) und 9.265 DM
(Kapitalertragsteuer) überhöhte Anrechnungen erfasst,
wodurch der Fehler aber nicht vollständig ausgeglichen wird.
Im Ergebnis ist die genannte Anrechnungsverfügung daher
rechtswidrig. Deshalb hätte das FA sie, wenn sie eine
bestandskraftfähige Regelung beinhalten sollte, nach §
130 Abs. 1 AO zurücknehmen dürfen.
c) Dem steht § 130 Abs. 2 AO nicht
entgegen. Denn diese Vorschrift greift nicht ein, wenn es - wie im
Streitfall - um die Rücknahme einer zum Nachteil des
Steuerpflichtigen rechtswidrigen Anrechnungsverfügung geht. In
einem solchen Fall richten sich die Voraussetzungen für die
Rücknahme, wenn und soweit die Anrechnungsverfügung als
Verwaltungsakt anzusehen ist, nach § 130 Abs. 1 AO (BFH-Urteil
in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405, 407 f. = SIS 87 07 51; von
Wedelstädt in Beermann/Gosch, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 130-133 Rz 19 AO; Seibel in
Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommen- und
Körperschaftsteuergesetz, § 36 EStG Rz 7; Becker, DStZ
1999, 933, 934 f.; ähnlich Kruse in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 130 AO Rz 11,
m.w.N.). Ob im Hinblick auf die maßgebliche
Anrechnungsverfügung eine der in § 130 Abs. 2 AO
genannten Voraussetzungen vorliegt, muss deshalb nicht
erörtert werden; selbst wenn diese Frage zu verneinen ist,
hindert die Verfügung nicht den von den Klägern begehrten
Ansatz der Anrechnungsbeträge im Abrechnungsverfahren. Aus
demselben Grund ist § 130 Abs. 3 AO im Streitfall ohne
Belang.
5. Schließlich muss auch der Hinweis der
Revision auf den Grundsatz von Treu und Glauben ohne Erfolg
bleiben. Zwar führt die Anrechnung der streitigen Beträge
auf die Einkommensteuer des Streitjahres, nachdem dieselben
Beträge bereits auf die Einkommensteuer 1993 angerechnet
worden sind, im Ergebnis zu einer fehlerhaften doppelten
Begünstigung der Kläger. Allein daraus lässt sich
aber nicht ableiten, dass die Kläger nach Treu und Glauben an
der Verfolgung ihres Anrechnungsanspruchs gehindert wären.
Ebenso hat das FG nicht festgestellt, dass die Kläger in einer
Weise auf die Anrechnung auf die Einkommensteuer 1993 hingewirkt
hätten, die eine Durchsetzung dieses Anspruchs als treuwidrig
erschienen ließe; dass sie in ihrer
Einkommensteuererklärung 1993 die in Rede stehenden
Beträge als in vollem Umfang anrechenbar bezeichnet haben,
reicht dafür ebenso wenig aus wie der Umstand, dass sie
während der Außenprüfung und zunächst auch im
nachfolgenden Schriftwechsel das Vorgehen des FA nicht beanstandet
haben. Der entscheidende Fehler liegt letztlich darin, dass im
Anschluss an die Außenprüfung zwar die
Ausschüttungen - abweichend von der
Einkommensteuererklärung für 1993 - als Einkünfte
aus Land- und Forstwirtschaft behandelt und daraufhin anteilig dem
Streitjahr zugeordnet, die sich daraus ergebenden Folgerungen
für das Anrechnungsverfahren aber nicht gezogen worden sind.
Dieser Fehler ist auch dann, wenn das beschriebene Vorgehen - den
Feststellungen des FG entsprechend - „auf einer zwischen
dem FA und der Steuerberaterschaft vereinbarten Praxis“
beruht, eher dem FA als den Klägern zuzurechnen. Die doppelte
Begünstigung der Kläger könnte daher nur im Rahmen
einer Änderung der Anrechnungsverfügung für 1993
beseitigt werden, über deren Zulässigkeit hier aber nicht
zu befinden ist.