DBA-Schweiz, ständige Wohnstätte: Eine Wohnung ist "ständige Wohnstätte" i.S. des DBA-Schweiz 1971, wenn sie nach Art und Intensität ihrer Nutzung eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus des Steuerpflichtigen einbezogene Anlaufstelle darstellt. - Urt.; BFH 5.6.2007, I R 22/06; SIS 07 31 75
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob Einkünfte und Vermögen des Klägers und
Revisionsbeklagten (Kläger) nach dem Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom
11.8.1971 (BGBl II 1972, 1021, BStBl I 1972, 519) - DBA-Schweiz
1971 - in Deutschland besteuert werden dürfen.
Der Kläger wohnte in den Streitjahren
(1989 bis 1994) in der Schweiz und bestritt seinen Lebensunterhalt
- zumindest überwiegend - aus Kapitalerträgen. Er
besaß zudem im Inland - und zwar in B - eine
Eigentumswohnung, die er nach den Feststellungen des Finanzgerichts
(FG) u.a. aus Anlass von Arztbesuchen und Bankgeschäften sowie
zu Reinigungszwecken aufsuchte. Diese Wohnung wurde ab 1995
vermietet. Im September 1994 hat der Kläger in B eine
Schweizer Staatsangehörige geheiratet; in einer Anlage zur
Einkommensteuererklärung des Klägers für 1994
heißt es, Wohnsitz und ständiger Aufenthalt des
Klägers seien am 16.10.1994 in die Schweiz verlegt
worden.
Im Zuge einer Steuerfahndungsprüfung
wurde festgestellt, dass der Kläger in den Streitjahren sowohl
bei deutschen als auch bei Schweizer Kreditinstituten erhebliche
Kapitalbeträge angelegt und daraus Zinsen erzielt hatte.
Ferner hatte er vereinzelt Spekulationsgeschäfte i.S. des
§ 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) getätigt. Auf
Grund dieser Feststellungen erließ der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) für die
Streitjahre 1989, 1990 und 1992 bis 1994 Einkommensteuerbescheide
sowie für alle Streitjahre Vermögensteuerbescheide, in
denen die betreffenden Vermögenswerte und Erträge der
deutschen Besteuerung unterworfen wurden. Die gegen diese Bescheide
gerichtete Klage hatte Erfolg; das FG entschied, dass der vom FA
vorgenommenen Besteuerung das DBA-Schweiz 1971 entgegenstehe, da
der Kläger in den Streitjahren im Inland keine ständige
Wohnstätte i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 besessen
habe (vgl. SIS 06 23 99). Dagegen wendet sich das FA mit seiner vom
FG zugelassenen Revision.
Das FA rügt eine Verletzung des Art. 4
Abs. 3 DBA-Schweiz 1971. Es beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die von diesem
getroffenen Feststellungen lassen eine abschließende
Beurteilung des Streitfalls nicht zu.
1. Das FG ist davon ausgegangen, dass der
Kläger in den Streitjahren in B einen Wohnsitz i.S. des §
8 der Abgabenordnung (AO) hatte und deshalb gemäß §
1 Abs. 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war. Diese
Beurteilung greift der Kläger nicht an. Der Senat sieht
ebenfalls keinen Anlass, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Die
unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers führt dazu,
dass dieser für die Streitjahre mit seinen Welteinkünften
der Einkommensteuer unterliegt.
2. Das FG hat ferner zutreffend erkannt, dass
der Kläger in den Streitjahren aus abkommensrechtlicher Sicht
in der Schweiz ansässig war, da sich dort der Mittelpunkt
seiner Lebensinteressen befand (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a Satz 2
DBA-Schweiz 1971). Das hat im Grundsatz zur Folge, dass die aus
Deutschland stammenden Zinseinkünfte nur in der Schweiz
besteuert werden können (Art. 11 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971);
dasselbe gilt für die vom Kläger erzielten
Spekulationsgewinne (Art. 13 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971).
3. Ungeachtet der vorstehend genannten
Regelungen darf jedoch gemäß Art. 4 Abs. 3 Satz 1
DBA-Schweiz 1971 eine natürliche Person, die nach Art. 4 Abs.
2 DBA-Schweiz 1971 als in der Schweiz ansässig gilt, unter
bestimmten Voraussetzungen in Deutschland nach den Vorschriften
über die unbeschränkte Steuerpflicht besteuert werden.
Das FG hat diese Vorschrift nicht für durchgreifend erachtet,
da der Kläger in den Streitjahren nicht - wie von Art. 4 Abs.
3 Satz 1 DBA-Schweiz vorausgesetzt - in Deutschland eine
ständige Wohnstätte oder seinen gewöhnlichen
Aufenthalt gehabt habe. Diese Beurteilung greift die Revision mit
Erfolg an. Das Urteil des FG lässt nicht mit hinreichender
Klarheit erkennen, ob sie auf einer zutreffenden Auslegung des
Begriffs „ständige Wohnstätte“
beruht.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats setzt
Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 zunächst das Vorhandensein
einer „Wohnstätte“ voraus. Diesem Begriff
unterfallen alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung
zum Wohnen geeignet sind (Senatsurteil vom 16.12.1998 I R 40/97,
BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207 = SIS 99 06 96). Das FG hat
ersichtlich angenommen, dass die Wohnung des Klägers in B in
den Streitjahren diese Voraussetzung erfüllte; das stellt auch
der Kläger nicht in Abrede.
b) Eine Wohnstätte ist
„ständige“ i.S. des Art. 4 Abs. 3
DBA-Schweiz 1971, wenn sie auf Grund einer langfristigen
Rechtsposition ständig genutzt werden kann und
tatsächlich regelmäßig genutzt wird. Dabei ist
einerseits weder ein ständiges Bewohnen noch ein
Mindestmaß an Nutzung Voraussetzung für das Vorliegen
einer ständigen Wohnstätte; ebenso muss sich dort nicht
der Mittelpunkt der Lebensinteressen des betreffenden
Steuerpflichtigen befinden. Andererseits reicht eine nur
gelegentliche Nutzung nicht aus (Senatsurteil in BFHE 187, 544,
BStBl II 1999, 207 = SIS 99 06 96). Erforderlich ist vielmehr eine
Art und Intensität der Nutzung, welche die Wohnung als eine
nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen
Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen
erscheinen lässt. Darin liegt die Qualifizierung der
„ständigen Wohnstätte“ gegenüber
dem „Wohnsitz“ i.S. des § 8 AO, für
dessen Begründung es ausreichen kann, dass eine Wohnung
ständig zur Nutzung bereitgehalten und tatsächlich nur
von Fall zu Fall genutzt wird (Senatsurteil vom 24.1.2001 I R
100/99, BFH/NV 2001, 1402 = SIS 01 77 37).
Diese Beurteilung wird, bezogen auf Art. 4
Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, durch das Verhandlungsprotokoll zu diesem
Abkommen vom 18.6.1971 (BStBl I 1975, 504) bestätigt. Danach
gelten als ständige Wohnstätte nicht eine Wohnung oder
Räumlichkeiten, die nach Charakter und Lage
ausschließlich Kur-, Studien- oder Sportzwecken dienen und
nachweislich nur gelegentlich und nicht zum Zweck der Wahrnehmung
wirtschaftlicher und beruflicher Interessen verwendet werden.
Daraus lässt sich zwar - entgegen der Ansicht des FA - nicht
ableiten, dass eine Wohnung stets „ständige
Wohnstätte“ i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz ist,
wenn sie anlässlich der Erledigung wirtschaftlicher
Angelegenheiten genutzt wird; denn die genannte
(norminterpretierende) Bestimmung enthält nur eine
Beschreibung von Vorgängen, die nicht zur Begründung
einer ständigen Wohnstätte führen, nicht aber eine
positive Aussage des vom FA angenommenen Inhalts. Jedoch lässt
sich aus der dort enthaltenen Negativausgrenzung ein gewisses
begriffliches Vorverständnis ableiten, das dahin geht, dass
jedenfalls die regelmäßige Nutzung einer Wohnung im
Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit zur
Begründung einer „ständigen
Wohnstätte“ führt (Senatsurteil in BFHE 187,
544, 548, BStBl II 1999, 207, 209 = SIS 99 06 96). Darüber
hinaus macht die genannte Vereinbarung deutlich, dass es -
abweichend von der Auffassung des FG - für die im Einzelfall
vorzunehmende Abgrenzung nicht nur auf den Zweck, sondern auch auf
die Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Bewohnens der
Räumlichkeiten ankommt.
Wie häufig und intensiv eine Wohnung
genutzt werden muss, um zur „ständigen
Wohnstätte“ i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971
zu werden, lässt sich nicht in abstrakter Weise
abschließend bestimmen. Der Senat hat in seinem Urteil in
BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207 = SIS 99 06 96 eine Wohnung, die
an ca. 50 Tagen im Jahr im Zusammenhang mit einer
Berufstätigkeit an dem betreffenden Ort genutzt wurde, als
ständige Wohnstätte angesehen. Andererseits wird eine
stets nur an wenigen Tagen im Jahr genutzte Wohnung auch dann, wenn
die Nutzung aus Anlass einer wirtschaftlichen Betätigung
erfolgt, hierdurch nicht zur ständigen Wohnstätte werden.
Das Erfordernis eines zeitlichen Mindestaufenthalts lässt sich
jedoch dem Abkommen nicht entnehmen (ebenso Wassermeyer in
Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen
Deutschland-Schweiz, Art. 4 Rz 34; Hardt in Debatin/Wassermeyer,
Doppelbesteuerung, Art. 4 Schweiz Rz 70); in Grenzfällen ist
letztlich eine wertende Betrachtung geboten, die darauf abstellt,
ob die Intensität der Nutzung bei objektiver Betrachtung auf
eine Einbindung der Wohnung in das übliche Leben des
Steuerpflichtigen hindeutet. In diesem Sinne kann auch auf die
persönliche Bindung des Steuerpflichtigen zu der Wohnung
abgestellt werden (so z.B. Lehner in Vogel/Lehner,
Doppelbesteuerungsabkommen, 4. Aufl., Art. 4 Rz 74; Wassermeyer in
Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 4 MA Rz 58), ohne dass es aber
darauf ankommt, ob dieser eine positive Einstellung zu der Wohnung
hat oder ihre Nutzung nur als notwendiges Übel ansieht.
c) Ob nach diesen Kriterien die Wohnung in B
dem Kläger in den Streitjahren als ständige
Wohnstätte diente, lässt sich dem angefochtenen Urteil
nicht entnehmen. Das FA hat unter Berufung auf Indizien
vorgetragen, dass der Kläger sich an mindestens 50 Tagen pro
Jahr in dieser Wohnung aufgehalten habe. Das FG ist dem nicht
nachgegangen, da es die Ansicht vertreten hat, dass es im
Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 auf den zeitlichen
Umfang der Nutzung nicht ankomme. Richtigerweise ist indessen
jedenfalls dann, wenn der Kläger die Wohnung in B in dem vom
FA behaupteten Umfang aufgesucht hat und sich diese Aufenthalte
jeweils gleichmäßig auf das Jahr verteilt haben, diese
Wohnung als „ständige Wohnstätte“ i.S.
des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 anzusehen. Anders ist es
hingegen, wenn der Kläger - wie er selbst vorträgt - sich
an nur wenigen Tagen im Jahr in B aufgehalten haben sollte.
4. Dieselben Grundsätze gelten, soweit es
um die Heranziehung des Klägers zur Vermögensteuer geht.
Insoweit war der Kläger in den Streitjahren ebenfalls
unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. l des
Vermögensteuergesetzes in der für die Streitjahre
geltenden Fassung), weshalb sein gesamtes Vermögen der
inländischen Besteuerung unterliegt. Speziell das
Kapitalvermögen darf zwar, da es sich nicht um
Vermögenswerte i.S. des Art. 22 Abs. 1 bis 5 DBA-Schweiz 1971
handelt, gemäß Art. 22 Abs. 6 DBA-Schweiz 1971 nur in
der Schweiz besteuert werden. Das gilt aber wiederum nur unter dem
Vorbehalt des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, der - wie dessen Satz
2 klarstellt - auch auf die Besteuerung des Vermögens
anwendbar ist (ebenso Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Kempermann,
a.a.O., Art. 4 Rz 64). Insoweit kommt es daher ebenfalls auf die
Frage an, ob der Kläger in den Streitjahren im Inland eine
ständige Wohnstätte innehatte.
5. Zur Prüfung dieser Frage bedarf es
weiterer tatsächlicher Feststellungen, die im
Revisionsverfahren nicht getroffen werden können. Zu diesem
Zweck wird deshalb die Sache an das FG zurückverwiesen.